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Insgesamt 181 Bewertungen
Bewertung vom 06.09.2022
Wir Verstoßenen
Taysen, Jana

Wir Verstoßenen


ausgezeichnet

Eine spannende Dystopie mit lebendig ausgestalteten Figuren

Inhalt: Nach den Ereignissen von „Wir Verlorenen“ (Band 1) möchte Smilla weg aus der Eifel und begibt sich gen Brüssel. Dort hat sich – schenkt man den Gerüchten glauben – nach der „Plage“ eine neue, zivilisierte Gesellschaft gebildet. Noch am Anfang ihrer Reise trifft Smilla auf Giorgio, der mit ihr in Wollseifen gelebt hat und eigentlich – gemeinsam mit Smillas kleiner Schwester Jera – schon längst irgendwo auf dem Weg nach Brüssel sein sollte. Doch Jera ist vor Kurzem nachts verschwunden; um sie zu finden, ist Giorgio in der Eifel geblieben. Gemeinsam begeben sich die beiden auf die Suche nach Jera – und bald stellt sich heraus, dass die mysteriöse Sekte, die in der Eifel für Menschenopfer bekannt ist, etwas mit Jeras Verschwinden zu tun hat…

Persönliche Meinung: „Wir Verstoßenen“ ist ein dystopischer Roman von Jana Taysen. Es handelt sich um den zweiten Band der „Wir Verlorenen“-Trilogie. Da alle wichtigen Begebenheiten aus dem ersten Band zu Beginn des zweiten Bandes aufgegriffen werden, kann man „Wir Verstoßenen“ auch ohne Kenntnis von „Wir Verlorenen“ lesen (für ein tiefergehendes Verständnis der Figurenbeziehungen ist es aber natürlich sinnvoll, die Reihe chronologisch zu lesen). Erzählt wird der Roman aus der personalen Perspektive Smillas (im Pro- und Epilog wird kurz die personale Sicht Jeras eingenommen). Die Handlung von „Wir Verlorenen“ spielt – wie auch der Vorgänger – in der Eifel. Neben der Wüstung Wollseifen und Monschau ist im zweiten Band besonders das Hohe Venn ein wichtiger Handlungsort. Die Handlungsorte sind sehr schön beschrieben: plastisch, atmosphärisch und anschaulich. Eine weitere Stärke des Romans ist die lebendige Ausgestaltung der Figuren und ihrer Beziehungen. Mit all ihren Ängsten, Sorgen, Hoffnungen und Ambivalenzen sind die Figuren dreidimensional und lebendig dargestellt, sodass man unweigerlich mit ihnen fiebert. Dabei besitzen die Figuren häufig Schattierungen, folgen nicht dem einfachen Gut-Böse-Muster, sondern sind immer irgendwo dazwischen – mal eher der hellen, mal eher der dunklen Seite zugewandt. Viele der auftretenden Figuren sind außerdem unberechenbar: Ihre wahren Absichten sind häufig verdeckt, sodass man nicht vorhersehen kann, wie sie handeln werden. Tief sind auch die Beziehungen der Figuren – je nach Fall sowohl hinsichtlich ihrer liebevollen Wärme als auch ihrer berechnenden Kälte. Für Spannung sorgt – neben der Unberechenbarkeit mehrerer Figuren – die Sekte, die von einer geheimnisvollen Atmosphäre umwabert wird und deren genaue Absichten lange offenbleiben. Die Handlung von „Wir Verstoßenen“ ist nicht vorhersehbar und darüber hinaus voller tiefsinniger Gedanken und Überlegungen. Der Schreibstil von Jana Taysen ist sehr eingängig und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Wir Verstoßenen“ eine spannende Dystopie mit plastisch beschriebenen Handlungsorten, lebendig ausgestalteten Figuren und einer nicht vorhersehbaren Handlung.

