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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 29.01.2017
van der Kwast, Ernest

Fünf Viertelstunden bis zum Meer


ausgezeichnet

»Eine Art Schauder erfasste ihn, aber es war eher Freude als Furcht. Es kam ihm so vor, als wäre er schon auf dem Weg zu ihr, als wäre er immer auf dem Weg zu ihr gewesen. Unter den Apfelbäumen, in dem Stall in Petersberg, in seiner kleinen Wohnung in Rencio; sogar, als er sich mit dem Zug von ihr entfernte, war er auf dem Weg zu ihr.«

Im Sommer 1945 trifft Ezio an einem Strand in Süditalien ein Mädchen, das die Liebe seines Lebens wird. Aber Giovanna beantwortet seinen Heiratsantrag nicht, sie will sich nicht binden, ein freies Leben führen. Ezio, dessen Herz gebrochen ist, flüchtet weit in den Norden Italiens. Giovanna vergisst er nie. Und eines Tages, sechzig Jahre später, trifft ein Brief von ihr ein…

Als ich dieses Büchlein in den Händen hielt, war ich zunächst skeptisch. So wenige Seiten – was für eine Geschichte soll dort hineinpassen? Nun, nach der Lektüre, die mich einen Sonntagnachmittag ans Sofa fesselte, weiß ich: Eine wunderbare.
Ich bin geradezu fasziniert, wieviel Handlung, wieviel Gefühl und Tiefe sich auf diesen wenigen Seiten verbirgt. Es kommt mir vor wie ein Konzentrat von in jedem Moment perfekt treffenden Worten, die die einzelnen Geschehnisse, die Szenerien, die Gerüche und Geräusche vor meinem inneren Auge entstehen lassen.
Zwei ganze Leben finden auf diesen Seiten Platz. Am Ende steht die Erkenntnis, dass man irren kann und Fehler macht, aber das es nie zu spät ist, um sich zu ändern und einen neuen (alten) Weg zu beschreiten.

Fazit: Ich schließe das Buch und lächle. Ein kleines Buch mit wundervollem Inhalt.

Bewertung vom 22.01.2017
Voigt, Barbara

Mein Patenkind heisst Jumbo


ausgezeichnet

»Das Elefantenbaby scheint höchstens drei Wochen alt zu sein, aber wie viele Stunden voller Lebensangst hat es schon hinter sich? Seine Herde muss in Panik davongestürmt sein vor einer der bewaffneten Wilderer- Banden, die zu dieser Zeit in Kenia unter den Elefanten wüten wie die Berserker. In dem ganzen Durcheinander fiel das verschreckte Elefantenkind in einen tiefen Graben – unter der unbarmherzigen Sonne dem Tod bald näher als dem Leben.«

Erwachsene Elefanten sind große und starke Tiere, denen eigentlich nur der Mensch gefährlich werden kann. Elefantenbabys hingegen sind hilflos und auf ihre Mutter angewiesen, die ihnen die einzige für ihr empfindliches Verdauungssystem geeignete Ernährung gibt, die sie regelmäßig einstaubt und eine Unterstellmöglichkeit bietet, um die zarte Haut vor dem Verbrennen durch die Sonne zu bewahren und die sie vor Raubtieren schützt. Ein Elefantenbaby, dessen Mutter getötet wurde, ist selber zum Tode verurteilt.

