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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 18.04.2016
Berg, Hendrik

Lügengrab / Theo Krumme Bd.2


ausgezeichnet

»Willst du wirklich nach Hooge?« sagte Harke auf einmal, ohne den Blick vom Horizont zu nehmen. Krumme nickte entschlossen. »Wieso nicht? Ich will einfach nur meine Ruhe und…« »Da ist etwas. Irgendetwas Böses. Etwas sehr Böses.«

Eigentlich möchte Krumme nur Urlaub machen. Der Berliner Kommissar ist nach einem privaten Unglück und einer schweren Verletzung im Dienst mehr als erholungsreif, wird von schlimmen Albträumen geplagt. Auf der kleinen Hallig Hooge erhofft er sich Ruhe und Entspannung. Den bösen Vorahnungen seines alten Bekannten Harke misst er keine Bedeutung bei. Jedenfalls zunächst nicht…
Auf der Fähre nach Hooge lernt er die junge Swantje kennen. Auch sie wird von einem traumatischen Erlebnis geplagt, hat die Hallig, ihr Zuhause, drei Jahre lang gemieden. Denn vor drei Jahren verschwand dort ihr Verlobter in der Nacht vor der Hochzeit spurlos…

Man ahnt es schon: Aus der dringend benötigten Ruhe für Krumme wird nichts. Dabei teilt er zunächst die Auffassung sämtlicher Menschen auf Hooge (mit Ausnahme von Swantje ;-), dass ihr Verlobter „kalte Füße bekommen“ habe und abgehauen sei. Doch mehr und mehr kann der ruhelose Ermittler in ihm sich nicht vor diversen Ungereimtheiten verschließen...

Meine Güte, war das spannend! Ich hatte zum Glück einen freien Tag, denn ich mochte das Buch gar nicht aus der Hand legen!
Im Gegensatz zu Krumme weiß der Leser von Anfang an, dass tatsächlich „etwas sehr Böses“ auf Hooge droht, denn in Rückblenden, die sich durch das ganze Buch ziehen, wird man immer wieder Zeuge schrecklicher Morde, verübt von einem unbekannten Täter, der – so mein Eindruck – möglicherweise schizophren ist, sich aber auf jeden Fall nicht unter Kontrolle hat. Mein Gedankenkarussell begann sofort, sich zu drehen und mögliche Verbindungen zu Swantjes verschwundenem Verlobten zu konstruieren. Besonders gefiel mir, dass ich lange Zeit glaubte, bereits den Durchblick zu haben, um dann gegen Ende noch mal ordentlich überrascht zu werden. Klasse!

Wundervoll auch die Schilderungen von Landschaft und Natur. Unwillkürlich stellt sich beim Lesen Fernweh ein und ich war heilfroh, dass ich mich bereits auf einen anstehenden Nordsee-Urlaub freuen darf :) Man meint richtig, den Wind in den Haaren und das Salz auf den Lippen zu spüren, man hört das Kreischen der Möwen und sieht vor sich die Naturgewalt des Meeres. Die Atmosphäre, die geschaffen wird, passt hervorragend zum Handlungsverlauf und intensiviert ihn, von anfänglicher Idylle hin zu einer lebensbedrohlichen Sturmflut. Und natürlich, man ist schließlich im „Hoheitsgebiet“ des Klabautermanns, gibt es auch immer mal wieder etwas Unheimliches, leicht Mysteriöses. Vermutlich nur Albträume und Trugbilder, oder?

Mit Krumme ist hier ein sehr intelligenter Ermittler am Werk, der dank einiger menschlicher Schwächen noch sympathischer wirkt. Bei den übrigen Charakteren sind weitere sehr interessante dabei und ich freute mich besonders, dass Harke, den ich schon bei Krummes erstem Fall („Deichmörder“) kennenlernte, zumindest kurz auftauchte. Falls man den ersten Band noch nicht kennt, spielt das für das Verständnis von „Lügengrab“ keine Rolle, da die beiden Fälle völlig eigenständig sind.