Bewertung vom 01.09.2022
Leinwand ohne Gesicht
Wiesenbach, Doris

Leinwand ohne Gesicht


ausgezeichnet

Ein spannender Roman mit einer außergewöhnlichen Erzählkonstellation

Inhalt: Seit einem fatalen Unfall, der sich vor zwei Jahren zugetragen hat, lebt die 22-jährige Lea in der Privatklinik für Gedächtnislose in Berlin. An ihre Vergangenheit kann sie sich nicht mehr erinnern. Auch das Spüren von Gefühlen ist verloren gegangen. Trotz der Bemühungen des Klinikpersonals sind die Fortschritte von Lea gering. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Golo, Leas Ehemann, der durch den Gedächtnisverlust ein Fremder für sie geworden ist, will nicht mehr, dass Lea in der Klinik behandelt wird. Gleichzeitig zieht ein neuer Patient in die Klinik ein, zu dem sich Lea hingezogen fühlt…

Persönliche Meinung: „Leinwand ohne Gesicht“ ist ein Spannungsroman von Doris Wiesenbach. Eine Besonderheit des Romans ist seine Erzählsituation: Die Handlung wird nicht nur aus unterschiedlichen Figurenperspektiven erzählt, sondern auch aus verschiedenen Erzählperspektiven. So spricht die Zentralfigur Lea aus der Ich-Perspektive; bei anderen Figuren (Finn, ein ehemaliger Patient, Tom, der neue Patient, und Kalle, der Therapiefuchs (ja, richtig gelesen

Bewertung vom 26.08.2022
Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu. / Emer Murphy Bd.1
Getz, Kristine

Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu. / Emer Murphy Bd.1


ausgezeichnet

Ein wendungsreicher Thriller mit einer hohen Spannungskurve

Inhalt: Gemeinsam mit ihrem Mann Jens betreibt Lotte Wiig einen erfolgreichen Blog. Hier zeigen die beiden ihren Follower*innen nicht nur die neusten Modetrends, sondern lassen sie auch am Familienleben mit ihrer zweijährigen Tochter Poppy teilhaben. Regelmäßig gibt es Updates, besonders Bilder mit Poppy generieren Likes, alles läuft gut. Bis Poppy entführt wird – nur kurz, nachdem Lotte auf Instagram ein neues Bild von ihr gepostet hat. Ist der Entführer der Stalker, der es schon länger auf Lotte und Poppy abgesehen hat? Gibt es einen Zusammenhang zu der Entführung eines anderen Kindes, das nach 12 Stunden plötzlich wieder aufgetaucht ist? Obwohl Kommissarin Emer Murphy momentan nicht arbeiten darf, steht für sie fest: Sie will Poppy finden. Doch ist Emer wirklich schon so weit, wieder in den Dienst einzutreten?

Persönliche Meinung: „Poppy. Dein Kind verschwindet und die ganze Welt sieht zu“ ist ein Thriller von Kristine Getz. Erzählt wir der Thriller aus verschiedenen personalen Erzählperspektiven (u.a. Emer Murphy, Jens und Lotte Wiig). Zusätzlich dazu werden häufig Kommentare von User*innen unterschiedlicher Foren (z.B. Lottes MamaForum) eingestreut, die sich über das Verschwinden von Lotte austauschen, wodurch sich eine besondere Dynamik ergibt. Die Spannungskurve des Thrillers ist sehr hoch: Viele Figuren sind undurchsichtig und verbergen Geheimnisse, die erst nach und nach offenbart werden. Dadurch ist fast jede Figur verdächtig und man weiß nicht, wem man wirklich trauen kann (Die Geheimnisse führen zwar dazu, dass die Figuren distanziert wirken, aber das fand ich nicht weiter schlimm. Die Spannung gleicht die Distanz allemal aus.). Gleichzeitig ist die Handlung gespickt mit falschen Fährten und unerwarteten Wendungen: Wie die Dinge in Wahrheit liegen, offenbart sich hier oftmals erst rückblickend, was für einige schöne „Aha“-Momente sorgt. Dementsprechend ist auch das Ende des Thrillers sehr überraschend. Interessant an dem Thriller ist außerdem, dass er aktuelle Themen aufgreift: das Bloggen bzw. Social Media im Allgemeinen, wobei besonders die Gefährdung der Privatsphäre, der Druck der Öffentlichkeit und das Verstellen vor der Kamera eine Rolle spielen. Der Schreibstil von Kristine Getz ist flüssig und angenehm zu lesen, sodass man nur so durch die Seiten fliegt. Insgesamt ist „Poppy“ ein fesselnder, wendungsreicher und ein aktuelles Thema behandelter Thriller mit einer hohen Spannungskurve.

