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Glüxklaus
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Franken

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Insgesamt 628 Bewertungen
Bewertung vom 28.08.2020
Lavoie, Marie-Renée

Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau


gut

Langweilige Ehe - ungewöhnliche, unberechenbare Trennungsverarbeitung

Diane, 48 Jahre, Mutter von drei Kindern, verliert den Boden unter den Füßen, als Ehemann Jacques sie wegen einer anderen verlässt. Sie versucht mit der neuen Situation umzugehen, erleidet dabei aber immer wieder Rückfälle. Fünfundzwanzig Jahre Ehe lassen sich eben nicht so leicht ungeschehen machen.....

Marie-Renée Lavoie schreibt klar, treffend und oft amüsant in Tagebuchform, aus der Ich-Perspektive von Diane. Wie in einem Tagebuch ist der Text nicht immer besonders strukturiert und logisch aufgebaut, es geht vielmehr um die Schilderung von Dianes Gedanken und Gefühlen, während sie die Einträge verfasst.

Diane ist eine sehr spezielle Protagonistin, mal wirkt sie sehr träge und lethargisch, lässt sich zu sehr von anderen herumkommandieren, dann wieder reagiert sie völlig über, beschimpft unkontrolliert und unbeherrscht ihre Mitmenschen oder reagiert sich körperlich an Möbeln und anderen Gegenständen ab. Anfangs will sie nicht wahrhaben, dass Ehemann Jacques Schwächen hat, doch im Verlauf ändert sich ihre Haltung. Sie verarbeitet die Trennung, aber ob es ihr langfristig gelingt, bleibt abzuwarten. „Langweilig“ finde ich Diane nicht, eher schwer einzuschätzen, manchmal sympathisch, manchmal etwas überdreht und überzogen. Auf alle Fälle wirkt sie ungewöhnlich und interessant, aber nicht immer auf die positivste Art.

„Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau“ hat mich gut unterhalten, ich habe mich immer wieder über die beschriebenen skurrilen, teils absurden Situationen amüsiert, war erstaunt über die präzise Treffsicherheit so mancher Sätze, Wahrheiten und psychologischer Analysen. Trotz alledem ist der Roman schwer einzuordnen, mir fehlte der rote Faden. Dem Ende mag ich noch nicht ganz trauen. Eine Trennung läuft vermutlich nie nach Schema F ab, gerade weil Menschen verschieden und individuell sind. Jeder braucht unterschiedlich viel Zeit, verarbeitet Dinge anders, es gibt dafür kein Rezept. Das macht die Handlung zwar glaubwürdig, aber für den Leser wenig greifbar und manchmal etwas befremdlich. Definitiv wird zum Nachdenken angeregt, es bleiben aber nach der Lektüre Fragezeichen bestehen. In zweierlei Hinsicht für mich ein merkwürdiger Roman.

Bewertung vom 25.08.2020
Oliver, Sophie

Grandhotel Schwarzenberg - Der Weg des Schicksals / Die Geschichte einer Familiendynastie Bd.1 (eBook, ePUB)


gut

Starker und packender Auftakt der Trilogie, allerdings mit schwachem Ende

1905: Die 17-jährige Anna Gmeiner lebt mit ihrem Vater und dem Bruder in Bad Reichenhall. Sie sind sogenannte Häusler, Kleinbauern mit wenig Vieh und Land. Da das Geld nicht reicht, um die Familie zu ernähren, muss Bruder Christoph zusätzlich als Trifter arbeiten und in Bächen gestautes Holz freischlagen. Dabei geschieht ein tragisches Unglück. Anna und ihr Vater sind am Boden zerstört und es wird nun noch schwerer für sie, finanziell über die Runden zu kommen. Als Anna sich in den jungen, aus Südtirol stammenden Salzsieder Michael Schwarzenberg verliebt und die beiden zu heiraten beschließen, schöpft sie neue Hoffnung. Doch das Schicksal schlägt erneut erbarmungslos zu und Annas Leben entwickelt sich ganz anders als erwartet.

