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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 07.06.2019
McGee, James

Der Rattenfänger


sehr gut

»Sie haben doch gute Kontakte zur Unterwelt. Hören Sie sich dort um. Mord und Verstümmelung auf des Königs Straßen dulde ich nicht!«

London 1811, England führt Krieg gegen Napoleon. Während der Adel im Luxus schwelgt, herrscht in den Armenvierteln der Hauptstadt große Not. Überlebenskampf ist angesagt, Nährboden für Kriminalität.
Dort, zwischen Huren, Hehlern und stehlenden Straßenkindern liegt das Revier von Matthew Hawkwood, einem Sonderermittler der Polizei. Mit guten Kontakten, Unerschrockenheit und Instinkt meistert er seinen Alltag, doch die aktuelle Herausforderung wird ihn an seine Grenzen bringen.
Zwei Morde sind aufzuklären, dabei kommt Matthew einem furchtbaren Geheimnis auf die Spur. London steuert auf eine Katastrophe zu und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Ich war sehr gespannt auf den Auftakt dieser Reihe. Das England des 19. Jahrhunderts empfinde ich als hochinteressanten geschichtlichen Hintergrund. Tatsächlich stellt dieses Buch eine tolle Milieustudie dar, die Reichen und Adligen sind so arrogant, wie man nur sein kann und die Not in den Elendsvierteln wird so plastisch beschrieben, dass man sie deutlich vor Augen hat und meint, den Gestank zu riechen. Auf die tatsächlichen historischen Ereignisse wird übrigens im Anhang eingegangen, dabei erkennt man, dass eine ganze Menge Tatsachen im Buch verarbeitet wurden.

Besonders interessant ist natürlich Hawkwood, ein wirklich spezieller Charakter. Exzentrisch, charismatisch und mit reichlich Vergangenheit ist er ein Typ, dessen Verhalten man wirklich nicht immer gutheißen kann, der aber trotzdem (oder gerade deshalb?) fasziniert. Schnell wird zudem klar, dass man schon ein ungewöhnlicher Mensch sein muss, um in diesem Aufgabenbereich erfolgreich zu sein. Oder einfach nur zu überleben. Gerade letzteres wird hier manchmal äußerst schwierig, Spannung ist angesagt!

Fazit: Tolle Milieustudie, Spannung und ein sehr spezieller Charakter. Ich freue mich, dass diesem Band bereits zwei weitere gefolgt sind und mache gleich mit dem nächsten weiter.

»Hat Sie schon mal jemand darüber informiert, mein Freund, dass Sie dazu neigen, sich hart an der Grenze des Gesetzes zu bewegen?«

Bewertung vom 02.06.2019
Knechtges-Obrecht, Irmgard

Clara Schumann


sehr gut

»Die Ausübung der Kunst ist ja ein großer Theil meines Ichs, es ist mir die Luft, in der ich athme.«

Wer sich mit dem klassischen Klavierspiel beschäftigt, kommt an dem Namen Clara Schumann nicht vorbei. Und wer – so wie ich – noch zu D-Mark-Zeiten aufgewachsen ist, kennt ihr Gesicht, das auch vom Cover dieses Buchs lächelt, vom Hundertmarkschein. Irmgard Knechtges-Obrecht zeichnet in dieser Biographie ein differenziertes Bild einer Frau, die die Musikwelt nachhaltig prägte und beeinflusste und zu ihrer Zeit ein außergewöhnliches Frauenbild präsentierte.

Von ihrem Vater systematisch zum Wunderkind aufgebaut, startete Clara ihre Karriere mit zarten 9 Jahren. Als sie 18 war, war ihr bereits der internationale Durchbruch gelungen. All das war nur durch den kompletten Verzicht auf eine Kindheit möglich, ihr Leben wurde durch Fingerübungen und höchst strapaziöse Konzertreisen bestimmt. Der dominante Vater managte erfolgreich, reglementierte aber selbst die privatesten Bereiche im Leben seiner Tochter. So nahm er beispielsweise ihre Tagebucheintragungen vor, erst als junge Frau durfte sie selber schreiben, wobei er aber jeden Eintrag kontrollierte und, wo er es für richtig empfand, korrigierte. Wie sich die 19jährige Clara von ihm loskämpft, um (natürlich gegen den Willen des Vaters) Robert Schumann, die große Liebe ihres Lebens, zu heiraten, ist sehr berührend und nötigt Respekt ab.