Bewertung vom 09.08.2022
1622. Ein erbärmliches Unglück
Bracker, Jörgen

1622. Ein erbärmliches Unglück


ausgezeichnet

Ein wirklichkeitsnaher, toll recherchierter historischer Roman

Inhalt: Als im Mai 1618 drei Beamte des böhmischen Königs aus einem Fenster der Prager Burg gestoßen werden, ahnt der im Hamburger Umland wohnende Jonas noch nicht, welche Konsequenzen dies für ihn haben wird. Doch plötzlich ziehen marodierende Soldatenbanden durch das Land, die es auch auf den Hof von Jonas’ Bruder abgesehen haben. Nur dank der Raffinesse von Jonas können sie abgewehrt werden – wodurch Johan van Valckenburgh, der gerade den Bau der Hamburger Wallanlagen leitet, auf Jonas aufmerksam wird und ihn als Späher anstellen möchte. Ehe Jonas es sich versieht, ist er mitten in den konfessionellen Wirren des Krieges…

Persönliche Meinung: „2. Juli 1622 – Ein erbärmliches Unglück. Valkenburgh und die Waffenschmuggler“ ist ein historischer Roman von Jörgen Bracker. Erzählt wird die Handlung in Tagebuchform aus der Ich-Perspektive von Jonas, der es aufgrund seiner Vergangenheit nicht immer leicht hatte, jetzt aber – unter der schützenden Hand Valckenburghs – immer stärker sein Potential entfalten kann. Fluchtpunkt des Romans ist die Explosion eines Schiffes auf der Elbe am 2. Juli 1622, deren genaue Umstände bis heute nicht völlig geklärt werden konnten. Um diese offene Frage spinnt der Historiker und Archäologe Bracker eine Handlung, die literarisch zu beantworten sucht, was zur Explosion des Schiffes geführt haben könnte. Der Roman geht allerdings noch weit über die Behandlung der Explosion hinaus. So thematisiert „2. Juli 1622“ außerdem die Abenteuer, die Jonas mit seinen Freunden in Hamburg und Umfeld erlebt, mehrere Liebesgeschichten und die Anfangszeit des Dreißigjährigen Krieges. Hierbei spielen besonders die religiösen, auch intrakonfessionellen Konfliktpunkte des Krieges und die (politische) Situation Hamburgs im Krieg eine Rolle. Der historische Hintergrund wird authentisch und wirklichkeitsnah geschildert – ohne, dass der Autor in trockenes Dozieren abdriftet. Denn: Die Ereignisgeschichte hat immer direkte Konsequenzen für die Protagonisten, sodass der historische Hintergrund lebensnah veranschaulicht wird. Zudem finden sich in der Handlung häufig Politkrimi-Elemente, die das Historische auflockern: Mehrmals spioniert Jonas die politischen Feinde in brenzligen Situationen aus; welche Allianzen überdauern, wer die Seite wechselt, ist in der brisanten Kriegssituation offen. Der Schreibstil von Jörgen Bracker ist eher hypotaktisch, reich an Beschreibungen und stellenweise verschnörkelt. Anfangs ist dies etwas ungewohnt, aber man gewöhnt sich schnell daran (außerdem wirkt der Schreibstil archaisierend, wodurch der Text auch auf Sprachebene einen historischen Touch bekommt). Der Roman schließt mit einem Nachwort („Wahr oder wahrscheinlich“), in dem der Autor die gesicherten historischen Erkenntnisse zur Explosion des Schiffes festhält. Weiterhin existieren ein Index, in dem kurz historische Ereignisse, Örtlichkeiten und auftretende Personen erklärt werden, und ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur zum Themenkomplex „Dreißigjähriger Krieg“. Insgesamt ist „2. Juli 1622 – Ein erbärmliches Unglück“ ein kurzweiliger, wirklichkeitsnaher und toll recherchierter historischer Roman.