Daphne Sheldrick ist in Kenia aufgewachsen und schon als Mädchen begann sie damit, Wildtier-Waisen zu versorgen. Sie zog zahlreiche Antilopen, Zebras, Dikdiks, Büffel und sogar Nashörner groß und entließ sie wieder in die Freiheit. Natürlich wollte sie auch Elefantenbabys retten – aber das gestaltete sich enorm schwierig.
Dieses Buch erzählt ihre Geschichte, wobei die kleinen Rüsselträger von Anfang bis Ende im Mittelpunkt stehen. Der Leser erfährt von den Schwierigkeiten, einem Elefantenbaby die Mutter zu ersetzen und den meist schwer traumatisierten Kleinen neuen Lebensmut zu geben. Und schließlich sollen die Elis nicht zu Zootieren werden, sondern frei und wild bleiben. Nicht leicht, aber es funktioniert.
Der Verein „Rettet die Elefanten Afrikas e.V.“ unterstützt seit über 25 Jahren die Arbeit von Daphne Sheldrick und den Keepern, die sich um die kleinen Elis kümmern, bis sie mit etwa acht oder neun Jahren groß genug sind, um sich aus der Waisen-Familie zu verabschieden und sich einer wilden Herde anzuschließen. Die Arbeit wird ausschließlich über Spenden und Sponsoren finanziert, weshalb für die Baby-Elefanten nicht nur die Hilfe vor Ort zählt, sondern auch das Vorhandensein von Pateneltern.
Das Buch schildert den Alltag der Keeper mit ihren vierbeinigen Schützlingen. Viele wundervolle Fotos lassen das Herz eines jeden Tierfreundes höherschlagen, die dazu gehörenden Berichte sind einfach schön und abwechselnd ergreifend, beeindruckend oder lustig. Die Berichte stellen aber nur einen Teil des Buchs dar, es gibt auch viele Sachinfos rund um die gesamte Thematik.

Das Buch entstand bereits 1995, was für den Leser in drei Punkten wichtig ist. Erstens: Die kleinen vorgestellten Elis sind mittlerweile natürlich nicht mehr klein, wer die sehr informative Webseite des Vereins aufsucht, wird mit Berichten über die aktuell betreuten Babys versorgt. Zweitens und von sehr viel größerer Bedeutung: Im Buch konnte man noch nicht wissen, ob das Projekt langfristig erfolgreich sein wird. Diese Frage kann man mittlerweile getrost mit einem „Ja“ beantworten. Und drittens: Man hoffte damals, dass sich die bedrohliche Situation der Elefanten nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen von 1990 in der Zukunft verbessern würde. Leider ist das nicht eingetreten, die Zahl der noch in Afrika lebenden Elefanten sank allein von 2007 bis 2014 um rund 30 % und seitdem jährlich um etwa 8 %. Hauptursache ist nach wie vor die Wilderei. Diese Zahlen machen die Arbeit Daphnes und der Keeper umso wichtiger.

Fazit: Informativ und berührend. Dieses Buch lässt keinen Tierfreund kalt.

»Elefanten strahlen einen solchen Frieden aus, zeigen so ein soziales Verhalten, dass man sofort anfängt, über sich selbst nachzudenken.«

P.S. Mein Patenkind heißt übrigens Tagwa.

Bewertung vom 21.01.2017
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

In der ersten Reihe sieht man Meer


ausgezeichnet

»Mir schwirrte der Kopf. Ich setzte mich auf die Bettkante und schaute mich um. Irgendwo in einer abgelegenen Ecke meines Gehirns musste jedes Detail der Einrichtung meines Jugendzimmers gespeichert sein, denn das hier war ein perfektes Abbild davon: der Nena-Starschnitt an der Stirnseite des Bettes, der antiquierte Commodore-Computer, der an Uromas ausgemustertem Schwarzweißfernseher angeschlossen war, die pastellfarbenen Klamotten, die überall herumlagen. Mit einem Schlag wurde mir klar: Ich war gefangen in der Achtzigerjahre-Hölle. Im »entstellten Jahrzehnt«, der schlimmen Zeit der Neonleggins und Tennissocken, der Vokuhilas, der Musik von Modern Talking – und der Adria-Urlaube.«