Fazit: Sehr spannend, unheimlich und atmosphärisch dicht! Ich hoffe, Krumme fährt bald wieder an die Nordsee!

»Du bist ein Monster, sagte eine leise, aber deutliche Stimme in seinem Kopf. Wie ein Irrer hast du auf das arme Mädchen eingeschlagen! Du bist eine Gefahr für alle, die in deine Nähe kommen.«

Bewertung vom 13.04.2016
Schnurbusch, Andreas

Mord in der Nordkurve


sehr gut

»Um 13:00 Uhr wurde das Spiel angepfiffen. Fortuna Düsseldorf hatte Anstoß und spielte direkt mutig nach vorne. Von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet versuchten sie, über die rechte Seite in den Kölner Strafraum einzudringen.
Aber acht Personen im Unterrang der Nordkurve bekamen diese Szene nicht mehr mit. Von Krämpfen und Schmerzen geplagt krümmten sie sich und schnappten nach Luft. Nur die unmittelbar um sie stehenden Fans bemerkten, was passierte. Sie versuchten, ihren Kameraden wieder auf die Beine zu helfen. Es gelang ihnen nicht: Die Frauen und Männer sackten zusammen und hielten sich röchelnd die Hände an Brust und Hals. … Um die kollabierenden Personen herum bildeten sich kleine Menschentrauben, die sich mit aller Macht gegen die drückende Menge stemmten, um die hilflos am Boden Liegenden zu schützen. Einige versuchten, Erste Hilfe zu leisten, während andere laut um Hilfe schrien…«

Es ist Sommer in Köln, einer dieser Hochsommertage, an denen das Thermometer die 40° Marke knackt und man am besten zuhause im Schatten bliebe. Aber es ist Wochenende, es ist Bundesliga und auf dem Spielplan steht ausgerechnet das Derby 1. FC Köln gegen Fortuna Düsseldorf. Schon vor dem Anpfiff kochen die Emotionen im Stadion hoch, da wundert es einen nicht, wenn Fans kollabieren. Doch die acht Fans, die in der Nordkurve von Krämpfen geplagt zusammenbrechen, sind kein Opfer der Hitze geworden – ein mysteriöser und schwer zu knackender Fall für die Ermittler der Mordkommission Köln…

Das war mal wieder ein Krimi, den ich in einem Rutsch gelesen habe! Der Fall ist schon von der Anlage her sehr spannend, schafft es aber, diese Spannung im Laufe der Handlung sogar noch zu steigern und in einem furiosen Finale zu gipfeln!

Man kann sich leicht vorstellen, wie die Stimmung in der Bevölkerung, bei Fußballfans und Ermittlern, nach dem geschilderten Anschlag gewesen sein muss. Eine Vergiftung muss vorliegen, soviel ist schnell klar. Aber wie wurde sie vorgenommen? Und waren die Opfer reine Zufallsopfer? Werden weitere Anschläge folgen und wie kann man sich schützen? Fragen über Fragen türmen sich auf…

Der Leser ahnt (im Gegensatz zu den Ermittlern ;-) durch Rückblenden, dass ein 20 Jahre zurückliegendes Beziehungsdrama in irgendeinem Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen stehen muss. Dieser Wissensvorsprung nimmt aber nichts von der Spannung, weil man im Gegenzug schon ahnt, welche potentielle Dramatik noch in der Handlung lauert.

Die Ermittlungsarbeit ist sehr realistisch beschrieben und erscheint logisch und lückenlos aufgebaut. Der Stil ist angenehm und lässt sich leicht lesen. Allerdings: Bei Szenen, in denen die Polizeiarbeit beschrieben wird, wird der Stil sehr sachlich, fast schon berichtsartig. Da kommt dann wohl der Polizist im Autor durch ;-) (Ja, der Autor ist vom Fach.) Persönlich hatte ich kein Problem damit, allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich einige Leser daran stören würden.