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Bewertung vom 03.08.2022
Als das Böse kam
Menger, Ivar Leon

Als das Böse kam


ausgezeichnet

Ein kurzweiliger Spannungsroman mit einer tollen Atmosphäre

Inhalt: Die 16-jährige Juno lebt allein mit ihrem Bruder Boy und ihren Eltern auf einer waldbedeckten, einsamen Insel. Das Festland hat sie nie betreten, da dort – so ihre Eltern – das Böse lauern soll. Die Tage auf der Insel verlaufen gleichförmig, fast schon idyllisch – bis Juno einen Fehler macht und die Bedrohung durch das Böse plötzlich real wird…

Persönliche Meinung: „Als das Böse kam“ ist ein Spannungsroman von Ivar Leon Menger. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive der 16-jährigen Juno. Wie im Inhaltsteaser oben schon angedeutet, ist sie bedingt durch die Isolation weltfremd großgeworden und teilweise naiv. Sie kennt allein die Regeln ihrer Familie, weiß nur die Dinge, die ihre Eltern ihr beigebracht haben. Dies hat Auswirkungen auf die Erzählsituation. Denn: Durch ihre sehr begrenzten Erfahrungen weist Juno Anzeichen einer unzuverlässigen Erzählfigur auf. Zwar gibt sie sich sichtlich Mühe, ihr Unbekanntes richtig einzuordnen – doch ob ihr das gelingt, bleibt für den Lesenden während der Handlung in mehreren Szenen offen/ambivalent, wodurch sich eine latente Spannung durch den Roman zieht. Permanent tauchen beim Lesen Fragen auf: Ist die Szene jetzt wirklich so, wie Juno sie versteht? Oder übersieht sie etwas und ist zu gutgläubig? Ist es naiv von ihr, Figur XY zu vertrauen oder ist die Figur tatsächlich vertrauenswürdig? Vieles erhält durch die Ich-Perspektivierung eine beunruhigende Note – ohne, dass man es zweifelsfrei als bedrohlich fixieren könnte. Bis zur Auflösung bleibt daher einiges in der Schwebe, wodurch eine schöne, die Nerven kitzelnde Atmosphäre entsteht. Die Handlung ist im Großen und Ganzen stimmig, allerdings blieben einzelne Fragen offen, deren Beantwortungen die Handlung für mich runder gemacht hätten (z.B. bleiben die Hintergrundgeschichten einzelner Figuren etwas vage, sodass ihre Handlungsmotivation für mich nicht so deutlich wurde). Innerhalb der Handlung gibt es auch die eine oder andere interessante Wendung, größere Twiste kommen aber nicht vor (aufgrund seiner Dramatik hat mir das Ende aber dennoch sehr gut gefallen). Der Schreibstil von Ivar Leon Menger lässt sich flüssig lesen und ist eingängig, sodass man durch die Handlung fliegt. Insgesamt ist „Als das Böse kam“ ein kurzweiliger Spannungsroman mit einer interessanten Perspektive und einer tollen Atmosphäre; die Handlung hätte für mich aber gerne noch etwas twistreicher sein können.

Bewertung vom 07.07.2022
Leichdorf
Rauh, Wolfgang

Leichdorf


sehr gut

Inhalt: In Leichdorf treibt ein Serienmörder sein Unwesen. Er lauert seinen Opfern auf und häutet sie, da er ihr Inneres sehen möchte. Sein grausiges Werk konnte er lange Zeit unbemerkt durchführen, doch in letzter Zeit ist er fahrig, nicht ganz bei der Sache, sodass die Polizei das erste Mal eine reelle Chance hat, ihn zu fassen. Unberührt davon räumen Roland und seine Lebensgefährtin Sandra gemeinsam mit ihrem besten Freund Dwiggi das Elternhaus von Dwiggi auf – nicht ahnend, dass der Mörder, der gar nicht so weit entfernt wohnt, sie schon im Visier hat…