Für Alexander Klein und seine Familie soll es am kommenden Morgen losgehen, alle bereiten sich vor auf die Urlaubsreise an die Adria. Tausend Dinge sind noch zu erledigen, die pubertierenden Nachkömmlinge sind auf dem Kriegspfad und der eigene Vater gibt gute Ratschläge – die Nerven liegen schlicht blank. Auf der Suche nach den Ausweisen findet Alexander ein altes Album mit Erinnerungsfotos seiner ersten Adria-Reise, mitten in den Achtzigern, zusammen mit Schwester und Oma auf dem Rücksitz eines bis unters Dach vollgepackten Sierras. Beim Blättern zusammen mit einem Glas Rotwein schläft Alex ein – um am Abreisetag wieder aufzuwachen. Allerdings an dem vor 30 Jahren…

Wer die Achtziger erlebt hat, kennt dieses „Oh-mein-Gott-wie-sehe-ich-da-bloß-aus!“ Gefühl, das einen beim Betrachten alter Fotos überfällt und den positiven Nebeneffekt hat, dass man sich (obwohl 30 Jahre älter) manchmal sogar attraktiver fühlen kann als das jüngere Ich. Auch sonst hatten die Achtziger so einiges, das einen rückblickend schwer amüsieren kann. Der Urlaub der deutschen Beamtenfamilie am Teutonengrill wird zur Ansammlung von Skurrilitäten und Vorurteilen, was von der Idee her nicht neu ist, aber wirklich toll umgesetzt daherkommt. Schön ist dabei auch, was Alex aus der Situation macht, denn nachdem er sich vom ersten Schock erholt hat, findet er sich in seine neue alte Rolle nicht nur ein, sondern weiß sie zu genießen und das Beste aus der Situation zu machen. So steht am Ende eine neue Erinnerung – an den tollsten Urlaub aller Zeiten.

Die Autoren haben schon in ihren Kluftinger-Krimis bewiesen, dass sie Sinn für Humor haben. Hier ziehen sie alle Register und sorgten bei mir für viel Lesespaß. Für die Klufti-Fans gibt’s auch ein kleines Bonbon, denn unschwer werden sie ein anderes Urlauberehepaar identifizieren. Ein gelungener Gastauftritt (zefix)!
Für die Fotos im Buch haben Klüpfel und Kobr sich aus den eigenen alten Familienalben bedient. Das vervollständigt den nostalgischen Gesamteindruck, genauso wie die Fotoecken auf dem Cover. Einziger Nachteil: Ich würde jetzt am liebsten sofort meine Koffer packen. Als Urlaubslektüre sollte das Buch somit perfekt geeignet sein.

Fazit: Rundum gelungenes Gute-Laune-Buch – was habe ich gelacht!

Bewertung vom 20.01.2017
MacGregor, Neil

Deutschland


sehr gut

» [Es] gibt eine große Zahl von kollektiven Erinnerungen daran, was Deutsche getan und erlebt haben: Einige dieser Erinnerungen aufzurufen und sich mit ihnen zu beschäftigen, ist die Absicht dieses Buches. Es versucht nicht – könnte dies auch gar nicht -, in irgendeinem Sinn deutsche Geschichte zu schreiben, sondern es will einigen prägenden Zügen von Deutschlands heutiger nationaler Identität nachgehen, und dies anhand von Objekten und Bauwerken, von Menschen und Orten.«

