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lustaufbuch

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Insgesamt 214 Bewertungen
Bewertung vom 16.01.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

»Ich dachte immer, du bist der eine Mensch, bei dem es keine Lügen gibt«

Erst zwölf Tage des Jahres waren verstrichen, als ich diesen Roman beendete und trotzdem wusste ich schon während der Lektüre, dass es für sämtliche andere Bücher, die ich dieses Jahr noch lesen werde, äußerst schwer werden wird, diesen Roman – in jeglicher Hinsicht – zu überbieten.
Ich habe auch die bisherigen vier Bücher von Takis Würger gelesen, mochte sie allesamt gerne und freute mich dementsprechend auf seinen neuen Roman, doch was mich erwarten würde, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet!

Hannes Prager ist verliebt in Polina, doch möchte er ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen, noch dazu schwärmt sie ständig von anderen Jungs. Um ihr dennoch seine Gefühle zu offenbaren spielt er ihr eine Melodie auf dem Klavier vor. Als jedoch kurz darauf seine Mutter bei einem Unfall verstirbt, überlässt Hannes seine Leidenschaft des Klavierspielens der Vergangenheit.
Noch dazu trennen die Wege des Erwachsenwerdens beide immer mehr voneinander, obwohl sie sich mehr bräuchten, als sie es sich selbst eingestehen möchten.
Einige Jahre vergehen und Hannes überdenkt sein Leben. Er realisiert, dass er alles, was ihm wirklich wichtig war, verloren hat – Polina und seine Liebe zur Musik.
Eine bewegende Liebesgeschichte über Verfehlungen, das Missachten bestimmter Zeichen und über all das, was im Leben wirklich wichtig ist.
Zugleich eine Liebeserklärung an die Schönheit und Kraft der Musik!

Während des Lesen habe ich mir gewünscht, dass keiner außer mir diesen Roman je lesen würde, weil er mich so berührt hat. Es sollte etwas persönliches sein. Und doch wünsche ich jetzt, dass es die ganze Welt liest, weil Würgers großartiger und bisher bester Roman kein egoistisches Gehabe braucht, sondern unzählige Leser!

Wenn ihr, nur um ein paar Referenzen zu nennen, die Bücher von Benedict Wells, Ewald Arenz oder den Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens mögt, dann lest – nein, ich kann es nicht anders sagen: ihr müsst – dieses Buch lesen!!!

Bewertung vom 15.01.2025
Felsen, Juri

Getäuscht


weniger gut

»Mich verstört oft der – recht alltägliche – Gedanke, dass etwas Erwartetes wegbricht«

Dieses Buch ist weniger ein Roman, als ein akribisch gefülltes Tagebuch der Gefühle.
Der namenlose Ich-Erzähler, der täglich seine Erlebnisse, Beobachtungen und insbesondere seine unzähligen Gedanken aufschreibt ist verliebt und das schon, bevor er seine Angebetete überhaupt kennt.
Es ist verhält sich nämlich folgendermaßen: Die Nichte Ljolja Gerdt seiner Berliner bekannten Katerina Wiktorowna N., welche ihn damals in Berlin knapp verpasst hat, reist nun nach Paris. Dort lebt der Protagonist zur Zeit der 1920er Jahre als exilierter Russe, ohne Geld und noch dazu todunglücklich, traurig und einsam.
Die beiden irren sich aneinander, sei es liebestrunken oder so beabsichtigt. Ljolja hat kein großes Interesse an ihm, doch er wiederum ist penetrant und lässt sie nicht in Ruhe.
Mit welcher Besessenheit er das möchte, ist fast schon wieder beachtenswert, würde sein gekränktes Ego nicht zu misogynen Ansichten tendieren.

Für mich war es, trotz der mit Sicherheit herausragenden Übersetzung von Rosemarie Tietze, leider ein trockener Roman mit vielen Längen und relativ wenig Handlung. Die Gefühlswahrnehmungen des nicht eben sympathischen Protagonisten waren mir persönlich zu arg ausgeschlachtet und erinnerte mich zunehmend an Goethes „Die Leiden des jungen Werther“.
Trotzdem muss man sagen, dass Juri Felsen ein begnadeter Beobachter war, so detailliert wie dieses Buch geschrieben ist, schafft es kaum ein anderer Autor, geschweige denn auf diese psychologische, tiefgründige Art.

