Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
nil_liest
Wohnort: 
Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

Cristina Henríquez' Roman Der große Riss entfaltet ein faszinierendes Panorama historischer Umbrüche und menschlicher Schicksale zur Zeit des Baus des Panamakanals. Besonders beeindruckend ist ihre Erkundung der Frage, wie nah Fortschritt und Ausbeutung beieinanderliegen und wie tief soziale, ethnische und geschlechtsspezifische Gräben die damalige Gesellschaft durchzogen. Henríquez erzählt aus der Perspektive von Frauen und gibt damit jenen Menschen eine Stimme, die oft im Schatten der großen historischen Narrative stehen. Daher ist dieser Roman heutzutage sehr wertvoll!
Die poetische Sprache des Romans, die sich bereits in der atmosphärisch dichten Eröffnung zeigt, entfaltet eine beeindruckende Bildkraft. Francisco, der Fischer, und sein in handwerklicher Präzision gebautes Boot symbolisieren die alte Welt, die mit dem technokratischen Fortschritt der Kanalbauprojekte kollidiert. Henríquez fängt in ihren Naturbeschreibungen eine fast mythische Ruhe ein, die durch den Einbruch der Moderne zerstört zu werden droht. Diese Faszination für das Fremde, das Ursprüngliche und die natürlichen Rhythmen des Meeres und der Arbeit verleiht dem Roman eine zusätzliche, fast kontemplative Dimension.
Gleichzeitig verleiht die Autorin auch den Frauenfiguren eine erzählerische Tiefe, die ihre Rolle in der Gesellschaft infrage stellt. Marians Geschichte etwa, die auf erschütternde Weise von den Ungleichheiten zwischen Mann und Frau berichtet, zeigt, wie tief patriarchale Strukturen verwurzelt sind. Dabei wird deutlich, dass Henríquez nicht nur an historischen Fakten interessiert ist, sondern an den inneren Welten ihrer Figuren, an den oft unausgesprochenen Konflikten und der Suche nach Selbstbestimmung.
Der Roman gelingt als eindrucksvolle Verbindung von großem historischen Drama und intimen Einzelschicksalen. Er fängt die Ambivalenz eines gigantischen Projekts ein, das sowohl Hoffnung als auch Zerstörung brachte, und macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Fragen von damals keineswegs ihre Relevanz verloren haben. Der große Riss ist damit nicht nur ein packender historischer Roman, sondern auch eine vielschichtige Reflexion über Machtverhältnisse, Widerstand und den Preis des Fortschritts.

