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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2018
Kospach, Julia

Das kleine Buch: Der Laubbaum


ausgezeichnet

»Die Blätter einer großen, alten Buche stoßen pro Stunde ungefähr 1,7 Kilogramm Sauerstoff aus. Das entspricht genau jener Menge Sauerstoff, die fünfzig Menschen brauchen, um eine Stunde lang atmen zu können.«

Laubbäume finden sich überall in unserer Umgebung. Nicht selten höre ich, wie Mitmenschen auf den Baum vor der eigenen Tür schimpfen. Weil im Herbst Laub gefegt werden muss oder weil dort, wo der Baum steht, ein Auto weniger parken kann. Aber er spendet auch Schatten und Sauerstoff, wichtige Lebensenergie gerade für den Städter.
Dieses Büchlein kann helfen, dem Leser den Laubbaum näherzubringen. Eigentlich gibt es von alters her schon eine tiefe Verbundenheit zwischen Mensch und Baum. Das wird einleitend erläutert und anhand von vielen Sprichworten und Ausdrücken, die ihren Ursprung im Wald haben, gezeigt.

Im Hauptteil werden dann 22 heimische Laubbäume vorgestellt, jedem ist eine Doppelseite gewidmet. Auf der einen Seite befinden sich jeweils vier Fotos. Eins zeigt den Baum als Ganzes, man hat dabei auch einen Eindruck von der Umgebung, in der er steht. Als nächstes ist ein Blatt abgebildet, dann die Früchte und schließlich die Rinde.
Die zweite Seite enthält viele Infos über den Baum, geordnet in vier Rubriken: Botanisches, Geschichte & Geschichten, Volksglaube & Volksmedizin und Holz.
Unter „Botanisches“ erfährt man natürlich Dinge wie z.B. Größe, max. Alter, bevorzugte Lage. Der Abschnitt „Holz“ informiert über Aussehen und Härte des Holzes sowie über seine Verwendungsmöglichkeiten. In den beiden anderen Abschnitten wird es teilweise recht unterhaltsam, vieles von dem, was unter „Volksmedizin“ aufgeführt wird, ist aus der Naturapotheke bekannt.

Beim Lesen darf man sich zudem über viele tolle Bilder freuen, Bücher und Adressen sowie Tipps zum Nach- und Weiterlesen runden alles perfekt ab.
Durch das handliche Format ist dieses Büchlein gerne beim Ausflug in die Natur in der Tasche dabei, ein sehr schönes Bestimmungsbuch ist das also!

Fazit: Informatives und Unterhaltsames rund um den grünen Freund vor unserer Tür.

Bewertung vom 28.07.2018
Wiegele, Miriam

Das kleine Buch: Wildblumen auf Wiesen und Almen


ausgezeichnet

Ich liebe Wildblumen! Und ich träume immer noch vom Lottogewinn. Danach sähe mein Plan so aus: Ich erwerbe ein Häuschen mit Garten und in diesem Garten lege ich mir eine wunderschöne, große Wildblumenwiese an. Herrlich!

Wildblumen sind aber nicht nur wunderschön, sie sind auch wichtiger Lebensraum für sehr viele Tiere. Zudem begleiten sie den Menschen durch seine ganze Geschichte, wurden/werden für medizinische Zwecke genutzt oder standen im Mittelpunkt von Volks- und Aberglauben.

Dieses Büchlein informiert zunächst grundlegend darüber, wo sich Wildblumen finden und was die spezifischen Eigenarten ihrer Wuchsflächen sind. Hier liest man zum Beispiel über die Gefährdung vieler Pflanzen durch Trockenlegung oder Umwandlung der Wuchsfläche in Ackerland. Oder darüber, dass manche Blumen als Unkraut bezeichnet und entsprechend bekämpft werden.

Im Hauptteil werden dann 26 Wildblumen vorgestellt, jeder wird eine Doppelseite gewidmet. Da finden sich zunächst ein Foto und die Merkmale der Blume (Wuchshöhe, Aussehen, Blütezeit u.a.). Außerdem der Punkt Namenskunde, bei dem ich die vielen existierenden Volksnamen sehr interessant und teils amüsant fand. (Akelei heißt da z.B. Schlotterhose ;-)
Weiter gibt es Angaben zur medizinischen Anwendung, der Punkt „Geschichte und Geschichten“ und vieles Informative mehr, was meist sehr unterhaltsam zu lesen ist. Da erfährt man zum Beispiel, dass die Frucht des Bockbarts als Modell für den ersten praktikablen Fallschirm verwendet wurde, dass das Klett-Labkraut Wissenschaftlern als Modell für den Klettverschluss diente, oder dass Römer und Kelten dem abendlichen Kinderbrei Mohnsaft beigemischt haben sollen, damit der Nachwuchs nachts schön Ruhe gab.
Auch alles, was man unter dem Punkt „Volksglauben“ zusammenfassen könnte, habe ich mit großem Interesse gelesen.