Diese seitenlangen psychologischen Beobachtungen werden im Nachwort von Dana Vowinckel mit Proust verglichen. Dazu kann ich leider nichts sagen, da mir Proust noch bevorsteht, aber meine Einschätzung, dass mir der ausschweifende Stil voller Zweifel leider nicht gefallen hat, kann ich offenbaren.

Dennoch bin ich froh, dieses Buch entdeckt zu haben. Ansonsten wäre mir der Autor und dessen tragisches Schicksal verborgen geblieben.

Bewertung vom 10.01.2025
Strunk, Heinz

Zauberberg 2


schlecht

«Sie können stolz auf sich sein, dass Sie sich aufgerafft haben. Keine Angst: Sie schaffen das.«

Puh, ja, tatsächlich – ich hab’s geschafft.
Aber erstmal von vorne!

Der 36 jährige Unternehmer Jonas Heidbrink begibt sich, da es ihm nicht gut geht, in eine Klinik in Mecklenburg-Vorpommern und bleibt dort länger als erwartet, bis er schließlich alle anderen Patienten überdauert.
Dabei ist sein dortiger Alltag ziemlich langweilig und trist. Von einem Essen geht es zum nächstem Therapieprogramm, von denen es haufenweise gibt, z.B. Gruppen-, Foto-, Kunst-, Musik-, Biblio-, Theater- oder Bewegungstherapie. All diese aufgezählten Aktivitäten stellen die Haupthandlung, zumindest der ersten Hälfte des Romans, dar. Mit Ausnahme der Beschreibung einzelner merkwürdiger Eigenheiten anderer Patienten passiert sonst nicht viel.
Dabei ist zu bemerken, dass nicht nur der Protagonist Jonas Heidbrink, sondern auch Heinz Strunk selbst ein guter Beobachter ist, wie es sich an den Szenen erkennen lässt.
Dennoch konnte mich das Buch so gar nicht überzeugen.

Es war mein erstes Buch von Heinz Strunk und was soll ich anderes sagen? Wahrscheinlich auch mein letztes. Schade, schließlich hatte ich mir von diesem Buch, wenn es sich schon provokativ „Zauberberg 2“ nennt und sich somit neben Manns „Der Zauberberg“ stellt, einiges erwartet!
Was mich jedoch am meisten schockiert hat, waren einige sexistische, machomäßige vulgäre Äußerungen – von Bodyshaming gar nicht zu sprechen!
Zwar lassen sich vereinzelte Parallen zum Zauberberg, bspw. das „Schnee“-Kapitel, erkennen, doch sind diese sehr erzwungen. So leid es mir tut, wenn das eine Hommage sein soll, weiß ich auch nicht mehr.
Aus scheinbar belanglosen Nichtigkeiten Literatur entstehen zu lassen, muss man können – Thomas Mann ist es mit dem Zauberberg, der noch über hundert Jahre später gelesen wird, gelungen und Strunk ist daran gescheitert, sofern er es überhaupt wirklich versucht hat.

Bewertung vom 08.01.2025
Kehlmann, Daniel

Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken


sehr gut

»Natürlich kann, soll, darf man alles erfinden, denn die Kunst muss alles dürfen.«

Trotz der Tatsache, dass ich mit Kehlmanns Romanen – ich wünsche mir selbst, es wäre anders – überhaupt nichts anfangen kann, lese ich seine Essays und Reden gerne und bin froh diese, als ich vor drei Jahren seine sämtlichen bis dato veröffentlichten Werke las, entdeckt zu haben.
Insgesamt 27 mehr oder weniger neue und aktuelle Texte Kehlmanns versammeln sich in diesem Buch.
Leicht, locker, bereichernd und manchmal zum eigenen Nachdenken anregend sowie durchaus süffisant lassen sich diese Texte lesen, wenn sie auch manchmal zu theoretisch ausfallen. Eins steht jedoch fest – an Kehlmann ist ein großartiger Literaturwissenschaftler verloren gegangen!

