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Forti

Bewertungen

Insgesamt 204 Bewertungen
Bewertung vom 11.09.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Daniela Dröscher beschäftigt sich in dieser Autofiktion mit ihrer Kindheit in den 1980'ern, die stark geprägt war durch die toxische Beziehung ihrer Eltern. Diese kaputte Beziehung bestimmt das ganze Familienleben, aber am meisten leidet darunter die Mutter, die der Vater ständig in Rollen und Figuren zwingen will, die sie so nicht erfüllen möchte oder kann. Obwohl ihr der Ausbruch aus dieser toxischen Beziehung erst spät gelingt, ist der Umgang der Mutter damit dennoch respektabel. So schafft sie sich immer wieder kleine Inseln der Selbstbestimmung, hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Zaun und ist den Kindern eine gute Mutter. Auch wenn man sich wünscht, dass sie den Vater früher zum Teufel schickt, ist es doch die Geschichte einer keinesfalls perfekten aber doch starken Frau.
Die ganze Tragik wird durch den kindlich-unbedarften Blick der Ich-Erzählerin etwas entschärft. Daniela Dröscher trifft hier aber genau den richtigen Ton, ohne dass das ganze anstrengend oder verharmlosend wird. Überhaupt ist das Buch sehr flüssig lesbar.
Eine gelungene Autofiktion, ein gelungener Roman!

Bewertung vom 11.09.2022
Die Stimme meiner Schwester
Vieira Junior, Itamar

Die Stimme meiner Schwester


sehr gut

In Itamar Vieira Juniors "Die Stimme meiner Schwester" erzählen die beiden Schwestern Bibiana und Belonísia im Wechsel aus ihrem Leben im ländlichen Brasilien Mitte des 20. Jahrhunderts. Würde diese Zeitangabe nicht in der Ankündigung des Verlages erwähnt und würden im Buch nicht Autos und Motorräder vorkommen, könnte man auch denken, dass das Buch im 18. oder 19. Jahrhundert spielt. Die Menschen auf den Plantagen leben ein an Sklaverei oder Leibeigenschaft erinnerndes Leben unter primitiven Umständen - selbst um eine Schule muss mit den Besitzern der Plantage gekämpft werden. Für mich waren diese Lebensumstände der Nachkommen tatsächlicher Sklav*innen in ihrer Ungerechtigkeit und Ausweglosigkeit erschütternd zu lesen.
Zu dieser Beschreibung der Lebensumstände gesellt sich noch Mystik und Symbolik - der eigentliche Handlungsbogen ist dabei allerdings sehr überschaubar.
Wer ein eindrückliches und wie ich denke authentisches Bild vom Leben der von Sklaven abstammenden Bevölkerung Brasiliens bekommen möchte, ist mit diesem Buch sehr gut beraten.

Bewertung vom 25.08.2022
Die Wunder
Medel, Elena

Die Wunder


gut

Elena Medel beschreibt in ihrem Roman-Debut zwei Frauenleben, nämlich die von Großmutter María und Enkelin Alicia. Dass die beiden sich nie kennengelernt haben, ist schon ein erstes Anzeichen dafür, dass "Die Wunder" ein eher tragisches Buch ist. Die Entfremdung zwischen Töchtern und ihren Familien zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, allerdings ohne intensiv behandelt zu werden. Überhaupt wird vieles in diesem Buch eher angedeutet als ausführlich beschrieben, wodurch es durchaus eine fordernde, oft auch etwas sperrige Lektüre ist. Beide Frauen haben es nicht einfach, ihren Weg aus weiblichen Rollenklischees und Armut heraus zu gehen. Ich fand das Buch über weite Strecken eher traurig und hoffnungslos. Wer sich durch eine solche Lektüre leicht herunter ziehen lässt, sollte sich gut überlegen, ob das hier das richtige Buch ist. Über drei Generationen hinweg scheint sich wenig an den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen, an den Möglichkeiten, die ihnen offen stehen, verändert zu haben - und wenn dann eher zum schlechteren. Lediglich in der Figur der alten María klingt etwas Hoffnung auf Emanzipation und Unabhängigkeit an.
Sprachlich fand ich das Buch interessant und wohl auch sehr gut übersetzt. Oft lange, aber trotzdem immer gut verständliche Sätze. Die Sprache gleichzeitig melodisch, als auch manchmal atemlos.
Trotzdem wie gesagt etwas sperrig in der Handlung - ich hätte mir auch etwas mehr handfeste Handlung gewünscht.

