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EOS
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Siegen

Bewertungen

Insgesamt 224 Bewertungen
Bewertung vom 04.10.2022
Kerl aus Koks
Brandner, Michael

Kerl aus Koks


sehr gut

Die neun Leben des Paul Brenner
Mal eben noch dem Tod von der Schippe springen - das hat Paul Brenner nicht nur einmal erlebt, teils selbst verschuldet, teils durch unglückliche Umstände. Aber Paul ist zäh, hat einen enormen Lebenswillen und beißt sich immer wieder durch. Er ist ein Kämpfertyp, der es versteht, aus seinem Leben in jeder Situation das jeweils beste zu machen.
Dieser Roman mit biographischen Zügen wird erzählt von dem Schauspieler Michael Brandner, alias Paul Brenner. Wie es scheint, war sein Leben sehr abwechslungsreich und geprägt von ständigen Höhen und Tiefen.
Der kleine Paul wird von seiner ledigen Mutter in eine Pflegefamilie in Bayern gegeben, wo er sich wohlfühlt und naturverbunden lebt. Aber eines Tages holt ihn seine leibliche Mutter ins Ruhrgebiet, denn sie hat geheiratet und möchte Paul zu sich nehmen. Damit verändert sich Pauls Leben rasant, aber er findet Wege, um das neue Leben zu genießen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist geprägt von ständigen Vorwürfen und Forderungen. Seine Mutter fühlt sich im Pott fehl am Platze, sie hat was Besseres verdient, sagt sie. Sein Stiefvater Helmut ist für Paul ein guter Freund, der zu ihm hält, oftmals auch gegen die Mutter, so dass kein harmonisches Familienleben entstehen kann. Hinzu kommen neue Erfahrungen für den Jungen: er wird sehr krank und spürt Todesnähe.....
Diesen ersten Teil fand ich sehr atmosphärisch. Der Autor beschreibt glaubwürdig und ergreifend, wie es damals nach dem Krieg in den Familien zuging, er beschreibt die Armut, die Raumnot, die Tagesgestaltung. Ich habe diesen Part sehr gern gelesen und mich in einer anderen Welt gefühlt.
Der Umbruch kam für mich, als Paul mit ein paar Freunden in einem alten Opel nach Großbritannien fährt, um Urlaub zu machen. Er gerät in einen regelrechten Freiheitsrausch und bricht die Fachoberschule ab. Es folgen zahlreiche Jobs, viele Liebschaften, Drogenerfahrungen und diverse Wohnungswechsel. Ab hier bleibt alles an der Oberfläche, vieles wird nur angedeutet, es gibt keinen Tiefgang mehr, z.B. wird ein Kumpel aus der Psychiatrie zurückgeholt, aber wie? Man hat das Gefühl, einen Ausflug in eine übersteigerte Fantasie zu machen. Während mich Pauls Leben als Kind und Teenager sehr berührte und spannend war, kamen nun langatmige Passagen, geprägt von einem Paul, der sich einer übertriebenen Selbstdarstellung ausliefert und keine Grenzen kennt. Besonders sein Umgang mit Frauen hat mir nicht gefallen.
Der lebendige Schreibstil mit humorvollen und ironischen Elementen hat mich besonders im ersten Teil sehr angesprochen, z.B. die Szene der Musterung. Leider hat sich diese Lebendigkeit im zweiten Teil verändert. Dieser Part erschien mir hektisch, wie Pauls Leben in diesen Jahren.
Dem ersten Teil hätte ich ohne Zögern fünf Sterne zuerkannt. In Anbetracht des deutlich schwächeren zweiten Teils vergebe ich nun vier. Denn interessant ist das Buch alles in allem auf jeden Fall.

Bewertung vom 02.10.2022
Die Nachricht des Mörders / Fräulein vom Amt Bd.1
Blum, Charlotte

