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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2103 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2023
Heidenreich, Felix

Der Diener des Philosophen


ausgezeichnet

Der blaue Vogel mit dem breiten Schnabel

Das Buch lebt von der originellen Idee, das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Philosophen Immanuel Kant und seinem Diener Martin Lampe.40 Jahre lebten sie zusammen, obwohl sie sehr unterschiedliche Menschen sind und es eine latente Gegnerschaft gab.
Manche Szenen sind aus der Sicht von Martin Lampe, den es auch tatsächlich gab,. Andere, vor allen in späteren Passagen sind es die Gedankengänge von Kant. Als Beobachter dazwischen Waisinski, der spätere Biograf von Kant.
Der Autor Felix Heidenreich ist Philosophie- und Politikwissenschaftler. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass dieser Roman etwas anders gestaltet ist als die üblichen historischen Romanbiografien, von denen es zu viele gibt.
Der Diener des Philosophen dürfte länger im Gedächtnis des Lesers bleiben.

Bewertung vom 25.07.2023

Von Wegen und Umwegen - Betrachtungen über das Leben zu Fuß


gut

Von Wegen und Umwegen – Betrachtungen über das Leben zu Fuß
so der lange deutsche Titel. Der Originaltitel Where My Feet Fall
Going for a Walk in Twenty Stories erscheint mir geschmeidiger.
Themenanthologien haben die Gefahr, die Autoren einzuschränken, aber auch den Vorteil, ein breites Spektrum an Eindrücken über ein Thema zu versammeln.
Duncan Minshull, der auch das Vorwort geschrieben hat, wählte originell die Autoren aus. Von sehr großen Namen bis zu bei uns nicht ganz so bekannten.
Es geht los mit dem großen Richard Ford, gefolgt von Tim Parks.
Erster richtiger Höhepunkt ist für mich die Story Skiddaw von A.L.Kennedy. Ihre Prosa hat immer noch Frische und Ironie.
Dann kommen aber auch so einige langweilige Geschichten.
Ein spätes Highlight ist Kamila Shamsie mit Raus aus dem Käfig. Sie wandert mit Freundinnen in Karachi, Pakistan.
Es empfiehlt sich, die Geschichten dosiert zu lesen. Dann wirkt es am besten.

Bewertung vom 24.07.2023
Cline, Emma

Die Einladung


sehr gut

5 Tage

An dem Buch ist das aufregende erben der ungewöhnlichen Hauptfigur und dem Setting sicherlich der bemerkenswerte Stil von Emma Cline.

Alex ist eine 22jährige Frau, ebenso haltlos wie skrupellos. Sie ist bereit zu lügen, zu täuschen und etwas zu riskieren und ihren Körper ei zusetzen.
5 Tage will sie auf Long Island überbrücken, um dann wieder mit ihrem Sugardaddy zusammen zu kommen. Gesucht wird sie aber auch von ihrem Ex, dem sie Geld gestohlen hat.

Der festgelegte zeitliche Rahmen bestimmt das Lesegefühl mit. Eine beklemmende Atmosphäre durchzieht das Buch.

Man ist nah an der getriebenen Figur dran und kann sie doch nicht ganz durchschauen. Alex entzieht sich jedem moralischen Halt. Sie erinnert an eine weibliche Version des talentierten Mr. Ripley, zweifellos ist das von der Autorin so gewollt.

Es ist ein ungewöhnlicher wie faszinierender Roman.

Bewertung vom 24.07.2023
Balen, Katya

October, October


ausgezeichnet

Wir leben im Wald, und wir sind wild

Die weite, wilde Welt wartet auf mich. So lautet der Untertitel dieses empfehlenswerten Jugendbuches. Für die 11jährige October, die mit ihrem Vater im Wald lebt, ist die wilde Welt die Großstadt, die Zivilisation.
Im Wald hatte sie ein unbeschwertes Leben geführt. Nach einem Unfall des Vaters muss sie aber zur Mutter nach London und auch zur Schule gehen. Für die anderen Schüler ist sie das wilde Mädchen, aber October ist intelligent. Dennoch ist ihr größter Wunsch, zurück in den Wald zu gehen.
Doch langsam gibt es eine kleine Annäherung mit der Frau, die ihre Mutter ist.