Bewertung vom 16.02.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


sehr gut

Der Roman beginnt mit Klaras Tod, einem mysteriösen Absturz beim Wandern, der im Verlauf der Geschichte als unausgesprochener Katalysator wirkt. Dieser erzählerische Kunstgriff – die Umkehrung von Anfang und Ende – verleiht dem Werk eine dichte Atmosphäre, die von Beginn an Spannung aufbaut. Susanne Gregor meidet spektakuläre Wendungen zugunsten eines subtilen Spiels aus Andeutungen, Rückblenden und leisen Beobachtungen, die viel Raum für eigene Deutungen lassen. Muss man nicht mögen, ich fand es super gemacht.
Die Stärke des Romans „Halbe Leben“ liegt in der psychologischen Ausgestaltung seiner Figuren. Klara und Paulína werden in all ihrer Widersprüchlichkeit und Ambivalenz gezeichnet. Klara, die in der Illusion lebt, alles unter Kontrolle zu haben, wirkt einerseits bewundernswert zielstrebig, andererseits distanziert und emotional unzugänglich. Paulína hingegen, die scheinbar selbstlos den Haushalt übernimmt, trägt eine Last, die in jeder Geste und jedem unausgesprochenen Gedanken spürbar wird. Es ist ein Gleichgewicht, das ständig zu kippen droht – zwischen Nähe und Abhängigkeit, Dankbarkeit und Ausbeutung. Ein Balanceakt.
Gregor seziert mit beeindruckender Präzision die soziale Ungleichheit zwischen den Frauen und deren Lebensrealitäten. Dabei stellt sie unbequeme Fragen: Was bedeutet es, wenn Fürsorge zur Dienstleistung wird? Welche emotionalen und gesellschaftlichen Kosten birgt ein System, das familiäre Verantwortung auslagert? Besonders eindringlich ist Gregors Blick auf die unsichtbaren Opfer dieses Arrangements – Paulínas Kinder, die von ihrer Mutter nur aus der Ferne betreut werden, während sie sich um Fremde kümmert.
Die Sprache des Romans ist unaufgeregt und prägnant, und gerade in ihrer Reduktion entfaltet sie eine enorme Intensität. Susanne Gregor gelingt es, ohne Pathos oder moralische Urteile die innere Zerrissenheit ihrer Figuren spürbar zu machen. Ihre Worte wirken wie feine Nadelstiche, die den Leser immer wieder zum Innehalten zwingen.
Halbe Leben ist ein Roman, der weit über die individuelle Geschichte hinausgeht und den Finger auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit legt: die Last und Verteilung von Care-Arbeit. Dabei bleibt das Buch wohltuend unsentimental, fast dokumentarisch, ohne dabei an Emotionalität zu verlieren.
Fazit: Mit ihrem Roman Halbe Leben legt Susanne Gregor ein vielschichtiges Werk vor, das sich der feinen Vermessung zwischenmenschlicher Abgründe und gesellschaftlicher Verwerfungen widmet. In einer klaren, nüchternen Prosa erzählt sie von Klara, einer erfolgreichen Architektin, die für das Leben ihrer Mutter Irene nach deren Schlaganfall eine Pflegerin engagiert: Paulína, eine Frau aus der Slowakei, deren eigene Familie unter ihrer Abwesenheit leidet.

Bewertung vom 16.02.2025
Frau Hempels Tochter (eBook, ePUB)
Berend, Alice

Frau Hempels Tochter (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Habt ihr schon von Alice Berend gehört? Unfassbar, dass diese Schriftstellerin in Vergessenheit geraten ist, war sie doch zum Beginn des 20. Jahrhunderts einer der meistgelesenen Autorinnen Deutschlands. Was geschah? Simple und niederschmetternd: Sie war Jüdin und ihre Bücher wurden unter den Nationalsozialisten verboten.
“Die besten und die schlimmsten Tage haben gemeinsam, dass man sie erst spürt, wenn sie vorüber sind.” (S 144)
‚Frau Hempels Tochter‘ wurde nun nach sachten Restaurationsarbeiten im Reclam Verlag erneut publiziert und ich danke dem Verlag für diesen Vorstoß! Dieses Buch bietet eine einfache Geschichte, aber ist ein historisches Dokument. Wenn die Portiersfrau den Kuchen zum Bäcker bringt zum Backen, weil es keinen eigene Ofen gibt. Heute erstaunlich zu lesen, damals scheinbar Gang und Gebe. Zuerst erschienen 1913, hat es eine immense Auflage, es war das zweite erfolgreiche Buch der Autorin Alice Berend.
“Die meisten Menschen reden zu viel. Sie vergessen, dass es beim Sprechen nicht auf die Masse ankommt. Die richtige Wahl der Worte ist alles.” (S 24)
Alice Berend, durch und durch Berlinerin, portraitiert das Leben im Moloch Großstadt gekonnt und wenn da Wörter wie „pletten“ (=bügeln) fallen, dann merke ich das sich ein wenig Heimat hier niederschlägt.
„Geflüsterte Worte sprechen doppelt laut im Gedächtnis.“ (S 38)
Es geht im Grunde um Frau Hempel, Portiersfrau, mitten in Berlin. Ihr Mann ist Schuster und ihre Tochter Laura ein entzückendes Wesen. Mutter möchte für das Kind eine bessere Zukunft und hofft auf einen Verehrer aus höherem Stand. Laura verliebt sich in einen Grafen, leider aus verarmtem Hause und mit einer Gräfinnen-Mutter, die davon wenig amüsiert ist, wem es ihrem Sohn angetan hat. Es folgen noch Wendungen, die scheinbar für alle die Karten neu mischen und die Geschichte nimmt seinen Lauf.
Wie erwähnt, die Geschichte ist nicht sonderlich trickreich, aber die erzählweise, auch wenn es ein Unterhaltungsroman zur damaligen Zeit war, ist historisch spannend und schön geschrieben. Eine Fülle an Aphorismen und Zitaten habe ich mir aufgeschrieben.
Der Mensch tastet in Lärm und Ungewissheit vorwärts, aber still und sicher geht die Zeit ihren Weg. (S 135)
Auf jeden Fall sollte man das sehr gelungene Nachwort von Marget Greiner lesen, das rundet das Lesevergnügen besonders ab und meine Neugier über die Schriftstellerin war (zum Teil) gestillt.
Nun – lieber Reclam Verlag, wann kommt den eines der anderen Werke von Alice Berend neu aufgelegt in die Buchhandlungen?