Kämpfen musste sie auch später oft. Als ihr Mann starb, war sie erst 37 Jahre alt und Mutter von 7 Kindern. Entgegen dem, was gesellschaftlich üblich gewesen wäre, heiratete sie nicht neu, sondern führte ihr erfolgreiches Künstlerinnenleben auch als Alleinerziehende weiter und entsprach dadurch in keiner Weise dem bürgerlichen Frauenbild ihrer Zeit. Dies führte sie konsequent weiter, leitete zu einem späteren Zeitpunkt eine Klavierklasse an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main und war damit die erste und für lange Zeit einzige Frau in einer solchen Position. Clara Schumann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen und wurde über ein halbes Jahrhundert auf den Konzertbühnen Europas gefeiert.

Zweifelsfrei war Clara eine ungewöhnlich moderne Frau, die Autorin stellt in ihrem Buch aber die Künstlerin in den Mittelpunkt. Clara liebte und lebte die Musik, sie spielte und komponierte, übte stetig und ausdauernd, um die gewünschte Perfektion und Brillanz zu erlangen bzw. zu erhalten. Tapfer nahm sie alle Strapazen der Konzertreisen auf sich und genoss den Lohn der ihr entgegengebrachten Ovationen. Die Musik gab ihr Halt auch in schweren Zeiten und als ihr das Musizieren im Alter krankheitsbedingt nicht mehr möglich war, ahnt man als Leser schon, dass dies ihr Lebensende eingeläutet hat.

Indem man ihr Leben verfolgt, liest man auch vieles über das ihres Mannes Robert Schumann und das eines ihrer engsten Freunde, Johannes Brahms. Obwohl das gezeigte Bild von Clara überwiegend positiv ist, finden auch ihre schlechteren Eigenschaften Erwähnung. Nicht jede ihrer Verhaltensweisen mag man gutheißen, aber man kann leicht nachvollziehen, wie sie zu dem Menschen wurde, der sie war. Als Künstlerin ist sie über jeden Zweifel erhaben und ihre mutige Rolle als moderne Frau verdient auf jeden Fall Respekt.

Die Biographie liest sich leicht und angenehm, ist chronologisch aufgebaut und in logische Kapitel gegliedert. Eingestreut in den Text finden sich immer wieder passende Bilder und Fotos. Bei ihrer sorgfältigen Recherche konnte die Autorin auch die bisher unveröffentlichten Jugendtagebücher Claras einsehen und auswerten.

Fazit: Hochinteressantes Porträt einer ungewöhnlichen Frau und brillanten Künstlerin. Der Untertitel des Buchs lautet »Ein Leben für die Musik« und trifft voll auf den Punkt.

Bewertung vom 26.05.2019
Nybørg, Ernest

Lena Halberg: Der Cellist


ausgezeichnet

»Die Frage ist, … ob du dir nicht ein weniger brisantes Thema überlegst und die Angelegenheit auf sich beruhen lässt.«
»Damit diese Mistkerle davonkommen und noch größere Schweinereien anzetteln? Niemals! … Siehst du denn nicht, was die machen? Die verschieben die Gewinne auf Schwarzgeldkonten, erpressen ganze Staaten und bringen Leute um!«

Die Journalistin Lena Halberg reagiert auf Ungerechtigkeiten ungefähr so, wie der sprichwörtliche Stier auf das rote Tuch. So nimmt sie auch jetzt den Kampf auf, entgegen diverser gutgemeinter Ratschläge und Warnungen. Und tatsächlich wird sie sich wieder in große Gefahr begeben…

Der angebliche Selbstmord eines Bankers hatte ihre Aufmerksamkeit erregt und die Neugierde geweckt, denn der Name des Toten fiel im Zusammenhang mit den Panama Papers. Bei Recherchen stößt sie schnell auf einige brisante Infos rund um den angeblich so seriösen Banker Martin Kurkov, der sich der Öffentlichkeit als großer Kunstliebhaber präsentiert und einen jungen, begabten Cellisten fördert. Lena wird klar: Hinter der biederen Fassade steckt ein ganz, ganz mieser Kern.

Dieser Thriller sorgte bei mir wieder für ordentlich Wut im Bauch, manche Menschen gehen einfach mit unglaublicher Skrupellosigkeit vor. Vermutlich mag ich Lena so, weil sie versucht, diesen gemeinen Subjekten das Handwerk zu legen. Was sie aufdeckt, geht weit über dubiose Bankgeschäfte hinaus, entsprechend wirken ihre Nachforschungen wie ein Stich ins Wespennest. Es wird also sehr spannend!

