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Fornika
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Insgesamt 395 Bewertungen
Bewertung vom 03.10.2022
Das Leuchten der Rentiere
Laestadius, Ann-Helén

Das Leuchten der Rentiere


sehr gut

Schon mit 9 Jahren erfährt Elsa, dass die Rentierhaltung ihrer Familie nicht nur auf Freunde stößt. Ihr Rentier wird brutal ermordet. Elsa hat den Mörder gesehen, schweigt aber aus Angst. Denn die Sami haben einen schweren Stand, Anzeigen werden von der Polizei abgetan, in der Dorfgemeinschaft sind sie nicht immer gern gesehen. Auch Jahre später scheint sich an der Situation nichts zu ändern, doch Elsa ist jetzt zu einer willensstarken Frau erwachsen und kämpft für ihr kulturelles Erbe.
Die Autorin vermittelt mit ihrer Geschichte sehr gut, welche Vorurteile, welcher Hass gar den Sami oft im Alltag begegnet. Im Nachwort macht sie noch einmal deutlich, dass Elsas Geschichte zwar in ihrer Gesamtheit fiktiv, aber einiges davon von realen Ereignissen inspiriert ist. Erschreckend mit welcher Selbstverständlichkeit die Kultur der Samen zwar vermarktet, aber gleichzeitig auch verachtet wird. Einige geschilderte Szenen gingen mir wirklich unter die Haut. Auch die Liebe zu ihren Tieren wird sehr authentisch beschrieben, einerseits lebt man von den Rentieren, gleichzeitig sind sie für die Samen aber definitiv mehr als nur irgendein Stück Vieh, sondern Teil ihrer Kultur. Laestadius erzählt in einem sanften Ton, der trotzdem Wucht hat. Viele Begriffe aus der samischen Sprache werden verwendet, eine Auflistung im Anhang erleichtert das Verständnis. „Das Lächeln der Rentiere“ ermöglicht Einblicke, die einem als Außenstehenden sonst sicherlich verschlossen blieben, wirbt für Verständnis, räumt aber auch Fehler ein. Vor dieser Thematik entspinnt sich eine krimiähnliche Handlung, die relativ gut unterhält und den Leser etwas von der festgefahrenen Kluft zwischen den Ethnien ablenkt. Letztendlich bleibt der Eindruck zurück, dass hier noch ein gutes Stück Arbeit von allen Beteiligten nötig ist, um nicht nur ein Nebeneinander sondern ein Miteinander möglich zu machen. Die Autorin kann mit ihrem Roman vielleicht ein kleines Stückchen dazu beitragen.

Bewertung vom 25.09.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


gut

Mit seinen 55 Jahren beschließt Toni, dass bald Schluss sein soll. In genau einem Jahr, am 31. Juli, will er sich das Leben nehmen. Er wird nicht mehr gebraucht: Ehe geschieden, Sohn missraten, aber erwachsen, vom Bruder entfremdet, der beste Freund zieht bei einem Selbstmordpakt gleich mit. Einzig was mit Hündin Pepa geschehen soll, scheint noch offen. Ansonsten hat Toni noch 365 Tage um Tagebuch zu schreiben, sein Leben zu reflektieren und seine Angelegenheiten zu regeln.
Toni ist ein Unsympath: er jammert, er meckert, er gibt sich oft wie ein nur nach Außen erwachsenes Kind. Seine Gedanken sind chauvinistisch bis frauenfeindlich, mal mehr, mal weniger. In Kombination mit seinem Freund Humpel steigert sich das Ganze gerne mal. Ich bin eigentlich nicht sehr empfindlich was solche Sprüche angeht, aber die zwei sind mir nun wirklich mehr als einmal gehörig auf die Nerven gegangen. Mit dieser Figur hat der Autor bei mir genau das erreicht, was er erreichen wollte: ich mochte Toni nicht. Leider ist das so gut gelungen, dass ich irgendwann auch keine große Lesefreude mehr an seinen Tagebuchergüssen hatte. 365 Tage sind lang, das spiegeln auch die 832 Seiten Romanhandlung wieder. Leider wirkt die Handlung dadurch auch mal langatmig, ab und an wiederholt Toni das ein oder andere Ereignis, vermutlich damit der Leser nicht den Überblick verliert. Ich fand diesen Kniff unnötig und war umso mehr gelangweilt. Neben Toni wirken sämtliche anderen Figuren wie kleine Nebenrollen, eben weil sich alles um den kleinen Möchtegernphilosoph dreht. Das ist schade, denn so lernt man sie nur sehr eingeschränkt kennen.
Sprachlich mochte ich den Roman dagegen sehr. Toni erzählt logischerweise aus der Ich-Perspektive, er drückt sich meist gewählt bis anspruchsvoll aus, trotzdem fand ich den Roman nicht überkünstelt. Die oft kurzen Tagebucheinträge sind nicht immer chronologisch, immer wieder gibt es Rückblenden oder Erinnerungen, hier ist also für Abwechslung gesorgt. Auch nach Ende der Lektüre bleibt mir Tonis Motivation für den Selbstmord irgendwie unklar, am ehesten glaube ich noch, dass er sich selbst am meisten satt hatte. Ich kann ihn da verstehen.