Persönliche Meinung: „Leichdorf“ ist ein Horrorroman von Wolfgang Rauh. Erzählt wird der Roman in mehreren Erzählsträngen aus verschiedenen Perspektiven. Neben Dwiggi, Roland und Sandra werden u.a. auch die Perspektiven verschiedener Dorfbewohner und diejenige des Mörders eingenommen. Eine große Stärke des Romans ist die Zeichnung der Figuren. Diese sind mit ihren Sorgen und Ängsten sehr authentisch und anschaulich dargestellt, sodass man stark mit ihnen fiebert. Ebenfalls sehr gut gelungen ist die lebendige Ausgestaltung des Beziehungsgeflechts der Figuren. Dies gilt besonders für die Freundschaft zwischen Dwiggi, Roland und Sandra und für eine Liebesbeziehung, die sich zart zwischen zwei Figuren entspinnt (welche Figuren dies sind, möchte ich nicht verraten). Die Identität des Serienmörders wird in „Leichdorf“ recht früh offenbart, was für mich zur Folge hatte, dass ein Stück weit Spannung aus der Handlung fiel. Auf der anderen Seite führte die frühe Offenbarung des Täters aber dazu, dass man einen detaillierten Blick in dessen verquere Gedankenwelt werfen kann. Der Horror in „Leichdorf“ ist eher subtil, geht in Richtung Mystery und kommt meist unblutig daher. Gerade aufgrund des subtilen Zugs gibt es einige Szenen, die wirklich gruselig sind und körperliches Unbehagen auslösen. Für Spannung sorgt außerdem, dass auf Leichdorf ein Fluch zu lasten scheint. Viele der Dorfbewohner leiden unter Alpträumen oder haben unheimliche Begegnung. Stellenweise weiß man während des Lesens nicht, was jetzt real und was Imagination der Figuren ist, wodurch einige schöne Irritationsmomente entstehen. Die Handlung, die mit einer Prise Humor gewürzt ist, hält die ein oder andere Überraschung bereit, hatte für mich allerdings auch ein paar Längen. Das Ende wiederum ist aber so toll, dass es die Längen mehr als ausgleicht (Zu dem Ende würde ich gerne viel mehr schreiben, weil es sehr gut gemacht und überraschend ist, aber jedes weitere Wort würde zu viel spoilern). Der Schreibstil von Wolfang Rauh lässt sich flüssig und angenehm lesen. Insgesamt ist „Leichdorf“ ein Horrorroman, der durch subtile Akzente, ein unvorhersehbares Ende und eine schöne Ausgestaltung der Figuren und ihrer Beziehungen besticht.

Bewertung vom 07.07.2022
ROTGOLD: Jung bis zum letzten Tag
Weber, Helena

ROTGOLD: Jung bis zum letzten Tag


ausgezeichnet

Ein spannender Reihenauftakt mit liebenswürdigen Figuren

Inhalt: Die beiden Journalisten Elijah und Beth haben es geschafft: Durch ihr Onlinemagazin „Der Schreibfuchs“ haben sie sich einen so großen Namen gemacht, dass „Die Tageszeile“, eine der renommiertesten Zeitungen, auf sie aufmerksam geworden ist und sie als Volontäre einstellt. Ihre erste Aufgabe ist ein Interview mit Marla Bates, dem neuen Werbegesicht von RotGold. Doch Marla wirkt beim Interview fahrig, gestresst und unter Druck gesetzt. Als sie Elijah zum Ende des Interviews dann auch noch einen versteckten Hilferuf sendet, steht für Elijah und Beth fest: Sie müssen Marla aus den Fängen von RotGold befreien…