Die Nachricht des Mörders / Fräulein vom Amt Bd.1


gut

Das Fräulein vom Amt ermittelt in Baden-Baden
Bei diesem Buch handelt es sich um einen Soft-Krimi, in dem ein Fräulein vom Amt auf Verbrecherjagd geht.
Alma Täuber ist Telefonistin in den 1920ern, und in ihrem Beruf bleibt es nicht aus, dass sie manchmal Gespräche oder Teile davon mithört. Ein besonders auffälliger Sprachfetzen lässt ihr keine Ruhe, denn dort ist von einem erledigten Auftrag die Rede, sogar mit Ortsangabe. Und genau dort wird tatsächlich eine Leiche gefunden. Almas Sherlock-Holmes-Gespür ist erwacht und sie beginnt mit ihren Ermittlungen. Außerdem muss sie Überzeugungsarbeit bei der Polizei leisten, denn dort glaubt ihr keiner bis auf einen Kommissaranwärter....
Was mir sehr gut gefallen hat, war die detaillierte Darstellung der damals glamourösen Stadt Baden-Baden mit ihren Casinos und ihrer Pferderennbahn, ein Treffpunkt der High Society. Man fühlt regelrecht das Flair der Stadt und kann sich die Örtlichkeiten ausmalen. Gleichzeitig kommt auch der Zeitgeist von damals durch, z.B. die beginnende Emanzipation der Frau, die Armut dieser Zeit nach dem 1. Weltkrieg und auch die Sehnsucht nach Ablenkung und Vergnügen.
Auch erhält der Leser Einblicke in den Beruf der Telefonistin in dieser Zeit, was bestimmt eine Herausforderung war: hektisch, monoton und unter strenger Kontrolle.
Allerdings hatte ich nach einer anfänglichen Leseprobe mehr Spannung erwartet, die aber lange auf sich warten ließ. Der Spannungsbogen bewegte sich, wenn überhaupt, am unteren Rand, und erst gegen Ende des Buches wurde es richtig spannend mit Actionszenen und Showdown. Bis dahin gab es leider auch recht langatmige Passagen, z.B. ein Waschtag oder die Beschreibung von Automobilen. Das hat mich enttäuscht, weil des öfteren der Anreiz zum Weiterlesen fehlte.
Auch erscheinen mir Almas Ermittlungen oft zu unrealistisch. Sie wird in die Polizeiarbeit einbezogen, darf an Verhören teilnehmen und selber Fragen stellen. Das klingt mir dann doch sehr illusorisch. Kommissar Zufall steht immer parat.
Das Buch ist der Auftakt einer neuen Reihe, und man kann nur hoffen, dass es den Autorinnen gelingt, in den nächsten Band mehr Spannung einzuflechten. Ansonsten kann ich das Buch Softcrime-Freunden empfehlen.

Bewertung vom 18.09.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


gut

Die Grenze zur Nähe
Wo ist die Grenze der Nähe zu anderen bzw. wie nah kann ich wirklich meinem Gegenüber kommen. Die Protagonistin in diesem Buch, die bis zum Ende namenlos bleibt, ist ständig auf der Suche nach Nähe, aber man gewinnt den Eindruck, dass sie sobald sie ihr Ziel erreicht hat, misstrauisch wird und sich verschließt.
Inhaltlich geht es um eine junge Frau, die bislang ihren Eltern zuliebe in New York gelebt hat und nun eine Stelle als Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof in Den Haag . Der neue Job ist interessant und als sie Adriaan kennenlernt, scheint sich ein Zuhause-Gefühl einzustellen, wonach sie schon lange sucht. Bei ihm fühlt sie sich geborgen, denn er sorgt sich um sie. Doch bald erfährt sie, dass Adriaan verheiratet und Familienvater ist. Ihre Welt gerät wieder ins Wanken....
Ich konnte mit diesem Buch nicht richtig warm werden, der rote Faden ist recht schwach und bleibt am Ende offen. Da sind Personen, deren Auftritt an der Oberfläche bleibt und keine Vertiefung findet. Es gibt Passagen, die recht ausführlich und langatmig beschrieben werden, z.B. die Bilder in der Galerie.
Die Protagonistin ist sehr misstrauisch und überlegt ständig, was in anderen vorgeht, wie sie denken und welche Beweggründe sie haben. Dadurch manipuliert sie indirekt ihr eigenes Verhalten und geht wieder auf Distanz, wirkliche Nähe verträgt sie nicht.
Interessant fand ich die Einblicke in die Arbeit am Internationalen Gerichtshof und seine Zuständigkeiten. Auch habe ich mir die entsprechenden Bilder angesehen, um die Beschreibung im Buch zu vervollständigen.
Auch die Passagen über die Kunst des Dolmetschens fand ich aufschlussreich, da es dabei ja nicht um das reine Übersetzen geht, sondern auch die Vermittlung der jeweiligen Gefühlslage. Außerdem ist die körperliche Nähe ein bedeutender Faktor in diesem Beruf, wie sich im Buch in den Szenen zeigt, als ein angeklagter Ex-Präsident, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hat, der Dolmetscherin gefährlich nah kommt und sie vereinnahmen will.
Alles in allem bin ich mit anderen Erwartungen an diese Lektüre gegangen und wurde enttäuscht. Trotzdem konnte ich einige Erfahrungen machen, die mich zum Nachdenken brachten und mir gefallen haben. Letztendlich hätte ich mir mehr Tiefgang gewünscht.