Unter den Charakteren sind einige recht sympathische dabei. Der geschilderte Umfang an privaten Dingen ist für meinen Geschmack genau richtig getroffen, da er die menschliche Situation der Personen gut erkennen lässt, ohne sich aber durch ein Zuviel negativ auf die Krimihandlung auszuwirken.

Fußballfans dürften sich zudem über die sehr lebendig geschilderten Stadionszenen freuen. Es muss sich aber niemand Sorgen machen, wenn er sich für Fußball nicht begeistern kann: Sooo umfangreich sind die Szenen dann doch nicht und die Einblicke in das Leben rivalisierender Fanclubs sind mit Sicherheit auch für Nicht-Fans interessant. Außerdem gibt es noch völlig andere Handlungsschienen, die ich aber hier nicht verraten möchte. Das Regionale im Regionalkrimi ist zudem sehr gut getroffen – ein Kölner dürfte sich heimisch fühlen und der „Auswärtige“ ein paar interessante Dinge erfahren.


Fazit: Spannender Regionalkrimi, nicht nur für Fußballfans. Sehr realistisch, streckenweise aber zu berichtsartig geschrieben.

Bewertung vom 13.04.2016
Day, Clarence

Unser Herr Vater


ausgezeichnet

Clarence Day erzählt Geschichten aus seinem Leben, über seinen Vater und über das Leben mit ihm. Was gibt es da groß und buchfüllend zu berichten, wenn der Vater nicht gerade eine Berühmtheit war? Nun, lauter alltägliche Dinge, häufig Banalitäten, die man aus dem eigenen Leben kennt. Der Reiz liegt einfach in der Person des Vaters, in seinem Charakter, der für die damalige Zeit eigentlich so ungewöhnlich nicht war. Vielmehr wird so manches, worüber der heutige Leser nur amüsiert den Kopf schütteln kann, dem Leser zum Zeitpunkt des Erscheinens des amerikanischen Originals (1935) recht bekannt vorgekommen sein.

Wir befinden uns in einer Zeit, in der der Vater noch der Ernährer der Familie ist und daraus seine Stellung als Familienoberhaupt ableitet. Frau und Kinder ordnen sich entsprechend unter. Zumindest auf den ersten Blick…
Mrs. Day beispielsweise versucht ständig, sich kleine Freiheiten zu erkämpfen. Meist in der Form, dass sie Teile des ihr zur Verfügung gestellten Haushaltsgelds „unterschlägt“ oder gleich anders verwendet, als der Herr des Hauses es sich vorgestellt hatte. Dabei zeigt sie eine erstaunliche Kreativität und Beharrlichkeit und schafft es sogar, zusammen mit einer anderen Dame (aber natürlich auf Mr. Days Kosten) nach Ägypten zu reisen. Vor allem seine Reaktionen sind dabei stets sehr unterhaltsam zu lesen ;-)
Tja, und die Kinder… Sie lieben und achten ihren Vater, gehorchen häufig und versuchen ansonsten, ihren eigenen Interessen zu folgen, möglichst ohne dass es auffällt…
»Er lebte sein Leben und wir, grade unter seiner Nase, das unsrige.«

Schreibstil und Wortwahl sind wirklich schön und unterhaltsam zu lesen. Die deutsche Übersetzung ist von niemand geringerem als Hans Fallada, der Day – so heißt es – als einen „literarischen Zwilling“ empfand. Mir gefiel besonders der charmante und liebevolle Ton, der sich durch den gesamten Text zieht. Selbst an Stellen, in denen der Autor mit seinem Vater und dessen Meinung ganz und gar nicht einverstanden ist, hat sein Text nichts von einer kritischen Abrechnung. Vielmehr blickt er mit viel Liebe, Humor und einem Augenzwinkern auf so manche menschliche Schwäche oder Fehlleistung zurück. Übrigens auch auf seine eigenen, zum Beispiel wenn er von seiner Unpünktlichkeit oder mangelnden Sparsamkeit schreibt. Oder von seiner Musikalität…
»Ich schlachtete grade wieder im Kellerzimmer eine Tonleiter ab… ...Was würde der Musiker, dessen Herzen diese Töne vor Jahren entströmten, gefühlt haben, hätte er ihr Ende in Madison Avenue voraussehen können? Wenn er geahnt hätte, wie die einst friedliche Nachbarschaft diese Melodie verfluchen würde, ehe sie für immer verklang?«