Bewertung vom 18.09.2022
Der Sturm
Harper, Jane

Der Sturm


gut

Kiernan betritt nach Jahren wieder den heimatlichen tasmanischen Boden. Noch nicht ganz angekommen, ereignet sich ein Unglück: eine junge Frau wird tot am Strand aufgefunden. Unweit der Stelle, wo einst Kiernans Bruder in dem großen Sturm ertrank. Die Vergangenheit scheint sich zu wiederholen.
Ich war zu Beginn von der Geschichte wirklich angetan, aber mit der Zeit hat das doch leider nachgelassen. Die Handlung neigt etwas zu kleinen Wiederholungen (wie oft wird dieser dämliche Klippenweg hinauf- und hinuntergestiegen?), immer wieder wird auf denselben Schuldgefühlen herumgeritten, Gesprächsinhalte wiederholen sich… Das Fortkommen der Story war dementsprechend manchmal etwas zäh, erst in der zweiten Hälfte kommt etwas Schwung hinein. Tasmanien als Handlungsort klang erst einmal besonders und anders, letztendlich kommt davon aber überhaupt nicht so viel rüber; die Story hätte an so ziemlich jedem anderen Strand der Welt spielen können, ohne sich großartig zu ändern. Die Figuren hingegen haben mir sehr gut gefallen, bei einigen lässt sich hinter der äußeren Fassade Überraschendes entdecken. Kiernans Beziehungen zu den Inselbewohnern sind von dem Sturm auf vielfältige Weise geprägt, selbst das Verhältnis zu seiner Mutter. Je mehr zu den Ereignissen damals ans Licht kommt, umso mehr ändern sich auch diese Beziehungen, was sich sehr spannend liest. Auch der Stil der Autorin konnte mich wieder überzeugen, wie ich das von ihren vorherigen Büchern kenne. Letztendlich hat mich einfach die Umsetzung der Grundidee nicht wirklich abgeholt.

Bewertung vom 04.09.2022
Die Vergessene
Slaughter, Karin

Die Vergessene


ausgezeichnet

Im Zeugenschutz großgeworden, soll Andrea Oliver nun ihrerseits als US-Marshal eine Richterin beschützen. Diese erhält ernstzunehmende Todesdrohungen. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Mord an ihrer Tochter Emily, die einst vom Abschlussball nicht zurückgekehrt ist? Andrea beschützt nicht nur die Richterin Vaughn, sondern stellt auch Nachforschungen zu dem alten Fall an; auch aus Eigeninteresse.
Die Vergessene ist nach Ein Teil von ihr bereits der zweite Band über Andrea Oliver. Ich habe den ersten zwar gelesen, aber man kann die beiden auch sehr gut unabhängig voneinander lesen. Auf zwei Zeitebenen führt Karin Slaughter die Leser an die Auflösung des Vaughngeheimnisses heran, und hält dabei durchweg die Spannung sehr hoch. Der Wechsel der beiden Erzählstränge gelingt gut und wirft natürlich immer wieder neues Licht auf das Geschehen. Die Handlung ist jetzt nicht wahnsinnig raffiniert konstruiert, aber doch sehr solide aufgebaut und verzettelt sich auch nicht in bekannten/unbekannten Erkenntnissen. Ich mag Emilys Figur, stellenweise wirkt sie mit ihren 17 Jahren erwachsener als Andrea. Die hat mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen, auch mit ihrer Übermutter, die das gar nicht mehr so junge Küken trotzdem nicht aus den Augen lassen kann. Auch Andreas Marshal-Partner ergänzt sie gut, die beiden sind ein Team, dem ich auch noch in möglichen weiteren Bänden gerne folgen würde. Slaughter zeichnet ihre Charaktere durchaus düster, gerade in Emilys Umfeld erlebt man viel Gewalt, sei sie nun körperlicher Natur oder nicht. Das wirkte nicht immer ganz realistisch und stimmig, tat der Handlung aber insgesamt nicht viel.
Ich habe schon einige Bücher der Autorin gelesen, durchaus mit gemischter Lesebegeisterung. Die Vergessene hat mir jedoch sehr gut gefallen und zählt für mich somit zu ihren Highlightthrillern.