Bewertung vom 14.09.2022
Der Klang der Erinnerung
Browning Wroe, Jo

Der Klang der Erinnerung


ausgezeichnet

Spannend, anrührend und voller Überraschungen
Ich wurde auf das Buch aufmerksam, da es um die dramatischen Ereignisse in Aberfan/Wales geht, von denen ich durch die Serie 'The Crown' zum ersten Male gehört hatte. Somit hatte ich einen historischen Roman erwartet, aber dieses Buch hat bei weitem mehr zu bieten. Es hat mich regelrecht in seinen Bann gezogen, ich konnte nicht aufhören zu lesen. Der Spannungsbogen war durchweg hoch, obwohl es kein Kriminalroman ist.
William Lavery, der Protagonist, hat in seinem jungen Leben schon einige traumatisierende Erlebnisse zu verzeichnen. Da ist als erstes der frühe Tod seines Vaters, der ihn besonders stark an die Mutter bindet, die ihn auch sehr vereinnahmt. William kann außerordentlich gut singen und wird Chorknabe in Cambridge, wo er seine Fähigkeiten so positiv entwickelt, dass er die Chance bekommt, ein berühmtes Solo zu singen. Doch auch hier kommt es zu tragischen Erlebnissen und William beschließt, Einbalsamierer zu werden, was ihn ins Familienunternehmen eintreten lässt. Auch hier ist er einer der besten, und er hat kaum seinen bravourösen Abschluss, als es ihn zu seinem mutigen Einsatz im Katastrophengebiet von Aberfan lockt, wo besonders viele Kinder starben. Seine Leistungen dort sind heldenhaft, aber hinterlassen Spuren, die Auswirkungen auf sein weiteres Leben haben....
Was mich sehr angenehm überrascht hat ist die feinfühlige Sprache, die die Autorin anwendet, um die verschiedenen, teils sehr extremen Situationen zu beschreiben. Ich fühlte mich immer in die jeweilige Szenerie hineinversetzt durch die sprachintensiven Elemente. Da ist z.B. das Heimweh, das William empfindet, als er das Internat in Cambridge besucht, es springt förmlich aus den Zeilen heraus und steckt den Leser an. Oder der 'blutergussblaue Himmel', den man sich gut vorstellen kann. Alles sehr beeindruckend!
Auch habe ich meinen Wissenshorizont erweitert, denn der Beruf des Einbalsamierers war mir aus der Neuzeit nicht bekannt. Das historische Erleben von Aberfan hat mich sehr betroffen gemacht.
Alles in allem hat mich das Buch total überzeugt, auch wenn das Ende ein wenig kitschig ist. Aber irgendwie ist dies der passende Ausgleich zu der Ernsthaftigkeit zuvor.
Ich kann das Buch nur empfehlen, es hat sich bei mir fest eingeprägt, und ich hoffe, dass noch viele Leser in diesen Genuss kommen.

Bewertung vom 04.09.2022
Denk ich an Kiew
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