Die Episoden spielen nicht nur zu der Zeit, als der Erzähler noch ein Junge war, sondern der Leser kann ihn und seinen Vaters bis (fast) an dessen Lebensende begleiten. Ganz nebenbei macht man dabei auch eine kleine Zeitreise, erlebt beispielsweise mit, wie „Vater das Telefon ins Haus [lässt]“. Im Anhang gibt es mehrere Seiten von Anmerkungen, die auch bei heute nicht mehr gebräuchlichen Ausdrücken helfen. Und eingestreut im Buch kann man sich über insgesamt zwölf Original-Zeichnungen von Clarence Day freuen.

Clarence Shepard Day wurde 1874 als Sohn eines Börsenmaklers in New York geboren. 1897 trat er in die Firma des Vaters ein, war aber durch eine schwere Krankheit vom 30. Lebensjahr an bis zu seinem Tod meist ans Bett gefesselt. Trotzdem war er in dieser Zeit nicht untätig und fertigte unter anderem literarische Artikel und Karikaturen. „Unser Herr Vater“ erschien 1935 und machte ihn schlagartig berühmt. Die Bühnenfassung gilt als einer der größten Broadway-Erfolge aller Zeiten.

Fazit: Humorvolle Zeitreise, charmant und liebevoll geschrieben.

Bewertung vom 08.04.2016

SternenBlick


ausgezeichnet

Dieses Buch hat mich wirklich überrascht. Nach der Empfehlung einer Bücherfreundin hatte ich es mir zugelegt, es dann aber lange liegenlassen. Lyrik ist eigentlich nicht meine Welt, ich finde meist nur schwer Zugang dazu. Tja, nun sollte ich erfahren, dass es auch anders sein kann…

Die Gedichte und kleinen Texte zu den Kapiteln „Kindsein“, „Kinderblick“ und „Kindheit“ trafen mich voll ins Herz. Ein faszinierendes Erlebnis: Während ich las, sah ich mich. Ganz deutlich. Ich war das Kind in dem Gedicht. Die Erinnerung spürte ich intensiv in meinem Bauch. Natürlich war nicht alles gut und schön, aber die eigene Sichtweise war eine andere. Man hatte noch Träume, war in der Lage, den Augenblick wirklich zu erleben. Das Leben ist so ernst geworden – schön, wenn man es wenigstens gelegentlich schafft, wie ein Kind zu lachen!

Stundenlang die Zeit vergessen
Blätter flach in Bücher pressen
Haare sich in Strähnen flechten
Mit dem Stiel des Besens fechten
Häuser oben in den Bäumen
Ideen, die gern mal überschäumen
Bunte Felderblumensträuße
Manchmal Zecken oder Läuse
Streunern bis die Nacht einbricht
Durch das Fenster Streifenlicht
Leise Melodien im Ohr
Und für morgen so viel vor

Die Texte sind in ihrer Thematik so vielfältig, dass jeder in der Lage sein sollte, „sein Kind“ zu entdecken. Es gibt Texte, die einfach überschäumen vor Lebenslust. Es gibt Worte voller Liebe, gerichtet zum Beispiel von einem Elternteil an sein Kind. Sogar ernste Themen tauchen auf, wie Trisomie oder Altersdemenz, wunderbar umgesetzt und Mut machend geschrieben.

