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Magnolia
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Bayern

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Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2021
French, Tana

Der Sucher


sehr gut

Endlich kommt es hervor aus der Hecke. Trey, so heißt dieses wilde Geschöpf, das ihn beobachtet, nicht aus den Augen lässt. Was drängt dieses Kind zu Cal, dem ehemaligen Cop, der sich nach 25 Jahren aus dem Polizeidienst zurückzieht. Ein altes, vermodertes Haus in Irland nennt er sein Eigen, will es auf Vordermann bringen. In Ruhe wollte er hier leben, fernab all der Gewalttaten im fernen Chicago und jetzt hat Trey ihm einen dicken Strich durch seine Pläne gemacht. „Mein Bruder Brandan ist verschwunden“ so viel bringt er endlich aus diesem wortkargen Trey heraus. Mam meint, er sei abgehauen, aber Trey glaubt, irgendwer hat ihn sich geschnappt, die Bullen werden nichts machen und nun ist Cal sein Hoffnungsschimmer. Auch wenn alles in Cal sich sträubt, so ist er bald tief drin, bringt diese allzu stummen Dörfler zum Reden, deckt so manch gut gehütetes Geheimnis auf, je tiefer er gräbt.

Tana French hat zwei Charaktere geschaffen, denen man nicht böse sein kann, auch wenn sie des Öfteren über die Stränge schlagen, sich nicht immer an Regeln halten. Cal ist der Aussteiger, dessen Privatleben ihm wegzudriften droht. Er hofft, hier seine Ruhe und nicht zuletzt sich selbst wiederzufinden. Trey, 13jährig, hat noch nicht viel Schönes erlebt, Brandan war dessen Stütze, war Familie.

Das irische Dorfleben, geprägt von so manch schrulligem Eigenbrötler, ist der Hintergrund dieses Romans, der auch als Krimi taugt. Tieftraurig und sehr lebendig, unglaublich emotional kommen diese Iren, kommt diese Suche daher, stur und wütend sind sie zuweilen, zu allem entschlossen. Das Gespann Cal / Trey war mir bald sehr vertraut, ich mochte sie beide. Sie haben mich gut unterhalten, auch wenn es nicht immer sanft - eher zuweilen derb - zuging. Der Schluss war stimmig, aber auch überraschend und in seiner Gänze ungewöhnlich.

Ein Wort noch zum Cover: Dunkle Wolken über der irischen Landschaft, windzerzaust. Hier braut sich etwas zusammen, nicht greifbar, bedrohlich. So sehe ich dieses gelungene Titelbild in Anlehnung an den lesenswerten Inhalt.

Mit „Der Sucher“ ist der irischen Autorin Tana French ein tiefer Blick in die Eigenarten derer gelungen, die so einiges zu verbergen haben, unter deren Oberfläche es zuweilen brodelt. Ein stimmungsvolles Porträt einer eingeschworenen Gemeinschaft inmitten wunderschöner Natur. Fesselnd geschrieben, sehr lesenswert.

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Bewertung vom 26.09.2021
Blum, Antonia

Jahre der Hoffnung / Kinderklinik Weißensee Bd.2


ausgezeichnet

Die Paare stehen Schlange, alle wollen sie noch getraut werden, bevor die Männer in den Krieg ziehen müssen. Auch Marlene und Maximilian reihen sich ein, stehen vorne. Und Marlene – möchte sie ihn so heiraten, ihren geliebten Max? Eine Hochzeit mit all ihren liebsten Menschen, in einem schönen Kleid ihm ewige Liebe schwören, das möchte sie.

So beginnt der zweite Teil der Kinderklinik-Saga, der im ausgehenden Ersten Weltkrieg mit all seinen Schrecken spielt, schicksalhaft sowohl für die Männer an der Front als auch der daheim Gebliebenen.

Bei Maximilian von Weilert brennen sich die entsetzlichen Bilder unwiederbringlich ein, hinterlassen ihre Spuren. Zurück vom Krieg kommt er als ein Anderer. Marlene dagegen kämpft gegen die Vorurteile der Männerwelt schlechthin - Frauen gehören nicht an den Operationstisch. Noch dazu hat sie einen erbitterten Widersacher, der alle Hebel in Bewegung setzt, sie auszubooten. Schwesternschülerinnen waren sie und Emma, ihre kleine Schwester. Emma geht in ihrer Schwesternrolle auf und Marlene will Ärztin werden, ist als Medizinal-Praktikantin an der Kinderklink tätig, das Zeug dazu hat sie allemal.