Bewertung vom 04.09.2022
Blutige Stufen / Detective Robert Hunter Bd.12
Carter, Chris

Blutige Stufen / Detective Robert Hunter Bd.12


ausgezeichnet

Ein weiterer blutiger Mord erschüttert L.A. Diesmal sind die alarmierten Behörden so schockiert, dass die Ermittler der UV-Einheit ohne Umwege sofort auf den Plan gerufen werden. Selbst für Hunter und Garcia ist das Ausmaß der Grausamkeit kaum zu fassen. Doch sie müssen sich beeilen, denn der Mörder nimmt nicht nur die Hinterbliebenen der Toten, sondern auch sein nächstes Opfer ins Visier.
Der neueste Fall von Hunter und Garcia glänzt einmal mehr durch Brutalität, Action und jeder Menge Spannung. Carter hat sich erneut etwas ganz besonders Fieses einfallen lassen, wie immer ist „Blutige Stufen“ sicherlich nichts für die zarter besaiteten Leser. Der Erzählstil ist mitreißend, leicht zu lesen und durch die kurzen Kapitel mit Minicliffhangern neigt man dazu immer ein klitzekleines bisschen länger zu lesen als es dem eigenen Schlafpensum gut tut. Der Fall entwickelt sich unerwartet und hält immer wieder Überraschungen bereit, sodass reichlich Spannung garantiert ist. Mich stört in den letzten Bänden der Reihe allerdings zusehends, dass Garcia immer mehr zum Mitläufer wird, er dürfte in Zukunft sein Ermittlerköpfchen bitte gerne mal wieder mehr zum Mitdenken benutzen und nicht nur für Hilfsarbeiten. Die beiden funktionieren als Duo eigentlich doch zu gut, um einen der beiden zum mitgeschleppten Sidekick zu degradieren. Trotzdem bin ich den Ermittlungen wieder gerne gefolgt und habe mich einige spannende Lesestunden sehr gut unterhalten gefühlt.

Bewertung vom 24.08.2022
Wer mit den Toten spricht / Raven & Flyte ermitteln Bd.2
Turner, A. K.

Wer mit den Toten spricht / Raven & Flyte ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Nur wenige Wochen nachdem Cassie Raven ihre Mentorin verloren hat, erfährt sie Erschütterndes aus ihrer eigenen Vergangenheit: ihre Eltern sind mitnichten bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sondern ihr Vater hat einst ihre Mutter ermordet. Natürlich stellt Cassie Nachforschungen an, doch die Tat ist mehrere Jahrzehnte her und die ermittelnden Beamten gar nicht erfreut, dass Cassie alles wieder aufmischen will.
„Die Toten schweigen nie“ war der erste Band mit Cassie Raven, der mich absolut abgeholt hat und wahres Suchtpotential hatte. Umso schöner, dass es der Autorin gelungen ist, das auch mit dem zweiten Band der Reihe zu schaffen. Turner legt großen Wert auf Authentizität was die Arbeit in der Pathologie angeht. Viele medizinische Fachbegriffe, der Ablauf als solcher, Hintergrundarbeiten, bei vielem merkt man die akribische Recherche, die sich also definitiv gelohnt hat. Ich mag Cassies Art mit ihren Gästen umzugehen, sie behandelt sie mit Würde und legt trotzdem eine große Sorgfalt bei ihrem Tun an den Tag, wie es sich sicherlich jeder wünschen würde. Auch sonst ist sie sehr sympathisch, ihre unkonventionelle Art wirkt auf Außenstehende erst immer etwas schräg, eigentlich hat sie aber ihr Herz mehr als am richtigen Fleck. Sei es der Umgang mit ihrer Oma oder auch mit der etwas sperrigen Phyllida, Cassie kommt trotz allem mit ganz unterschiedlichen Leuten zurecht. Ihr Einfühlungsvermögen stellt sie immer wieder bei den Besuchen Hinterbliebener dar. Sehr gefreut habe ich mich zudem über das Wiedersehen mit Kieran, den sie noch aus ihrer Hausbesetzerzeit kennt. Der Fall an sich ist dieses Mal zutiefst persönlich, geht es doch um Cassies eigene Familie. Das Geschehen ist spannend und nimmt einen als Leser mit, trotzdem hätte ich gerne mehr Fälle aus Cassies Alltag gehabt, da sie dort ihr Können und ihren Grips auf ganz andere Art präsentieren kann. Doch das ist auch mein einziger Kritikpunkt am Buch und so kann ich „Wer mit den Toten spricht“ quasi uneingeschränkt weiterempfehlen.