Ich möchte jeden ermutigen, mal wieder sein inneres Kind zu suchen. Ich bin der beste Beweis dafür, dass Leser, die sich eigentlich kaum mit Lyrik beschäftigen, sie trotzdem wirklich und rundum genießen können. Und ganz nebenbei kann man mit dem Kauf des Buchs noch einen guten Zweck unterstützen, denn das Projekt „SternenBlick“ unterstützt bedürftige Kinder. Wer sich darüber informieren möchte, erhält Infos auf www.sternenblick.org.

Fazit: Wunderschön, poetisch und voller Erinnerungen. Ideal zum Selber-Genießen oder als Geschenkidee für einen besonders lieben Menschen.

Dein Haar begann grau zu werden, deine Schritte wurden kürzer und zögernd. Aus deinem Weg war ein ausgetretener Pfad geworden, da begegnete dir an einem sonnigen Morgen ein Kind. Es hüpfte auf dich zu und summte eine fröhliche Melodie. „Was macht dich so fröhlich?“ fragtest du das Kind. „Ich habe heute Nacht meinen Stern entdeckt“, antwortete es glücklich. „Dann pass gut auf, dass er nicht eines Tages verschwunden ist.“
„Du bist aber dumm!“ schalt das Kind, „Sterne können doch nicht verschwinden. Die sind immer da!“ „Meiner ist aber verschwunden“, sagtest du traurig. Das Kind legte seine Hand auf deine und lächelte. Seine Augen waren voller Licht. „Wenn die Nacht kommt, dann will ich dir suchen helfen. Und glaube mir, wir werden deinen Stern wiederfinden.“

Bewertung vom 08.04.2016
Nyborg, Ernest

Lena Halberg - New York '01


ausgezeichnet

»Das CIA-Memo fiel Hawk wieder ein, weswegen er von Washington herübergekommen war. … Das Memo betraf verdächtigte Aktivitäten von Terroristen. Es wurden darin mögliche Vorbereitungen von Flugzeugentführungen und gefährdete Bundesgebäude in NY erwähnt. Sollte das, was sich draußen vor seinen Augen abspielte, damit in Verbindung stehen?«

Es ist der 11. September 2001 und Hawk befindet sich in einem der Nebengebäude der Twin Towers. Diese Info reicht aus um zu wissen, was sich da gerade vor seinen Augen abspielt. Während das Gebäude evakuiert wird, kann Hawk der Versuchung nicht widerstehen, sich in den bereits geräumten Büros der CIA umzusehen. Im letzten Moment gelingt es ihm, sich selbst und ein verdächtig erscheinendes Dokument zu retten…

15 Jahre später. Der Name der Journalistin Lena Halberg ist in aller Munde, nachdem es ihr gelungen war, einen geheimen Waffendeal aufzudecken, in den (unter anderem) ein US-Senator verwickelt war. Mit ihrem Erfolg ist sie aber noch nicht zufrieden, da die Beweislage nicht ausreicht, auch den Eigentümer des beteiligten Rüstungskonzerns zur Verantwortung zu ziehen. Bei ihren weiteren Recherchen stößt sie auf illegale Waffenlieferungen in ein afrikanisches Krisengebiet und einen Zahlungsbeleg, der in Verbindung mit den Anschlägen von 2001 stehen könnte…

Dieser Thriller hat mich wieder richtig gepackt! Dem Autor ist eine tolle Mischung aus Fakten, Verschwörungstheorien und Fiktion gelungen, die im Ganzen realistisch erscheint und für mich keine Logikfehler aufweist. Den Stil fand ich sehr ansprechend, das Buch ließ sich leicht lesen und blieb durchgehend spannend.

Wer den 1. Band über Lena Halberg (Paris '97) gelesen hat, der weiß, dass unsere Protagonistin auf der Suche nach der Wahrheit vor nichts zurückschreckt und häufig persönliche Risiken eingeht. Das demonstriert sie auch hier wieder und muss erleben, mit welch brutaler Härte ihre Gegner agieren. Ich musste an der ein oder anderen Stelle schlucken, denke aber, dass weniger Brutalität unrealistisch gewesen wäre.
Für das Verständnis ist es übrigens nicht notwendig, Paris '97 zu kennen. Alle wichtigen Dinge werden in kurzen Rückblenden erklärt.