Ein Geschichtsbuch der etwas anderen Art erwartet den Leser hier. Ich war zunächst ein wenig irritiert, dachte, dass die Erinnerungen „vorne“ anfangen und sich kontinuierlich in die Neuzeit vorarbeiten würden. Aber dieses Buch hat eine eigene Ordnung…
Es beginnt mit mehreren großen Übersichtskarten, die die politische Entwicklung vom Heiligen Römischen Reich bis zum heutigen wiedervereinigten Deutschland zeigen. Allein schon diese Karten fand ich toll und sie lieferten einen guten Einstieg für das, was anschließend kam.
In verschiedenen Themenbereichen befasst sich der Autor mit Deutschlands Vergangenheit, schaut auf Denkmäler und Erinnerungen, auf berühmte Personen und Erfindungen, auf kulturelle Errungenschaften und künstlerische Meisterwerke, auf wichtige Momente und natürlich auch auf schlimme Zeiten und das, was man als Schandflecke bezeichnen kann und muss. Bei manchen Themen war klar, dass sie nicht fehlen dürfen – ein solches Buch ohne Goethe, Luther, Gutenberg, das geteilte Deutschland oder das NS-Deutschland wäre undenkbar. Bei anderen Dingen aber war ich überrascht und habe manches Neue erfahren.
Es gibt nicht nur viel zu Lesen, sondern auch viel zu Schauen – das ganze Buch ist reich bebildert. Gut, für meinen Geschmack hätten die Ausführungen bei einigen Kunstwerken ein bisschen weniger umfangreich sein dürfen, andere Leser aber werden genau dies vielleicht von dem ein oder anderen politischen Thema sagen. Fakt ist, alles wird sehr ausführlich behandelt. Und da man als Leser meist nicht alles gleich interessant findet, gibt es in diesem Buch Themen, die einen mehr fesseln und andere halt weniger. In der Summe kam für mich ein großes Lesevergnügen heraus und ich habe nur aus einem Grund recht lange für das Buch gebraucht: Es ist ein ordentlich schwerer Brocken und keinesfalls geeignet, es mit sich herumzutragen. Im heimischen Bücherregal wird es aber sicher ein Buch sein, dass man immer mal wieder zur Hand nimmt und durch die hochwertige Aufmachung eignet es sich auch hervorragend als Geschenk.

Der Autor ist ein britischer Kunsthistoriker, der im Mai 2015 zum Intendanten des Berliner Humboldtforums berufen wurde. Zuvor war er von 1987 bis 2002 Direktor der National Gallery in London und anschließend bis 2015 Direktor des Britischen Museums. Für sein Wirken um ein besseres Verständnis Deutschlands in Großbritannien wurde ihm im Juni 2015 in Berlin der Deutsche Nationalpreis verliehen.

Fazit: Sehr interessantes Geschichtsbuch der anderen Art. Viel zu Lesen, viel zu Schauen.

»Die Vergangenheit hält Lehren bereit, die genutzt werden müssen, um die Zukunft zu formen.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.01.2017
Kellerman, Faye

Denn rein soll deine Seele sein / Peter Decker & Rina Lazarus Bd.1


sehr gut

»In der Senke lag Sarah Libba. Schmutzig, mit zerfetzter Kleidung, das schmale Gesicht naß von Schlamm, der ihr über die Wangen und die nackten Brüste rann. Auch die Beine waren nackt bis auf den Schlüpfer, der sich um ihre Knöchel gewickelt hatte …
Rina stolperte, fing sich wieder und beugte sich zu Sarah herunter, die vor ihr zurückzuckte wie ein verletztes Tier. Als Rina sich hinkniete, konnte sie die frischen Blutergüsse in Sarahs Gesicht erkennen.
Sarah ballte eine Hand zur Faust und schlug sich heftig an die Brust. Sie richtete den Blick zum Himmel und bewegte die Lippen in lautlosem Gebet.«

Die Frauen der jüdisch-orthodoxen Gemeinde sind schockiert. Ein Unbekannter überfiel und vergewaltigte eine junge Frau, die gerade aus dem rituellen Tauchbad gekommen war. Die Lehrerin Rina Lazarus, die sich um das Tauchbad kümmert und das Opfer gefunden hat, scheint die einzige Zeugin zu sein, weshalb Detective Pete Decker vom Los Angeles Police Department auf ihre Mithilfe hofft. Leider findet sich jedoch kein Ermittlungsansatz und noch dazu wird Rina das Gefühl nicht los, dass irgendjemand sie verfolgt…

Ein ungewöhnlicher Krimi, der den Leser in eine Welt entführt, die so gänzlich fremd erscheint, obwohl sie mitten in einer Stadt wie Los Angeles liegt. Die kleine Gemeinde lebt nach strengen Glaubensgrundsätzen, bleibt für gewöhnlich unter sich und betrachtet jeden Fremden mit Misstrauen. Ich erfuhr beim Lesen so einiges über diese jüdische Glaubensrichtung, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte. Das machte die Handlung umso interessanter – und die Ermittlungsarbeit für den Detective umso schwieriger.