Wer nicht so im Thema ist, was mit den Panama Papers und Offshore-Diensten gemeint ist, muss sich keine Sorgen ums Verständnis machen, denn es gibt grundlegende Infos zu diesen Punkten. Auch die Kenntnis der vorherigen Bände der Lena-Halberg-Reihe ist nicht notwendig, die früheren Handlungen sind abgeschlossen und man kann problemlos mit diesem Band einsteigen.

Neben Lena, einer starken Frau, gibt es einige interessante Nebencharaktere. Ein Schauplatz der Handlung liegt in Bolivien, außerdem verfolgen wir die Wege des titelgebenden Cellisten. Beides hat mir sehr gefallen und ich war gespannt, wie die Fäden am Ende zusammenlaufen. Im Anhang sind einige „Facts“ aufgeführt, die erschreckend deutlich machen, wie realistisch die Handlung des Thrillers ist.

Fazit: Skrupellose Finanzgeier und eine taffe Journalistin – spannend!

Bewertung vom 18.05.2019
Englisch, Andreas

Mein Rom


ausgezeichnet

»Also«, sagte Leo derweil ungeduldig und zeigte auf die Fassade des Petersdoms. »Leg los! – was fällt dir als Erstes zum Petersdom ein?«
Ich überließ mich einen Augenblick der Faszination, die dieses gewaltige Bauwerk auch nach so vielen Jahren auf mich ausübt.

Ich mag Rom und habe schon wie unzählige andere Menschen staunend und bewundernd vor den vielen, vielen Zeugnissen der alten Kultur und vor großartigen Kunstwerken gestanden. Wenn ich an Rom denke, fehlen mir regelmäßig die angemessenen Worte, um meine Faszination zu beschreiben, dieses unglaubliche Gefühl, das mir einflüstert, gerade mitten durch die Geschichte zu laufen.

Andreas Englisch gelingt es, diese angemessenen Worte zu finden. Und so löste auch dieses Buch bei mir große Begeisterung aus.
Seit über 30 Jahren lebt er in Rom und liebt die Stadt mit all ihren Facetten. Der Titel des Buchs ist sehr passend gewählt, denn Englisch vermittelt nicht nur viele hochinteressante Infos, sondern bringt immer auch eine persönliche Note mit hinein. So erfährt man, was ihn besonders begeistert, welche persönlichen Erlebnisse er mit der Stadt und einzelnen Bauwerken verbindet.
Sein Fachwissen scheint enorm, ich erfuhr so einiges, was ich noch in keinem Reiseführer gelesen hatte. Und alles wird auf solch leichte und unterhaltsame Art beschrieben, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen mochte.

Besonders reizvoll wird die Lektüre noch durch die Rahmenhandlung. Englisch ist nämlich dieses Mal nicht allein in Rom unterwegs, sondern gemeinsam mit seinem Sohn Leonardo. Dieser benötigt ein wenig Nachhilfe vor der Aufnahmeprüfung für den Fremdenführerlehrgang. Zwischen dem Schon-Experten und dem künftigen Experten entstehen zahlreiche Diskussionen, die teilweise ganz normale Vater-Sohn-Probleme spiegeln, gleichzeitig aber auch hochinteressant zu verfolgen sind. Leonardo scheint mir ein sehr intelligenter junger Mann zu sein, neugierig, durchsetzungsstark und aufgeschlossen. Aber er ist auch kritisch, er hinterfragt viel und zeigt sich durchaus streitlustig. Damit strapaziert er zwischenzeitlich die Nerven seines Vaters, bringt diesem aber auch wichtige Gedankenanstöße. Ich merkte an so manchen Stellen, dass Leonardo aussprach, was mir bei Beschreibungen, zum Beispiel im Vatikan, so durch den Kopf geht.

Der Vatikan bildet auch den Schwerpunkt der Tour des Vater-Sohn-Gespanns, weiter geht es dann noch zum Kolosseum und zu einigen weiteren Kirchen/Sehenswürdigkeiten. Zahlreiche tolle Fotos ergänzen die Beschreibungen. Viel zu schnell sind die beiden am Ende, ich hätte gerne noch weitergelesen. Für den Fall, dass das Buch gut ankommt, stellt Englisch einen Folgeband in Aussicht. Daher hier noch einmal ganz deutlich von mir: Bitte macht weiter!