Das kleine handliche Format macht das Büchlein zu einem praktischen Begleiter für unterwegs, sehr gut also zum Bestimmen geeignet.

Fazit: Wildblumen sind nicht nur wunderschön, sondern auch nützlich. Und es ranken sich viele interessante Geschichten um sie. Mir sind die geliebten Blumen nun noch ein Stückchen nähergekommen.

»Hildegard von Bingen empfahl die Akelei gegen »schleimigen Husten«. In der Volksmedizin wurde sie nur gelegentlich bei Hautproblemen eingesetzt. Allerdings galt ein aus Akelei bereiteter Trank als wirksam gegen Impotenz, die durch Zauberei verursacht war. Aufgrund der Giftigkeit der Akelei sollte man von solchen Anwendungen in der heutigen Zeit freilich absehen.«

Bewertung vom 28.07.2018
Nedoma, Gabriela

Das große kleine Buch: Heilsalben aus Wald und Wiese


sehr gut

»Wer durch Wald und Wiese geht, betritt eine große Naturapotheke. Überall wachsen heilsame Pflanzenarzneien, kraftvolle Wirkstoffe und grüne Naturmedizin. In der Natur ist für alles ein Kraut gewachsen.«

Solange es Menschen gibt, gibt es Krankheiten und körperliche Beschwerden. Und es gibt das menschliche Bestreben, etwas dagegen zu tun. Schon früh erkannte man das ungeheure Potential, das ring um uns wächst und man begann, es zu nutzen. Auch der moderne Mensch kann davon noch profitieren.

Zur Grundausstattung jeder Hausapotheke gehören Salben. Wer es gerne natürlich mag, hat dort zum Beispiel eine Ringelblumensalbe liegen. In diesem Büchlein wird über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Heilsalben berichtet und es wird gezeigt, wie man sie selber herstellen kann.
Die Auswahl ist beeindruckend, kaum ein medizinischer Anwendungsbereich fehlt, unter den Rezepten finden sich sowohl alte, volksmedizinische als auch moderne.

Zunächst werden Grundlagen vermittelt. Dabei geht es zum Beispiel um die Beschaffung der notwendigen Pflanzen und die Regeln für ein umweltgerechtes Sammeln. Wie bereitet man dann die frischen Pflanzen für die weitere Verwendung vor? Welche Rohstoffe benötigt man ferner und welche Gerätschaften? Und welche Alternative gibt es für Veganer, die zum Beispiel kein Bienenwachs verwenden möchten?
Wichtig – und sehr gut, dass dies schon bei den Grundlagen steht – der Hinweis, dass auf das Gespräch mit dem Arzt nicht verzichtet werden kann!

Mit den einzelnen Salben geht es dann weiter. Die Punkte Wirkung, Anwendung und Herstellung werden gut herausgearbeitet, die Beschreibungen sind leicht verständlich und erscheinen recht unkompliziert. Hinweise zur Haltbarkeit sind ebenso vorhanden wie im Einzelfall solche zur möglichen Giftigkeit der Pflanzen. Sehr nett (schon beim Lesen) fand ich die Bratapfel-Schutzsalbe, bei der der leckere Salbenrückstand verspeist werden kann.

Ein paar Dinge vermisste ich aber im Buch. Zunächst bei den Grundlagen, präzise beim Punkt „Beschaffung der Pflanzen“. Ich bin nun mal eine Großstädterin, daher frage ich mich, wo genau ich diese Pflanzen finden kann? Muss ich in den Wald, an einen Fluss oder wohin? Und wie erkenne ich sie? Die kleinen Abbildungen reichen mir für eine sichere Identifizierung nicht aus, ich würde zumindest noch eine Großaufnahme der Blüten benötigen. Kann man natürlich alles googeln, aber schöner wäre es, wenn es gleich im Buch stände. Und für ein weiteres Foto plus Angabe der entsprechenden Wuchsorte hätte sich bestimmt noch Platz gefunden.
Außerdem fehlt mir ein nach Beschwerden sortiertes Inhaltsverzeichnis, das mir hilft, die für mein spezielles Problem hilfreiche Salbe zu finden. Für ein einfaches Nachschlagen ist das Buch also nicht geeignet.