Im Anhang findet sich eine kleine Zusammenstellung von Ausschnitten aus Pressemeldungen, unter anderem zu den Themen War Lords, Kindersoldaten und Uranerz aus Zentralafrika.

Fazit: Spannender Politthriller, der den Leser auf eine Reise durch Afrika, New York, Rom und Marseille mitnimmt und tief in das Geflecht von Politikern, Geheimdiensten und der Rüstungsindustrie blicken lässt.

Bewertung vom 24.03.2016
Ogawa, Yoko

Schwimmen mit Elefanten


sehr gut

»Der dicke Mann besaß weder einen Meistertitel, der ihm von der Schachvereinigung verliehen worden war, noch nahm er an internationalen Turnieren teil. Er spielte einfach nur gerne Schach. Aber er hatte intuitiv die Bedeutung des Spiels erfasst. Für ihn ging es nie darum, den König des Gegners in die Enge zu treiben, sondern die Schönheit des Spiels zu genießen. Denn die Gabe, in einzelnen Schachzügen die Klangfarbe einer Violine zu erkennen oder das Spektrum des Regenbogens oder eine Philosophie, die kein noch so genialer Kopf mit Worten beschreiben kann, ist etwas anderes, als bloß eine Partie zu gewinnen.«

Diese sehr poetische Geschichte schildert das Leben eines zu Beginn der Handlung 7 Jahre alten Jungen, der in armen Verhältnissen bei den Großeltern aufwächst. Der Junge ist ein einsames Kind, ein Außenseiter, der sich - hochsensibel und mit einer großen Phantasie ausgestattet - regelmäßig in eine Traumwelt zurückzieht, zu der auch eine imaginäre Freundin (»Niemand konnte so gut erklären wie sie.«) und ein zeitlebens gefangener Elefant gehören. In einem alten Eisenbahnwaggon lehrt ihn ein "dicker Mann" das Schachspielen und damit verbunden eine ganz besondere Lebensphilosophie - beides wird von nun an im Zentrum seines Lebens stehen und ihm den Namen "Der kleine Aljechin" (nach dem Schachweltmeister) einbringen.

Puh, was für ein trauriges Buch! Leise und unaufgeregt erzählt die Autorin eine Geschichte, die mir manches Mal die Kehle zuschnürte. Was ich bewundert habe, war die wunderbare Sprache und die Art, das Leben als großes Schachspiel darzustellen und alle möglichen Geschehnisse wie Schachzüge zu beschreiben. Wie ein Schachspiel zur Lebensphilosophie werden kann, konnte ich mir zuvor nicht vorstellen, sollte man am besten selber lesen. Ich glaube aber, dass es für das Leseverständnis gut ist, wenn man zumindest die Grundbegriffe des Spiels kennt - es könnte doch an der ein oder anderen Stelle sonst vielleicht ein wenig zu abstrakt werden.
Ohnehin ist es nicht einfach (jedenfalls empfand ich es so), sich in das geduldige Ertragen seines Schicksals, wie es der Junge lebt, einzufühlen. Ich hätte ihn gerne manches Mal geschüttelt und gerufen: "Steh auf! Du bist so ein intelligentes Kerlchen! Versuch doch, aus deinem Leben etwas zu machen!" Aber seine Psyche ist eine recht komplizierte. In den Grenzen, die ihm das Leben gesetzt hat, fühlt er sich gefangen. Andererseits gibt ihm dieses Gefangensein ein Gefühl der Sicherheit, da ihm in Ermangelung von Alternativen nichts anderes übrig bleibt, als sich in das hineinzufinden, was das Schicksal scheinbar für ihn vorgesehen hat. Und so traurig mir die Geschichte auch vorkommt, der Junge selbst (ja, er bleibt bis zum Ende namenlos) ist zufrieden, wenn er in den Ozean des Schachs eintauchen kann und bleibt sich und seinen Werten treu. Am Ende behält man ihn als guten Menschen in Erinnerung, während bei diversen Personen, die seinen Weg im Laufe seines Lebens kreuzten, ganz deutlich wird, wie sie seine Duldsamkeit ausnutzen und sich durch ihn bereichern.