Das Warten auf den zweiten Teil, auf Jahre der Hoffnung, hat sich gelohnt. Die Geschichte knüpft direkt an den ersten Teil an und bald war ich wieder im Geschehen. Die Rolle der Frau war vor gut hundert Jahren eine ganz andere, sie hatte hinter dem Manne zurückzutreten. Eine Ärztin war so gar nicht vorgesehen, da eckte eine ambitionierte, gescheite und wissbegierige Frau natürlich des Öfteren an. Viel erfährt der Leser über die Anfänge der Kinderheilkunde und dem damaligen Wissenstand. Die Charaktere in ihrer jeweiligen Eigenart sind gut ausgearbeitet, man glaubt jeder Figur seinen Wesenszug. Das ein wenig Verschrobene, die Hinterhältigkeit und List, die Intrigen genauso wie das Herzliche. Eine wiederum spannende Reise zurück mit schon vertrauten Figuren. Ein kleiner Leckerbissen ist der Abstecher nach Klein-Hollywood, wie Weißensee in den 10er und 20er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts genannt wurde.

Antonia Blum hat mir wiederum schöne Lesestunden beschert. Eine Melange aus schönen und traurigen Momenten, privat wie beruflich. Ein gelungener zweiter Band, der unbedingt gelesen werden will. Den dritten Teil „Tage des Lichts“ würde ich am liebsten sofort weiterlesen wollen, so aber muss ich mich bis September 2022 gedulden. Aber dann…

Bewertung vom 24.09.2021
Carsta, Ellin

Der große Aufbruch


sehr gut

Im finalen achten Band der Hansen-Saga „Der große Aufbruch“ geht es turbulent zu, so wie das Leben von Luise immer aufregend war und ist. Nachdem Luise ihren schwersten Schicksalsschlag nicht verwinden kann, sie von Hamburg nur noch weg will, ist Kamerun ihre Zuflucht. Kann ihre Seele je wieder gesunden? Die Ereignisse überschlagen sich hier wie in Hamburg und Luise muss schweren Herzens wieder eine Entscheidung treffen, die sie so gar nicht möchte.

Familienzusammenhalt und Zwistigkeiten prägen diesen letzten Band. Turbulent geht es zu, die so vertrauten Charaktere haben mit sich und ihrem Umfeld genug zu tun. Im Mittelpunkt der Saga steht eine Frau, die gut in unsere Zeit passen würde, jedoch 1897 – das ist gerade mal vor gut 120 Jahren - rein gar nichts durfte. Auch wenn sie mehr als so manch männliches Familienmitglied befähigt war, die Geschicke einer Firma zu leiten, in großen Zusammenhängen zu denken, zählte sie in der Geschäftswelt nichts. Der Mann hatte das Sagen, es brauchte immer ihn, dessen Wort zählte, der rechtsgültige Verträge unterzeichnen konnte.

Gerne bin ich Luise und den ihren gefolgt, es war ein kurzweiliges Lesevergnügen. Auch wenn nicht jedes Schicksal auserzählt ist, so ist dies für mich doch ein würdiger Abschluss. Das Leben geht für all die vertrauten Figuren weiter, ich wünsche ihnen alles Gute. Auch wenn mir dieses zuckersüße Ende ein wenig arg an den Haaren herbeigezogen scheint rufe ich ihnen zu: Gute Reise.

Das Cover passt zu Luise, deren Schiffsreisen - ein schönes Gesamtbild. Dezent und doch ästhetisch ansprechend.

Wer Familiengeschichten liebt, der ist hier richtig und ich empfehle, alle Bände der Reihe nach zu lesen. Auch wenn ich sonst ein Verfechter des Mittendrineinstieges bin, so bleibt der Lesegenuss aus, wenn man das vorher Geschehene nicht kennt.

Bewertung vom 23.09.2021
Wagner, Jonas

Böse


sehr gut

Ein Neuanfang soll es sein hier im beschaulichen Hussfeld. Hassfeld wäre der bessere Name – so denkt Fenja, die 17jährige Tochter von Katharina Bosch. Sie merken schnell, dass sie in diesem Kaff kritisch beäugt werden, jeder ihrer Schritte beobachtet wird. Mittendrin der Bürgermeister mit seinen vielen Posten – beliebt, leutselig. Er ist immer da, wenn er gebraucht wird.