Bewertung vom 12.02.2025
Pink Elephant
Kieser, Luca

Pink Elephant


ausgezeichnet

Drei Jungs – Ali, Tarek und Vincent. Vincent, das Opfer aus dem Reihenhaus. Ali und Tarek, Hochhauskinder, diejenigen, die ihn scheinbar grundlos vermöbeln. Es kommt zu einem Täter-Opfer-Gespräch und Vincent wird neugierig. Ist er hier wirklich das Opfer?
Drei Freunde - Ali, Tarek und Vincent. Die drei kommen sich näher. Vincent findet hier mit seinen 14 Jahren etwas was er von zu Hause nicht kennt: echtes Leben. Seine Eltern sind karrieretechnisch auf der Überholspur, haben aber ihr Einzelkind wohlstandsverwahrlosen lassen. Vincent sieht in Tarek und Ali seine Crew.
Diese Geschichte rauscht förmlich auf eine Katastrophe zu. Toll erzählt und mit viel Bedacht formuliert. Spannend ist diese Coming-of-Age Geschichte auch alleine aus dem Grund, dass man in Frage stellen könnte, ob Luca Kieser es zusteht so einen Roman zu schreiben. Viele Klischees schwingen mit, wenn hier über den weißen privilegierten Jungen aus dem Reihenhaus gesprochen wird und den Kindern mit Migrationshintergrund, die im Hochhaus leben. Hierzu ist wohl recht viel an Auseinandersetzung im Bezug auf Rassismus in dieses Roman geflossen, zwei Sensitivity reader haben den Autor beraten. Ein genaues Lektorat und eine lange Auseinandersetzung des Autors mit den pain points. 10 Jahre lang hat Luca Kieser am Roman geschrieben.
Ich finde ihn gelungen.

Bewertung vom 09.02.2025
Ein Liekesch für Jascha
Zaeri-Esfahani, Mehrnousch;Angel, Frauke