Sophie Oliver schreibt angenehm, gut verständlich, aber nicht modern, sondern der Zeit angemessen, in der der Roman spielt. Dadurch konnte ich mich rasch in das Geschehen hineinversetzen.

Anna ist eine junge Frau, die sehr viel Unglück erleiden muss. Sie erträgt ihr Schicksal tapfer, arbeitet hart und lässt sich nicht unterkriegen. Eine starke, mutige Frau! Sie hat mit Therese eine treue Freundin, die ihr beisteht und die sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt. Michael hingegen zeigt sich weniger ausdauernd und nicht so konsequent wie Anna, wirkt etwas farblos, kaum leidenschaftlich, er hinterlässt keinen tiefen Eindruck. Auch die anderen Männer kommen nicht ganz so gut weg, erscheinen im Gegensatz zu den patenten, bemerkenswerten Frauenfiguren fast alle ein wenig „blass“. Eine weitere wichtige Rolle im Roman spielt Katharina von Feil, Tochter des reichen Salinenmeisters. Sie stellt einen Gegenpart zu Anna dar, stammt sie doch aus völlig konträren, nämlich reichen Verhältnissen. Auch Katharinas Leben läuft nicht nach Plan, sie schlägt sich allerdings auf ganz andere Art durch als Anna, weckt dabei deutlich weniger Mitgefühl und Sympathie in mir.

Ich habe durchgehend mit Anna gefiebert und gehofft, dass sich die Situation für sie bessert. Bis zum Schluss blieb die Handlung durch verschiedene überraschende Wendungen spannend. Das Ende empfand ich allerdings als unbefriedigend, einerseits offen, andererseits zu überhastet, abrupt und für mich nicht ganz logisch. Unterm Strich eine unterhaltsame und packende Lektüre mit nicht ganz stimmigen Abschluss. Da es sich allerdings um den Auftakt einer Trilogie handelt, mag der „Cliffhanger“ vermutlich so gewollt sein. Ich jedenfalls werde - trotz kleinerer Schwächen im ersten Roman- Annas Schicksal mit Interesse weiter verfolgen.

Bewertung vom 23.08.2020
Schuster, Stephanie

Alles, was das Herz begehrt / Wunderfrauen-Trilogie Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Vier Frauen erleben die Wirtschaftswunderzeit: mitreißend, interessant und unterhaltsam

Starnberg 1953: Gerade ist Luise Dahlmanns Schwiegermutter gestorben und das Ladenlokal im Haus ist nun freigeworden. Luise träumt davon, dort ihren eigenen Lebensmittelladen zu eröffnen. Doch ganz so einfach ist das auch nicht, zunächst muss ihr Mann Hans überzeugt werden und Geschäftserfahrung sammelt man leider auch nicht über Nacht. Auch Helga, Tochter einer reichen Münchner Unternehmerfamilie, die gerade durchs Abitur gefallen ist, wagt einen Neuanfang. Sie beginnt in der Frauenklinik eine Ausbildung zur Krankenschwester und lernt beim Tanzen einen amerikanischen Soldaten kennen. Marie hingegen musste aus Schlesien fliehen und sucht nun verzweifelt nach einer Anstellung. Die Aussicht, auf einem Gestüt zu arbeiten, zerschlägt sich, dafür bietet sich ihr unerwartet eine andere Möglichkeit. Arztgattin und Mutter Annabell ist mit ihrem Leben unzufrieden und fürchtet, dass ihr Mann wichtige Geheimnisse vor ihr hat. Die vier Frauen stehen während des Wirtschaftswunders vor ganz unterschiedlichen neuen Herausforderungen.

„Die Wunderfrauen“ liest sich angenehm flüssig und unkompliziert. Immer abwechselnd wird die momentane Situation von Luise, Marie, Helga und Annabell dargestellt. Sofort und ohne Probleme konnte ich mich in die Hauptfiguren und in die Geschichte hineinversetzen.