Fazit: Ganz klar ein besonderes Buch. Interessante Thematik, sehr poetisch aber auch tieftraurig.

»Aber der Mann führte den Jungen auf den Ozean des Schachs hinaus, wo er ihn lehrte, nur sich selbst zu vertrauen und eigene Spuren zu hinterlassen, ohne dabei vor Abgründen und gefährlichen Strömungen zurückzuweichen.«

Bewertung vom 24.03.2016
Becker, Bernd;Hoeffchen, Gerd-Matthias

Was weg ist, ist weg


sehr gut

»Die Anspannung lässt nach, der Geistliche atmet auf, hebt die Arme zum Segen. Und selten hat er die Segensworte am Grab mit solch einem erleichterten, fast freudigen Ausdruck gesprochen wie in diesem Moment. Die Gefahr ist gebannt, die Beerdigung geschafft.«

Klar, eine Beerdigung ist keine schöne Angelegenheit, aber welche Gefahr kann dabei für einen Pfarrer bestanden haben? Eine Antwort sowie die Schilderung weiterer Geschichten über Beisetzungen mit gewissen Besonderheiten bietet dieses Buch. Die Autoren haben Bestatter, Pfarrerinnen und Pfarrer sowie "normale" Menschen nach ungewöhnlichen Erlebnissen rund um diesen traurigen Akt gebeten. Das Ergebnis, dargebracht in 27 Geschichten, ist humorvoll und lebensnah und zeigt, dass auch in traurigen Momenten geschmunzelt werden darf. Pietätlosigkeit muss man als Leser nicht befürchten, alles bleibt dem ernsthaften Anlass angemessen.

So las ich, gleichermaßen amüsiert wie erstaunt, von hüpfenden Särgen, Pfarrern mit Panikattacken, von Urnen in Übergröße und Beisetzungen im Rotlicht-Milieu. Dabei wurde mir mal wieder deutlich vor Augen geführt, wie sehr doch eine Beerdigung zum ganz normalen Leben dazugehört und daher auch von ganz normalen Pannen nicht verschont bleiben kann.

Die kurzen Geschichten lassen sich leicht lesen. Dazwischen finden sich thematisch passende Gedichte und Zitate, manche ernst und manche erheiternd. Auch hier zeigt sich die Vielfalt des Lebens, wenn sich zu Zitaten von beispielsweise Dietrich Bonhoeffer ein solches von Rudi Carrell gesellt. Ich denke, dass ich dieses Buch immer mal wieder in die Hand nehmen werde.

Fazit: Humor darf es auch in traurigen Momenten geben. Menschlich und sehr lebensnah.

»Liebe Gemeinde«, sagt sie schließlich mit fester Stimme. »Das kann an solch einem Tag passieren. Es ist nichts Schlimmes geschehen. Lasst uns Ilse nun erneut auf ihrem letzten Weg begleiten.«

Bewertung vom 18.03.2016
Baronsky, Eva

Herr Mozart wacht auf


ausgezeichnet

»Nicht weit von seiner Bettstatt stand ein gläserner Tisch, darauf lag Papier, eine rechte Menge Papier, ein ganzer Stapel gar, weiß wie Jännerschnee und glatt wie feinste Seide. Er strich mit den Fingerspitzen darüber. Paradiesisch glatt, fürwahr, an diesem Ort war nicht zu zweifeln! Eine Feder fand er keine, doch ein Bleyweißstift aus lackiertem Holz und ein anderes Schreibgerät, dessen Beschaffenheit er nicht zu deuten wusste, lagen parat.
Er nickte unwillkürlich. Wer auch immer ihn hierhergebracht haben mochte, zeigte überdeutlich, was er von ihm erwartete: dass er sein letztes Werk, sein Requiem, nun vollende, sei dieser Ort ein Schon, ein Noch oder ein Dazwischen.«