Kehlmanns Reden und Essays bringen allemal neue Erkenntnisse. So wusste ich nicht, dass Heimito von Doderer einst Mitglied der NSDAP und überzeugter Antisemit war.
Fängt Kehlmann an bspw. über Kafkas Zeichnungen oder bestimmte literarische Werke zu sinnieren, hört man seine Gedanken sprechen, weil er seine Leidenschaft zur Literatur offenbart und diese mitunter ansteckend ist!
Seine akribischen Abhandlungen über verschiedene Schriftsteller, darunter Franz Werfel, Ernst Lothar, Hölderlin, etc. bereiten einfach nur Freude.
Doch auch das Zeitgeschehen wird beachtet. Parallelen wie Kehlmann sie zu Beginn des ersten Amtsantritts Donald Trumps bezüglich George Orwells „1984“ zieht, sind treffend! Ganz zu schweigen von seinen präzisen Einschätzungen hinsichtlich in Zukunft drohender Gefahren der Künstlichen Intelligenz oder Grenzen des Romans.

Kehlmann ist ein haargenauer Beobachter, der detailliert und differenziert schreibt und sich nicht davor scheut zu kritisieren, selbst wenn es sich um von ihm angesehene Autoren handelt.
Ausschließlich seine Beiträge über verschiedene Filme haben mich weniger interessiert und ich empfand diese als etwas langatmig.

Bewertung vom 08.01.2025
Lohre, Matthias

Teufels Bruder


ausgezeichnet

»Ich will nicht der Grund dafür sein, dass ein anderer sein Lebtag lang denkt: Was wäre gewesen, wenn ... Ich will es nicht.«

Heinrich Mann ist auf dem Weg seinen Traum zu verwirklichen, er möchte Schriftsteller werden. Dagegen weiß sein jüngerer Bruder Thomas noch nicht recht, wohin sein Leben ihn führen wird. Soll er eine bürgerliche Ehe mit Ilse Martens eingehen? Und wird er sich ebenfalls als Schriftsteller durchsetzen können?
Der frühe Tod des Vaters verbindet die Brüder miteinander und doch trennen grundlegend verschiedene Erwartungen ihre Lebensweisen.
Als sie 1896 gemeinsam für längere Zeit nach Italien aufbrechen, ergeben sich unerwartete Unsicherheiten und Herausforderungen sowie positive Veränderungen voller Sehnsüchte und Wünsche.
Auf dieser Reise verliebt sich Heinrich und Thomas begegnet in Venedig einem traurig wirkenden Jüngling. Er ist fasziniert von ihm und als sich deren Wege wiederholt kreuzen, möchte er seinem Geheimnis auf die Schliche kommen und ihm gar eine Novelle widmen. Doch das, was Thomas Mann in Italien dann passierte, konnte er nicht erahnen und wird sich, weil es so prägend für ihn war, scheinbar in seinem späteren Werk wiederfinden.

Eine wirklich spannende Fiktion! Zu gerne würde ich wissen, was sich damals in Italien wirklich zugetragen hat oder ob es überhaupt so ein prägendes Erlebnis gab. Dabei verfolgt dieser Roman eine ähnliche Spur eines traumatisches Erlebnis Thomas Manns wie Michael Maars „Das Blaubartzimmer“.

Matthias Lohre ist ein großartiger Erzähler, der nicht nur die Lesenden innerhalb weniger Sätze für sich einnehmen kann, sondern nicht weniger geschickt Leben und Werk der Brüder miteinander verwebt, insbesondere die Bezüge zu einigen der früheren Erzählungen Thomas Manns. Dabei erwischt man sich fast dabei, diesen Roman als eine lebendige Biografie der beiden Brüder wahrzunehmen, anstelle der Fiktion, die sie darstellt.