Persönliche Meinung: „RotGold – Jung bis zum letzten Tag“ von Helena Weber ist der Auftakt einer neuen Trilogie. Erzählt wird der Roman im Wechsel aus verschiedenen personalen Erzählperspektiven (u.a. Beth, Elijah, Marla und Will, dem Bruder von Elijah), wodurch die Handlung ein schönes Tempo gewinnt. Die Figuren sind authentisch und dreidimensional ausgestaltet: Jede Figur hat eine eigene Persönlichkeit (inklusiver eigenem Kopf und kleineren Macken), die sie individuell macht und von den anderen Figuren unterscheidet. Sehr gut haben mir auch die lebendigen, häufig mit Witz gepaarten Dialoge zwischen den Figuren gefallen. „RotGold“ vereint Elemente verschiedener Genres in sich. Die Welt, die auf den ersten Blick unserer gar nicht so unähnlich scheint, offenbart – je weiter die Handlung voranschreitet – dystopische Züge: Dominiert wird die Welt durch das Unternehmen RotGold, das im Hintergrund als graue Eminenz arbeitet. Dieses Unternehmen hat ein Schönheitselixier entwickelt, das – zumindest äußerlich – ewige Jugend verspricht (originell fand ich übrigens, wie das Elixier hergestellt wird, aber das möchte ich hier nicht verraten). Es befürwortet allerdings nicht jede*r die Arbeit von RotGold, sodass die Gesellschaft gespalten ist. Wie weit der Einfluss von RotGold reicht und worin es noch verwickelt sein könnte, wird in „RotGold – Jung bis zum letzten Tag“ schon angedeutet, weshalb ich vermute, dass in den Folgebänden der Dystopieanteil weiter zunehmen wird. Daneben finden sich in „RotGold – Jung bis zum letzten Tag“ auch Krimi-/Politthriller-Elemente. Denn: Will, der Bruder von Elijah, arbeitet als Polizist und muss einen Mordfall aufklären, der ihn in den Dunstkreis von RotGold führt. Weiterhin sind auch Liebesgeschichten in die Handlung eingewoben: Dabei keimt eine Liebesbeziehung gerade auf; die andere wird neu entfacht. Durch diese Vermischung verschiedener Genres ist die Handlung abwechslungsreich, nicht leicht zu erahnen und spannend. Was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat, ist, dass in „RotGold“ auch gesellschaftlich relevante Themen diskutiert werden (besonders das in Werbung häufig vermittelte Schönheitsideal „Jugendlichkeit“). Der Schreibstil von Helena Weber lässt sich angenehm und flüssig lesen. Abgerundet wird die Ausgabe durch schöne schwarz-weiß Illustrationen der Protagonisten, die dem Text vorangestellt sind. Insgesamt ist „RotGold – Jung bis zum letzten Tag“ ein spannender Reihenauftakt mit einer abwechslungsreichen Handlung und liebenswürdigen Protagonisten.

Bewertung vom 05.07.2022
Aya und die Hexe
Wynne Jones, Diana

Aya und die Hexe


sehr gut

Eine witzige Fantasygeschichte mit einer frechen Protagonistin

Inhalt: Die zehnjährige Aya lebt im St.-Morwald-Waisenhaus – aus dem sie nicht wegmöchte. Denn: Dort machen alle genau das, was sie sich wünscht – auch potenzielle Eltern, die Aya adoptieren wollen, folgen Ayas Wunsch und lassen sie im Waisenhaus. Eines Tages erscheint allerdings ein Paar, das gegen Ayas Wünsche resistent zu sein scheint und sie einfach so adoptiert. Als Aya in ihrem neuen Zuhause ankommt, stellt sich schnell heraus: Ihre Adoptivmutter ist eine Hexe. Wird es Aya trotzdem gelingen, ihre Wünsche durchzusetzen?

Persönliche Meinung: „Aya und die Hexe“ ist eine Fantasygeschichte von Diana Wynne Jones. Erzählt wird die Handlung von einem allwissenden Erzähler, der von Ayas Abenteuer im Hexenhaus berichtet. „Aya und die Hexe“ ist kein Fantasyroman im Umfang der Bücher der Howl-Saga, sondern eine ca. 100 Seiten umfassende Kurzgeschichte, die reich bebildert ist. Die Kürze nimmt der Geschichte allerdings nicht ihren Zauber: So trumpft „Aya und die Hexe“ einerseits mit einer selbstbewussten und frechen Protagonistin auf, andererseits ist die Zauberwelt von „Aya“ mit ihren Figuren und Zaubersprüchen fantasievoll ausgestaltet. Gewürzt ist die Handlung zudem mit einer Prise Humor. Der Schreibstil von Diana Wynne Jones ist lebendig und lässt sich angenehm lesen. Ergänzt wird der Text durch zahlreiche Illustrationen von Miho Satake. Diese sind meistens farbig, teilweise schwarz-weiß und erinnern an den typischen Ghibli-Stil. Aufgrund ihrer Kürze, den vielen Illustrationen und dem fantasievoll-witzigen Inhalt eignet sich „Aya und die Hexe“ auch als Lektüre für Kinder bzw. als Gute-Nacht-Geschichte zum Vorlesen. Insgesamt ist „Aya und die Hexe“ eine kurzweilige Fantasygeschichte, die vom Droemer Knaur Verlag in einer schönen Schmuckausgabe erstmals auf Deutsch präsentiert wird.