Nach einer langen Partynacht verschwindet Fenja spurlos und jeder denkt, dass sie einfach weggelaufen ist. Katharina weiß, dass sie das niemals tun würde, sie haben ein gutes Verhältnis. Nicht einer glaubt ihr, keiner hilft ihr. Katharinas verzweifelte Suche beginnt, mit den Dorfbewohnern kann sie nicht rechnen. Im Gegenteil, sie wird gemobbt, sie wollen sie weghaben.

Dass in dem so idyllischen Dorf nicht alles so ist, wie es scheint, wird schnell klar. Warum findet sich nicht einer, der Katharina zur Seite steht? Der sieht, dass das Mutter-Tochter-Verhältnis intakt war, sie sich aufeinander verlassen konnten. Nein, das darf nicht sein! Beim Lesen spürt man, wie verzweifelt Katharina ist, wie einsam sie sich inmitten dieser Gutmenschen fühlt. Ein perfides Spiel, in dem es – so hat es den Anschein – nur Verlierer geben kann. An den geheimsten Gedanken seiner Charaktere lässt der Autor seine Leser teilhaben, ohne die geringste Chance, der Lösung näherzukommen.

Die Spannung baut sich langsam auf und kurzzeitig war ich verwundert, wie einfach sich dieser Fall gestaltet. Als Leser weiß man immer etwas mehr, kann bei so mancher Person tiefer blicken, was aber nicht unbedingt weiterhilft. Der Autor lockt seine Leser geschickt auf falsche Fährten, lässt Skepsis aufkommen ob dem oder den Täter(n). Bald ist klar, dass dieses hinterhältige Versteckspiel andauert. Es wird zunehmend dramatischer, man blickt hinter so manches Geheimnis, um dann doch wieder zu zweifeln. Lediglich gegen Ende driftet diese Dramatik zeitweise ins Unwirkliche.

Gut nachvollziehen kann ich all die Charaktere in ihrer versteckten Feindseligkeit Fremden gegenüber, dem Festhalten ihrer vermeintlich perfekten kleinen Welt, in der sich das Böse ungehindert breit machen kann. Man ahnt etwas, dieses Böse wird ansatzweise erkennbar, aber dann doch nicht so recht greifbar. Böse – ganz zum Schluss, da war noch was. Ja - „Wer Böses tut, muss büßen.“ Hoffentlich!

Noch ein Satz zum Cover: Schon der erste Eindruck war positiv und jetzt, nachdem ich das Böse kenne, sehe ich die Story dahinter. Perfekt.

Ein spannender Thriller, den ich nicht weglegen konnte. Wenn man meint, man weiß alles, muss man im nächsten Augenblick weiterlesen, weil es doch wieder anders ist, nicht vorhersehbar. Eine Leseempfehlung für jeden Thriller-Fan.

Bewertung vom 21.09.2021
Popp, Susanne

Die Teehändlerin / Die Ronnefeldt-Saga Bd.1


sehr gut

Der erste Blick in die Schaufensterauslage setzt gleich Bilder im Kopf frei – all die hübschen Seidenstoffe, die aufwendig bemalten Lackdosen, Teekannen und feinstes Porzellan laden ein hineinzugehen, mehr zu sehen, die Aromen der zum Verkauf bereiten Teesorten tief einzuatmen.

Mit Friederike Ronnefeldt gehen wir ins Jahr 1838 zurück, erfahren viel über die Rolle der Frau, die tunlichst im Hintergrund agieren und bleiben sollte. Das Reisen damals war noch sehr beschwerlich und Tobias, ihr Ehemann, war gerade im Begriff, seine lange geplante China-Reise anzutreten. Sie blieb mit den Kindern zurück, musste sich mit so manch ungeahnten Schwierigkeiten auseinandersetzen. Eine Frau war häuslich, hatte sich nicht in die Belange der Firma einzumischen! Was aber blieb Friederike anderes übrig, wollte sie doch nicht zusehen, wie vieles so ganz anders läuft als von Tobias im Voraus geplant.