sehr gut

Erschütternder historischer Rückblick
'Bring einfach den heutigen Tag hinter dich und hoffe, dass es morgen besser wird' (S. 70), das Leitmotto, das für beide Handlungsstränge passend ist.
Dieser Roman hat mich immer wieder im Lesen einhalten lassen, weil ich die geschichtlichen Informationen erstmal verarbeiten musste. Vom Holodomor hatte ich bisher noch nie gehört und war schockiert über diese dramatischen Exzesse des Stalinismus. Wieso wird dieses Thema im Schulunterricht nicht behandelt? Der Autorin zolle ich großen Respekt für die intensiven Recherchen und die Verarbeitung dieser Hintergründe in ihrem Roman.
Inhaltlich geht es um ein Dorf in der Nähe von Kiew, wo die Schwestern Katja und Alina wohlbehütet aufwachsen. Sie verstehen sich gut und haben sich ausgerechnet ein Brüderpaar der Nachbarschaft als zukünftige Bräutigame ausgeguckt. Es ist die Zeit, in der Stalin die Kollektivierung der Landwirtschaft rücksichtslos vorantrieb, unter anderem in der Ukraine. Wohlhabende Bauern, die Kulaken, wurden enteignet und entweder getötet oder deportiert. Den Bauern wurde während dieses Schreckenregimes die gesamte Existenzgrundlage genommen und es gab eine schlimme Hungerkatastrophe, der Millionen zum Opfer fielen. Auf dieser Zeitebene spielt die Handlung, die mich sehr berührt hat und die ich mit steigender Aufmerksamkeit verschlungen habe.
Die andere Handlungsebene findet Jahrzehnte später statt, als Cassie, die vor kurzem ihren Mann bei einem Autounfall verloren hat, mit ihrer Tochter Birdie zu ihrer Großmutter in Illinois zieht und dort ein altes Tagebuch entdeckt. Die Großmutter hat ukrainische Wurzeln, möchte aber über ihre Vergangenheit nicht sprechen, die Erinnerungen sind zu schmerzhaft, doch die alte Frau verhält sich zunehmend merkwürdig....Birdie ist durch den Verlust ihres geliebten Vaters stumm geworden, aber im Haus ihrer Uroma blüht sie immer mehr auf....
Dieser zweite Handlungsstrang konnte mich nicht überzeugen, die Geschehnisse erscheinen mir zu konstruiert und vorausschaubar. Bereits auf Seite 52, als der Feuerwehrmann Nick zum ersten Mal erwähnt wird, war mir klar, dass sich da eine Liaison mit Cassie entwickeln wird, auch wenn sie ihm zunächst großes Misstrauen entgegenbringt, was auch übertrieben und unpassend war. Ich konnte auf dieser Ebene nicht wirklich Mitgefühl entwickeln, ganz anders als auf der Vergangenheitsebene. Schade!
Außerdem gefällt mir die Kommunikation zwischen Cassie und ihrer Familie nicht, sie klingt nicht natürlich, sondern irgendwie gestelzt. Wer redet denn so mit seinen Familienangehörigen? Vielleicht liegt es auch an der Übersetzung.
Dieser Roman konnte mich überzeugen, auch wenn die Zeitebene der Gegenwart nicht sehr ansprechend war, denn ich habe meinen geschichtlichen Wissenshorizont erweitert und werde sicher noch länger damit beschäftigt sein.

Bewertung vom 03.09.2022
Der finstere Pfad
Blackhurst, Jenny

Der finstere Pfad


ausgezeichnet

Spektakuläre Ereignisse am West Coast Trail
Die Bücher von Jenny Blackhurst versprechen atemberaubende Spannung, überraschende Wendungen, unerwartete Geschehnisse und sind dementsprechend regelrechte Pageturner. So ist es auch in diesem Buch, man möchte es einfach nicht aus der Hand legen.
Inhaltlich geht es um eine junge Frau, die sich eine Auszeit nehmen möchte, aber von ihrer besten Freundin dabei im Stich gelassen wird. So begibt sie sich allein zum abenteuerreichen Erleben des kanadischen West Coast Trail. Schnell lernt sie andere junge Leute kennen, aber am Ende der Tour steht ein schreckliches Verbrechen. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, als Laura, Mutter von zwei Kindern und glücklich verheiratet, eine erschreckende Nachricht hört. Am kanadischen Wanderweg wurden menschliche Knochen gefunden, und damals war auch sie am Ort des Geschehens. Von nun an passieren merkwürdige Dinge und Drohungen erreichen die heile Welt von Lauras Familie. Wie hängt das alles zusammen, und was ist damals wirklich passiert?
Sehr positiv ist, dass man dauernd mitgerätselt hat, wer und aus welchem Grunde hier agiert und auch damals agierte. Hierzu konnte man viele Theorien entwickeln, die dann aber schnell von der Autorin wieder als Sackgasse gestoppt wurden, was den Spannungsbogen noch erhöhte.
Gut gelungen fand ich den Perspektivwechsel, der so manche Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtete und beleuchtete. Der Schreibstil ist flüssig, anschaulich und gut verständlich. Die Charaktere werden ausgiebig beleuchtet einschließlich all ihrer Heuchelei und Verlogenheit, ab und an auch etwas überzogen. Mir ist es bis zum Schluss nicht gelungen, den rätselhaften Sachverhalt zu lösen, deshalb war es spannend bis zum Ende.
Die grundlegende Idee dieses Thrillers ist sehr einfallsreich, und die Autorin ist bemüht, alle Fäden am Ende zusammenzufügen, auch wenn ihr das nicht ganz gelingt. Ein paar Fragen bleiben unbeantwortet und einiges wirkt sehr konstruiert.
Aber alles in allem hatte ich aufregende und unterhaltsame Lesestunden und freue mich bereits auf den nächsten JB-Thriller.