Bewertung vom 05.08.2022
Der Mann, der vom Himmel fiel
Tevis, Walter

Der Mann, der vom Himmel fiel


gut

Man merkt "Der Mann, der vom Himmel fiel" von Walter Tevis an, dass es keine Neuerscheinung des 21. Jahrhunderts ist, sondern erstmals bereits in den 1960'ern erschienen ist. Die beschriebene Welt, die aus Sicht der 1960'er Jahren wahrscheinlich innovativ und utopisch war, wirkt für die heutige Leserschaft eher gewöhnlich bis nostalgisch.
Die Auflösung, was es mit Newton auf sich hat, gibt es gleich am Anfang - auch sonst kommt im Buch weniger Spannung auf, als man vielleicht erwarten könnte. Stattdessen werden die Hintergründe und der Charakter Newtons beleuchtet und die Lebensrealität auf der Erde, die irgendwo zwischen Dystopie und Utopie liegt, beschrieben.
Das Buch liest sich für mich wie klassische Science Fiction. Für Leser*innen, die eine spannende Lektüre erwarten, nicht zu empfehlen, sondern wohl eher für Fans von (klassischer) Science Fiction, die sich für neue Welten und deren Hintergründe interessieren.
Ich hätte mir etwas mehr Spannung erhofft und fand das Buch zudem ziemlich dialoglastig - mich hat es deswegen leider nicht ganz überzeugt.

Bewertung vom 01.08.2022
Samson und Nadjeschda
Kurkow, Andrej

Samson und Nadjeschda


sehr gut

Vom Diogenes-Verlag wird "Samson und Nadjeschda" auch als Krimi angekündigt. Ein Krimi ist es aber nur bedingt. Der Protagonist Samson wird zwar im Laufe des Buches Polizist und beschäftigt sich dadurch mit einer Einbruch- und Mordserie, aber vor allem nimmt der Autor Andrej Kurkow sich Zeit, seine Charaktere einzuführen (es soll wohl eine Krimiserie werden) und den Handlungsort Kiew im Jahr 1919 zu beschreiben. Für mich ist das Buch deshalb in erster Linie eine Charakterisierung der Zeit, in der die Bolschewiken auch in Kiew die Macht übernahmen. Die Beschreibung des fragilen Alltags der Menschen in Kriegszeiten lässt einen beim Lesen auch immer wieder an die derzeitige Situation der Menschen in der Ukraine denken, was die Lektüre manchmal bedrückender macht, als sie wahrscheinlich vom Autoren während des Schreibens gedacht war. In jedem Fall fand ich die Beschreibung der Nöte, der Unsicherheiten, der Kuriositäten, der Zufälle in Zeiten des Umbruchs sehr interessant dargestellt.
Wer in erster Linie einen spannenden Krimi sucht, ist mit diesem Buch schlecht beraten. Wen auch die historischen Hintergründe interessieren, wird hier intelligent unterhalten.

Bewertung vom 15.07.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


sehr gut

Eine Dreier-Freundschaft ist immer eine Herausforderung und auch Funmi, Enitan und Zainab haben es oft nicht leicht miteinander, sind schließlich auch räumlich getrennt – dennoch hat ihre Freundschaft über Jahrzehnte Bestand.
Tomi Obaro hat in ihrem Debüt "Freundin bleibst du immer" drei Frauenfiguren geschaffen, deren Unterschiedlichkeit auf die Spitze getrieben wird – da kann man evtl. die Frage stellen, wie wahrscheinlich diese Freundschaft im echten Leben wäre. Man kann das aber auch einfach als sich anbietenden dramaturgischen Kniff akzeptieren, der ermöglicht, ein breites (wenn natürlich auch nicht vollständiges) Bild der nigerianischen Gesellschaft zu zeichnen. Man merkt dem Buch zwar an, dass es für ein ausländisches (bzw. nicht-nigerianisches) Publikum geschrieben wurde, aber die Autorin Tomi Obaro hat das meiner Meinung nach gut umgesetzt: nie wird es belehrend, sondern stattdessen erfährt man nebenbei mehr vom Alltag in Nigeria, den Traditionen, der Geschichte, dem religiösen Miteinander. Das Glossar am Ende des Buches hilft dabei, unbekannte Begriffe einzuordnen.

Ich fand "Freundin bleibst du immer" eine abwechslungsreiche, lohnende Geschichte, bei der ich ein mir unbekanntes Land ein Stück weit kennengelernt habe.

Den deutschen Titel "Freundin bleibst du immer" finde ich etwas sperrig, aber er passt dennoch besser zu diesem Buch als der Original-Titel "Dele Weds Destiny", lenkt er doch den Fokus auf die Freundschaft der drei Frauen.