Bewertung vom 07.08.2022
Die Buchhändlerin von Paris
Maher, Kerri

Die Buchhändlerin von Paris


sehr gut

„Eine Buchhandlung zu besitzen, bedeutet viel mehr, als Sätze zu verkaufen.“
Sylvia Beach hat dieses Motto verinnerlicht. Ihre kleine englischsprachige Buchhandlung im Herzen von Paris wird so nicht nur Verkaufsort, sondern auch Anlaufstelle für Stadtneulinge, Zufluchtsstätte für gestrandete Literaten und zuletzt Heimat für ein geächtetes, ja sogar verbotenes Manuskript: Ulysses von James Joyce. Dieses Buch zu verlegen, das scheint Sylvias größte Herausforderung zu werden.
Mahers Romanbiographie beleuchtet rund zwanzig Jahre im Leben von Sylvia Beach, deren Buchhandlung Shakespeare and Company den meisten ein Begriff ist. Diese existiert zwar heute nicht mehr in der ursprünglichen Form, trotzdem erfährt man viel über die Entstehungsgeschichte. Mir war nicht bewusst, wie viele berühmte Autoren sich die Ladenklinke in die Hand gegeben haben und so mancher sorgte für Überraschungen. Auch die Verlegertätigkeit an Ulysses, der Skandal um dessen Inhalt und die Zusammenarbeit/Freundschaft mit Joyce selbst nehmen großen Raum in der Handlung ein, und sind nicht nur aus historischem Interesse lesenswert. Sylvia ist eine tolle, natürlich nicht ganz fehlerfreie Persönlichkeit. Sie hat viel Mühe auf sich genommen, um nicht nur eigene, sondern auch fremde Träume zu verwirklichen, auch wenn ich nicht jede ihrer Entscheidungen so recht nachvollziehen konnte. Ihre Partnerin Adrienne blieb mir allerdings irgendwie fremd, und so konnte ich Sylvias Zuneigung zu ihr nur bedingt verstehen.
Mahers Stil ist sehr leicht lesbar, heikle Themen werden etwas heruntergebrochen und so verfliegen die Seiten wie im Nu; perfekte Sommerlektüre also, bei der man ohne große Mühe einem interessanten Kapitel aus der Pariser Literaturgeschichte näherkommen kann.

Bewertung vom 03.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


ausgezeichnet

England, 1158: Marie, die uneheliche Schwester Königin Eleonores, darf nach dem Tod ihrer Mutter nicht etwa an deren königlicher Seite ein neues Leben beginnen, sondern wird in ein abgelegenes Kloster abgeschoben. Dort soll sie in der Vergessenheit versinken, doch Marie ist nicht nur durchsetzungsfähig, sondern auch mit einem wachen Geist und Weitsicht gesegnet, und so nutzt sie ihren Posten als Priorin nicht nur zum eigenen Vorteil.
Was hat mich dieser Roman abgeholt. Starke Frauenbilder in Romanen sind heutzutage ja ein wenig in Mode gekommen, werden aber immer wieder für mich zu abgeschmackt oder klischeehaft aufgezogen. Nicht so hier. Marie ist bis zum Tode ihrer Mutter mit sehr starken und unabhängigen Frauen aufgewachsen, und das hat sie zutiefst verinnerlicht. Das Kloster ist ein mehr oder weniger geschützter Mikrokosmus, in dem sie ihre Visionen entwickeln und auch verwirklichen kann. Nach und nach überzeugt sie nicht nur sich selbst, sondern ihre Mitschwestern, was Frauen alles können und auch leisten dürfen. Es ist wunderbar zu lesen, wie ihre und die Macht des Klosters nach und nach wachsen. Das alles erzählt die Autorin sehr kraftvoll, aber auch reduziert. Es wird nichts in großen, farbigen Bildern heraufbeschworen, sondern fein mit wenigen Worten beschrieben und trotzdem kommt man als Leser sehr schnell an. Ich fand diesen ruhigen Stil sehr stimmig mit der klösterlichen Atmosphäre.
Für mich war dieser Roman eines der Jahreslesehighlights bisher. Ganz große Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.07.2022
Kreiseziehen
Shipstead, Maggie