Die Charaktere empfand ich als vielschichtig und sympathisch, den Fall als durchgehend spannend mit der Möglichkeit zum Mitermitteln. Es gibt mehrere Verdächtige, eine zeitgleiche Serie von Sittlichkeitsdelikten in der Stadt und natürlich in der Vergangenheit schon häufiger antisemitisch begründete Vorfälle. Pete Decker ist sich jedenfalls schnell sicher, dass weitere Taten zu befürchten sind und daher Eile angesagt ist. Davon abgesehen fühlt er sich von Rina angezogen, doch eine Beziehung zwischen den beiden scheint unmöglich.
Dass es doch eine Beziehung geben wird, erschließt sich aus der Tatsache, dass wir es hier mit dem ersten Band der mittlerweile 22 Bände umfassenden Decker/Lazarus-Reihe zu tun haben. 22 ist eine beeindruckende Zahl, doch mir gefiel der erste Band so gut, dass ich hier sicher weiterlesen werde.

Fazit: Spannender Krimi mit hochinteressantem Hintergrund. Habe ich in einem Rutsch gelesen.

Bewertung vom 14.01.2017
Paasilinna, Arto

Weltretten für Anfänger


sehr gut

»Ich versuche, beim Präsidenten vorzusprechen. Oder ich besuche das Gefängnis, demoliere sämtliche Schlösser und lasse alle Insassen frei.« »Aber wenn die Bestien dort dich töten?«, stöhnte Anneli Immonen. Surunen musste zugeben, dass auch diese Möglichkeit bestand. Die Reise in eine Diktatur war bisweilen lebensgefährlich.

Nur ungern lässt Musiklehrerin Anneli Immonen ihren Liebsten, den Magister der Fremdsprachen Viljo Surunen, in den Sommerferien gen Mittelamerika reisen. Doch die beiden überzeugten Mitglieder von Amnesty International sind sich einig, dass etwas getan werden muss, um den politischen Gefangenen in der Diktatur Kalmatien zu helfen. An Ort und Stelle muss Surunen bald und schmerzhaft erfahren, dass mit normalen Methoden das Ziel nicht erreicht werden kann…

Mal wieder lässt der finnische Kultautor einen seiner Landsmänner auf die Welt los, wobei das Buch in Finnland bereits 1986 erschien. Ich frage mich, weshalb wir so lange auf die deutsche Übersetzung warten mussten. Vielleicht, weil das Buch reichlich ernste Themen aufgreift? Und weil einem manchmal das Lachen im Hals steckenbleibt?
Der imaginäre Staat Kalmatien und das im späteren Verlauf als weiterer Schauplatz hinzukommende osteuropäische Kytislawonien stehen unzweifelhaft für diverse reale Länder, in denen es um Werte wie Meinungsfreiheit und Menschenwürde schlecht bestellt ist, in denen einige skrupellos ihre Machtposition ausüben und die breite Masse nur noch mit dem Versuch zu überleben beschäftigt ist. Länder, in denen Korruption und Bestechung zum normalen Alltag gehören und in denen jeder weiß, dass er länger lebt, wenn er einfach schweigt, gehorcht und wegsieht.
Genau diese Dinge hat Surunen nicht vor, weshalb er – obwohl er sich eigentlich vorsehen wollte – schon nach kurzer Zeit verhaftet wird. Diese Erfahrung legt in seinem friedliebenden Wesen den berühmten Schalter um und er beschließt, die geltenden Spielregeln für seine Zwecke auszunutzen. Wie er das dann tut, ist wieder ein großer Spaß und mein Gerechtigkeitsempfinden freute sich. Natürlich glaube ich nicht, dass Taten wie diese – selbst für einen Finnen – möglich wären. Obwohl es schön wäre ;-)
Man fragt sich wirklich, wie eine Lösung mit nicht-finnischen Methoden überhaupt aussehen könnte. Wer jetzt an die Großmächte denkt, auch die tauchen hier auf. Und tragen ihren Teil zum Szenario bei. Auch dies ein Punkt, der leider sehr realistisch erscheint.