Die Wunderfrauen sind alle ziemlich verschieden: Luise hat einen ganz speziellen Traum, packt jederzeit zu, ist außergewöhnlich hilfsbereit und zu allen freundlich. Auf sie kann man sich verlassen, vor allem für ihre Brüder ist sie eine unersetzbare Stütze. Marie hat es nicht leicht, sie hat sich immer noch nicht von den furchtbaren Erlebnissen während des Krieges erholt und hat Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen. Dadurch wirkt sie recht distanziert. Ganz anders die selbstbewusste, lebenslustige Helga, die ihrem Elternhaus den Rücken gekehrt hat und es nun alleine schaffen will. Eigentlich geht es Annabell von außen betrachtet am besten, sie wohnt mit ihrem reichen Gatten in einem schönen Haus und muss sich keinerlei finanzielle und existenziellen Sorgen machen. Trotzdem ist sie unglücklich, reagiert misstrauisch und nachtragend und steht sich selbst im Weg, unverkrampften Kontakt zu anderen aufzubauen. Alle Charaktere entwickeln sich mit der Zeit. Die Personenkonstellation und die Art, wie die gegensätzlichen Frauen Beziehungen zueinander aufbauen, empfand ich als interessant und plausibel. Die Protagonistinnen stehen für verschiedene Gesellschaftsschichten, die durch die Persönlichkeiten der Figuren ein individuelles Gesicht bekommen.

Da ich alle Frauen irgendwie verstehen konnte -die eine mehr, die andere weniger - wollte ich natürlich jederzeit wissen, wie sich die Handlung um die Schicksale der Hauptfiguren weitergestaltet. Das Geschehen fesselte mich. Schon immer empfand ich die Zeit des Wirtschaftsaufschwungs der 50er Jahre als eine faszinierende, zuversichtliche, aber auch zwiespältige. Plötzlich hatten auch Frauen verschiedene Möglichkeiten, etwas anderes zu sein als „nur“ Hausfrau. Nach den schrecklichen Jahren des Krieges herrschte wieder Hoffnung und es bot sich Raum für ganz viele Neuanfänge. Trotzdem erwiesen sich so manche alte Denkweisen und Haltungen als viel tiefer verwurzelt als angenommen. Dies wird in Stephanie Schuster Roman sehr anschaulich und eindringlich gezeigt. Für mich ein kurzweiliger, lohnender Schmöker. Nach dem stimmigen, aber leider offenen und für manche Figuren unbefriedigendem Ende bin ich sehr gespannt, wie es mit Luise und Co weitergeht. Zum Glück erscheint die Fortsetzung schon bald.

Bewertung vom 22.08.2020
Stelmaszyk, Agnieszka

Die große Katzenverschwörung (eBook, ePUB)


sehr gut

Ist das Herrchen aus dem Haus, tanzen die Katzen

Chris findet am Heiligabend drei verlassene, fast erfrorene Kätzchen. Da es Weihnachten ist und Chris ohnehin schon vier Katzen zu Hause hat, erlauben ihm seine Eltern, die Tiere zu behalten. Anfangs scheinen die drei Neuen einen gute Einfluss auf die anderen Katzen zu haben und alle Stubentiger des Hauses benehmen sich vorbildlich und verbringen ihre Tage hauptsächlich damit, fernzusehen. Doch kaum geht die Schule wieder los, muss Chris erkennen, dass die drei neuen Mitbewohner alles andere als brav sind. In seiner Abwesenheit beginnen die Vierbeiner, die Wohnzimmereinrichtung mit der Kettensäge zu bearbeiten. Sie wollen Holzfäller werden, erzählen sie Chris. Und das ist erst der Beginn einer Reihe merkwürdiger Vorkommnisse und seltsamer Verhaltensweisen der Katzen.

„Die große Katzenverschwörung“ ist einfach und kindgemäß formuliert. Die Geschichte wird aus Chris Sicht in Ich-Form erzählt. Die farbenfrohen, witzigen und originellen Illustrationen von Marta Kurczewska runden den Text schön ab und sorgen für großen Spaß und Motivation. Geübtere Leser ab sieben, acht Jahren können die Geschichte schon selbst lesen, zum Vorlesen ist sie auch schon für Sechsjährige geeignet.