Susanne Popp hat die Anfänge einer Teedynastie gut verpackt, hat historisches mit Fiktivem angereichert. Der erste Teil der Ronnefeldt-Saga, diese gut 500 Seiten, sind schnell gelesen, sehr unterhaltsam dargeboten und ich schätze es sehr, gerade zu Lesebeginn auf ein Figurenverzeichnis zurückgreifen zu können. Den Charakteren hatte sie viel Leben eingehaucht, ich war über so manche Figur zutiefst empört, konnte mich mit weiteren so gar nicht anfreunden und mochte wieder andere sehr gerne. Angelehnt an die historischen Fakten und das gesellschaftliche Leben vor etwa 200 Jahren war und ist die Story drumherum nachvollziehbar. Lediglich das Schicksal so mancher Figur bleibt leider im Unklaren, verläuft im Sande, ist nicht auserzählt. Was unbefriedigend ist, da diese einen durch das Buch begleiten.

Ein Einblick in die ersten Jahre des in Frankfurt gegründeten Teehauses, die Einsicht, dass in unseren Breitengraden diese Pflanze nicht gedeihen kann, eine beschwerliche Schiffsreise nach China - dahin, wo die besten Bedingungen herrschen, die familiären Gegebenheiten: All dies und noch viel mehr rund um die titelgebende Teehändlerin Friederike Ronnefeldt hat Susanne Popp gut lesbar und kurzweilig aufbereitet.

Ein spannender Einblick, eine Reise zurück ins 19. Jahrhundert, eine starke Frau – interessant und unterhaltend erzählt. Den zweiten Band werde ich mir nicht entgehen lassen, bin ich doch tief drin und sehr vertraut mit Friederike Ronnefeldt.

Bewertung vom 20.09.2021
Hannah, Kristin

Die vier Winde


ausgezeichnet

Elsa ist geprägt von ihrem lieblosen Elternhaus, das ihr jegliche Freiheit auf ein normales Leben verwehrt. In Raf trifft sie einen, der sie mitreißt, sie vermeintlich verwerfliche Dinge tun lässt. Schwanger wird sie verstoßen, findet in Rafs Elternhaus eine Zuflucht und schließlich eine neue, eine richtige Heimat. Zum ersten Mal hat sie das Gefühl, akzeptiert und geliebt zu werden.

In Texas besitzen sie Land, als inmitten der Weltwirtschaftskrise Staubstürme in den Great Plains über sie hinweg ziehen und langjährige Dürren folgen. Viele zieht es nach Kalifornien ins scheinbar gelobte Land. Auch Elsa Martinelli macht sich mit ihren Kindern Loreda und Anthony mit dem alten Truck auf den Weg - in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Denn spätestens als dem Jungen eine Staublunge ihn das Atmen zur Qual werden lässt, kann Elsa diesen Trip nicht länger hinauszögern. Ein Aufbruch in eine neue Welt, in eine vielleicht verheißungsvollere Zukunft. „Ich wollte hier alt werden, den Weizen wieder wachsen sehen und eines Tages hier begraben werden.“ Ein wehmütiges Bekenntnis, das Elsa ihrer Tochter anvertraut.

„Sei mutig. Oder tu wenigsten so, auch das wird dir helfen.“ Elsas Großvater hat ihr das als 14jährige gesagt. An ihn und seine liebevolle, fürsorgliche Art, erinnert sie sich immer wieder und sie zieht daraus Stärke.

Mit allen vier Winden wurden sie hierhergetrieben aus allen Teilen des Landes. Ob der amerikanische Traum hier, am westlichen Rand Amerikas, für sie je Wirklichkeit werden wird? Und was erwartet sie hier? Ganze Scharen von Hobos (Wanderarbeiter) sind unterwegs auf der Suche nach Arbeit. Die Okies werden sie genannt. Es sind all jene, die aus Texas, Oklahoma, Kansas mit großen Erwartungen kommen. Sie werden verachtet, ausgegrenzt, müssen ihr Dasein am Rande der Gesellschaft fristen ohne Aussicht auf Besserung. Die Plantagenbesitzer beuten sie aus, gewähren ihnen keinerlei Rechte, die Politiker sind auf Seiten der Eigner.

Eingebettet in den Rahmen des historischen Hintergrundes stehen die fiktiven Charaktere und deren Geschichte für all jene, die es in den 1930er Jahren auf der Suche nach einem besseren Leben in den Westen zog. Ein Roman über die Entbehrungen der Great Depression. Über die große Umweltkatastrophe, den Zusammenbruch der Wirtschaft und die darauf folgende Massenarbeitslosigkeit.