Ein Liekesch für Jascha


ausgezeichnet

Was um alles in der Welt ist ein Liekesch? Fragt man sich doch, wenn man diesen Titel liest: „Ein Liekesch für Jascha“. Recht einfach erklärt, denn der kleine Jaša aus Bosnien ist noch nicht so lange in Deutschland, dass er jedes Wort in der Schule versteht und so wird kurzer Hand aus der Bemerkung der Sportlehrerin, dass Jaša ein paar Liegestütze machen soll um die dünnen Ärmchen aufzupeppen: Liekesch. DAS zentrale Element dieser Geschichte. Wo findet man dieses Sportgerät? Richtig, im Sportgeschäft, hier trifft er auf einen jungen Mann, Frank, der scheinbar Rechtschreibschwierigkeiten hat und seiner kürzlich verstorbene Mutter Briefe schreibt. Das eine kommt zum anderen und Frank und Jaša, den man allerdings Jascha ausspricht, haben sich gefunden.
Eine zarte Geschichte über das Leben mit all seinen Hürden die es so mit sich bringen kann. Ohne Belehrung, einfach mit viel Gefühl erzählt. Hier fühlen sich sicherlich viele abgeholt, die sich als defizitär empfinden. Tolle Geschichte und gut geschrieben von dem Duo Mehrnousch Zaeri-Esfahani & Frauke Angel. Wunderbar ist auch die Art wie Franks Briefe inklusive der Rechtschreibfehler (natürlich verbessert!) dargestellt werden. Großartig.
Auch tun die schönen Illustrationen von Barbara Jung natürlich auch noch viel mit dem Text. Beides ergänzt sich sehr gut.
Selbst lesbar ab der 2/3 Klasse. Die Altersangabe an 8 Jahren passt. Vorlesbar auch schon ab der Vorschule.
Fazit: Was ein herzallerliebstes Buch! Muss in alle Kinderzimmer einziehen, weil es nett ist und viel Wärme verströmt.

Bewertung vom 02.02.2025
Umlaufbahnen
Harvey, Samantha

Umlaufbahnen


ausgezeichnet

Es gab sooooo mega viele gute Besprechungen über Umlaufbahnen von Samantha Harvey, da konnte ich nicht widerstehen und wollte es auch lesen. Hier verschiebt sich die Perspektive im wahrsten Sinne des Wortes beim Lesen.
Samantha Harvey nimmt uns mit in eine Raumstation, in der vier Männer und zwei Frauen (davon 2 Kosmonauten) inmitten der Unendlichkeit des Alls die Erde sechzehnmal am Tag umkreisen. Diese scheinbar einfache Prämisse entfaltet eine unendliche Komplexität. Die Protagonist:innen schweben nicht nur physisch, sondern auch emotional und existenziell – zwischen der Sehnsucht nach dem Planeten, den sie hinter sich gelassen haben, und der Ehrfurcht vor der erhabenen, verletzlichen Schönheit dieser leuchtenden Kugel im Nichts. Die Idee, diese Dualität zwischen Nähe und Distanz, zwischen Isolation und universeller Verbindung zu erforschen, ist schlicht genial.
Die Prosa ist von einer sprachlichen Eleganz, die ihresgleichen sucht. Die Beschreibungen der Erde aus dem All – „diesiges blassgrün schimmerndes Meer“ oder „Gran Canarias steile, strahlenförmige Schluchten wie eine eilig gebaute Sandburg“ – sind so präzise und poetisch, dass man das Gefühl hat, die Welt tatsächlich mit den Augen der Astronaut:innen zu sehen. Die Erde wird zur Diva in einem Ozean der Leere, gleichzeitig majestätisch und fragil.
Die fragmentarische Struktur des Romans, die auf klare Handlung und Spannungsbögen verzichtet, spiegelt die Schwerelosigkeit des Settings wider. Gedanken, Erinnerungen und Beobachtungen treiben wie Partikel im Raum und bilden ein einzigartiges literarisches Mosaik. Der Booker Prize 2024 ist sehr verdient gewonnen.
Der Roman wird von existenziellen Überlegungen durchzogen wie ein stilles Pulsieren, verstärkt durch die persönlichen Geschichten der Astronaut:innen: die sterbende Mutter einer Raumfahrerin, die Fragen einer Tochter, die Sehnsucht nach Blumen vor einem Fenster in Moskau. Es macht das Lesen so wahnsinnig intensiv. Das letzte Mal, dass ich mich so unbedeutend klein in diesem Universum fühlte, war am Abgrund des Grand Canyon.
Die Isolation des Alls bringt die Charaktere nicht nur einander näher, sondern auch sich selbst. Samantha Harvey zeigt mit großem Einfühlungsvermögen, wie widersprüchlich der menschliche Geist ist: der gleichzeitige Wunsch, zurückzukehren, und für immer zu bleiben. Diese Paradoxien machen das Buch so zutiefst menschlich und berührend.
Der Roman ist auch äußerst gut von Julia Wolf übersetzt. Großartig auch, dass sie es auf den Klappentext hinten geschafft hat. Immerhin außen sichtbar. Tolle Übersetzungsleistung.
Fazit: Dieser Roman ist große Kunst! Ein außergewöhnliches Buch, das sowohl Herz als auch Verstand anspricht. Wer sich auf die Schwerelosigkeit dieser poetischen Reise einlässt, wird nicht nur die Erde, sondern auch sich selbst mit neuen Augen sehen.