Bewertung vom 03.07.2022
Das Haus der stummen Toten
Sten, Camilla

Das Haus der stummen Toten


ausgezeichnet

Ein spannender Thriller mit einer tollen Atmosphäre

Inhalt: Als ihre Großmutter Vivianne ermordet wird, bricht für Eleanor eine Welt zusammen. Nicht nur muss sie mit dem Verlust zurechtkommen; gleichzeitig macht sie sich Vorwürfe: Sie konnte einen kurzen Blick auf den Mörder erhaschen, allerdings ist es ihr aufgrund ihrer Gesichtserkennungsschwäche unmöglich, sein Gesicht zu verbildlichen. Einige Zeit nach dem Tod von Vivianne erhält Eleanor einen Anruf von einem Notar: Ihre Großmutter hat ihr Solhöga, einen Gutshof, der schon lange in Familienbesitz ist, vermacht. Gemeinsam mit ihrem Freund, dem Notar und ihrer Tante möchte Eleanor den Nachlass verwalten – doch sie sind nicht die einzigen, die sich auf dem einsam gelegenen Gutshof befinden…

Persönliche Meinung: „Das Haus der stummen Toten“ ist ein Thriller von Camilla Sten. Es handelt sich um einen Stand-Alone-Roman, der sich unabhängig von Stens „Das Dorf der toten Seelen“ lesen lässt. Erzählt wird der Thriller von zwei verschiedenen Ich-Erzählerinnen auf zwei wechselnden Zeitebenen. In der Gegenwart begleiten wir Eleanor, die versucht, dem Geheimnis von Solhöga nachzuspüren. Hier führen besonders zwei Elemente zu einer schönen Spannungskurve: Einerseits geschehen auf Solhöga immer wieder mysteriöse Vorfälle: Dinge verschwinden, der Gutsverwalter ist nicht auffindbar, eine (unbekannte) Person scheint durch das Anwesen zu schleichen. Andererseits leidet Eleanor unter Prosopagnosie (Gesichtsblindheit): Sie kann Personen nicht intuitiv an ihrem Gesicht erkennen und ist dem Gegenüber dadurch immer bis zu einem gewissen Grad ausgeliefert. Dadurch steht Eleanor permanent unter Stress, was lebendig dargestellt wird. Aber auch auf der Handlungsebene führt die Gesichtsblindheit zu einem spannenden Umstand: Da sie das Gesicht des Mörders nicht erfassen konnte, kann jede Figur potentiell der Mörder sein. Der zweite Erzählstrang spielt in den 1960er Jahren. In Form von Tagebucheinträgen lernen wir Annuschka kennen, die aus Polen emigriert ist, um auf Solhöga als Hausangestellte zu arbeiten. Spannung entsteht besonders dadurch, dass beide Handlungsstränge zunächst losgelöst voneinander voranschreiten, sodass man sich permanent fragt, wie der Zusammenhang beider ist. Sukzessiv erfährt man aber immer mehr über Annuschka, sodass sich mosaikartig ein Gesamtbild ergibt. Sehr gut hat mir auch die atmosphärische Beschreibung von Solhöga gefallen. Das Gutshaus ist verwinkelt, verbirgt das ein oder andere Geheimnis und besitzt eine latent bedrohliche Aura. Hinzu kommt, dass während der Eleanor-Handlung ein Schneesturm einsetzt, sodass Solhöga immer mehr zu einer Falle für die Protagonisten wird. Zur Handlung möchte ich ansonsten gar nicht zu viel verraten. Nur: Sie ist spannend, wendungsreich und trumpft mit einem nicht zu erahnenden Twist auf. Der Schreibstil von Camilla Sten ist bildhaft, lebendig und lässt sich sehr flüssig lesen. Die spannende, atmosphärische Handlung, die vielen Wendungen und der tolle Schreibstil führen dazu, dass man „Das Haus der stummen Toten“ nur so verschlingt (Ich habe es an einem Tag fast am Stück gelesen

