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TochterAlice
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Köln

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Insgesamt 1464 Bewertungen
Bewertung vom 23.04.2021
Jensen, Svea

Nordwesttod / Soko St. Peter-Ording Bd.1


sehr gut

Vermisst in Sankt Peter Ording wird Nina Brechtmann, eine Umweltaktivistin, die ihre Überzeugung sowohl privat als auch beruflich auslebt. Damit stellt sie sich gegen ihre Familie (jedenfalls aus deren Sicht), die die bauliche Erweiterung ihrer Hotelkette plant: durch nicht nur einen Riesenbau direkt am Meer. Mutter und Schwester reagieren bei Befragungen höchst merkwürdig, aber sie sind nicht die Einzigen.

Und das Ermittlungsteam muss sich auch erst zusammenraufen, besteht es doch aus dem frisch ernannten Dienststellenleiter Hendrik Norberg und aus Anna Wagner, einer Expertin für Vermisstenfälle, die gerade erst aus Bayern an die Nordsee gezogen ist. Und beide haben privat nicht gerade kleine Päckchen zu tragen!

Dazu kommt, dass auf der Dienststelle nicht nur einfache Charaktere tätig sind. Autorin Svea Jansen gelingen besonders die Personendarstellungen sehr gut, was bei einem Krimi, der vor allem durch seine Figuren getragen wird, ebenso wichtig wie lobenswert ist.

Es kommt auch ordentlich Spannung auf, denn es gibt zahlreiche potentielle Täter, wie Anna und Hendrik nach und nach herausfinden. Ein schöner Krimi, dem ein paar Nebenschauplätze weniger nicht geschadet hätten - so wurde es stellenweise recht unübersichtlich.

Insgesamt jedoch habe ich diesen ersten Fall des Teams von Schleswig Holsteins Nordseeküste sehr genossen und freue mich schon auf den nächsten Band mit Hendrik und Anna!

Bewertung vom 21.04.2021
Spang, Monika

Sternzwillinge


sehr gut

Alex hat ja schon einiges erlebt in letzter Zeit und vor allem der Tod ihres Großvaters hat ihr ganz schön zugesetzt. Und jetzt muss sie sogar noch in dessen Bett schlafen - die erste Nacht war ziemlich gruselig. Aber sie hat ja ihre Clique, mit der sie durchs Dorf turnt und Spaß hat - außer, wenn sie, wie jetzt, eine Mutprobe bestehen muss.

Das schafft sie nicht direkt, aber Klaus, der Anführer der Dorfclique, hat so einige Ideen und so landen sie in einem alten Haus mit fehlender Außenwand, in dem alle zusammen eine Nacht verbringen. Aber warum Alex als Einzige wach bleibt und Klara kennen lernt, die offenbar in dem Haus wohnt - das ist ihr schleierhaft, vor allem, weil sie dieses sehr nette und dennoch ziemlich eigenartige Mädchen den anderen vorstellen möchte.

Und dann soll sie noch mit jemandem gemeinsam ein Werk vollenden, das vor langer Zeit von Zwillingen begonnen wurde - dabei ist sie gar kein Zwilling. Macht nichts, sagt einer von denen, die ihr auf dem Weg dorthin zu Gefährten werden: ihr werdet zusammenwachsen. Und das kann Alex sich so gar nicht vorstellen, vor allem, als sie erfährt, um wen es geht!

Autorin Monika Spang hat ein besonderes und ziemlich ungewöhnliches Kinder- und Jugendbuch geschrieben. Ich war sehr gespannt auf diese sehr eigene Geschichte, musste dann aber erkennen, dass sie nur in Teilen spannend war - aus meiner Sicht gibt es stellenweise Längen, anderswo geht es zu schnell voran, so dass ich zeitweilig die Übersicht verloren und das Buch erst mal zur Seite gelegt habe.

Der Schluss hat mich dann mit einigem versöhnt - nicht nur ist er rund, nein, er beinhaltet auch eine sehr schöne Botschaft, die wir uns alle hinter die Ohren schreiben sollten.