Es ist ein gefühlvolles Buch, wenn auch mit Ecken und Kanten, denn October ist zunächst natürlich unangepasst. Die Perspektive liegt konsequent bei October. Als Leser ist man nah an ihrer Gefühls- und Erlebniswelt.
Ich denke, es ist unmöglich, nicht mit ihr mitzufühlen, da die Autorin Katja Balen die emotionale Geschichte mit viel Einfühlungsvermögen und Empathie geschrieben hat.

Bewertung vom 24.07.2023
Choi, Susan

Vertrauensübung


gut

Elitäre Bruderschaft der Künste

Vertrauensübung zeigt eine Reihe von Schauspielschüler, ganz zentral Sarah und David, und ihren übergriffigen Lehrer Mr. Kingsley. Der Lehrer wird überall als charismatisch bezeichnet, ich halte ihn aber für eine schwache Figur, kaum mehr als nur angedeutet,
Der Romanbeginn ist anscheinend in den frühen Achtziger Jahren angelegt, es gibt aber kaum ein Zeitgefühl. Die Autorin meidet Verweise wie z.B. auf die Popkultur dieser Zeit.
Susan Choi macht dann einiges mit Erzählperspektiven. Das wirkt zu angestrengt.
Der Roman ist kein einfaches Buch, der Aufwand ist groß. Einige exzellent erzählte Passagen entschädigen dafür.

Der Originaltitel lautet Trust exercise. Susan Choi hat damit den National Book Award gewonnen.

Bewertung vom 24.07.2023
Freund, René

Wilde Jagd


ausgezeichnet

Quintus

Die Hauptfigur Quintus Erlach in Rene Freunds neuen Roman Wilde Jagd ist zunächst nicht in bester Verfassung.
Zeitweise getrennt von Frau und Tochter, anscheinend in einer Midlifecrisis, trinkt zu viel und ist auch noch am Fuß verletzt. Da ergeht er sich schon ganz schön in Selbstmitleid.
Die Kurve bekommt er, als er Evalina trifft, die ihre verschollene Schwester sucht. Er freundet sich mit ihr an und unterstützt sie. Auch mit dabei ist Machtnix, der Hund von Quintus Tochter, den er hüten muss.

Wie schon im Klappentext angedeutet, gibt es dann auch „fast“ einen Kriminalfall. Dieser Aspekt hat mich persönlich nicht so überzeugt wie die Ausgangssituation. Aber ich bin ja auch kein Krimifan.

Ich mochte schon frühere Romane von Rene Freund, wie Ans Meer und Liebe unter Fischen. Wilde Jagd geht in die gleiche Richtung. Leichte Kost mit Niveau!

Bewertung vom 18.07.2023
Norton, Graham

Der Schwimmer


sehr gut

Bis jetzt hatte ich mich nicht an Graham Nortons Bücher herangetraut, aber der Kurzroman Der Schwimmer ist ein geeignetes Einstiegswerk.
Die Handlung ist nicht direkt neu, es ist nach meiner Lesart mehr ein Thriller als ein Krimi.
Der Kurzroman lebt von seiner charismatische Hauptfigur. Helen, 72 Jahre alt, ehemalige Lehrerin, lebt mit ihrer unerträglichen Schwester Margaret. Dann beobachtet sie eines Tages, wie ein Mann auf den See hinausschwimmt und nicht zurückkehrt. Die Polizei wird verständigt, aber keine Leiche gefunden.
Ein Jahr später sieht Helen den Mann wieder.

Die Handlung ist raffiniert genug um den Leser bei der Stange zu halten. Es ist konzentriert erzählt. Die Kürze des Buches erlaubt es, konsequent und geradlinig zu bleiben.