Sehr unkonventionell und ungewöhnlich präsentieren sich Agnieszka Stelmaszyks Katzenfiguren. Sie sind fernsehsüchtig, überaus selbstbewusst, kreativ, phantasievoll, gieren nach Ruhm und Geld und entwickeln dabei zum Leidwesen ihres Herrchens Chris erstaunlichen Tatendrang, oft leider blinden Aktionismus. Ziemlich witzig, wie einfallsreich die Vierbeiner sind. Irgendwie schaffen sie es auch immer wieder, Herrchen Chris um den Finger zu wickeln und ihn für niedere Tätigkeiten einzuspannen. Ein paar mehr Widerworte könnte der durchaus geben, längst haben sich die Rollen von Herrchen und Haustier nämlich schon vertauscht.

Das Buch zeigt völlig überdreht und witzig, was dabei herauskommt, wenn Katzen zu intensiv Fernsehen gucken und sich menschlichen Gewohnheiten anpassen. Sie werden zu Holzfällern, versnobten englischen Adligen, modernen Künstlern und vielem mehr. Meinem sechsjährigen Sohn und mir hat das Buch recht gut gefallen. Phantasievoll, originell und unterhaltsam! Leser, dieses Buchs werden in Zukunft zweimal überlegen, welches Fernsehprogramm sie ihren vierbeinigen Lieblingen angedeihen lassen...

Bewertung vom 20.08.2020
Ziegler, Christine

Sauer macht listig


sehr gut

Abwechslungsreiches und kurzweiliges Wundertütenhörbuch mit viel Humor

Elenor fällt aus allen Wolken, als ihr Ehemann Paul nach dem Sex eine harmlose Affäre mit einer jungen Studentin gesteht. Das kann und will Elenor nicht auf sich sitzen lassen. Doch wie soll die 46-jährige Frau, deren Leben in den letzten 20 Jahren hauptsächlich aus Haushalt und Kindererziehung bestand, ohne abgeschlossene Berufsausbildung in Zukunft auf eigenen Beinen stehen? Aushilfs-Postbotin Loreen hilft Elenor dabei, aufzuräumen, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und selbstbestimmt ein neues anzufangen...

Christine Ziegler pflegt einen lockeren und klaren Schreibstil. Sprecherin Christina Puciata liest Zieglers Roman flüssig, unterhaltsam, mit guter Betonung und angenehmer Stimme. Einzelnen Figuren wie Zac verleiht sie durch ihre Interpretation den „individuellen Touch“. Ich hab es überaus genossen, Christina Puciata zuzuhören.

Elenor ist ein sympathische Mitvierzigern mit ganz vielen Talenten, die im Laufe ihrer Ehe vergessen hat, was sie wirklich kann und möchte und die sich immer nur nach den Bedürfnissen anderer gerichtet hat. Ihr Weg zum „neuen Ich“ führt sie über die essenziellen Fragen, um die wir alle immer wieder kreisen: „Wer bist Du?“ „Was wünscht Du Dir?“ und „Wovon träumst Du?“. Elenors Suche wird für mich interessant und abwechslungsreich dargestellt. Nicht alle Figuren des Romans scheinen realistisch, Loreens Entwicklung empfand ich z.B. als nicht hundertprozentig plausibel, auch Inge, Mel oder Paul wirken stark überzeichnet. Aber das ist okay so, hier geht es schließlich überwiegend nicht bierernst, sondern zuweilen auch ganz schön humorvoll zu. Meine persönliche Lieblingsfigur ist der Narkoleptiker und leidenschaftliche Koch Zack, der Elenor mit seiner direkten Art ganz schön zu denken gibt.