Bewertung vom 08.01.2025
Lunde, Maja

Für immer


ausgezeichnet

Nach dem Klimaquartett entspinnt Maja Lundes neuester Roman ein fiktives Gedankenexperiment. Was wäre, wenn auf einmal keine Menschen mehr sterben und es ebenfalls keine Geburten mehr gibt, weil die menschliche Zellteilung ausbleibt? Währenddessen bleibt die Natur davon unbeachtet.
Dabei katapultiert einen bereits der fesselnde Romananfang mitten ins Geschehen.
Um dieses Szenario anschaulich zu gestalten, begegnen wir verschiedenen Figuren und Familien, die sich an unterschiedlichen Abschnitten ihres Leben befinden und Hoffnungen sowie Wünsche haben. Darunter Menschen, die ein Kind erwarten, die wissen, dass sie nicht mehr lange leben werden und andere, die täglich mit Tod konfrontiert werden. Nicht zuletzt eine Fotografin, welche diesen nicht greifbaren Stillstand einfangen möchte.
Andere wiederum sehen mögliche Erklärungen der merkwürdigen Umständen als Lügen an und verbreiten, auf der Suche nach der wirklichen Wahrheit, Verschwörungstheorien. So bringt dieser Zeitgewinn einige unerwartete Veränderungen mit sich.
Trotz der vielen Perspektiven sind diese keineswegs überfordernd, sondern gut verständlich, vielschichtig und gelungen.

Der Roman ist eine Liebeserklärung an das Leben und zeigt sogleich, wie wertvoll dieses ist und wie schnell es vorbei sein kann. Die geschilderten teils emotionalen Schicksale sind als Plädoyer anzusehen, die jeweilige Zeit zu nutzen und wichtige Veränderungen anzugehen, anstelle zu bereuen, etwas nicht getan zu haben.

Andererseits habe ich nicht ganz verstanden habe, warum der menschliche Kreislauf unterbrochen wird, wie es begann und endete. Aber wahrscheinlich bleibt es schlichtweg unerklärlich.

Trotz dieses Kritikpunkts, habe ich den Roman regelrecht inhaliert und sehr geliebt! Maja Lunde hat mich auch mit diesem Buch (wieder mal) überzeugt.

Bewertung vom 07.01.2025
Suter, Martin;Stuckrad-Barre, Benjamin von

Kein Grund, gleich so rumzuschreien


ausgezeichnet

„»Supervision«. Eigentlich genau das, was auch wir beide ständig miteinander machen.“

Wie schon im Vorgängerbuch „Alle sind so ernst geworden“ erstreckt sich das Repertoire der vorliegenden Gespräche über vielfältige Themen hinweg, die mal banal daherkommen und dann doch wieder tiefergehend ausfallen. Es geht über die persönliche Beziehung zu Blumen oder Sehtests, den Ursachen von Albträumen und der eigenen Wahrnehmung von Eitelkeit. Aber auch bis hin zu Fragen, die das gesellschaftliche Leben, hinsichtlich des Umgangs mit Rauschmitteln – besonders Alkohol und Zigaretten – bestimmen sowie die Wahrnehmung Außenstehender auf diese freiwillige Abstinenz.
In dem Buch ist viel geboten, doch Langeweile kommt niemals auf!
Annähernd alle Gespräche überschattend ist nicht nur der Tod von Martin Suters Frau Margrith, sondern insbesondere seine fortdauernde Liebe zu ihr. Doch auch Stuckrad-Barre wird mit einem familiären Todesfall regelrecht konfrontiert, schließlich erfährt er zufällig, durch eine Direct Message eines ihm Unbekannten auf Instagram, vom Tod seines Vaters. Spätestens bei dem Gespräch über diesen Verlust und das Verhältnis zu seinem Vater wird deutlich, dass dieses Buch durchaus nicht nur durch seinen humorvollen Witz brilliert, sondern gleichermaßen den Bogen zu ernsten Themen spannen kann.
Man erfährt nicht nur mehr über die beiden Autoren, sondern auch über sich selbst.