Bewertung vom 19.06.2022
Bekenntnisse eines Betrügers
Raina, Rahul

Bekenntnisse eines Betrügers


gut

Gefallen haben mir in "Bekenntnisse eines Betrügers" der Witz und die Anspielungen auf den Alltag, die Kultur in Indien. Diese Anspielungen sind oft sehr kurz und auf den Punkt gebracht – trotzdem waren sie auch für mich, die ich mich mit Indien überhaupt nicht auskenne, gut verständlich. Respekt an
den Autor Rahul Raina dafür, das so schreiben zu können!
Die eigentliche Geschichte des jungen Ramesh hat mich aber leider nicht überzeugt. Die Überzeichnung, die hier stattfindet, kann ich durchaus akzeptieren, aber der Funke sprang bei mir leider nicht über und ich fand die Geschichte über weite Strecken lang und zäh.
Ich habe schon das Gefühl, Indien durch das Buch nahe gekommen zu sein, auch wenn ein Roman natürlich nur Bruchstücke dieses komplexen Landes darstellen kann. Ich hätte mir das ganze anders verpackt gewünscht.

Bewertung vom 18.06.2022
Neptun 1986
Granitz, Frank

Neptun 1986


sehr gut

Wenn man im Sommerurlaub durch Warnemünde schlendert, erinnert (außer der Beschaffenheit einiger Bürgersteige) so gut wie nichts an die DDR – auch das Hotel Neptun könnte so genauso gut im Westen stehen. Umso interessanter, sich die Vergangenheit anhand eines Romans vor Augen zu führen.
Frank Granitz hat in "Neptun 1986" eine Geheimdienst- mit einer Liebesgeschichte verknüpft, was dem Buch gut tut. Die Geheimdienstgeschichte wäre sonst auf Dauer etwas trocken und unergiebig - dadurch vielleicht aber zugleich auch sehr realistisch. Zudem hatte ich etwas Probleme, das Nebenpersonal an Beteiligten aus den verschiedenen Lagern auseinander zu halten. Ansonsten aber gut und flüssig lesbar. Mit der unkitschigen Liebesgeschichte ergibt sich zudem eine abwechslungsreiche Geschichte, in der auch der DDR-Alltag greifbar wird, ohne dass sich hier an Klischees abgearbeitet wird.
Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass es sich um eine fiktive Geschichte mit realen Einflüssen handelt – das führt der Autor in seinem Nachwort noch genauer aus.

Bewertung vom 29.05.2022
Die sieben Männer der Evelyn Hugo
Reid, Taylor Jenkins

Die sieben Männer der Evelyn Hugo


gut

"Die sieben Männer der Evelyn Hugo" startet wie der Titel vermuten lässt, mit der Beschreibung einer Schauspielerin im oberflächlichen Hollywood, wo Ehen oft schnell und aus Kalkül geschlossen werden - was dann auch Evelyn mehrfach macht. Als diese Geschichte dann irgendwann erwartbar etwas eintönig wird, nimmt sie den ersten Dreh (es folgen weitere) - Evelyn verliebt sich in eine Frau. Unerhört in der Mitte des 20. Jahrhunderts - nicht nur in Hollywood. Diese gleichgeschlechtliche große Liebe darf also nicht öffentlich werden und führt zu einem Versteckspiel - und noch mehr Ehen für Evelyn. Das wirkte auf mich oft schon tragikomisch und surreal.
So richtig berührt hat mich die Geschichte leider nicht. Es blieb alles sehr oberflächlich. Weder mit Evelyn noch mit ihrer Biografin Monique habe ich wirklich mitgefiebert, mitgelitten. Dabei hat die Geschichte durchaus großes Potential dafür - schade.

Bewertung vom 05.05.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


gut

Alina Bronsky hat mit Maserati eine Figur geschaffen, die in Erinnerung bleibt: eine 16-jährige, die es nicht leicht hat in ihrem Leben, sich aber damit arrangiert und nie unzufrieden wirkt – ob man diese fast schon Selbstaufopferung jetzt gut finden mag oder nicht. Auch ein Highlight: die Atmosphäre eines Sommers auf dem Land (Brandenburg?). Das kam sehr gut und stimmungsvoll, spürbar rüber.
Die eigentliche Geschichte wirkt dagegen fast schon nebensächlich. Vieles wird nur angedeutet, was nicht schlecht ist, Raum zum Nachdenken und Interpretieren gibt. Die titelgebende Geschichte rund um eine Schallplatte fand ich aber mäßig bis an den Haaren herbei gezogen.
Die bisherigen Großmütter in Bronskys Büchern waren immer starke, selbstbewusste, oft herrische Frauen. Maseratis Großmutter zeigt auch noch Züge davon, tatsächlich ist sie aber dement und auf ihre Enkelin angewiesen – auch wenn sie selbst das nicht einsehen will und Maserati sie nicht bevormundet, ist dies doch ein interessanter Kontrast (oder logische Entwicklung?) zu den früheren Großmutter-Figuren.
Nicht Alina Bronskys bestes Buch, aber alles in allem dennoch eine kurze und gute sommerliche Lektüre.