„Die vier Winde“ gehört zu den Büchern, die ich nicht weglegen konnte. Zu sehr war ich gefangen, musste ich weitergehen mit Elsa, Loreda, Anthony und denen, die sie liebten, um auf ein besseres, würdigeres Leben zu hoffen. Ihre Geschichte hat mich so sehr berührt, hat mich ob der Vorurteile den Arbeitssuchenden, den Verzweifelten gegenüber zuweilen wütend gemacht.

Kristin Hannah ist eine erstklassige Erzählerin, sie bringt ihren Lesern Geschichte gut verpackt, sehr anschaulich und dazu äußerst unterhaltsam näher. „Die vier Winde“ – ein Leseereignis der ganz besonderen Art. Absolut empfehlenswert.

Bewertung vom 19.09.2021
Stuart, Douglas

Shuggie Bain


ausgezeichnet

Douglas Stuart erzählt in seinem Debütroman von „Shuggie Bain“, dem kleinen Jungen, der seine Mutter über alles liebt. Für diesen Roman wurde er mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet.

Shuggie ist anders, das sagen sie alle. Hänseln ihn, drangsalieren ihn. Im Glasgow der 80er Jahre fristen sie ihr Dasein: Agnes, die Mutter - sie ist wunderschön, legt Wert auf ihr Äußeres, in ihrem grauen Alltag setzt sie damit Glanzpunkte, jedoch ist der Alkohol ihr ständiger und liebster Begleiter. Von ihrem zweiter Mann Shug, ein Macho sondersgleichen, der sie schlecht behandelt, kommt sie dennoch nicht los. Dann sind da noch die 17jährige Catherine und der zwei Jahre jüngere Leek. Eine ganz gewöhnliche Arbeiterfamilie sind sie, in der das Geld immer zu knapp ist.

Das Thema Alkohol überlagert das ganze Buch, schwebt gefährlich über allem. Geprägt von Armut und Hoffnungslosigkeit müssen die Kinder den Alkoholexzessen der Mutter hilflos zusehen. Die beiden ältesten können sich mehr oder weniger befreien, dem kleinen Shuggie jedoch fällt immer mehr die Rolle eines Beschützers zu. Seine feminine Art sehen die rabiaten, rauen und prügelnden Kinder in der Nachbarschaft und natürlich kommt er so manches Mal nicht ungeschoren davon. Und Big Shug nimmt sich, wen und was er will, lässt Agnes in ihrem Suff alleine. Sie alle haben mit sich zu tun, jeder lebt in seiner ganz eigenen Welt. Nur Shuggie, der bräuchte jemanden, aber er wird vergessen – von seinem Vater, der die Familie verlässt, von seiner Mutter, die nicht loskommt vom Alkohol.

Zwischendurch habe ich mich schon auch gefragt, warum Shuggie Bain titelgebend ist, da es vordergründig um sie geht, um Agnes und ihre Sucht aber jetzt - im Nachhinein - sehe ich ihn mittendrin, immer Agnes am nächsten. Er war es, der am meisten ertragen musste. Egal ob er ob ihrer Trunksucht hungerte oder von ihr mit Nichtachtung und Vorwürfen bestraft wurde. Er war ihr Begleiter, ihr Retter in der Not. Wenn sie Hilfe brauchte, war keiner da – Shuggie schon. Er war derjenige, der sie ertrug, der sie bedingungslos liebte. Bis zuletzt.

Eine Milieustudie, die betroffen macht und zahlreiche Gefühle auslöst. Man gewöhnt sich an vieles und wahrscheinlich gibt man sich ohne Perspektive irgendwann auf, tröstet sich wie hier mit dem Teufel Alkohol. Ich war tief drin in der Geschichte, konnte mich ereifern, fand sie in ihrer Trostlosigkeit allesamt gefühlskalt und widerwärtig. Das Ende stimmte mich dann trotz all dieser Exzesse letztendlich versöhnlich.

Eine tiefe Innigkeit stahlt das Cover aus, das ich vor dem Lesen als großes, gegenseitiges Verständnis empfunden habe. Und als Liebe, wie es sie nur zwischen Mutter und Kind gibt, in dem nur dieser eine Augenblick zählt. Nachdem das Buch zugeklappt ist und ich mir das Bild nochmals betrachte, das soeben Gelesene mit einwirken lasse, sehe ich diese Zerbrechlichkeit, sehr fragil, sehr zart.

"Niemand kann dir helfen außer du dir selbst" ein treffender Satz, ein weiser Ratschlag, den Leek Shuggie mitgibt. „Shuggie Bain“ ist nicht immer leicht auszuhalten, aber ich würde dieses Buch immer wieder lesen wollen.