Bewertung vom 01.02.2025
Not your Darling
Blake, Katherine

Not your Darling


gut

Eines dieser Bücher, die leicht starten und dann doch eine unerwartete Wendung nehmen und es "schwerer" wird. „Not your darling“ von Katherine Blake ist ein leicht lesbarer Roman, in dessen Zentrum Loretta Darling steht, die eigentlich anders heißt….denn sie ist aus Großbritannien durch einen Coup in den USA gelandet mit dem unverrückbaren Ziel: Hollywood. Sie erreicht ihr Ziel, lernt neue Leute kennen und ergattert Jobs, erst als Kellnerin und dann in der Branche ihrer Wahl: Makeup Artistin! Sie hat ein unvergleichliches Gespür ein Gesicht in Szene zu setzen und erarbeitet sich den Spitznamen LipGirl. Das ist aber nur eine Seite der Geschichte, es gibt auch sehr unangenehme Ereignisse, in ihrer Gegenwart und Vergangenheit.
Einerseits liest es sich locker und leicht, weil sie eine starke Frau ist, die sich dem ein und anderen Kniff bedient und so sich das Leben zu dem macht wie sie es braucht. Einschüchtern, dass klappt bei ihr nicht. Aber es sind nun mal die 50er Jahre und das Patriachat und deren misogyne Ausprägungen werden hier sehr deutlich aufgezeigt. Machtlos und wehrlos stehen Frauen diesem oft gegenüber. Zum Schreien!
Dieser Roman kombiniert die Leichtigkeit und den Aufbruch in ein neues Leben mit dem furchtbaren männlichen Selbstverständnis mehr Macht zu haben. Auch hier wird differenziert was ich gut fand, es gibt auch positive Männer, die sich anders verhalten.
Leider sind so mache Szenen entweder einem schnellen Lektorat zum Opfer gefallen oder die Übersetzung passt nicht ganz. Oder beides. Die Figuren lesen sich so manches Mal etwas hölzern und dann wunderte es mich und die Geschichte kommt mental ins Stocken.
„Wir kommen allein auf diese Welt und verlassen sie allein wieder. Was wir in der Zwischenzeit machen, liegt an uns. Also, halt an deinen Plänen fest, was auch immer du für welche hast. Setz sie um, und lass dich von niemandem ablenken, besonders nicht von den Männern. Deine Ambitionen sind das einzige Glück, das du jemals empfinden wirst.“ (S 186)

Ansonsten, eine Frau, die ihren Weg geht, sehr konsequent handelt, auch wenn es so manches mal drüber ist und kämpft für eine neue bessere Zukunft in vielerlei Hinsicht. Es gibt herrliche Stellen, diese überzeichneten Momente, wo Loretta nonchalant die anderen an die Wand spielt.

Durch das Setting in Kalifornien in den 50er Jahren musste ich ab uns an, an "Eine Frage der Chemie" denken und wenn es um das Aufsteigen und das Vorankommen geht, dass Loretta so stark an den Tag legt, hatte ich "City of Girls" im Hinterkopf.