Bewertung vom 17.07.2023
Mank, Ute

Elternhaus


gut

Schwestern

Ute Manks Elternhaus erzählt von 3 Schwestern im mittleren Alter. Die Eltern werden langsam älter und krank.
Ute Mank arbeitet gut heraus, wie unterschiedlich die Schwestern sind.
Sie heißen Sanne, Petra und Gitti

Sanne hängt sich rein, alles für die Eltern zu machen. Dafür hat sie oft einen Zorn, dass die anderen nichts machen.
Sie denkt auch oft, dass sie als Knd härter von den Eltern behandelt wurde als ihre Schwestern, weil sie die älteste ist.
Petra ist zurückhaltender und die jüngste, Gitti, ist selbstbewusst und macht immer ihr eigenes Ding.
Der schwelende Konflikt zwischen den Schwestern ist spürbar, aber er entlädt sich nicht. Stattdessen ziehen sie sich mehr in sich selbst zurück, besonders auch Sanne, die sich plötzlich überfordert fühlt.

Fazit: Gute Ansätze, aber unspektakulär. Man hätte mehr daraus machen können.

Bewertung vom 17.07.2023
Stern, Anne

Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie / Die Dresden Reihe Bd.1


sehr gut

Liebe oder Pflicht

Der Roman „Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie“ führt einen ins Jahr 1841 nach Dresden und zeigt die damaligen Lebensbedingungen.
Im Mittelpunkt steht die Semperoper. Hier ist Christian Hildebrand, Gehilfe des Malermeisters tätig. Er war als Waisenkind auf der Straße aufgewachsen.
Zweite Hauptfigur ist Elise Spielmann, die aus wohlhabendem Hause stammt und für die Musik brennt. Sie ist leidenschaftliche Geigerin, aber weibliche Musiker sind zu der Zeit nicht gefragt.
Christian und Elise verstehen sich gut, aber ihre Liebe ist nicht standesgemäß.

Streckenweise plätschert die Handlung vor sich hin! Zum Glück wechselt das immer wieder mit gut ausgestalteten Passagen.

Die Berliner Autorin Anne Stern, die mit Fräulein Gold eine unvergleichliche Romanfigur geschaffen hat, bemüht sich auch, die Figuren dieses Romans zu etwas Besonderen zu machen und die beiden sind auch keine schlecht gemachten Charaktere. Sie sind auch sympathisch. Aber es gibt zu viele Romanfiguren des historischen Romans, die ähnlich sind. Ich befürchte, so lange werden Elise und Christian nicht im Gedächtnis bleiben.
Immerhin wird konsequent gezeigt, wie sie gezwungen sind Entscheidungen zu treffen und es wird wahrscheinlich weitere Bände mit ihnen geben. Also mal abwarten.

Positive anzumerken ist außerdem: Wieder überzeugen Anne Sterns geschmeidiger Schreibstil sowie die Dialoge. Fans werden zufrieden sein.

Bewertung vom 15.07.2023
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Liebe und Tod auf Trinidad

Bücher, die in Trinidad handeln, liest man auf dem dfeutschen Buchmarkt nicht so oft, aber der Debütroman der Autorin Ayanna Lloyd Banwo nutzt diese Umgebung detailliert und auf poetische Art.
Das Buch ist aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger übersetzt.
Der bestechende, manchmal auch beklemmende Schauplatz ist die fiktive Stadt Port Angeles. Ein mystischer Einschlag bestimmt das Buch, in dem es neben der Liebe auch um den Tod und um Geister geht.

Zu den Hauptfiguren; Da ist Yeyide, die, wie die Frauen aus ihrer Familie, Tote sehen kann.
Und dann Emmanuel Darwin, ein Rastafari, der aus Not den Job eines Totenmgräbers auf einem Friedhof annehmen muss, obwohl Rastafari nichts mit dem Tod zu tun haben wollen.
Erst Mitte des Buches begegnen sie sich wirklich.
Darwin und Yeyide sind lebendige Charaktere. Sie sind beide jung. Beide sind sie gefangen von den Traditionen und spezifischen Glauben ihrer Familien und Vorfahren und sie schwanken zwischen Widerstand und Annehmen eines vorgegebenen Schicksals.