Kreiseziehen


sehr gut

Die Zwillinge Jamie und Marian wachsen nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel eher unkonventionell auf. Immer an ihrer Seite ist Caleb, der von seiner alkoholabhängigen Mutter wenig beachtet wird und so das wilde Trio vervollständigt. Marians großer Traum wird das Fliegen, sie setzt ihren Dickkopf ein um sich in dieser Männerdomäne zu behaupten. Schon die Suche nach einem Fluglehrer ist aufreibend, doch Marian wäre nicht Marian, würde sie nicht auch hier eine Lösung finden. Ihre Geschichte wird Jahrzehnte später auch von Hollywood aufgegriffen, und soll die Kinokassen füllen.
Shipsteads Roman liest sich über weite Strecken als hätte es Marian wirklich gegeben; ihre Figur vereint einige berühmte, aber auch vergessene Pilotinnen dieser Ära und setzt diesen so ein literarisches Denkmal. Ich war zunächst wirklich überrascht, dass Marian fiktiv ist, so realistisch und glaubhaft war ihre Geschichte. Die Autorin schreibt nicht nur sehr lebensecht, sondern auch detailreich, mühelos findet man sich in der Welt der Piloten zurecht. Ich war vom Erzählstil wirklich sehr angetan. Die Story entwickelt sich zu einem Abenteuerroman, der aktuelle Themen geschickt einfließen lässt, manchmal aber auch einfach zu viele Dinge unter einen Hut bringen will. Das wirkte teilweise wie ein Abarbeiten, hat aber zum Glück dem großen Ganzen nicht allzu sehr geschadet.
Marian ist nicht ganz leicht zu durchschauen, mal ist sie sehr taff und setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch, in anderer Hinsicht steckt sie viel zurück. Die Beziehung zu ihrem Bruder ist ebenfalls nicht nur schwarzweiß, die Entwicklung der beiden habe ich gerne verfolgt. Der Erzählstrang in Hollywood rahmt die Grundstory zwar gut ein, ich fand ihn aber nicht sonderlich interessant, um nicht zu sagen überflüssig. Hadley wirkt ein bisschen mitleidsheischend angelegt, ich konnte ihrer Figur nicht so viel abgewinnen. Insgesamt hat mich Shipsteads Story aber wirklich abgeholt, und mich mit Marians Hoch- und Tiefflügen sehr gut unterhalten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2022
Die Lüge
Franko, Mikita

Die Lüge


ausgezeichnet

Miki lebt nach dem Tod seiner Mutter bei seinem nun alleinerziehenden Vater. So die offizielle Version. Tatsächlich ist sein „Vater“ eigentlich sein Onkel, der ihn gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Lew großzieht. Doch in der homophoben Gesellschaft Russlands hält man die Wahrheit über seine Regenbogenfamilie besser gut versteckt. Nicht leicht für Miki, der zum Zeitpunkt der Adoption gerade einmal 5 Jahre alt ist, kaum Freunde hat und auch in den kommenden Jahren immer wieder Schwierigkeiten hat, sich einzufügen. Die ständigen Lügen, das ständige Versteckspiel hinterlassen zusätzlich ihre Spuren.
Mikita Franko hat einen Coming-of-Age-Roman mit Suchtpotential geschrieben. Vieles beruht auf eigenen Erfahrungen, was das Leseerlebnis noch intensiver macht. Miki ist trotz des Todes seiner Mutter ein recht fröhlicher Junge, aufgeweckt und er mag seinen Onkel/Ersatzpapa wirklich gerne. Beste Voraussetzungen eigentlich, aber die Lügen bedrücken ihn immer mehr; diese zunehmende Zerreißprobe wird hautnah am Leser ausgelassen, immer wieder hält man den Atem an, weil die Entlarvung des Familienlebens droht. Authentisch und glaubhaft ist dieses Versteckspiel, selbst die Kleinsten werfen mit homophoben Vorurteilen um sich, sodass man der Familie vor allem eines wünscht: dass niemand die Wahrheit herausfindet. Franko zeichnet ein schonungsloses Bild davon, was es heißt in Russland „anders“ zu sein und löst damit beim Leser immer wieder große Beklemmung aus. Trotzdem ist dieser Roman nicht nur bedrückend, sondern macht vor allem durch seinen lockeren und doch intensiven Stil, seinen wachsenden Ich-Erzähler und seine frische Art großen Spaß. Ein toller Debütroman.