Fazit: Sehr interessant und hilfreich, was die Natur vermag. Prima Grundlagenvermittlung, ein paar Punkte könnten aber noch optimiert werden.

»Das Wissen aus diesem Buch soll allen Menschen helfen, Beschwerden mit natürlichen Mitteln zu lindern, ihre Gesundheit zu stärken und das Vertrauen in die grüne Kraft der Natur wieder zu entdecken.«

Bewertung vom 22.07.2018
Kopetzki, Mathias

Bombenstimmung


ausgezeichnet

»Sie schalten ja ein bisschen langsam. Kann aber an Ihrer Nationalität liegen. Sie sind doch Perser, nicht wahr?«

Mathias Kopetzki ist eigentlich so deutsch, wie man nur sein kann. Geboren und aufgewachsen ist er in einem kleinen Ort in Niedersachsen. Seine Eltern heißen Maria und Helmut, seine Brüder Steffen und Axel. Er ist katholisch und war jahrelang Messdiener. Es könnte alles so einfach sein, wäre da nicht eine gewisse Sache, die sein Leben von klein auf beeinflusst, nämlich sein Aussehen. Mathias wurde als Baby adoptiert und man sieht ihm deutlich an, dass seine ursprüngliche Herkunft eben nicht deutsch ist. Und so muss er sein ganzes Leben lang erfahren, dass er in dem Land, das seine Heimat ist, eigentlich nicht dazugehört…

In diesem Buch lässt Mathias den Leser an seinen Erfahrungen teilhaben. Bereits als kleiner Junge fragt er sich, weshalb er auf Fotos so anders aussieht als der Rest seiner Familie. Aber schlimmer noch, beginnen auch andere ihn das zu fragen, und bis zur ersten offenen Diskriminierung dauert es nicht mehr lang. In der Folgezeit wird er das gesamte Spektrum an Rassismus erleben, das man sich vorstellen kann, von einfachen Vorurteilen angefangen über Beschimpfungen und Ausgrenzung bis hin zu offener körperlicher Gewalt.

»Woher können Sie eigentlich so gut deutsch?«

Wenn man das Buch liest, das an sich in einem sehr unterhaltsamen Stil geschrieben ist, durchlebt man ein Wechselbad der Gefühle. Manches ist einfach so skurril und absurd, dass man laut lachen könnte, wenn es nicht so traurig wäre. Andere Erlebnisse haben mich richtig wütend gemacht. Was für ein Glück hat man, wenn man mit der „passenden“ Herkunft geboren wurde! Während Mathias einer Gesellschaft voller besorgter Bürger den Spiegel vorhält, ist er gleichzeitig auf der Suche nach seiner Identität und versucht, trotz aller Widernisse seinen Weg zu gehen. In diesem Land, das seine Heimat ist.

»So gefährlich sehen Sie ja gar nicht aus!«

Mathias Kopetzki, geboren 1973 in Osnabrück, lebt heute in Berlin. Seit seinem Studium am Salzburger Mozarteum arbeitet er als Schauspieler für Theater, Film und Fernsehen sowie als Synchronsprecher, Regisseur, Autor und Dozent. Sein Buchdebüt „Teheran im Bauch“ habe ich gleich mal auf meine Leseliste genommen, ich möchte noch mehr über ihn erfahren.

Fazit: Dieses Buch sollte jeder lesen. Besonders wichtig wäre das für alle besorgten Bürger.

»Ich würde Sie ja gerne engagieren, aber wir sind hier kein Multikulti-Theater.«

Bewertung vom 22.07.2018
Ludwig, Mario

Nicht jeder kann ein Kätzchen sein


sehr gut

»Ihre unglaubliche Überlebensfähigkeit verdanken Bärtierchen einer genialen und im Tierreich einzigartigen Fähigkeit. Wenn sich ihre Umweltbedingungen verschlechtern, lassen sie sich einfach in den sogenannten Kryptobiosezustand fallen. Eine Art Extrem-Winterschlaf oder, wenn man so will, »Tod light«. … In diesem Zustand können Bärtierchen bis zu dreißig Jahre unbeschadet überdauern. Sobald sich die Umweltverhältnisse zum Besseren wenden, erwachen die skurrilen Tierchen innerhalb von fünf Minuten aus der Trockenstarre und sind … sofort wieder stoffwechsel- und sogar fortpflanzungsfähig und nehmen aktiv am Leben teil.«