Fazit: So eine Führung will ich auch! Hochinteressante Infos, unterhaltsam geschrieben. Hoffentlich gibt es einen Folgeband!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.05.2019
Schimke, Helma

Über allem der Berg


sehr gut

»Für uns Frauen ist nicht der Berg selbst das Schwierige, sondern was sich um ihn herum baut und sich gegen uns stellt. Niemand kann uns helfen, diese Widerstände zu überwinden. Im letzten sind wir immer allein … Wichtig ist ja nur das eine: Das zu leben, was man ist…«

Ich gestehe, dass ich Helma Schimke erst mit diesem Buch kennenlernte. Ich las über eine faszinierende Frau, die als Architektin arbeitete und in den 1950er und 1960er Jahren zu den weltweit besten Bergsteigerinnen zählte. Schon früh hatte sie mit gesellschaftlichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen, wollte sie doch gegen den Zeitgeist in einem „Männerberuf“ arbeiten und sich nicht mit einer Rolle als Hausfrau und Mutter begnügen.
Dazu kamen ihre Leidenschaft und ihre große Begabung für das Bergsteigen. Ohne es gezielt darauf angelegt zu haben, wurde sie zu einer Pionierin des Frauenalpinismus – einfach, weil sie das tat, was sie wollte und für sich als das Beste ansah.

1961 kam ihr Mann, ebenfalls ein passionierter Bergsteiger, bei einem Lawinenunglück in der Watzmann-Ostwand ums Leben. Für die Mutter von drei kleinen Kindern ein Schicksalsschlag, eine wahre Tragödie. In diesem Buch schildert sie in großer Offenheit, wie sie die dramatischen Tage rund um das Unglück erlebte, wie sie anschließend weiterlebte, was ihr Mut machte und was das Leben erschwerte.

Das jetzt als Neuauflage herausgekommene Buch erschien erstmals 1964 und ist geprägt von dem Gefühlschaos, das durch den Tod des geliebten Mannes und die folgenden Widrigkeiten hervorgerufen wurde. Der erste Teil befasst sich sehr detailliert mit dem Unglück und der – leider erfolglosen – Rettungsaktion. Das ist Dramatik pur, man kann beim Lesen gar nicht anders, als mitzuleiden und ich für mein Teil konnte das Buch nicht aus der Hand legen.

Im weiteren Teil geht es um die Zeit „danach“. Nachdem sie offenbar eine Zeitlang damit ausgesetzt hatte, beginnt sie wieder mit dem Bergsteigen. Und sie stellt fest, wie sehr es ihr hilft, das Geschehene zu verarbeiten, wie sehr sie in ihren geliebten Bergen zur Ruhe kommt, dort ganz zu sich findet und alles hinter sich lassen kann. Und das Abschalten wird ihr nicht leicht gemacht, denn aus der Gesellschaft heraus werden ihr Vorwürfe gemacht, wird sie verantwortungslos genannt, weil sie als Mutter kleiner Kinder auf Berge steigt.

Dieser, ich nenne ihn mal „Aufarbeitungsteil“ des Buchs, wird von Berichten über Bergtouren dominiert. Schimke schildert eigene Erlebnisse und die von befreundeten Bergsteigern. Im Zentrum all dieser Berichte steht der Berg und das Leben für die Berge. Es sind Berichte voller Strapazen und Gefahren und zugleich voller Faszination und atemberaubender Schönheit. Wer, wie ich, zu viel Respekt vor Bergen hat, um sie anders als nur wandernd zu erkunden, liest dies mit einem Gefühl, das zwischen Staunen, Bewunderung und Befremden schwankt. Für den Nichtbergsteiger kann es zwischendurch zu Verständnisproblemen kommen, weil regelmäßig Fachausdrücke verwendet werden. Das Buch ist nicht so konzipiert, interessierten Lesern etwas über das Bergsteigen zu erklären, sondern es ist eine sehr persönliche Schilderung, die noch dazu in wörtlichen Zitaten viel Dialekt bringt. Da es keine Übersetzungshilfen im Buch gibt, bleibt dem hochdeutsch sprechenden Leser da nur ein Mix aus raten und googeln. Während mich der erste, dramatische, Teil ans Buch fesselte, gelang das im zweiten Teil nicht immer. Abschnitte, in denen immer wieder ausführlich die persönliche Beziehung zu den Bergen behandelt wurde, kamen bei den Betroffenen sicher aus vollem Herzen, mir gerieten sie aber manchmal zu theoretisch.