Auch wenn die Gespräche nur in gedruckter Form vorliegen, hört man beide, als säßen sie neben einem, in gewohnter Manier vor sich hin sprechen. Während sie sich in humorvollen, teils ironischen und tragikomischen Diskussionen verlieren und sich selbst dabei niemals zu ernst nehmen, genoss ich es sehr, ihnen zu lauschen.

Gerne hätte ich noch weiter gelesen und mehreren Gesprächen zugehört, aber nun überlasse ich – sehnsüchtig auf einen dritten Band hoffend – Benjamin von Stuckrad-Barre das Schlusswort:
„Ich finde die Gewissheit ganz schön, auch erleichternd, dass irgendwann Schluss ist.“

Bewertung vom 27.12.2024
Sina, Kai

Was gut ist und was böse


ausgezeichnet

»[E]s tut doch wohl, Hitler so recht ins Gesicht einen blödsinnigen Wüterich zu nennen.«

Kai Sina nimmt in diesem Essay Thomas Manns komplexe Beziehung zum Judentum als Ausgangspunkt, um dessen bisher kaum erforschte Stellung zum Zionismus sowie sein gesamtes politisches Engagement genauer zu betrachten und nicht zuletzt längst etablierte Annahmen richtigzustellen.

Insbesondere das politische, essayistische Frühwerk, bis etwa 1910, das meist vollkommen ignoriert wird, beleuchtet der Autor eingehend und zeigt, wie progressiv, liberal und offen Mann eingestellt war, bevor er zur Zeit des Ersten Weltkriegs eine politische Wende vollzog und den nationalistischen, militaristischen und antidemokratischen Groß-Essay „Betrachtungen eines Unpolitischen“ schrieb.
Der allbekannte Trugschluss, dass Mann bis 1936/37 zur damaligen Lage vollkommen geschwiegen hätte, wird ebenfalls anhand zahlreicher hauptsächlich essayistischer Belege Manns entkräftet.
Schließlich begann Mann schon ab 1921 sich von der politischen Rechten, insbesondere dem „Hakenkreuz-Unfug“, abzugrenzen. Zeitgleich solidarisierte er sich mit den Juden, die einer immer größeren Verleumdung und regelrechtem Hass ausgesetzt waren.
Spätestens während des amerikanischen Exil wurde er gar als politischer Aktivist für die Demokratie wahrgenommen, warnte über Radioansprachen des BBC und klärte über deutsche Kriegsverbrechen sowie die Massenmorde auf.
Über die Jahre des Nationalsozialismus bis zur Gründung Israels, blieb er ein genauer Beobachter des Tagesgeschehens und mischte sich, seine Meinung offen äußernd, konkret ein – immer mit dem Ziel, sich selbst für demokratische Werte verantwortlich zu zeigen.

Auch wenn Thomas Manns Ansichten mehrmals die Seiten wechselten und sein demokratischen Verständnis nicht stringent verlief, war er jedoch nie unpolitisch!

In eher akademischer Sprache und kurzen, prägnant geschilderten Kapiteln gelingt es Kai Sina einen annähernd umfänglichen Abriss über Thomas Manns politische Betrachtungen mit mehr als nur einigen neuen Fakten zu geben!

Bewertung vom 27.12.2024
Fischer, Oliver

'Man kann die Liebe nicht stärker erleben'


ausgezeichnet

»Hier ist mein Herz, und hier ist meine Hand. Ich liebe Dich! Mein Gott ... Ich liebe Dich!«

Wer sich bereits intensiver mit dem Leben Thomas Manns beschäftigt hat, wird früher oder später auf seine fünf großen homosexuellen Lieben – Armin Martens, Williram Timpe, Paul Ehrenberg, Klaus Heuser, Franz Westermeier – gestoßen sein. Vergleicht man zudem das Werk und Leben Manns miteinander, lassen sich unendlich viele biografische Details herauszulesen. So begegnen wir dem nur ein Jahr jüngeren Tiermaler Paul Ehrenberg besonders in folgenden drei Werken: In Gestalt Hans Hansens in der Novelle „Tonio Kröger“, als Rudi Schwerdtfeger im „Doktor Faustus“ und zuletzt als Joseph in der umfassenden Roman-Tetralogie. Dabei werden seine Schönheit, sein Auftreten und Episoden seines Lebens gleichermaßen literarisch verwertet.