Mario Ludwig, ein bekannter Autor von Natur- und Tierbüchern, stellt in diesem Buch die Tiere in den Fokus, die üblicherweise nicht als Lieblingstiere genannt werden, Tiere, die nicht flauschig und süß sind, sondern hässlich. Die nicht majestätisch oder beeindruckend wirken, sondern eher unscheinbar daherkommen. Und die trotzdem in sehr vielen Punkten eindeutig die Nase vorn haben.

Unterteilt nach Lebensräumen werden die unansehnlichen Vertreter der Tierwelt vorgestellt, samt ihrer besonderen Fähigkeiten. Ganz ehrlich: Ich bin aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen. Ein paar Beispiele:
Wer sich wie ich schon häufig darüber geärgert hat, dass kalte Finger im Winter die Arbeit erschweren, wird das Fingertier beneiden, das in der Lage ist, seinen Mittelfinger um 6° Celsius aufzuheizen, um ihn beweglicher und sensibler zu machen.
Der Nacktmull ist wirklich kein hübsches Tier, aber völlig schmerzunempfindlich. Außerdem altert er kaum und kann niemals im Leben Krebs bekommen. Da könnte man doch schon mal seine Prioritäten überdenken, nicht wahr?
Und die Mähnenratte sichert ihre Existenz mit hochgiftigen Haaren und einem äußerst stabilen Schädel samt extrem dicker Haut. Sollte der König der Tiere unvorsichtigerweise einen Biss wagen, stört das die Mähnenratte überhaupt nicht, den Löwen aber dafür umso mehr.

Aber am Rande: Auch was hässlich ist, liegt im Auge des Betrachters. Ich käme jedenfalls bei vielen hier genannten Tieren nicht auf den Gedanken, sie hässlich zu nennen. Seekühe zum Beispiel, oder Erdferkel. Bei einigen Tieren gab es leider keine Abbildungen, was ich sehr bedauert habe. Jeder weiß, wie ein Krokodil aussieht, da hätte es nicht unbedingt ein Bild gebraucht. Einen Bombardierkäfer jedoch erkennen sicher nur wenige, hier fehlte das Bild sehr. Und ein Kapitel mit „Das hässlichste Tier der Welt“ zu überschreiben und dann kein Bild zu bringen, passt für mich nicht zusammen.

Fazit: Hässlich aber erfolgreich, dieses Buch lässt einen nur noch staunen! Sehr unterhaltsam und kurzweilig geschrieben, nur ein paar Bilder mehr noch wären schön gewesen.

Bewertung vom 22.07.2018
Misch, Rochus

Der letzte Zeuge


ausgezeichnet

Rochus Misch, geboren 1917, war nie Mitglied der NSDAP. Wegen seiner Körpergröße und Statur wurde er nach der Musterung für die Leibstandarte SS Adolf Hitler ausgewählt. Er arbeitete bis zum letzten Tag als Leibwächter, Kurier und Telefonist Hitlers, hielt auch noch nach dessen Tod die Stellung im Führerbunker. Hier erzählt er seine Geschichte.

Als ich dieses Buch entdeckte, wurde ich gleich neugierig. Was war das für ein junger Mann, der da in unmittelbarer Nähe Hitlers seinen Dienst tat? Was bewegte ihn und wie dachte er über die furchtbaren Dinge, die um ihn herum geschahen?
Rochus Misch schrieb diese Autobiographie, eben weil ihn ständig aus aller Welt Fragen erreichten. Er erkannte den Wert, den sein Bericht für die Nachwelt hat, weil dieser den Leser zwingt, sich differenziert mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Diese Auseinandersetzung ist nicht leicht, die Wertung fällt schwer. Es ist ein unbequemes Buch, denn wie gerne würde man Misch, treues Mitglied des persönlichen Begleitkommandos Hitlers, einfach als Nazi verurteilen. Und sich sagen, dass man selber garantiert anders gehandelt hätte…