Für mich muss ein Hörbuch nicht herausfordernd sein, es soll in erster Linie leichte Unterhaltung bieten und mir noch Raum geben, mich nebenher mit anderen Tätigkeiten wie Hand- oder Hausarbeiten zu beschäftigen. Diese Ansprüche hat „Sauer macht listig“ voll erfüllt. Und mehr noch: Es ist eine kleine Wundertüte voller Überraschungen und unerwarteter Wendungen. Beginnt die Geschichte als humorvolle (Rache-) Komödie, ändert sich ihr Charakter und plötzlich geht es etwas tiefgründiger um Selbstfindung, schließlich kommen zum Frauenroman sogar noch Krimielemente hinzu, ehe auch die Liebe eine Hauptrolle übernimmt.
Einige Handlungsstränge waren ein wenig absurd, aber alles in allem hat mir „Sauer macht listig“ ein sehr kurzweiliges, abwechslungsreiches Hörvergnügen bereitet. Die Geschichte vermittelt Zuversicht und zeigt, dass man in mittleren Jahren noch lange nicht alt ist. Es ist nie zu spät, neu anzufangen und das zu tun, was man wirklich will. Lasst Euch inspirieren!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.08.2020
Taylor, Thomas

Malamander - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea / Eerie-on-Sea Bd.1


sehr gut

Magisch, märchenhaft, unheimlich- außergewöhnliche Geschichte mit faszinierender Atmosphäre

„In dieser Nacht griff das Monster an. Es traf die Männer unvorbereitet. Es kostete viele Menschenleben, die Leviathan gegen dieses Geschöpf mit gesträubten Flossen und zuckernden Stacheln zu verteidigen, das alle, die es erblickten, in Angst und Schrecken versetzte. Kugeln prallten an seinen Schuppen ab und hinterließen kaum einen Kratzer, und seine Klauen konnten Eisen zerfetzen“.

Jeder in Eerie on Sea kennt die Legende vom furchterregenden, grausamen Malamander, auch der ungefähr zwölfjährige Herbert Lemon. Er ist „Sachenfinder“ im Grand Nautilus Hotel und macht die Besitzer verlorener Dinge ausfindig. Seine Arbeit entwickelt sich in eine ganz neue Richtung, als das Mädchen Violet ihn bittet, ihre vermissten Eltern zu suchen, von denen angenommen wird, dass sie der Malamander verschleppt hat.

Thomas Taylor formuliert zwar gut verständlich, aber nicht zu einfach, für mich schreibt er einfach „schön“. Sprache ist für Taylor nicht nur Instrument, die Geschichte zu erzählen, sondern auch Selbstzweck. Sie schafft hier eine besondere Atmosphäre, was bei Kinderbüchern nicht immer üblich und selbstverständlich ist. Der Autor nimmt die Ich-Perspektive von Herbert ein. Sein bildhafter, lebendiger Schreibstil wirkt weniger modern als zeitlos, ist eine kleine, anspruchsvollere Herausforderung, die es lohnt, anzugehen. Dies passt sehr gut zum phantasievollen, teils märchenhaften Inhalt der Geschichte.

Die Figuren des Romans sind ebenso alles andere als alltäglich und konventionell: Herbert ist ein Findelkind, seine Herkunft ist unklar. Schon mit zwölf Jahren arbeitet er. Er ist ein sympathischer, neugieriger, abenteuerlustiger und netter Junge, der sich engagiert für andere wie Violet einsetzt und dabei durchaus schon mal einiges riskiert. Auch Violet umgibt eine geheimnisvolle Aura, nicht nur, weil sie aus dem Nichts auftaucht und ihre Wurzeln nicht genau kennt. Alle Figuren des Romans, so Lady Kraken, Mrs. Fossil oder Schriftsteller Sebastian Eels strahlen etwas ähnlich Unbestimmtes und Mysteriöses aus. Wem kann Herbert da bloß trauen?

