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Forti

Bewertungen

Insgesamt 211 Bewertungen
Bewertung vom 05.08.2022
Tevis, Walter

Der Mann, der vom Himmel fiel


gut

Man merkt "Der Mann, der vom Himmel fiel" von Walter Tevis an, dass es keine Neuerscheinung des 21. Jahrhunderts ist, sondern erstmals bereits in den 1960'ern erschienen ist. Die beschriebene Welt, die aus Sicht der 1960'er Jahren wahrscheinlich innovativ und utopisch war, wirkt für die heutige Leserschaft eher gewöhnlich bis nostalgisch.
Die Auflösung, was es mit Newton auf sich hat, gibt es gleich am Anfang - auch sonst kommt im Buch weniger Spannung auf, als man vielleicht erwarten könnte. Stattdessen werden die Hintergründe und der Charakter Newtons beleuchtet und die Lebensrealität auf der Erde, die irgendwo zwischen Dystopie und Utopie liegt, beschrieben.
Das Buch liest sich für mich wie klassische Science Fiction. Für Leser*innen, die eine spannende Lektüre erwarten, nicht zu empfehlen, sondern wohl eher für Fans von (klassischer) Science Fiction, die sich für neue Welten und deren Hintergründe interessieren.
Ich hätte mir etwas mehr Spannung erhofft und fand das Buch zudem ziemlich dialoglastig - mich hat es deswegen leider nicht ganz überzeugt.

Bewertung vom 01.08.2022
Kurkow, Andrej

Samson und Nadjeschda


sehr gut

Vom Diogenes-Verlag wird "Samson und Nadjeschda" auch als Krimi angekündigt. Ein Krimi ist es aber nur bedingt. Der Protagonist Samson wird zwar im Laufe des Buches Polizist und beschäftigt sich dadurch mit einer Einbruch- und Mordserie, aber vor allem nimmt der Autor Andrej Kurkow sich Zeit, seine Charaktere einzuführen (es soll wohl eine Krimiserie werden) und den Handlungsort Kiew im Jahr 1919 zu beschreiben. Für mich ist das Buch deshalb in erster Linie eine Charakterisierung der Zeit, in der die Bolschewiken auch in Kiew die Macht übernahmen. Die Beschreibung des fragilen Alltags der Menschen in Kriegszeiten lässt einen beim Lesen auch immer wieder an die derzeitige Situation der Menschen in der Ukraine denken, was die Lektüre manchmal bedrückender macht, als sie wahrscheinlich vom Autoren während des Schreibens gedacht war. In jedem Fall fand ich die Beschreibung der Nöte, der Unsicherheiten, der Kuriositäten, der Zufälle in Zeiten des Umbruchs sehr interessant dargestellt.
Wer in erster Linie einen spannenden Krimi sucht, ist mit diesem Buch schlecht beraten. Wen auch die historischen Hintergründe interessieren, wird hier intelligent unterhalten.

Bewertung vom 15.07.2022
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


sehr gut

Eine Dreier-Freundschaft ist immer eine Herausforderung und auch Funmi, Enitan und Zainab haben es oft nicht leicht miteinander, sind schließlich auch räumlich getrennt – dennoch hat ihre Freundschaft über Jahrzehnte Bestand.
Tomi Obaro hat in ihrem Debüt "Freundin bleibst du immer" drei Frauenfiguren geschaffen, deren Unterschiedlichkeit auf die Spitze getrieben wird – da kann man evtl. die Frage stellen, wie wahrscheinlich diese Freundschaft im echten Leben wäre. Man kann das aber auch einfach als sich anbietenden dramaturgischen Kniff akzeptieren, der ermöglicht, ein breites (wenn natürlich auch nicht vollständiges) Bild der nigerianischen Gesellschaft zu zeichnen. Man merkt dem Buch zwar an, dass es für ein ausländisches (bzw. nicht-nigerianisches) Publikum geschrieben wurde, aber die Autorin Tomi Obaro hat das meiner Meinung nach gut umgesetzt: nie wird es belehrend, sondern stattdessen erfährt man nebenbei mehr vom Alltag in Nigeria, den Traditionen, der Geschichte, dem religiösen Miteinander. Das Glossar am Ende des Buches hilft dabei, unbekannte Begriffe einzuordnen.