Misch als Person zu beurteilen, fällt schon schwer. Da gibt es so einiges, was Verständnis oder gar Sympathie weckt, andere Dinge befremden. Wie er auf seinen Posten kam, gehört zu den nachvollziehbaren Punkten.
Die Vollwaise Rochus Misch, aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte sich zu den SS-Verfügungstruppen gemeldet, weil diese mit Vergünstigungen und Zukunftsperspektiven lockten. 1939 wurde Misch in Polen schwer verletzt, hatte u.a. einen glatten Lungendurchschuss. Dass anschließend der Gedanke, wieder an die Front zurück zu müssen, ihm nicht gerade verlockend erschien, ist nur zu verständlich. Als für das persönliche Begleitkommando des Führers ein »absolut zuverlässiger junger Mann« gesucht wurde, der »keinen Ärger macht«, kam man auf Misch.
Dieses Anforderungsprofil trifft seinen Charakter recht gut. Er war zuverlässig auf seinem Posten, tat pflichtbewusst seine Arbeit, war immer da, wenn man ihn brauchte und hielt ansonsten den Mund. Wenn er erzählt, kommt es einem so vor, als hätte er einen ganz normalen Job bei einem ganz normalen Arbeitgeber gehabt. Da ist nichts von Aggressivität in seinem Bericht, er wirkt auch nicht sonderlich politisch. Zu interessieren scheint ihn nur, wie es ihm und seiner Familie geht. Das wirkt nicht bösartig oder egozentrisch, er denkt einfach nicht weiter. Vermutlich gab und gibt es sehr viele Menschen wie ihn.

Befremdlich wird es, wenn er beispielsweise den Privatmann Hitler als »normaler, einfacher Mann, der einfachste Mensch, den ich kannte« beschreibt. Ich möchte ganz einfach Hitler nicht als normalen Menschen betrachten, nicht mal, wenn ich lese, wie er im Schlafanzug nach einer Wärmflasche für seine Füße verlangt. Misch betont immer wieder, dass er keine Kenntnis darüber hatte, was in den Konzentrationslagern vor sich ging. In der Nähe des Führers wäre nie über so etwas gesprochen worden, auch unter den Kameraden nicht. Kann das wirklich so stimmen?

Rückblickend verurteilt Misch die Taten der Nazis, fragt sich sogar, wie »Untaten solchen Ausmaßes nur ein so gut gehütetes Geheimnis bleiben konnten«. «. Aber damals lebte er ein Dasein voller Widersprüche, vermittelte den ganzen Tag über Telefonate für Hitler und ging abends nach Hause, zur politisch links eingestellten Ehefrau und hörte mit dem Schwiegervater zusammen den Feindsender. Der Eindruck manifestiert sich, dass dieser junge Mann einfach nur überleben wollte und die Realität um sich herum bewusst ausblendete. Wenn er berichtet, wie Magda Göbbels ihren Kindern die Totenhemdchen anzieht, merkt man allerdings, dass der Familienvater Misch dabei an seine Grenzen kam.

Das Buch enthält neben vielen Fotos auch detaillierte Karten von Führerbunker und Reichskanzlei, einen umfangreichen Anhang mit geschichtlichen Erläuterungen und zahlreichen Kurzbiographien.

Bewertung vom 22.07.2018
Rademacher, Cay

Der Fälscher / Oberinspektor Stave Bd.3


ausgezeichnet

»Trümmerfrauen haben den Schlamassel entdeckt. Sie haben am Haus gearbeitet, als eine Windböe eine Mauer umgeworfen hat. Können von Glück sagen, dass sie nicht erschlagen worden sind. Als sich der Staub legte, haben sie ein Skelett entdeckt. Und dann noch ein Kunstwerk.«

Hamburg, im Juni 1948. Oberinspektor Frank Stave ist gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Während eines Einsatzes war er niedergeschossen worden, hatte im Krankenhaus viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Zurück im Dienst lässt er sich von der Mordkommission zum Chefamt S versetzen, das den Schwarzmarkt bekämpft.
Als in den Trümmern eines Kontorhauses Kunstwerke gefunden werden, soll er sich eigentlich nur um deren Herkunft kümmern. Und nicht um die Ermittlungen zu dem Skelett, das gleich daneben gefunden wurde. Aber Stave kann nicht aus seiner Haut, zumal ihm auffällt, dass der Kollege aus der Mordkommission gar nicht daran denkt, den Todesfall zu untersuchen.
Damit nicht genug, Staves Freund, Lieutenant MacDonald, bittet ihn um Hilfe in einem speziellen Fall. Der Tag X naht, die Einführung der neuen Währung. Bislang herrscht größte Geheimhaltung, doch trotzdem tauchen auf dem Schwarzmarkt eigenartige Geldscheine auf, was die Alliierten sehr beunruhigt.