Paasilinna schreibt gewohnt bissig, spart nicht mit Sarkasmus und kreiert so manche skurrile Situation. So wurde das Ganze, trotz ernstem Grundthema, für mich zum Lesevergnügen.

Fazit: Schwarz, sarkastisch, böse und skurril. Gefiel mir sehr!

»So war das Leben in der Welt der Beziehungen. Ein ziemlich infames System, das niemand gutheißen konnte, auf das sich aber die Welt stützte.«

Bewertung vom 08.01.2017
Boström, Mattias

Von Mr. Holmes zu Sherlock


ausgezeichnet

»Bis dahin war sein großes Ziel im Leben eine erfolgreiche Karriere als Mediziner gewesen. Doch mit dem geregelten Alltag und der größeren Verantwortung sowie seiner neuen Konzentrationsfähigkeit begann seine literarische Ambition wieder zu wachsen, und bald verdrängte sie alles andere.
Im Grunde seines Herzens wollte Arthur Conan Doyle einfach nur Schriftsteller sein.
Und nun überlegte er, eine Detektivgeschichte zu schreiben.«

Jeder weiß, was aus dieser Überlegung entstanden ist. Nicht auszudenken, wenn Arthur Conan Doyle einfach „nur“ Mediziner geblieben wäre!

Dieses Buch erzählt die Geschichte von Sherlock Holmes, von seinem allerersten Auftreten 1887 bis zur heutigen Zeit. In diesen 130 Jahren hat der Meisterdetektiv es geschafft, ein beständiges Phänomen zu sein, das sich gleichzeitig treu bleibt und sich doch immer wieder neu erfindet und dabei Menschen auf der ganzen Welt in seinen Bann zieht. Das gelingt vermutlich nur jemandem, der „nie lebte und niemals sterben wird.“

Ein erheblicher Teil des Buchs befasst sich natürlich mit den Jahrzehnten, die Sherlock Holmes gemeinsam mit seinem Schöpfer Arthur Conan Doyle verbrachte. Dies beinhaltet eine Art Teil-Biographie Conan Doyles, die ausführlich alles behandelt, was in irgendeiner Form mit Holmes zu tun hatte, das übrige Werk nur am Rand erwähnt. Schließlich „lebte“ der Detektiv auch nach Conan Doyles Tod weiter, wurde nicht nur nie vergessen, sondern immer wieder neu umgesetzt, bearbeitet und weiterentwickelt.
Chronologisch verfolgt der Leser hier die ersten literarischen Werke, den ersten Auftritt Holmes auf einer Bühne, im Stummfilm, im Tonfilm, im Fernsehen, in der Werbung, in Ausstellungen und modernen Medien.
Wie war Conan Doyles Verhältnis zu seiner Figur? Nicht immer ungetrübt, so viel kann ich schon verraten. Wieviel oder wie wenig hat er zu der Mythenbildung rund um Holmes Figur beigetragen und welche Menschen waren daran durch die Zeiten hindurch ferner beteiligt? Erben, Verleger, Illustratoren, Schauspieler – die Liste ist lang. Für manche stand der Meisterdetektiv wirklich im Zentrum ihres Denkens und Handelns, für andere war er sichtlich nur ein Mittel, um damit Geld zu machen. Doch worin auch immer die Motivation bestand, das Resultat war ein andauernder Siegeszug um die ganze Welt.