Ich fand "Freundin bleibst du immer" eine abwechslungsreiche, lohnende Geschichte, bei der ich ein mir unbekanntes Land ein Stück weit kennengelernt habe.

Den deutschen Titel "Freundin bleibst du immer" finde ich etwas sperrig, aber er passt dennoch besser zu diesem Buch als der Original-Titel "Dele Weds Destiny", lenkt er doch den Fokus auf die Freundschaft der drei Frauen.

Bewertung vom 19.06.2022
Raina, Rahul

Bekenntnisse eines Betrügers


gut

Gefallen haben mir in "Bekenntnisse eines Betrügers" der Witz und die Anspielungen auf den Alltag, die Kultur in Indien. Diese Anspielungen sind oft sehr kurz und auf den Punkt gebracht – trotzdem waren sie auch für mich, die ich mich mit Indien überhaupt nicht auskenne, gut verständlich. Respekt an
den Autor Rahul Raina dafür, das so schreiben zu können!
Die eigentliche Geschichte des jungen Ramesh hat mich aber leider nicht überzeugt. Die Überzeichnung, die hier stattfindet, kann ich durchaus akzeptieren, aber der Funke sprang bei mir leider nicht über und ich fand die Geschichte über weite Strecken lang und zäh.
Ich habe schon das Gefühl, Indien durch das Buch nahe gekommen zu sein, auch wenn ein Roman natürlich nur Bruchstücke dieses komplexen Landes darstellen kann. Ich hätte mir das ganze anders verpackt gewünscht.

Bewertung vom 18.06.2022
Granitz, Frank

Neptun 1986


sehr gut

Wenn man im Sommerurlaub durch Warnemünde schlendert, erinnert (außer der Beschaffenheit einiger Bürgersteige) so gut wie nichts an die DDR – auch das Hotel Neptun könnte so genauso gut im Westen stehen. Umso interessanter, sich die Vergangenheit anhand eines Romans vor Augen zu führen.
Frank Granitz hat in "Neptun 1986" eine Geheimdienst- mit einer Liebesgeschichte verknüpft, was dem Buch gut tut. Die Geheimdienstgeschichte wäre sonst auf Dauer etwas trocken und unergiebig - dadurch vielleicht aber zugleich auch sehr realistisch. Zudem hatte ich etwas Probleme, das Nebenpersonal an Beteiligten aus den verschiedenen Lagern auseinander zu halten. Ansonsten aber gut und flüssig lesbar. Mit der unkitschigen Liebesgeschichte ergibt sich zudem eine abwechslungsreiche Geschichte, in der auch der DDR-Alltag greifbar wird, ohne dass sich hier an Klischees abgearbeitet wird.
Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass es sich um eine fiktive Geschichte mit realen Einflüssen handelt – das führt der Autor in seinem Nachwort noch genauer aus.

Bewertung vom 29.05.2022
Reid, Taylor Jenkins

Die sieben Männer der Evelyn Hugo


gut

"Die sieben Männer der Evelyn Hugo" startet wie der Titel vermuten lässt, mit der Beschreibung einer Schauspielerin im oberflächlichen Hollywood, wo Ehen oft schnell und aus Kalkül geschlossen werden - was dann auch Evelyn mehrfach macht. Als diese Geschichte dann irgendwann erwartbar etwas eintönig wird, nimmt sie den ersten Dreh (es folgen weitere) - Evelyn verliebt sich in eine Frau. Unerhört in der Mitte des 20. Jahrhunderts - nicht nur in Hollywood. Diese gleichgeschlechtliche große Liebe darf also nicht öffentlich werden und führt zu einem Versteckspiel - und noch mehr Ehen für Evelyn. Das wirkte auf mich oft schon tragikomisch und surreal.
So richtig berührt hat mich die Geschichte leider nicht. Es blieb alles sehr oberflächlich. Weder mit Evelyn noch mit ihrer Biografin Monique habe ich wirklich mitgefiebert, mitgelitten. Dabei hat die Geschichte durchaus großes Potential dafür - schade.