Bewertung vom 26.01.2025
Rückkehr nach Budapest
Kiss, Nikoletta

Rückkehr nach Budapest


ausgezeichnet

Als ich dieses Buch las, dachte ich oft an Menschen, die diese Zeit so intensiv miterlebt haben wie die Protagonisten in diesem Roman. Ich konnte mir bereits gut vorstellen, wie es war. Muss also für „Zeitzeugen“ noch toller sein, als öffnete man eine alte Schachtel voller Sommererinnerungen – nach Sonne duftend, bittersüß, ein wenig verblichen. Nikoletta Kiss gelingt es mit einer beeindruckenden Leichtigkeit, mich in eine vergangene Welt zu entführen, die für mich so ganz fremd war.
Es ist due Geschichte von Márta, die in den Wirren der Vorwendezeit zwischen Budapest und Ost-Berlin nach ihrem Platz sucht.Besonders die Schilderungen der Sommer am Balaton – dieser endlosen, magischen Tage, an denen die Zeit stillzustehen schien, bleiben mir in Erinnerung. Kiss beschreibt mit einer solchen Präzision, wie Márta und ihre Cousine Theresa zwischen Maisfeldern und Seeufer ihre Kindheit und Freundschaft leben, dass ich den heißen Teer unter den Schuhen und den Geruch von Sonnencreme förmlich spüren konnte.
Doch was dieses Buch so besonders macht, ist nicht nur die Nostalgie, sondern auch die historische Tiefe, mit der Kiss das Leben in den 1980er Jahren einfängt. Die politischen Spannungen, die Enge und Freiheit des Lebens hinter dem Eisernen Vorhang, die rebellische Kunstszene in Ost-Berlin – all das wird lebendig erzählt.
Die Figuren sind allesamt komplex und ambivalent. Márta, die Erzählerin, erscheint oft unsicher und nachdenklich, immer im Schatten ihrer extrovertierten Cousine Theresa. Doch gerade diese Verletzlichkeit macht sie so nahbar. Der Verrat, der im Zentrum der Geschichte steht, wirft viele Fragen auf: Wie viel Verantwortung tragen wir für die Entscheidungen unserer Vergangenheit? Können alte Wunden je wirklich heilen?
Toll erzählt ist der Roman, die Autorin verwebt die Schicksale der Figuren kunstvoll miteinander, während sie die Themen Schuld, Loyalität und Selbstfindung aufgreift.
Super Buch, kann ich sehr empfehlen.

Bewertung vom 25.01.2025
Drei Wochen im August
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