Der Autor gilt als einer der führenden Sherlock-Holmes-Experten weltweit und ist Mitglied der „Baker Street Irregulars“. Als echter Sherlockianer versorgt er den Leser hier mit reichlich Fakten und Infos, verpackt aber all dies so, dass es zu einem fesselnd geschriebenen Ganzen wird.

Fazit: Ein faszinierender Überblick und ein Muss für alle Holmes-Fans.

Bewertung vom 06.01.2017
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Himmelhorn / Kommissar Kluftinger Bd.9


ausgezeichnet

»Sie fassen hier gar nix an«, presste Kluftinger hervor. Er haderte mit seinem Schicksal. Ausgerechnet er musste in seiner kostbaren Freizeit einen abgestürzten Bergsteiger finden.
»Ich gucke nur«, versprach der Doktor und näherte sich dem Körper. … Kluftinger verspürte nicht das geringste Verlangen, dem Arzt zu folgen, doch der begann auf einmal, aufgeregt zu winken.
»Schon recht, Herr Doktor, ich hab bereits mehr als genug gesehen.«
Als sich Langhammer umdrehte, war sein Gesicht kreidebleich. »Das glaube ich nicht, Kluftinger.«

Bei einem mehr oder weniger freiwilligen Radausflug in die Berge finden Klufti und sein Lieblingsfeind Dr. Langhammer drei tote Bergsteiger. Während für alle anderen klar ist, dass der besonders gefährliche Anstieg am Himmelhorn mal wieder ein paar Opfer gefunden hat, sind für Klufti noch ein paar Fragen offen. Und ehe er es sich versieht, steckt er mal wieder bis über beide Ohren in einem verzwickten Fall, bei dem er es unter anderem mit zwei extrem schwierigen Bergbauerfamilien zu tun hat. Und nach einem langen Ermittlerarbeitstag ist auch abends keine Erholung angesagt, denn Schwiegertochter Yumiko ist hochschwanger, Sohn Markus im Examensstress und die Langhammers in einer Ehekrise…

Was hatte ich auf den neuen Klufti gewartet! Nun habe ich ihn verschlungen, begeistert, wie eigentlich immer und frage mich, wann es wohl weitergeht…
Ich wundere mich jedes Mal über mich selbst. Normalerweise bin ich überhaupt kein Freund von Krimis, in denen das Privatleben der Ermittler mehr als nur am Rande behandelt wird. Bei Klufti ist das anders, da genieße ich jedes Kapitel, völlig egal, ob darin gerade ermittelt wird oder ob der Allgäuer Kultkommissar einfach nur er selbst ist. Denn das ist einfach einmalig und er derzeit mein absoluter literarischer Lieblingscharakter.
Aber davon abgesehen bietet der Krimi auch sehr gute Unterhaltung. Er entwickelt sich gemächlich, was aber daran liegt, dass überhaupt erst mal klarwerden muss, dass hier nicht nur ein schrecklicher Unfall geschehen ist. Danach gibt’s reichlich Stoff zum Ermitteln, Raum für Mutmaßungen und falsche Fährten und am Ende ein richtig spannendes Finale.

Fazit: Wieder mal ein großartiger Klufti-Krimi! Wann erscheint der nächste???

»Ja, Himmel, Langhammer, Sie haben doch so ein ultramodernes Gscheithafensmartfondings.«

Bewertung vom 06.01.2017
Goga, Susanne

Leo Berlin / Leo Wechsler Bd.1


ausgezeichnet

Der Kommissar sah sich den Buddha näher an, ohne ihn zu berühren. Die Figur war blutverschmiert, an einer Ecke des Sockels klebte ein Büschel Haare. »Jedenfalls brauchen wir nicht lange nach der Mordwaffe zu suchen.«

Berlin, 1922. Kriminalkommissar Leo Wechsler ermittelt im Fall des mit einem Jade-Buddha erschlagenen Wunderheilers Gabriel Sartorius. Seine Patienten stammten scheinbar alle aus besten Kreisen, aber abgesehen von dieser Erkenntnis treten Leo und seine Kollegen komplett auf der Stelle. Als kurz danach eine reichlich heruntergekommene Prostituierte ermordet wird, gibt es außer Leos Bauchgefühl nichts, was auf einen Zusammenhang zwischen den beiden Taten hinweisen könnte…