Bewertung vom 05.05.2022
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


gut

Alina Bronsky hat mit Maserati eine Figur geschaffen, die in Erinnerung bleibt: eine 16-jährige, die es nicht leicht hat in ihrem Leben, sich aber damit arrangiert und nie unzufrieden wirkt – ob man diese fast schon Selbstaufopferung jetzt gut finden mag oder nicht. Auch ein Highlight: die Atmosphäre eines Sommers auf dem Land (Brandenburg?). Das kam sehr gut und stimmungsvoll, spürbar rüber.
Die eigentliche Geschichte wirkt dagegen fast schon nebensächlich. Vieles wird nur angedeutet, was nicht schlecht ist, Raum zum Nachdenken und Interpretieren gibt. Die titelgebende Geschichte rund um eine Schallplatte fand ich aber mäßig bis an den Haaren herbei gezogen.
Die bisherigen Großmütter in Bronskys Büchern waren immer starke, selbstbewusste, oft herrische Frauen. Maseratis Großmutter zeigt auch noch Züge davon, tatsächlich ist sie aber dement und auf ihre Enkelin angewiesen – auch wenn sie selbst das nicht einsehen will und Maserati sie nicht bevormundet, ist dies doch ein interessanter Kontrast (oder logische Entwicklung?) zu den früheren Großmutter-Figuren.
Nicht Alina Bronskys bestes Buch, aber alles in allem dennoch eine kurze und gute sommerliche Lektüre.

Bewertung vom 18.04.2022
Monchi

Niemals satt


sehr gut

Monchi, der Frontmann von Feine Sahne Fischfilet, schreibt in seinem Buch "Niemals satt" über das Abnehmen und auch viel über sich selbst. Als Band-Pause und Pandemie zusammen kamen, hatte er auf einmal viel Zeit zur Selbstreflektion und hat diese nicht nur genutzt, um abzunehmen, sondern auch um mehr über sich selbst herauszufinden - und das dann im vorliegenden Buch zu verarbeiten.
Ich fand es sehr kurzweilig, interessant und vor allem knallhart ehrlich. Auch von Rückschlägen und Fehlern wird berichtet und wie schwer es ist, das erkämpfte neue Gewicht zu halten. Die Aspekte Körpergewicht und Essen ziehen sich als roter Faden durch das Buch, da beides zentrales Themen in Monchis bisherigem Leben waren/sind. Ausgehend hiervon erfährt man viel über den Menschen Monchi und seine Entwicklung.
Keine Ahnung, ob das Buch als Erfahrungsbericht oder Motivationshilfe für Abnehmwillige taugt - da ist wohl auch jede*r anders. Hierzu bleibt als Message bei mir vor allem hängen, dass es den wirklichen Willen zur Veränderung braucht, um das erfolgreich durchziehen zu können.
Geschrieben ist das Buch in einem lockeren, manchmal etwas flapsigen Ton, der sehr authentisch rüber kommt, wenn man Monchi schon mal hat sprechen hören. Das Buch ist dadurch flüssig und leicht zu lesen.

Bewertung vom 06.04.2022
Lucadou, Julia von

Tick Tack


gut

Ich halte 'Tick Tack' für einen Roman und kein Jugendbuch - ich denke, das Buch richtet sich trotz der jugendlichen Hauptfigur an (junge) Erwachsene und nicht an Jugendliche.
Um etwas sinnvolles zum Buch schreiben zu können, muss ich mehr von der Handlung verraten als der Verlag das tut. Echte Spoiler gibt es bei mir aber nicht.