Was für ein aufregendes Setting hat sich Thomas Taylor da überlegt! Der Ort Eerie on Sea hat viele magische, spezielle Plätze: ein Schiffswrack, ein altehrwürdiges Hotel, einen Imbiss auf dem Pier. Besonders beeindruckt hat mich „Die Bücherapotheke“. Hier gibt es Bücher auf Rezept, nicht der Kunde sucht sich ein Buch aus, das Buch sucht sich vielmehr seinen Leser aus. Der Schauplatz sorgt für seine ganz eigene, magische, spannungsgeladene, ein wenig unheimliche Atmosphäre, die sich durch das gesamte Buch zieht. Zeit zum Durchatmen bleibt beim Lesen kaum. Für besonders sensible, ängstliche Kinder mag dieser Roman daher nicht ideal geeignet sein.

Woher kommt Violet? Wird sie ihre Eltern finden? Wer ist Herbert? Gibt es ihn wirklich den Malamander oder ist seine Legende wirklich nur das, eine komplett erfundene Legende?
Diese Fragen beschäftigten mich beim Lesen permanent. Auch wenn am Schluss nicht alle erschöpfend beantwortet werden und einige etwas unbefriedigende Fragezeichen bleiben, habe ich dieses besondere Buch doch sehr genossen. Für mich hat es das Zeug zum „modernen Klassiker“. Daher könnte ich es mir sehr gut als Lektüre für fünfte oder sechste Klassen vorstellen. Ich bin mir sicher, dass es vielen Lesern ab zehn Jahren mit guten Nerven, die „stark genug für den Malamander sind“, ähnlich geht wie mir und sie sich der eigentümlichen Faszination, die von dieser Geschichte ausgeht, nicht entziehen können.

Bewertung vom 18.08.2020
Langen, Annette;Droop, Constanza

Mit Felix auf großer Deutschlandreise


ausgezeichnet

Niedliche Abenteuergeschichte, die nebenbei Wissen vermittelt und allen Altersgruppen Spaß macht

Ach Du Schreck! Felix wird im Urlaub auf Sylt von einer Windböe erfasst und fliegt einfach davon. Zum Glück findet er in Bremen Siebenmeilenstiefel. Seine Reise zurück zu Sophie führt ihn - teils auf den Spuren von Schatzsuchern- quer durch Deutschland, von der Nordsee bis hin zu den Alpen, vom Spreewald bis ins Ruhrgebiet. Regelmäßig schickt er Sophie Briefe und erzählt darin von seinen Erlebnissen und den historischen und geographisches Besonderheiten seiner Reiseziele.

Annette Langen schreibt kindgemäß, gut verständlich und lebendig. Dass Felix Briefe an Sophie verfasst, die wirklich in Umschlägen an den Seiten angebracht und herausnehmbar sind, ist eine besonders originelle Idee, die Kindern großen Spaß macht. Constanza Droops niedliche typische Felix-Bilder haben mir und meinen Mitlesern gewohnt ausgesprochen gut gefallen. Zusätzlich sind im Buch Fotos von Sehenswürdigkeiten abgedruckt. Auf manchen Seiten gibt es zudem Entdeckerklappen oder andere Elemente zum Auffalten. „Mit Felix auf großer Deutschlandreise“ ist außergewöhnlich abwechslungsreich und sehr liebevoll gestaltet.

Beim ersten Lesen kann der Leser noch gar nicht erfassen, was dieses besondere Buch alles enthält. Es ist Sachbuch, das besondere Orte in Deutschland näher vorstellt, und Abenteuergeschichte in einem. Felix lernt viele verschiedene Menschen näher kennen und erfährt einiges über historische Besonderheiten. Wirklich alles andere als trocken und langweilig! Jüngere Kinder werden die vielen Sachinformationen sicher noch überfordern, aber die lassen sich ja beim Vorlesen spontan kürzen.