Mit Leo Wechsler lernte ich hier einen sehr sympathischen Charakter kennen. Er ist ein guter Ermittler, der einerseits logisch kombiniert, andererseits auch auf sein Gefühl achtet und zudem mit vollem Einsatz agiert. Vor allem durch Letzteres lässt er sich gerne von seinen privaten Sorgen ablenken, denn seine Frau starb früh und ließ ihn mit zwei kleinen Kindern zurück.
Auch die Welt um ihn herum ist von Unruhen geprägt. Der 1. Weltkrieg steckt den meisten noch in den Knochen, die innenpolitische Lage ist – vorsichtig ausgedrückt – angespannt und die steigende Inflation ängstigt zusätzlich. Eigentlich kein Wunder, dass Leo sich da gern auf die Arbeit konzentriert…

Szenario, Charaktere und Idee gefielen mir sehr gut, ebenso der Stil, den ich als angenehm empfand. Allerdings sind Täter und Motiv dem Leser recht früh bekannt und man verfolgt die Bemühungen der Polizei, zu der gleichen Erkenntnis zu gelangen. Regelmäßige Passagen aus der Täterperspektive sind interessant, weil sie Einblicke in seine Gedanken und sein Wesen geben, aber ich hätte gerne noch ein wenig länger selbst ermittelt und ziehe für den zu frühzeitigen Durchblick einen Punkt ab.

Fazit: Gefiel mir richtig gut, diese Reihe verfolge ich weiter.

»Stecknadel im Heuhaufen, was?«, fragte Stankowiak leise.
»Mm. Aber so ist die Polizeiarbeit. Wir lösen unsere Fälle nicht bei Koks oder Geigenspiel, sondern mit viel Fußarbeit.«

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.01.2017
Kuhlmann, Torben

Maulwurfstadt


ausgezeichnet

»Die Geschichte von Maulwurfstadt begann vor vielen Jahren. Eines Tages zog ein Maulwurf unter eine Wiese. Dort blieb er nicht lange allein. Und im Laufe der Zeit veränderte sich das Leben unter Tage…«

Mit dem obigen Zitat, das das Buch einleitet, ist schon fast der gesamte Buchtext erfasst. Das macht aber gar nichts, denn die Bilder sind dafür umso aussagestärker.

Mit seinem zweiten Buch hat Torben Kuhlmann erneut sein ganzes Können bewiesen. Hatte ich bei den Illustrationen auf der Innenseite, die die „History of Moletown“ zeigen, noch ausschließlich geschmunzelt, wurde mir beim Durchblättern mehr und mehr der Ernst der Sache bewusst.
In Gestalt der putzigen Maulwürfe wird dem Betrachter ein kritisches Spiegelbild unserer Gesellschaft vorgehalten, die vor lauter Fortschrittsdenken die Umwelt vernachlässigt, bis es fast zu spät ist. Auch andere kritische Aspekte werden aufgezeigt, wie beispielsweise Vereinsamung, Verkehrsinfarkte oder ein Übermaß an Bürokratie.
Trotzdem muss man nicht befürchten, das Buch nur mit Sorgenfalten auf der Stirn lesen/betrachten zu können. Dazu sind die Maulwürfe einfach zu liebenswert und die Illustrationen zu prächtig. Auf jeder Seite gibt es so viel zu bewundern, lassen die Bilder ganze Geschichten im Kopf entstehen. Besonders beeindruckten mich wieder die vielen kleinen Details und ich bin fasziniert von der Vorstellungskraft Torben Kuhlmanns und seiner Fähigkeit, diese in solch eindringlichen Bildern darzustellen.

Fazit: Großartiges Bilderbuch für jede Altersklasse.