sehr gut

In Drei Wochen im August entfaltet Nina Bußmann ein vielschichtiges psychologisches Drama, das vor allem durch die subtilen literarischen Mittel und die komplexe Figurenzeichnung überzeugt. Der Roman spielt in einem abgelegenen Ferienhaus an der französischen Atlantikküste, einem Ort, der von Naturkatastrophen, Konflikten und ungelösten Spannungen durchzogen ist. Doch das eigentliche Drama geschieht im Inneren der Figuren und in den unausgesprochenen Worten zwischen ihnen.
Bußmanns Sprache ist präzise, oft nüchtern, dabei aber voller doppelter Böden. Die narrative Struktur wechselt zwischen den Perspektiven von Elena, der Mutter, und Eve, der Babysitterin. Dieser Perspektivwechsel ist mehr als ein erzählerisches Stilmittel: Er erlaubt es, die Dynamik zwischen den Figuren aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und ihre Wahrnehmungen gegeneinander abzuwägen. Dabei wird deutlich, wie sehr beide Frauen – auf ihre Weise – von Unsicherheiten und unausgesprochenen Bedürfnissen geprägt sind.
Die Kürze und Fragmentierung der Kapitel spiegelt das zerrüttete Innenleben der Figuren und die Atmosphäre der latenten Bedrohung wider. Einige Kapitel sind nur wenige Zeilen lang, wirken wie ein Gedanke, der auf halbem Weg abbricht – ein Stilmittel, das die Unruhe und das Unausgesprochene unterstreicht.
Das Setting ist ein weiterer zentraler Bestandteil des Romans. Die sommerliche Hitze, die sich auf die Figuren legt, die Waldbrände, die sich unaufhaltsam nähern, und das Meer, das gleichermaßen bedrohlich und faszinierend wirkt, schaffen eine bedrückende Atmosphäre. Bußmann nutzt die Natur als Spiegel für die inneren Spannungen der Figuren. Das Meer, das sich erst zurückzieht und dann plötzlich mit Gewalt wiederkommt, könnte kaum passender als Metapher für die unvorhersehbaren emotionalen Strömungen der Figuren gewählt sein.
Ein zentrales Thema des Romans ist die Unfähigkeit zur Kommunikation. Die Figuren leben nebeneinander her wie auf Inseln – isoliert, unfähig, Brücken zu schlagen. Diese Isolation zeigt sich besonders in der Beziehung zwischen Elena und Eve: Während Elena Eve als Vertraute und Hilfe wahrnimmt, erlebt Eve die Beziehung distanzierter und konkurriert heimlich um die Zuneigung von Elenas Kindern. Die Konflikte bleiben meist unausgesprochen, was ihre destruktive Kraft nur verstärkt.
Gleichzeitig dekonstruiert der Roman traditionelle Rollenbilder. Ohne sie explizit zu problematisieren, zeigt Bußmann Figuren, die sich außerhalb heteronormativer Muster bewegen und deren Beziehungen durch eine stille, subversive Kraft geprägt sind.
Ich habe den Roman gerne gelesen, ist aber eventuell nicht für jeden was. Denn einige Passagen wirken etwas überladen, fast als wolle der Text zu viel auf einmal vermitteln. Dies führt gelegentlich dazu, dass der Lesefluss ins Stocken gerät. Zudem bleiben manche Handlungsstränge oder Aussagen der Figuren bewusst offen, was zwar den Reiz des Textes erhöht, aber auch das Gefühl hinterlässt, dass nicht alle Fragen geklärt werden.

Bewertung vom 21.01.2025
Munk
Weiler, Jan

Munk


sehr gut

Die Geschwindigkeit einer Rolltreppe liegt bei 1,8 bis 2,7 km/h und ist somit nicht sonderlich schnell. Noch blöder, wenn einem ausgerechnet hier mit knapp über 50 Jahren in einem Kaufhaus das Herz stehen bleibt. So ergeht es Munk, Peter Munk. Ein erfolgreicher Architekt, der voll im Leben steht.
Die Geschichte ist aus der männlichen Perspektive erzählt. Ein Mann in den besten Jahren (aus seiner Sicht), der sich durch die alltäglichen und nicht ganz so alltäglichen Herausforderungen seines Lebens kämpft. Nun also Herzinfarkt auf der Rolltreppe und vor seinem inneren Auge begegnet er genau den 13 Frauen erneut mit denen er inning verbunden war.
Wie beispielsweise Nicole, die erste Liebe oder Claudia, seine längste Beziehung und so geht es 13 Mal durch sein Liebensleben, immer mit Erkenntnissen, oft zu spät. Herrlich unterhaltsam, gut zu lesen. Hat Spaß gemacht.
Was mich dabei besonders begeistert hat, ist die feine Beobachtungsgabe des Autors: Er nimmt die kleinen, scheinbar banalen Situationen des Lebens und verleiht ihnen eine absurde, fast komische Tiefe, die einen unweigerlich schmunzeln lässt.
Wie viele Texte von Jan Weiler, unterhaltsam, es sollte keine augenöffneten Erkenntnisse erwartet werden. Ein Mann, ein bewegtes Liebesleben und seine Reflektion darüber.