Im Mittelteil finden sich einige tolle, teils sehr persönliche Fotos. Ich habe immer wieder während des Lesens dorthin geblättert. In der Summe habe ich mit diesem Buch eine beeindruckende und starke Frau kennengelernt, der die Liebe zu den Bergen eine beneidenswert optimistische Lebenseinstellung gab.

Bewertung vom 01.05.2019
Nygaard, Hannes

Vom Himmel hoch


sehr gut

»Das ist eine harte Nuss. Wie soll jemand hier, mitten auf dem Platz, aus dieser Höhe abstürzen? Der muss wirklich vom Himmel gefallen sein.«

Ein kleines Städtchen in Nordfriesland, mitten auf dem Marktplatz liegt ein Toter. Die Todesursache ist schnell klar: Ein Sturz aus einer Höhe, wie sie ungefähr der 4. Etage eines Wohnhauses entspricht. Nur, dass es weit und breit kein höheres Gebäude gibt. Und bewegt wurde die Leiche auch nicht. Wirklich eine harte Nuss. Das Team der Kripo Husum nimmt sich des Rätsels an – obwohl es mal wieder eigentlich gar nicht zuständig ist…

Diesen Küstenkrimi fand ich sehr unterhaltsam. Die Ausgangslage ist herrlich knifflig, denn hier eine logische Erklärung zu finden, ist nicht leicht. Was mir besonders gefiel, waren die umfangreichen Ermittlungsarbeiten und Verhöre, die gut beschrieben werden. Nachdem das Ermittlerteam das persönliche Umfeld des Opfers ins Auge gefasst hatte, wurde schnell klar, dass auf dessen Arbeitsstelle nichts so läuft, wie es nach außen dargestellt wird. Eine ganze Reihe Verdächtiger kommen zusammen, viele Motive, Alibis und Verstrickungen. Und dann geschieht auch noch ein zweiter Mord im gleichen Umfeld, da liegt natürlich ein Zusammenhang nah.

Was dem Autor sehr gut gelungen ist, ist der Blick hinter die Kulissen einer offenbar sauberen Gesellschaft. Da wird so einiges aufgedeckt, was krampfhaft verborgen bleiben sollte und da wird so manchem der Spiegel vorgehalten.
Auch bei seinem Ermittlerteam lohnt ein Blick hinter die Fassade, die Charaktere erscheinen mir deutlich vielschichtiger, als es zunächst aussieht.
Die regionalen Besonderheiten kommen ebenfalls sehr schön rüber, häufig werden Landschaft und Wetter beschrieben, auf die charakterlichen Eigenarten der „Ureinwohner“ eingegangen und Sätze und Ausdrücke der dortigen Mundart eingestreut. Das alles sorgt für eine stimmige Atmosphäre, die Freunden der norddeutschen Küstenregionen gefallen sollte.

Was man bei diesem Krimi nicht erwarten darf, sind große Spannungsmomente. Alles ist recht ruhig, die Fälle werden nicht durch Verfolgungsjagden oder Schießereien gelöst, sondern durch Befragungen und Recherche. Das wirkt so im Grunde recht realistisch. Allerdings ist es mit dem Realismus wieder vorbei, wenn man bedenkt, dass die Beamten in Husum eigentlich gar nicht für Mordermittlungen zuständig sind, auch ständig aufgefordert werden, sich nicht einzumischen. Trotzdem agieren sie munter, machen Verhöre und sogar Dienstreisen. Parallel dazu scheinen die eigentlichen Ermittler der Mordkommission in Flensburg außer meckern nichts zu tun, bei parallelen Tätigkeiten müsste man sich doch normalerweise ständig über den Weg laufen. Außerdem ist es, bei aller Anerkennung für die Leistungen der Husumer, völlig unlogisch, dass die Flensburger nicht zu den gleichen Ergebnissen kommen würden.

Fazit: Ruhiger Krimi mit interessanten psychologischen Einblicken, guten Charakteren und toller Atmosphäre. Ein wenig mehr Realismus fehlt mir noch zum völligen Krimiglück.