Bewertung vom 28.08.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Vom Ertragen einer demütigenden Ehe
Ich habe lange überlegt, worum es in diesem Buch in erster Linie geht und bin dann auf diese Überschrift gekommen. Denn grundsätzlich fragt man sich immer wieder: warum lässt diese Frau sich das so lange gefallen? In den 80er Jahren war es nicht mehr so, dass eine Frau dem einmal geheirateten Mann ausgeliefert war, sie hätte sich sofort scheiden lassen können, besonders auf Grund der Tatsache, dass sie mit ihren Kenntnissen sicher einen Job gefunden hätte.
Es geht um ein junges Paar in einem kleinen Dorf im Hunsrück. Der Mann strebt nach Beförderung und sozialer Anerkennung, aber immer wenn er diesbezüglich einen Rückschlag erleidet, macht er dafür seine Frau verantwortlich bzw. deren Körperfülle, die in seinen Augen nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Immer wieder muss sie demütigende Szenen erleben und lässt diese an sich abprallen. Ihre Erfolge werden niedergemacht und kritisiert, ja sie wird sogar provoziert, z.B. indem er ihr Parfüm schenkt, was sie überhaupt nicht mag. Nie kommt es zu klärenden Gesprächen zwischen beiden, es ist eine Ehe mit geringer Kommunikationsbreite. Dabei hat man stets das Gefühl, dass diese intelligente Frau eine endgültige Lösung schaffen könnte, schlimmstenfalls dass sie ihn verlässt.
Ganz verlogen wird die Beziehung, als die Frau eine große Summe erbt, und der Mann große Pläne für die Zukunft macht. Durch finanzielle Unabhängigkeit könnte sie ein unbeschwertes und selbst bestimmtes Leben führen, aber sie wählt den einfacheren Weg und fügt sich ihrem Mann, besonders da er angesichts des Geldes seine Demütigungen ihr gegenüber reduziert.
Man hat als Leser stets das Gefühl, dass man der Frau helfen müsste, aus dieser kläglichen Situation zu entkommen. Dabei hat man nicht den Eindruck, dass die Frau generell zu schwach wäre, denn sie hat ihren eigenen Willen und setzt diesen durch, auch möchte sie ihre eigene Identität wahren. Ich denke, in den 80ern war die heutige Selbstverständlichkeit, eine unschöne Beziehung zu beenden, noch nicht so ausgeprägt und wurde mitbestimmt durch die Einstellung der eigenen Eltern und des sozialen Umfelds.
Ich habe das Buch gern gelesen und Vergleiche herangezogen zu einer Beziehung im näheren Bekanntenkreis, die auch so unglücklich verlief. Auch haben mir die Rückblicke auf die typischen 8oer-Attribute, wie z.B. die Bazookas, Makramee und auch die selbstgebastelten Hexen, die in den Fenstern hingen. Auch gab es Schmunzel Szenen, z.B. die Vertreibung der braunen Michaela ;-)
Besonders für alle diejenigen, die einen Bezug zu den 80ern haben, spreche ich eine eindeutige Leseempfehlung aus. Ein Buch, das die Aufnahme in die Longlist des Deutschen Buchpreises durchaus verdient hat!