Während meine fünfjährige Tochter mit Felix fieberte und hoffte, dass er endlich wieder zu Sophie zurückfinden wird, konnte mein sechsjähriger Sohn gar nicht genug von den interessanten Orten in Deutschland bekommen. Die neunjährige Tochter hat das Buch selbstständig gelesen, der Zweijährige beeindruckt die bunten Bilder bewundert. Auch ich war fasziniert von den tollen Landschaften und Städten, die Felix kennenlernt. Hier ist für jede Altersgruppe etwas dabei, auch die erwachsenen Vorleser kommen mit Sicherheit auf ihre Kosten. Das Buch liefert allerhand Inspiration für die nächste Urlaubsplanung: Berge, See, Elbsandsteingebirge, Spreewald oder doch ein Städtetrip nach Köln?
Ein wirklich wunderbar zauberhaftes Kinderbuch zum immer wieder Anschauen. Absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 18.08.2020
Graw, Theresia

So weit die Störche ziehen / Die Gutsherrin-Saga Bd.1


sehr gut

„Vom Winde verweht“ während des Zweiten Weltkriegs in Ostpreußen: dramatische und emotionale Geschichte

1939: Die sechzehnjährige Dora Twardy lebt glücklich mit ihrer Familie auf dem elterlichen Gestüt in Ostpreußen. Sie reitet mit großer Begeisterung, ist zum ersten Mal verliebt, in Wilhelm, den besten Freund ihres Bruders, liebt Tanzen und Feste und freut sich auf ihre Zukunft auf dem idyllischen Gut. Doch mit dem Kriegsbeginn endet die Zeit ihrer Unbeschwertheit abrupt und nichts ist plötzlich mehr so, wie es einmal war. Als Dora den Kriegsfotografen Curt von Thorau kennenlernt, steht sie auch noch zwischen zwei Männern.

Theresia Graws Roman „So weit die Störche ziehen“ liest sich sehr angenehm und flüssig. Dank des natürlichen Schreibstils hatte ich keinerlei Schwierigkeiten, mich sofort in der Geschichte zurecht zu finden und zu Dora, aus deren Perspektive der Roman verfasst ist, einen Zugang aufzubauen.

Dora Twardy erinnert sehr an Scarlett O‘ Hara aus Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“. Sie lebt behütet auf einem Gut, ist sehr leidenschaftlich und willensstark, findet ihren eigenen Vorteil wichtiger als die Gefühle anderer und hat keine Ahnung von schlechten Zeiten. Doch mit Kriegsbeginn ist es mit dem angenehmen Leben vorbei und Dora muss lernen, Verantwortung zu tragen. Dabei verhält sie sich nicht immer emphatisch und rücksichtsvoll. So wie das junge Mädchen, die es gewohnt sind, immer das zu bekommen, was sie wollen, eben tun. Dora ist nicht perfekt, keine große politisch aktive Heldin, sondern einfach nur menschlich, dadurch authentisch und stimmig, aber nicht unbedingt immer hundertprozentig sympathisch. Genau wie Scarlett O‘Hara wächst sie mit ihren Aufgaben, entwickelt sich zu einer zupackenden, selbstbewussten und patenten Frau.
Auch Doras „Männer“ Wilhelm und Curt weisen Parallelen zu Ashley Wilkes und Rhett Butler auf. Aus diesem Grund hat mir die Personenkonstellation des Romans sehr gut gefallen. Einige Ähnlichkeiten - auch in der Dramaturgie- fielen sofort auf, andere waren etwas versteckter.

Während anfangs die Handlung noch etwas ruhiger und gemütlicher dahinzog und der Zufall für mich dabei manchmal eine zu große Rolle spielte, was teils etwas unglaubwürdig wirkte, fesselte mich die Geschichte ab dem Zeitpunkt der geplanten Flucht extrem. Die Szenen, die die Großmutter der Autorin wirklich ähnlich erlebt hat, werden so dramatisch, packend, emotional und mitreißend beschrieben, dass ich das Buch von da ohne Pause durchlesen musste. Ein ziemlich beeindruckendes Finale!

Theresia Graw hat die wahre Lebensgeschichte ihrer Großmutter mit Fiktion verwoben. Herausgekommen ist dabei ein packender Schmöker, der zum Ende hin seine volle Stärke entfaltet. Vor der großen „Schwester“ „Vom Winde verweht“ muss sich „So weit die Störche ziehen“ vor allem im Mittelteil und zum Schluss hin absolut nicht verstecken.