Mette und Jo, die sich erst im Laufe der Handlung kennenlernen, erzählen im Wechsel ihre Geschichte. Es ist die Geschichte einer 15-Jährigen und eines 25-Jährigen im Dschungel Erwachsenwerden im Social-Media-Zeitalter. Bei beiden spürt man viel Wut, die im Laufe der Erzählung und spätestens beim Aufkommen von Corona ins Extreme umschlägt. Ja, es ist eine Geschichte, die auch einen großen Einfluss aus Corona zieht (was die Ankündigung des Verlages verschweigt). Mette verliert nach und nach ihren anfänglichen scharfzüngigen Witz, während Jo immer unheimlicher wird. Es geht um Follower- und Like-Zahlen, Verschwörungstheorien, die Suche nach sich selbst, einer Position in dieser komplexen Welt und nach Bestätigung. Angesetzt in privilegierten Kreisen ist es insgesamt eine leicht bis stark überzeichnete Geschichte, was auch bei der Charakterisierung der Elternfiguren deutlich wird.

Sprachlich sind vor allem Jos Passagen speziell. Gelesen sehr eindringlich und deutlich von André Kaczmarczyk, der mit seinem Vortrag den Grusel-Faktor von Jo noch verstärkt. Aber die Sprache, in der der Text verfasst ist, machte es für mich schwer, alle Details zu verstehen. Vermutlich bin ich schon zu alt (und zudem nicht auf TikTok) um manche Ausdrücke, Namen, Abkürzungen zu verstehen. Es kommt aber im Endeffekt auch nicht darauf an, sämtliche Anspielungen zu verstehen - der Grundtenor des Textes wird auch so klar.

Ich schwankte zwischen erschrockener Faszination für eine mir relativ unbekannte Welt (obwohl ich mich als internetaffin bezeichnen würde), dem Drang Jos Anspielungen zu googlen, Verständnis und Unverständnis für die Figuren und ihre Entwicklungen. Manches blieb für mich am Ende unerklärt. Ein Buch, das mich nicht zu 100% überzeugt hat, das mich aber beschäftigt hat - was ja auch etwas ist.

Bewertung vom 29.03.2022
Lee, Jonathan

Der große Fehler


gut

Dieses Buch hat mich glaube ich nicht auf dem richtigen Fuß erwischt. Es hat nicht so richtig gepackt, obwohl ich durchaus das Besondere an ihm erkannt habe und mir vieles gefallen hat.
Jonathan Lee hat seinen Roman auf eine ganz eigene Art und Weise geschrieben. Eine Einordnung in ein Genre ist unmöglich, da "Der große Fehler" Elemente aus ganz verschiedenen Genres hat: biografischer Roman, Krimi, historischer Roman, Liebesgeschichte. Die Beschreibung New Yorks Ende des 19. Jahrhunderts und die Geschichte des Stadtveränderers Andrew H. Green fand ich sehr interessant, da ich vorher über ersteres wenig und über zweiteren gar nichts wusste und die Beschreibung vom Autoren gut umgesetzt war.
Dazu kamen diverse Nebenschauplätze wie z.B. die Geschichte des Elefanten Topsy. Ich würde nicht sagen, dass das zu viel war, aber es fiel mir dadurch dennoch schwer, mich auf die Geschichte zu konzentrieren. Zudem viele kleine Beobachtungen und Bemerkungen - manchmal witzig, eigentlich immer geistreich. Wie gesagt: vermutlich alles sehr schön und gut umgesetzt, aber mir fehlte dafür in diesen Zeiten die Muße, sodass ich den Roman wohl nicht richtig würdigen konnte.
Insgesamt ein wie ich denke lohnender aber auch fordernder Roman, wenn man sich darauf einlässt. Dafür sollte man den Kopf aber wahrscheinlich freier haben, als es bei mir leider der Fall war.