Mit diesem Krimi unternimmt der Leser wieder eine Zeitreise. Cay Rademacher schildert so intensiv, dass man meint, um sich herum die Trümmer zu sehen. Stave muss nicht nur in seinen Fällen ermitteln, sondern auch privat zusehen, wie er sein Überleben sichert. Schließlich sind auch für ihn die Geschäfte leer und die Erlebnisse aus dem Krieg ein Trauma, das bewältigt werden will.

Die herrschende Armut, die gesamten Lebensumstände und der Wirbel rund um die Einführung der D-Mark prägen das Buch. Ebenfalls im Fokus steht die Vergangenheitsbewältigung, auch im Hinblick auf den Umgang mit Nazis und NS-Verbrechern. Viele kamen bekanntlich ungeschoren davon, das wird hier angeprangert. Mittendrin findet sich die Krimihandlung, die aus heutiger Sicht ungewöhnlich wirkt, aber perfekt in den zeitlichen Rahmen passt.

Dies war nach „Der Trümmermörder“ und „Der Schieber“ der dritte und letzte Fall für Frank Stave. Man kann jeden Band unabhängig voneinander lesen.

Fazit: Großartiger Krimi mit ganz viel Zeitgeschichte. Schade, dass diese Reihe nur aus drei Bänden besteht!

Bewertung vom 10.07.2018
Burger, Wolfgang

Schlaf, Engelchen, schlaf / Kripochef Alexander Gerlach Bd.13


sehr gut

»Du hast gedacht, ich habe dich vergessen? Habe ich nicht. Ich werde dich nie vergessen. Erst, wenn du tot bist und vermodert, dann werde ich dich vergessen.«

Mails mit einem solchen Wortlaut können einen schon beunruhigen. Kein Wunder, dass der Empfänger Prof. Dr. Jan-Friedrich Henecka Hilfe sucht. Der Heidelberger Kripochef Alexander Gerlach ist zwar derzeit krankgeschrieben, doch wer ihn kennt, der weiß, dass er viel besser gesundet, wenn er etwas zu tun hat. Als eine Art Privatermittler nimmt Gerlach die Recherche auf und stößt in Heneckas Vergangenheit schon bald auf zwei spektakuläre Ereignisse. Vor etwa 16 Jahren verschwand die kleine Lisa, die beste Freundin von Heneckas Tochter Merit. Zuletzt hatten die Mädchen Merits 8. Geburtstag gefeiert, dann machte sich Lisa auf zu ihrem nur 200 Meter entfernten Zuhause, kam dort jedoch nie an. Bis heute fehlt von ihr jede Spur. Letzteres trifft auch auf Heneckas Ehefrau zu, die noch vor Lisa verschwand. Gerlach vermutet, dass jemand guten Grund hat, den Professor zu bedrohen…

Auch den 13. Fall für Alexander Gerlach habe ich wieder genossen. Der Aufbau ist einfach gut gemacht, die Handlung wird spannend erzählt und entwickelt. Es gibt so viele Ermittlungsansätze, dass ich lange Zeit keine Ahnung hatte, wie sich das alles am Ende auflösen soll. Zu meiner Freude war alles stimmig und logisch, wirkte nachvollziehbar.

Die Ermittlungen sind diesmal erschwert, da Gerlach ja privat und heimlich agiert – man ist ja schließlich krank. Ohne die gelegentliche Unterstützung von Sohn Henning („Was darf ich diesmal Gesetzwidriges für dich tun?“) wäre er vermutlich grandios gescheitert.

Gerlach als Privatermittler ist sicher mal was anderes, mir fehlten aber seine Kollegen Balke und Vangelis, auch Runkel tauchte nur mal am Rande auf und Sönnchen, sonst unverzichtbar bei jedem schwierigen Fall, spielte ebenfalls keine Rolle wie sonst. Das fand ich sehr schade, habe aber Hoffnung für Band 14, schließlich ist Gerlach bei soviel Arbeit wieder gesund geworden ;-)

Fazit: Wieder ein spannender Fall! Gerlach als Privatermittler muss für meinen Geschmack aber nicht sein, er handelt ja auch im Dienst nicht ausschließlich nach den Buchstaben des Gesetzes.