Bewertung vom 24.08.2022
Mutterherz / Jane Rizzoli Bd.13
Gerritsen, Tess

Mutterherz / Jane Rizzoli Bd.13


sehr gut

Etwas zu viel Angela
Dies ist der 13. Band der Rizzoli & Isles Reihe und bietet wie gewohnt spannende Unterhaltung.
Im Prinzip geht es hier um zwei verschiedene Ermittlungsebenen, wobei die Suche nach dem Mörder der Krankenschwester Sofia Suarez im Mittelpunkt steht. Sofia war allseits beliebt und hilfsbereit, ein Raubmord ist auszuschließen, wo also liegen die Motive? Rizzoli tappt lange Zeit im Dunklen, wobei sie regelmäßig von ihrer Mutter Angela gestört wird, die sich in ihrer Nachbarschaft als Hobby-Detektivin betätigt. Denn im Haus schräg gegenüber ist ein Ehepaar eingezogen, das sich entgegen der Norm verhält, und Angela Rizzoli ist sicher, dass hier Gefahr im Verzug ist.
Diese Passagen mit Angela nehmen leider sehr viel Platz ein und lassen das Hauptgeschehen bisweilen in den Hintergrund treten. Diese Szenen sind zwar amüsant, gehen in meinen Augen aber mehr in Richtung Klamauk, was mich in einem Thriller stört. Die Situationskomik ließ mich zwar öfters schmunzeln, aber irgendwie fühlte ich mich im falschen Programm.
Der Hauptfall dagegen war spannend, hatte knifflige Ermittlungen zu bieten und einen verzwickten Plot, logisch gut durchdacht. Alles wurde am Ende zu meiner Zufriedenheit zusammengeführt und erklärt. Auf dem Weg dorthin gab es spannende Cliffhanger, überraschende Wendungen und Sackgassen. Alles nach meinem Geschmack, denn man konnte gut miträtseln. Der Nebenfall dagegen war weniger realistisch und gleichzeitig vorausschaubar. Schade!
Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und lässt den Leser in die Welt der Handlung abtauchen, da alle wichtigen Details Erwähnung finden. Der Spannungsaufbau setzt direkt am Anfang ein, als eine Studentin auf ihrem Heimweg verfolgt wird. Auch das Privatleben der Hauptprotagonisten wird beschrieben, genau im richtigen Maß, ohne in einen Liebesroman auszuarten.
Alles in allem hatte ich eine gute und spannende Lesezeit, etwas gemindert durch die ausgedehnten Angela-Szenen. Deshalb vergebe ich 4 von 5 Sternchen.

Bewertung vom 06.08.2022
Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1
Hennig von Lange, Alexa

Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1


gut

Ungereimtheiten
Nach einer Leseprobe hatte ich mich auf das Buch sehr gefreut, denn ich habe bereits andere Bücher der Autorin gelesen, die mir sehr gefallen haben, insbesondere 'Kampfsterne' und 'Die Weihnachtsgeschwister', in denen die Autorin sehr realistisch das menschliche Miteinander, Freundschaften, soziale Abgründe und Disharmonien beschreibt. Meine Erwartungshaltung ging in diese Richtung, aber da wurde ich leider enttäuscht.
Klara, 91 Jahre alt, beginnt Kassetten zu besprechen, um ihre Vergangenheit noch einmal lebendig werden zu lassen, denn als Leiterin eines Kinderheims kommt sie als junge Frau in den 30er Jahren nicht umhin, mit den Nationalsozialisten zu kooperieren, denn die wirtschaftliche Situation ist alles andere als gut. In diesem Heim wird eines Tages das jüdische Mädchen Tolla abgegeben, zu dem sich Klara sehr hingezogen fühlt, da es allein vom Erscheinungsbild her ihre Tochter sein könnte. Außerdem hat sie Mitleid mit dem Kind und möchte es vor dem Waisenhaus bewahren. Als die Situation immer schwieriger wird, gibt sie Trolla als ihr eigenes Kind aus und verbrennt seinen Geburtsschein. Nahezu zeitgleich plant sie mit den Nationalsozialisten die Umstrukturierung des Kinderheims zu einer Ausbildungsstätte für junge Frauen in der politisch gewünschten Ausrichtung.....
Sehr gefallen hat mir der Schreibstil der Autorin, der keine Langeweile aufkommen lässt, auch in den Passagen, in denen nicht wirklich viel passiert. Das Buch ist abwechslungsreich geschrieben, in ständigem Perspektivwechsel zwischen der jungen Lehrerin Klara und der alten Klara, die ihre Memoiren auf Band spricht.
Von Beginn an wird die junge Klara als nahezu perfekt geschildert. Sie ist eine vortreffliche Lehrerin, versorgt ihren Bruder postalisch mit vorgefertigten Hausaufgaben, unterstützt ihre Eltern finanziell, ist literarisch gebildet, bei allen beliebt usw. Auch möchte sie ihre Schülerinnen zu selbstständigen jungen Frauen erziehen, die sich beruflich bilden und sich nicht von einem Mann abhängig machen. Das hört sich gut an, und auf den ersten Blick scheint Klara auch diesem Ideal entsprechend zu leben. Leider passt dazu aber überhaupt nicht ihr absolutes Desinteresse an der Politik, was dann auch dazu führt, dass sie die Gefahren der Nazi-Diktatur nicht erkennt bzw. nicht erkennen will. Sie sieht nur die finanziellen Vorteile und man fragt sich, ob sie wirklich so blind ist, die Realität nicht zu erkennen. Das bildet einen großen Widerspruch zu ihrer sonstigen Haltung und erscheint mir nicht nachvollziehbar. Der zunächst vielseitige Charakter der Klara verwandelt sich damit zu einer immensen Oberflächlichkeit. Schade....!
Ich hatte damit gerechnet, dass die alte Klara auf diesen Widerspruch eingeht, aber auch hier war nur Stillschweigen.
Auch andere Unstimmigkeiten werden für mich nicht gelöst. Ist es wirklich möglich, dass die alte Heimleiterin das neue Baby im Heim nicht bemerkt oder ihr diese Nachricht zugetragen wird? Selbst wenn sie krank ist, erscheint mir dies unwahrscheinlich. Und wird Tolla nicht im Amt als Waisenkind geführt? Da muss es doch noch irgendwelche Dokumente geben....
Ich hoffe, dass die folgenden zwei Bände dieser Trilogie etwas mehr Tiefgang bieten und Ungereimtheiten ausgeklammert werden.