Bewertung vom 19.09.2021
Tsokos, Michael

Abgetrennt / Paul Herzfeld Bd.3


sehr gut

Herzfeld ist zurück - endlich! Er ist schon sowas wie ein alter Vertrauter, der aus dem Nähkästchen plaudert. Basierend auf echten Fällen geht es auch im dritten Buch der Herzfeld-Trilogie ganz schön zur Sache. Nichts für schwache Nerven, aber ist der Mensch nicht das grausamste Lebewesen überhaupt? Garniert mit Privatem passt die Mischung, auch droht die Vergangenheit Herzfeld einzuholen.

Als in einem privaten Lehrinstitut Leichenteile gefunden werden, wird schnell klar, dass zumindest ein Arm mit auffälligem Tattoo schon über Herzfelds Tisch gegangen ist. Einer seiner Mitarbeiter - Heinrich von Waldstamm, ein Kind reicher Eltern – arbeitet Herzfeld als Sektionsassistent zu. Kann er zur Aufklärung beitragen, weiß er mehr?

Man möchte es kaum glauben, dass hier wirklich Passiertes gut lesbar aufbereitet wurde. Natürlich kann ein Insider authentisch von seiner Arbeit berichten, seinen Arbeitsplatz und das Drumherum am besten erklären und davon erzählen. Garniert mit allerlei Wissenswertem wie diese ominöse Madenrinne, die eine aufmerksame Besucherin entdeckt hat, geben solch eingeflochtene Kleinigkeiten eine feine Würze – echt und unverfälscht.

Eine gute Story, die für mich einige Logikfehler enthält, die das Ganze zwar rasant und grausam macht, unerbittlich das eigennützige Ziel verfolgend, aber manches Mal zu konstruiert wirkt wie der falsche Professor, der so unbedarft agiert. Oder der Treffpunkt, über den er nicht nachdenkt - das mutet zu gestellt an, das hätte es nicht gebraucht. Tsokos kann das wesentlich besser.

Kurzweilig, flott und unterhaltsam zu lesen allemal, aber doch vorhersehbar. Trotz allem habe ich auch den dritten Teil genossen. Für alle Herzfeld-Fans ein absolutes Muss – eh klar! Auch weiterhin werde ich Tsokos hinter die Kulissen folgen, ich freue mich auf neuen Lesestoff.

Bewertung vom 18.09.2021
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


ausgezeichnet

Herr Schmidt kennt sich aus – aber nicht in der Küche. Überhaupt ist er, was Haushalt anbelangt, eher unbedarft. Barbara, seine Frau, hat ihn umsorgt, sich um alles gekümmert. Eines schönen Tages steht Barbara nicht mehr auf, Walter steht vor einem Riesenberg voller Probleme. Kaffeekochen – keine Ahnung, wie die Kaffeemaschine funktioniert, wo der Kaffee ist. Und so geht es weiter, er findet nichts, kann rein gar nichts.

Locker und entspannt werde ich in diese Geschichte hineingezogen. Zunächst scheint es, ein heiterer Roman zu werden. All diese beinahe rührend anmutenden Ungeschicklichkeiten des Herrn Schmidt haben eine Leichtigkeit, seine doch recht unwirsche Art mutet im Gegensatz ganz schön brummig und harsch an. Er knurrt alle an, die ihm eigentlich helfen möchten. Doch nicht mit ihm! Aber was hilft es, er muss durch, seine Barbara weigert sich weiterhin, aufzustehen - so kommt es zuweilen bei ihm an. Jedoch bemüht er sich redlich, eignet sich immer mehr Wissen an und setzt dieses in die Tat um.

Neben all seiner Bärbeißigkeit kommt immer mehr der fürsorgliche Ehemann hervor. Raue Schale, weicher Kern – es dauert, bis wir zu diesem seinem Inneren vordringen. Wie sollte es auch anders sein, nach einem halben Jahrhundert Eheleben.

Alina Bronsky hat eine traurig-schöne Geschichte vorgelegt mit heiteren und ernsten Momenten. Über so manche Szene musste ich schmunzeln oder lauthals lachen, dann wieder war die Atmosphäre eine ganz andere, sehr ernst und nachdenklich.