Inwiefern und wann sich die Wege von Thomas Mann und Paul Ehrenberg kreuzten, was sie verband und deutlich trennte, all dem geht der Autor gleichermaßen auf die Spur sowie Manns Gefühlen für den wahrhaften Frauenschwarm, die jedoch unerwidert blieben und seinen Gedanken, welche trotzdem bis zu seinem Lebensende nicht von ihm lassen konnten.

Somit ist das Buch eine Art Doppelbiografie mit Schwerpunkt auf das Leben Paul Ehrenbergs, schließlich ist das Leben Thomas Manns den meisten Lesenden sowieso, zumindest in groben Zügen, bekannt. Zugleich ist es flüssig zu lesen und gut recherchiert, was man alleine an der Menge der Fußnoten sehen kann und überrascht mit teils neuen Erkenntnissen. Zugleich bietet es einen kultur- und zeitgeschichtlichen Abriss.

Auch wenn ich so gut wie jede Neuerscheinung über die „Manns“ mit Begeisterung lese, hat mir dieses Buch besonders viel Freude bereitet, da es verschiedene Werke anschneidet und diese bezogen auf die Beziehung von Thomas Mann und Paul Ehrenberg deutet. Dementsprechend würde ich am liebsten sofort den „Doktor Faustus“ zur Hand nehmen und ihn zum dritten Mal lesen!

Eine ganz große Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 17.12.2024
Debreczeni, József

Kaltes Krematorium


ausgezeichnet

»Es ist zweifellos wahr und doch unfassbar.«

József Debreczeni schildert in diesem Bericht den Weg seiner Deportation nach Auschwitz und nachfolgend in weitere Konzentrationslager. Er erzählt vom immer gegenwärtigen Hunger, der alltäglichen Gewalt, dem Nachlassen der eigenen Kräfte durch Erschöpfung, Krankheiten sowie sog. Arbeit unter unwidrigsten Bedingungen – eher Versklavung – , Hinterlistigkeiten anderer Häftlinge, aber auch dem Zusammenhalt und endet mit der Befreiung sowie dem Wunsch einfach nur zu überleben.
Besonders deutlich wird die Hierarchie der Kapos, Lagerältesten, etc. beschrieben, welche selbst Häftlinge waren, wenn auch privilegiert. Diese demonstrierten ihre Macht den anderen gegenüber deutlich, anderenfalls hätten sie selbst ihre Sonderrechte verloren.

Ursprünglich wurde das Buch bereits 1950 veröffentlicht, doch erst jetzt, über 70 Jahre später, liegt es in deutscher Übersetzung vor – ehrlich gesagt viel zu spät, aber nicht zu spät.
Ohne Zweifel – es ist kein schönes Buch, aber es ist wichtig und zeigt in aller Ausführlichkeit, noch dazu schonungslos, den Alltag in Konzentrationslagern. Dagegen wirkt die glatte und geradezu schöne Sprache des Autors, der man das journalistische Können des Autors anmerkt, fast ein wenig fehl am Platz.
Debreczeni wertet weniger, als er beobachtend schildert und man fühlt sich nicht nur betroffen, sondern durch die detaillierten Beschreibungen einfach nur fassungslos!

Wofür mir selbst die passenden Worte fehlten, hat Carolin Emcke sie gefunden und zwar in ihrem angehängten Nachwort, welches man nicht treffender hätte schreiben können! Darin spannt sie auch den Bogen zur Gegenwart und macht deutlich, wieso dieses Buch so wichtig ist:
»Es ist nicht auszuhalten, und es gehört doch ausgehalten.«

Bitte überlegt nicht, dieses Buch zu lesen, sondern lest es einfach!
Wer sich mit der Thematik beschäftigt, wird an diesem Bericht nicht mehr vorbeikommen, da dieser eines der eindrucksvollsten Zeugnisse über den Holocaust ist und unbedingt gelesen werden muss!