Bewertung vom 18.04.2021
Laing, Olivia

Zum Fluss


ausgezeichnet

Den Fluss Ouse entla(i)ng

Dieses Buch hat mir mitten in der Corona-Krise etwas ganz Besonderes geschenkt: nämlich eine Wanderung entlang des südenglischen Flüsschens Ouse - des Flusses, den sich Virginia Woolf selbst zum Totenbett erwählte.

Mein Gepäck? Ein wacher Geist, die Bereitschaft, neue Wege zu gehen - und ein schneller Browser!

Denn Autorin Olivia Laing, Kultur- und Literaturwissenschaftlerin, hat mich nicht nur begeistert: nein - sie hat mich auch gefordert. Denn natürlich wusste ich, wie tragisch das Leben der großen Autorin Woolf endete - aber wo dies geschah, davon hatte ich bislang keine Ahnung. Und auch nicht von all dem, was den Fluss Ouse sonst noch so prägt.

Olivia Laing bricht in einer persönlichen Lebenskrise zu einer Wanderung entlang der Ouse auf - Ende Juni, genau zu Mittsommer, macht sie sich auf den Weg, der eine Woche dauern wird. Sie hastet nicht, sie nimmt uns Leser mit auf einen entspannten Weg voller kluger Gedanken.

Ich betone: ihr Weg ist entspannt, ihre Gedanken sind von einem solchen Reichtum von Wissen und Kreativität geprägt, dass ich längst nicht mithalten kann, doch durch ihren leisen, persönlichen, offenen und eindringlichen Stil erreicht sie, dass ich mich an keiner Stelle erschlagen fühle.

Im Gegenteil, ich empfinde während der Lektüre das Buch wie für mich gemacht; ihre bildhafte Art des Erzählens bringt mich selber an die Ouse, lässt mich schnuppern, lauschen, sehen, fühlen. Ja, es ist eine sehr lebendige Reise, die mir hier mitten im Lockdown auf dem heimischen Sofa geschenkt wird.

In der Tat ist es Virginia Woolf zusammen mit ihrem Ehemann Leonard Woolf, die uns hier den ganzen Weg entlang des Flusses begleiten: sie haben lange Jahre hier gelebt, in einem Cottage, das leider der späten Industrialisierung, wenn man es so nennen will, zum Opfer fiel und daher nicht mehr besichtigt werden kann. Doch Olivia Laing lässt die beiden wieder und wieder lebendig werden in ihren Gedanken - schon der Quell des Flusses weist eine Vebindung zum Beginn der ungewöhnlichen und absolut unkonventionellen Ehe der Woolfes auf.

Und es sind andere Paare der Literaturgeschichte, die Erwähnung finden: auch Iris Murdoch und John Bayley haben ihre Spuren hier an der so zauberhaften, gleichwohl stellenweise überaus alltäglichen und damit wenig eindrucksvollen Ouse hinterlassen. Olivia Laing schenkt ihren Lesern ganz besondere Erlebnisse bzw. Ergebnisse ihrer Wanderung entlang der Ouse - Geschichten, Gedanken und Empfindungen, auf die man selbst - ich zumindest - im Leben nicht kommen würde.

Die Ouse hat so einiges verschlungen im Laufe der Jahrhunderte - abgesehen von Virginia Woolf, ihrem berühmtesten Opfer, unter anderem Tausende von Soldaten in der Schlacht von Lewes 1264, denen vor allem der morastige Grund des Flusses zum Verhängnis wurde.

Trotz bzw. vielleicht auch gerade wegen solcher Greuelgeschichten - es sind nur wenige - ist es eine wahre Wonne, die Autorin auf ihrem Weg zu begleiten. Ihre klugen, scharfsinnigen, dabei überaus unterhaltsamen Überlegungen sind ein Genuss und rücken die Landschaft und ihre Verwurzelung in Geschichte und Kultur derart bildhaft vor mein inneres Auge, dass ich tatsächlich das Gefühl habe, vor Ort zu sein, die reichhaltige Vegetation eines englischen Mittsommers sehen und riechen zu können. Eine ausgesprochen intensiver literarischer Ausflug, von dem ich noch lange zehren werde!