Als ungekürztes Hörbuch habe ich Barbara und Walters Geschichte sechs wundervolle Stunden lang sehr genossen, gesprochen von Thomas Anzenhofer. Ein wenig musste ich mich einhören, da ich diese markante Stimme nicht gleich mit der doch so federleicht beginnenden Erzählung in Einklang bringen konnte. Herr Schmidt konnte ganz schön uncharmant sein, doch bald passte Anzenhofers Stimme zur Stimmung. Von da an war ich tief drin in deren langjährigen Ehe, konnte dem Loslassen und dem für den Anderen da sein nachspüren. Die einzelnen Charaktere waren gut unterscheidbar und nicht nur das, jedem hauchte der Sprecher so viel Leben ein, dass das Hören ein Erlebnis war. Mit einem sehr abrupten Ende, das ich mir etwas runder gewünscht hätte.

Das Cover zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass die alltäglichen Kleinigkeiten, all die Handgriffe, gemeistert werden müssen. Sehr treffend und – gelb ist die Hoffnung.

Ein humorvolles, aber genauso ein ernstes Buch, hörend eine wundervolle Darbietung von dem Sprecher Thomas Anzenhofer und Argon-Hörbuch tacheles! Immer wieder gerne.

Bewertung vom 18.09.2021
Pochoda, Ivy

Diese Frauen


sehr gut

Lecia, Dorians Tochter, ist seit 15 Jahren tot. Noch heute sucht die Mutter nach Spuren, kann nie akzeptieren, dass es keine einzige Verhaftung gab. Drei weitere Frauen wurden tot aufgefunden mit durchschnittener Kehle, eine Plastiktüte über dem Kopf – einfach abgelegt, weggeworfen irgendwo an der Western Avenue in Los Angeles.

Auf Dorians Heimweg Blaulicht – die Straße abgesperrt – geht es wieder los? Dasselbe Muster, derselbe Täter? Ein Serienkiller, der pausiert hat? Die Polizei hat damals nichts oder nicht viel unternommen, hat eher weggeschaut denn zugehört. Warum? Weil es Latinos waren, Schwarze? Wegen ihrer Hautfarbe? Weil es diese Frauen waren an den Straßenecken, die sich ihren Freiern anboten, sich verkauften? Wer hat davon gewusst, wessen Ordnung musste aufrecht erhalten werden? Diese Frauen, die reizten, lachten und starben…

„Diese Frauen“ und deren Umfeld sind nicht auf Rosen gebettet. Sie sind in einer Stadt, in der es sich durchaus gut leben lässt, aber sie müssen eher ums Überleben kämpfen, können es sich nicht unbedingt aussuchen, wie sie ihre Brötchen verdienen. Jung und schön und sexy sind sie, diese Frauen. Ihre Körper bieten sie an, was sollen sie auch sonst tun? Sie haben keine Perspektive und einmal hier drin in dieser Endlosschleife ist ein Entkommen schier unmöglich.

Ivy Pochoda berichtet über und von diesen Frauen und deren Mütter, deren Umfeld. Aus verschiedenen Blickwinkeln gibt die Autorin einen Einblick in das Leben aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Zunächst war ich ein wenig irritiert, wusste nicht, wohin diese Geschichte führen mag. In fünf Teilen kommt der Leser den Frauen näher, die auf unterschiedliche Art mit den Verbrechen in Verbindung stehen. Die Rolle der Männer schwingt eher im Hintergrund mit, die der Polizei ist mit Essie Perry auf unkonventionelle Weise besetzt.

Ein Roman, der auf eine eher leise, aber dennoch kritische Art die Gesellschaft durchleuchtet. Ein Wissen um das, was nicht sein darf, weil es die mühsam nach außen hin geschaffene Ordnung ins Wanken bringen, ein Chaos veranstalten würde. Es geht um Liebe und sehr viel Hass, um Verrat und Eifersucht und nicht zuletzt um Wahn und Verblendung.

Das Cover zeigt eine dieser Frauen, sehr klischee- aber durchaus glaubhaft abgebildet. Die Farbgebung, dieses dramatische Rot auf schwarzem Hintergrund, passt sich dem gut an und dazu die weiße Schrift bilden ein perfektes Ganzes – ich bin sehr angetan.

Ivy Pochoda hat mit „Diese Frauen“ einen Roman vorgelegt, der mit seinen thrillerähnlichen Elementen und gut gezeichneten Charakteren nach anfänglichen Längen immer fesselnder wird. Eine spannende Reise, eine interessante Story, die ich gerne gelesen habe und auch gerne weiterempfehle.