Gerade eben lag er noch auf dem Sterbebett, neben ihm seine weinende Constanze und nun schlägt er die Augen wieder auf, fühlt sich gesund, lebendig und ist scheinbar durch ein Wunder wieder genesen. Nur die Umgebung, in der er sich befindet, kommt Wolfgang Amadé Mozart nicht nur fremd vor, sondern ganz und gar unverständlich. Er hört Musik – und sieht doch kein Orchester. Die Fuhrwerke auf der Straße rasen Geschossen gleich und ohne Pferde an ihm vorbei und Kaffee kochen funktioniert ohne Herdstelle. Sicher kann nur göttliche Fügung ihn, der doch eigentlich gestorben ist, an einem solchen Ort und zu einer solchen Zeit wieder hat aufwachen lassen! Aber zu welchem Zweck? Doch sicher, um sein Requiem zu vollenden! Wolfgang macht sich an die Arbeit…

Dieses wundervolle Buch hat mich gleich von Beginn an in seinen Bann gezogen und bis zum Ende nicht losgelassen. Anders, als es die Inhaltsangabe vielleicht zunächst vermuten lässt, geht es nicht nur darum, einen Menschen in ein völlig fremdes Zeitalter zu versetzen und sich dann über seine Versuche, sich zurechtzufinden, zu amüsieren. Das gibt es natürlich auch, und zwar nicht zu knapp. Allerdings ist Wolfgang in seinen Bemühungen so liebenswert, dass sich bei mir zum Lachen meist auch Mitgefühl hinzugesellte.

Darüber hinaus zeigt das Buch ganz deutlich, wie ein Mensch so in einer Sache aufgehen kann, dass er alles andere - wie schwierig oder verwirrend es auch erscheinen mag - dem unterordnet. Wie ihm diese Sache, die für ihn so wichtig ist, den Mut gibt, durchzuhalten und allen Problemen zu trotzen. Oder um es in Mozarts Gedanken zu sagen:
»Solange es nur Musik gab, war er bereit, in jeder Welt zurechtzukommen.«

Und es ist schwer beeindruckend zu lesen, wie Mozart Musik wahrnimmt, überall um ihn herum, wie er sie lebt, wie er in einem fort komponiert und selbst Alltagsklänge der modernen Welt in Noten umsetzt...
»Zum Bersten angefüllt mit Klängen, sank er in einen der Sessel, die, der ersten Frühlingssonne huldigend, vor einem Kaffeehaus aufgebaut waren. Nichts, außer vielleicht der Rausch der Liebe, kam diesem Zustand gleich, da alles in ihm und alles um ihn zu Tönen wurde, Tönen, die in ihn drangen und aus ihm kamen wie aus einer Quelle. Ja, er selbst war die Quelle. Er war Musik, das war sein Innerstes, dazu war er gemacht, und nur damit würde er glücklich sein.«

Wenn man Musikromane mag, dann muss man diesen hier gelesen haben. Ich glaube aber, dass auch für den Leser, der Musik gewöhnlich nicht zu seinen Hauptinteressen zählt, die Geschichte sehr unterhaltsam ist. Mozart wirkt sehr authentisch, von seiner Sprache her ohnehin, aber auch sein Naturell, das das Musikgenie einerseits als empfindsamen, zur Melancholie neigenden und gleichzeitig als genussfreudigen Menschen zeigt, der Frauen und Alkohol nicht abgeneigt ist, wird deutlich dargestellt. Zusammen mit mehreren anderen - sehr sympathischen - Charakteren ergibt dies eine Handlung, die sich neben Musik auch um Liebe und Freundschaft dreht.

Fazit: Liebenswert und unterhaltsam - ein wundervoller Musikroman!

»…und die Töne ergriffen ihn, trugen ihn hinauf, bis nichts mehr als Musik war, nur Musik…«