Bewertung vom 18.04.2021
Pennypacker, Sara

Hier im echten Leben


sehr gut

Eine neue Welt für Ware
Aber zunächst ist Ware stinksauer, soweit dem sensiblen Jungen das überhaupt möglich ist: dass seine Ferien bei der Großmutter abrupt enden, weil sie sich bei einem Sturz verletzt, das kann er sehr gut nachvollziehen, aber dass er ins verhasste Feriencamp seiner Heimatstadt abgeschoben wird, weil seine Eltern keine Zeit für ihn haben - das findet er alles andere als toll.

Wobei ich ihn gut verstehen kann, in dem Camp passiert eigentlich überhaupt nichts spannendes - es wird marschiert und gelaufen, es finden sportliche Spiele statt - und viel mehr wird da nicht geboten. Das hätte mir auch nicht besser gefallen, als es bei Ware der Fall ist.

Aber dann entdeckt er etwas Spannendes: gleich neben dem Gelände, auf dem das Camp stattfindet, liegt eine Kirchenruine. Und da drin werkelt ein Mädchen, Jolene - was sie Ware aber erst nach einiger Zeit verrät. Denn Ware wechselt vom Camp in die Kirche. Jolene schafft dort einen ganz besonderen Garten und macht zunächst keinen Hehl daraus, dass sie das allein machen möchte. Doch Ware bleibt hartnäckig und lässt sich nicht vertreiben - langsam nähern sie sich einander an und irgendwann sind sie ein Team. Zu dem gelegentlich auch das Mädchen Ashley stößt, das leider Schlimmes zu berichten weiß - die Kirche soll vollkommen abgerissen, das Grundstück für andere Zwecke genutzt werden.

Ware und Jolene versuchen alles, um das Grundstück zu retten - wird es ihnen gelingen?

Ein Buch, das zeigt, dass etwas Schönes entstehen kann, auch wenn nicht alles so klappt, wie man es sich erhofft. Und natürlich, dass man im Team stärker ist als allein.

Und Ware erfährt auch, dass er auf seine Lieben bauen kann, wenn es wirklich mal brennt.

Ein Buch zu einem interessanten Thema, das sich leider über lange Strecken ziemlich langwierig und leider auch langweilig entwickelt, allerdings wird der Leser, der am Ball bleibt, durch die Ereignisse am Ende reich belohnt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das ein jeder schafft!

Bewertung vom 18.04.2021
Filipenko, Sasha

Der ehemalige Sohn


sehr gut

Ein märchenhaft langer Schlaf
fast wie bei Dornröschen, wird dem Musikschüler Franzisk, genannt Zisk zuteil. Allerdings liegt er nach einem dramatischen Unfall im Koma und niemand außer seiner Großmutter kümmert sich um ihn. Im Gegenteil: diese muss ordentlich aufpassen, dass man ihn nicht für Organentnahmen missbraucht oder ihn gar einfach abmurkst, weil mit dem ja eh nichts mehr los ist.

Pustekuchen! Zisk wacht nach rund zehn Jahren auf und findet sich in einer anderen Welt wieder. Zumindest, was sein privates Umfeld angeht: seine Mutter hat inzwischen den Oberarzt der Klinik geheiratet und hat einen neuen Sohn. Zisk wird zum ehemaligen Sohn degradiert und muss sehen, wo er bleibt.

Sonst hat sich nicht viel geändert in Belarus. Es gibt immer noch nicht viel Hoffnung auf ein normales Leben.

Auch wenn Autor Sascha Filipenko einiges im Unklaren lässt - so fällt bspw. der Name Lukaschenko kein einziges Mal - weiß man als Leser genau, was er meint. Auch wenn durchgehend Ironie im Spiel ist: Die ganze Geschichte ist eher zum Weinen als zum Lachen. Nach diesem beeindruckenden Roman, der zwar stellenweise Längen aufweist, mich als Leserin dennoch bis ins Mark getroffen hat, wünscht man sich, dass Zisk die Möglichkeit erhält, seinen Weg zu gehen. Wie und wo auch immer.