Bewertung vom 29.06.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


sehr gut

Ein spannender Sommerroman - nicht immer luftig-leicht, gerade dadruch aber sehr reizvoll

Inhalt: Trotz Sommerferien verläuft für die fast siebzehnjährige Maserati jeder Tag ähnlich: Sie frittiert Pommes in der Gaststätte ihrer Oma, kellnert, versucht sich, über Wasser zu halten; manchmal besucht sie ihren Schulfreund Georg. Doch der Alltagstrott wird durchbrochen, als eine neue Familie mit zwei Jungen, beide in Maseratis Alter, in die verlassene Villa im Ortskern zieht. Denn: Theo, einer der Jungen, hat Maseratis Gesicht auf einer alten Schallplatte entdeckt, die weit vor ihrer Geburt erschienen ist – und möchte nun Maseratis Geheimnis auf die Spur kommen.

Persönliche Meinung: „Schallplattensommer“ ist ein Jugendbuch/Coming-of-Age-Roman von Alina Bronsky. Erzählt wird er aus der personalen Erzählperspektive von Maserati. Die Handlung dreht sich – grob gesagt – um die aufkeimende Freundschaft zwischen Maserati und den neu zugezogenen Cousins Caspar und Theo. Darüber hinaus werden aber auch viele Themen wie Mobbing, schwierige Verwandtschaftsverhältnisse, Liebe, Verlust, das Älterwerden und die Angst vor der Zukunft angesprochen, wodurch „Schallplattensommer“ zu einem vielschichtigen Roman wird. Auch hat jede der Hauptfiguren ein Geheimnis, eine Vergangenheit, die sie vor den anderen versteckt. Dadurch, dass lange Zeit offen ist, um welche Geheimnisse es sich handelt, durchzieht die Handlung eine latente Spannung. Stellenweise ist das, was dabei zu Tage tritt, harter Tobak, sodass „Schallplattensommer“ – anders als das Cover suggeriert – nicht durchweg eine luftig-leichte Lektüre ist. Mir haben diese tragischen, passend gewählten Hintergrundgeschichten der Figuren aber gerade aufgrund ihrer Ernsthaftigkeit sehr gut gefallen, da sie den Roman vom Mainstream abheben und ein Alleinstellungsmerkmal bilden. Abgesehen von diesen Hintergrundgeschichten blieben die Figuren für mich insgesamt aber etwas zu scherenschnittartig. Den Schreibstil von Alina Bronsky fand ich wiederum toll. Er ist nüchtern und gestochen scharf; die Geschichten der Protagonisten werden schonungslos erzählt. Darüber hinaus erschafft Bronsky aber auch immer wieder atmosphärische Szenen, in denen man die laue Sommernacht oder die Hitze des Sonnentages geradezu spüren kann. Am Ende der abwechslungsreichen und unvorhersehbaren Handlung werden zwar nicht alle Fragen restlos geklärt, allerdings ist der Plot dennoch stimmig: „Schallplattensommer“ ist der Roman eines Sommers, eine Momentaufnahme, die Luft für Interpretationen lässt. Insgesamt ist „Schallplattensommer“ ein spannender, kurzweiliger Sommerroman mit vielen atmosphärischen Szenen. Nicht immer ist die Handlung leicht – aber diese Diskrepanz zwischen den eigentlich für Sorglosigkeit stehenden Sommerferien und dem (tragischen) Schicksal der Protagonisten macht den besonderen Reiz des Romans aus.