Bewertung vom 28.04.2019
Horsten, Christina;Zeltner, Felix

Stadtnomaden


sehr gut

Christina und Felix sind schockiert. Gerade eben sind die beiden in New York lebenden und arbeitenden Journalisten mit ihrer neugeborenen Tochter nach Hause gekommen, da finden sie die Kündigung eben dieser Wohnung im Briefkasten vor. Ein bezahlbares Zuhause ist in dieser Stadt nicht leicht zu finden, doch die beiden lassen sich nicht unterkriegen und nutzen die eigentlich traurige Situation, um einen lang gehegten Plan aus der Schublade zu holen und umzusetzen. Im folgenden Jahr wollen sie in jedem Monat in eine neue Wohnung umziehen, dabei die unterschiedlichsten Ecken der Stadt und sämtliche Bezirke kennenlernen. Mutig stürzt sich die kleine Familie in das Abenteuer…

Ich gestehe: Für mich klingt dieser Plan mehr als abenteuerlich. Und die Umsetzung, die der Leser verfolgen kann, gestaltet sich auch wirklich nicht leicht. Jeden Monat die Suche nach einer neuen Bleibe, die sich manchmal erst im letzten Moment findet, die ganze Umzugslogistik und dazu der normale Alltag, der schließlich weiterlaufen muss. Wahnsinn! Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist das Entrümpeln, die Beschränkung auf das absolut Notwendigste. Schließlich muss man am Monatsende sein Hab und Gut einfach in ein paar Ikea-Taschen verstauen können, um sie am nächsten Ziel wieder auszupacken. Ich habe mich ständig gefragt, wieso man sich so etwas antut, aber die beiden waren meist sehr zufrieden.

Es gibt ja auch viele positive Aspekte dieser ganzen Aktion. Schon sich von völlig Unnötigem im Leben zu trennen, kann befreiend wirken. Und dann die vielen neuen Erfahrungen, die die beiden machen! Sie lernen Ecken der Stadt kennen, die sie sich auf Dauer nie leisten könnten, erleben in manchen Monaten Luxus pur. In anderen Monaten ziehen sie in Gegenden, die sie normalerweise nie als Wohnsitz in Betracht gezogen hätten und erleben dabei Erstaunliches. Da fängt man zwangsläufig an, darüber nachzudenken, welche Vorurteile sich im eigenen Kopf womöglich befinden.

Während ihrer jeweiligen Aufenthalte bemühen sich die beiden, jede neue Umgebung so gut wie möglich kennenzulernen. Sie besuchen Shops, Restaurants und Cafés, nutzen die örtlichen Sportangebote, treffen Nachbarn, geben Partys. Schnell fällt ihnen im Kontakt mit den Menschen vor Ort auf, dass diese in verschiedenen Vierteln ganz verschieden mit ihnen umgehen, dass sich reiche und arme Gegenden hier deutlich unterscheiden. Ein Punkt, der nachdenklich macht, schließlich sind die beiden doch immer dieselben Personen.

Ein ständiges Thema, egal in welcher Ecke der Stadt, ist das der Gentrifizierung. Höchst komplex, das wird schnell klar. Zwangsläufig macht man sich beim Lesen seine eigenen Gedanken dazu, genau wie die beiden Autoren. Diese schreiben übrigens meist abwechselnd und je Wohnung gibt es ein eigenes Kapitel.

Als Leser konnte ich einen ungewöhnlichen Blick auf New York werfen, ich erfuhr Dinge, die in Reiseführern meist nicht stehen. Und ich schnupperte an einer reichlich fremden Welt, in der es scheinbar normal ist, mehr für den Wohnraum auszugeben, als hierzulande in vielen Fällen zwei vollzeitarbeitende Personen zusammen verdienen. Auch der in Chinatown gelegene und als äußerst preisgünstig beschriebene Kindergarten verschlingt bereits ein hiesiges Monatsgehalt. Was müssen die verdienen? Und wie lebt man (zumal mit einem Kleinkind) ohne Waschmaschine? Gekocht wird auch nie, sämtliche Mahlzeiten auswärts gekauft oder eingenommen. Das alles wirkt geradezu exotisch.

Der Stil ist leicht und angenehm zu lesen, die Lektüre unterhaltsam, informativ und voller Stoff zum Nachdenken. Zu jedem Kapitel gehören Fotos und Übersichtskarten der Stadt zeigen an, wo genau sich die einzelnen Wohnungen befinden.

Fazit: Ein ungewöhnliches Projekt, das interessante Eindrücke liefert, die man als Tourist kaum erlangen kann.