Bewertung vom 18.04.2021
Freitag, Kathleen

Das Haus des Leuchtturmwärters


sehr gut

Bleiben oder gehen?
Was bis vor kurzem noch eher Überzeugungssache war, ist 1962, im Jahr nach dem Mauerbau, zu einem gefährlichen Risiko geworden - die Flucht aus der DDR.

Die Freundinnen Else, Tochter des Leuchtturmwärters, und Lulu leben in einem kleinen Ort westlich von Rostock direkt an der Ostsee, 40 km entfernt von Dänemark. Sie sind schon lange nicht mehr glücklich in der Welt, in der sie leben. Sollen sie? Sollen sie nicht? Es kommt ein Dritter dazu, nämlich Otto, Lulus Freund und es wird ein Plan geschmiedet...

Autorin Kathleen Freitag beschreibt mitreißend sowohl Lebensumstände als auch die Gefühlslage der Protagonist*innen, die Zweifel, Ängste, aber auch den Hader mit dem Regime.

Nicht ganz so gut hat mir gefallen, dass es eine zweite zeitliche Ebene im Jahr 1992 gibt, in der die Autorin Franzi, Mitte 30 , zum Schreiben an den Ort ihrer Kindheit, nämlich eben jenen Leuchtturm, in dem auch Else aufwuchs, zurückkehrt und dort spannende Unterlagen findet. Von Else und ihrem Vater....

Wie das alles zusammenkam, das stimmte nicht immer mit meinem Verständnis der Logik überein. Dennoch habe ich das Buch gerne gelesen und empfehle es weiter an jeden, der sich für Deutschlands jüngste Vergangenheit interessiert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.04.2021
Büchle, Elisabeth

Liv - Neuanfang mit Hindernissen


ausgezeichnet

Frischer Wind in Vierbrücken
Und dieser Wind hat einen Namen, nämlich Liv Benediktsdóttir, Tochter eines Deutschen und einer Isländerin. Auf Anraten ihrer Freundin Annemarie will die junge Frau, die bisher nicht nur in Island, sondern auch in Hamburg und New York beheimatet war, dort Urlaub machen.

Zumindest wird dies dem Leser zunächst vermittelt. Aber durch Andeutungen wird deutlich, was ein erfahrener Büchle-Leser von vorneherein weiß: da steckt mehr dahinter.

Jedenfalls erregt Liv mit ihren modernen, oft mondän wirkenden Kleidungsstücken und ihrem selbstbewussten Auftreten große Aufmerksamkeit, teils auch Misstrauen und Abneigung im kleinen Dorf. Wir schreiben nämlich das Jahr 1959 und vor allem die Augen gleichaltriger Damen folgen ihr auf Schritt und Tritt.

Apropos Tritt: Liv tritt in fast jedes Fettnäpfchen, das sich ihr in den Weg stellt und davon gibt es so einige!

Von mir eine absolute Leseempfehlung für diesen Mitreißenden Roman. Sie erleben einen mehr als gelungenen Ausflug ins Büchle-Versum, bzw. in dessen schwäbischen Teil. Autorin Elisabeth Büchle wartet mit unterschiedlichen Facetten ihres Könnens auf, ganz besonders mit dem Humor.

Wer einen Wohlfühlroman der besten Sorte, nämlich mit ordentlich Tiefgang, geniessen möchte, der ist hier auf jeden Fall an der richtigen Adresse!