Bewertung vom 05.08.2022
Tief in den Wäldern
Stevens, Chevy

Tief in den Wäldern


gut

Wer ist der unheimliche Highway-Mörder?
Diese Frage hat mich während der Lektüre unentwegt beschäftigt, verschiedene Theorien in meinem kriminalistischen Denken heranreifen lassen und schließlich wurde ich doch sehr überrascht. Das hat mir gut gefallen, denn die Spannung blieb so bis zum Ende erhalten, ja sie wurde gerade im letzten Viertel des Buches enorm angeheizt.
Inhaltlich geht es um Hailey, die mit 17 Jahren ihren Vater durch einen Unfall verliert und deshalb bei ihrer Tante und deren Familie in Cold Creek lebt. Ihr Leben ändert sich enorm, denn vorher hatte sie viele Freiheiten und lebte sehr naturverbunden. In ihrer neuen Familie jedoch hat der Polizist Vaughn, der Ehemann von Haileys Tante, eine sehr dominante Rolle. Er kontrolliert die Siebzehnjährige ständig und schränkt ihre Freiheiten stark ein. So darf sie sich mit ihren besten Freunden nicht mehr treffen und keinen Ferienjob annehmen. Als Grund nennt Vaughn die Bedrohung durch den unheimlichen Mörder, der seit Jahren immer wieder junge Frauen in der Gegend überfällt und verschwinden lässt. Hailey empfindet diese Begründung nur als Vorwand, und nachdem sie eine schreckliche Entdeckung gemacht hat, flieht sie aus dem Haus ihrer Tante und verschwindet in den Wäldern, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Fast jeder glaubt, dass sie ein weiteres Opfer des Cold-Creek-Mörders wurde.
Leider hat das Buch auch einige langatmige Passagen, in denen jede Kleinigkeit beschrieben wird, die für den Fortgang der Geschichte nicht von Bedeutung ist. Nebensächlichkeiten werden im Detail beschrieben, obwohl sie einfach unwichtig sind. Diese Stellen beeinträchtigen das Lesevergnügen enorm, denn sie verlangsamen den Lesefluss.
Auch hat mich gestört, dass die beiden Hauptprotagonistinnen anscheinend Wundermenschen sind, denen physische und psychische Verletzungen nichts anhaben können. Trotz schwerer Beeinträchtigungen zieht es beide immer wieder hinaus in die Wälder, um ihre 'Missionen' zu erfüllen.
Etwas zu kurz gekommen, sind am Ende auch die Erklärungen, die den Täterprofilen zugrunde liegen. Da hätte ich gern mehr über Ursachen und Zusammenhänge erfahren.
Alles in allem möchte ich eine eingeschränkte Lese-Empfehlung aussprechen, Spannung ist zwar vorhanden, aber mit Abstrichen. Jedoch kann man gut miträtseln und erlebt so manche Überraschung.

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