9 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.04.2021
Zeh, Juli

Über Menschen


ausgezeichnet

2020 in einem brandenburgischen Dorf
Worauf das hinausläuft, das dürfte jedem, der dieses Jahr in Deutschland erlebt hat, klar sein: ein Leben mit Corona. Denn der Zeitpunkt des Geschehens ist von Beginn an völlig klar: Frühjahr und Sommer 2020, die ersten Monate der Covid19-Pandemie. Aber nicht nur: es ist auch ein Leben mit Andersdenkenden, - fühlenden und -kommunizierenden. Das wird Dora gleich bei ihrem Start ins neue Leben im kleinen Örtchen Bracken klar.

Wer meint, dass dies ein mehr oder weniger müder Abklatsch von Zehs Gesellschaftsroman "Unterleuten" ist, ist schief gewickelt. Denn dort stand die Sozialstruktur des gesamten Dorfes Unterleuten im Fokus, es gab so gesehen keine Haupt- oder Nebenfiguren.

Hier jedoch ist es komplett anders: die aus Berlin vor ihrem sich zunehmend zuerst im Greta-Thunberg-Klimaschutz-, dann im Corona-Regel-Einhalte-Nebel verlierenden Gatten aufs Dorf geflohene Dora ist ganz klar die Protagonistin No. 1 , aus deren Perspektive berichtet wird. Ihr Radius in Bracken selbst richtet sich auf die unmittelbare Nachbarschaft, quasi auf die Häuser nebenan, gegenüber und um die Ecken, die - so scheint es zunächst - samt und sonders von Männern bewohnt werden. Dora erkundet das Dorf gemeinsam mit ihrer Hündin Jochen dem Rochen und entdeckt zunehmend eine für sie fremde Welt.

Nebenan wohnt Gottfried, genannt Gote, der sich Dora direkt als Dorfnazi vorstellt, über einen Schlüssel zu ihrem Haus - früher der Kindergarten des Dorfes - verfügt. Und - wie sich erst später herausstellt - über eine Tochter namens Franzi, die sich zeitweise bei ihm aufhält und offenbar sehr vernachlässigt wird.

Dann gibt es noch Handwerker Heini und das Paar Tom und Steffen - auch an denen kommt Dora nicht vorbei. Von all diesen Menschen erfährt sie eine absolut selbstverständliche Hilfsbereitschaft, wie sie ihr bisher nie begegnet ist - nicht von ihrem Vater, dem berühmten Gehirnchirurgen aus Münster mit Zweitarbeitsplatz an cer Charité und erst recht nicht von ihrem Bruder Alex, in dessen "Weltbild Menschen dazu da sind, sich um ihn zu kümmern. Besonders Dora." (S.111)

Denn das Dorf hat seine völlig eigenen Regeln, wie auch Dora schnell klar wird: "In Bracken ist man unter Leuten. Da kann man sich nicht so leicht über die Menschen erheben." (S.128) Wie selbstverständlich halten die Nachbarn Einzug in ihrer Welt: ein zur Verfügung gestelltes Fahrrad wird von Dora als Leihgabe, nicht als Geschenk verstanden, wodurch sie ihr Gegenüber zutieft beleidigt. Gote spendet jede Menge Möbel und Heini, den Dora flugs in R2D2 umtauft, kommt mit seinen gesamten Gerätschaften zum Anstreichen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Dazu ein Hund und jede Menge Eichelhäher, die sowas wie Doras persönliche Begleiter sind.

Dora ist irritiert, aber sowas von: Was tun, wenn die Grenzen von gut und böse, von anständig und verwerflich auf einmal verschwinden? Wenn es keinen Stempel mehr gibt, den man seinen Mitmenschen aufdrücken kann und dann für immer (oder zumindest für eine Weile) weiß, in welcher Schublade sie sich befinden?

Und nicht nur die Menschen, auch die Tiere werden hier vollkommen neu definiert: "Später steht Franzi vor der Tür und fragt, ob Jochen (der Hund! d.R.) zum Spielen rauskommen darf." (S.203) Mit Gote erlebt Dora eine Vogelhochzeit der ganz besonderen Art - quasi ein Geschenk von ihm an sie.

Ein Roman mit vielen, vielen Botschaften. Die wichtigste aus meiner Sicht: Schwarz und weiß gibt es einfach nicht. Da kannst Du solange drauf warten, bis Du schwarz wirst.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.04.2021
O'Connor, Nuala

Nora Joyce und die Liebe zu den Büchern


weniger gut

Tun, was er will und sagt
Also, was James Joyce, genannt Jim, will und sagt. Das ist erstmal sehr viel Sex, der auch genau beschrieben wird. Und keine Heirat. Dafür Leben nach seiner Facon .

Gut, einiges davon ist sicher glaubwürdig, zumal sich Jim und Nora vor beinahe 120 Jahren kennen lernten, als die Welt noch anders gestrickt war. Als man - nicht erst seit gestern - auf Gedeih und Verderb aus dem ärmlichen, der katholischen Kirche untergeordneten Irland raus wollte.

Nora ist Jim gefolgt - zwar mit einer Art Ehering, aber ohne Trauschein. Gefolgt in ein unvorhersehbares, bestimmt schweres Leben im Exil.

Was sich dann tatsächlich an vielen verschiedenen Orten abspielte, bald auch gab es Kinder - und es gab weiterhin wenig Geld. Auch fernab von Irland.

Ich war gespannt auf Noras Geschichte, fand sie faszinierend. Und bin jetzt nur noch enttäuscht. Nein, das war so gar nichts für mich. Ich wollte eigentlich nicht nur über den Sex und das schnöde Verhalten eines der größten Autoren des 20. Jahrhunderts insgesamt Lesen, sondern über sein Familienuniversum und wie sich das alles so ineinander fügte.

Es hat sich wahnsinnig gezogen, finde ich. Und der Stil war auch nicht gerade spritzig. Ich bin erstmal erleichtert, dass ich dieses Buch, das ich leider nicht weiter empfehlen kann, jetzt hinter mir lasse.

Bewertung vom 11.04.2021
Scheerer, Jana

Das Meer in meinem Zimmer


ausgezeichnet

Abschied von einem cholerischen Loser

Pax ist tot - nein, er war längst nicht in dem Alter, in dem man normalerweise geht: es war Krebs. Und auch noch vieles, vieles andere dazu.

Pax: Ehemann (von Constanze, Psychologin) und Vater (zweier wohlgeratener Töchter: Jolanda, 19 und Lilli, 9). Wenn man das alles so liest, fragt man sich, wie sie es mit ihm aushalten konnten. Denn er war nicht nur alles andere als einfach, er war...

Nein, das lesen Sie bitte schön selbst. Aber wenn Ihnen der Ausdruck Despot etwas sagt, dann können sie schonmal rätseln, was genau es wohl auf sich hat.

Der Roman ist aus der Sicht von Jolanda, der älteren Tochter geschrieben und schreibt mir in vielerlei Hinsicht aus dem Herzen. Denn auch ich habe meine Eltern (beide) verloren, als ich in einem ähnlichen (jungen) Alter war. Diese Hilflosigkeit, diese Unfähligkeit, sich an Schmerz und Verlust überhaupt heranzutasten - das kam mir sehr, sehr bekannt vor. Und die Autorin Jana Scheerer stellt es sehr passend dar. Vielleicht nicht einfühlsam (zumindest nicht für jedermann), vielmehr drastisch. Aber: ist es nicht drastisch, wenn der Vater so früh von uns geht? Auch wenn es hier zumindest aus der Sicht des Außenstehenden recht verständlich ist.

Denn Pax war - mit Verlaub - ein Loser. Einer der ersten Kategorie. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber lebenstüchtig - das ist ein Adjektiv, das so gar nicht auf ihn zutrifft.

Autorin Scheerer hat - so glaube ich - viel Kraft aufbringen müssen für diesen Roman. Der voller Schmerz ist, aber auch voller Ironie. Und beides passt. Allerdings kann ich nicht garantieren, dass es beim Lesen nicht ans Eingemachte geht.

Ein heftiger Roman. Einer, den nicht jeder lesen kann oder will. Aber einer, der geschrieben werden musste.