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Aischa

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Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 03.07.2019
Schneider, Jürgen;Braune, Tanja

Grüne Durstlöscher


sehr gut

Dieses Buch kam wie gerufen: Es war der heißeste Juni seit Beginn der Wetterauszeichnungen, und ich verspreche seit einigen Monaten nur noch wenig Zucker zu konsumieren. Gerade bei Getränken kann man viele Kohlehydrate einsparen, aber auf Dauer finde ich immer nur Wasser zu trinken doch etwas langweilig. Daher habe ich mich sehr auf neue Rezepte gegen den Durst gefreut.
Die Einleitung erläutert, worauf man beim Sammeln der verwendeten Pflanzen achten sollte. Auch zum richtigen Haltbarmachen gibt es Tipps, ebenso wie zur Wahl des Mixers für Smoothies. Etwas zu kurz geraten finde ich den Abschnitt über das Süßen, zumal in den meisten folgenden Rezepten mit Zucker nicht gerade gegeizt wird.
Der Rezeptteil ist nach den verwendeten Hauptpflanzen unterteilt; den einzelnen Abschnitten ist jeweils ein Kräuterporträt vorangestellt. Die Rezepte sind überwiegend einfach umzusetzen und dabei dennoch sehr kreativ. Auch die Getränkearten sind sehr vielfältig, es gibt Tees, Limonaden, Smoothies, Fruchtbowlen, Sirupe und Aromawasser zu entdecken.
Zahlreiche Farbfotos veranschaulichen die Durstlöscher.
Ein kleines Manko ist das fehlende Stichwortverzeichnis, dadurch ist die Suche nach einem bestimmten Rezept etwas mühsam. Sehr gestört hat mich, dass im Porträt der Mariendistel nicht darauf hingewiesen wird, dass diese untru Artenschutz steht und nicht wild wachsenden gepflückt werden darf. Dies wird lediglich in der Einleitung kurz erwähnt, das ist nicht ausreichend, da nicht alle Leser ein Kochbuch komplett von vorne bis hinten lesen.

Bewertung vom 19.06.2019
Falaki, Mahmood

Ich bin Ausländer und das ist auch gut so


sehr gut

Der persischstämmige Literaturdozent und Autor schildert in seinen Kurzgeschichten kurze Alltagssituationen und zeigt dabei seinen persönlichen Blick auf Deutschland und die Deutschen. Das liest sich flüssig und unterhaltsam, ist kurzweilig, humorvoll, manchmal aber auch schwerer verdaulich und mit Nachgeschmack.

Der selbstkritische Leser bekommt reichlich Anstöße, seinen Umgang mit und seine Urteile über Migranten zu reflektieren. Falaki beschreibt skurrile Begegnungen in der U-Bahn, erzählt von lustigen Missverständnissen und anrührenden Erlebnissen auf dem Friedhof. Seine Sprache ist präzise, die Geschichten sind sehr vielfältig. Nicht alles ist nach meinem Geschmack, manche Story ließ mich doch recht ratlos zurück. Aber das ist o.k., auch im wahren Leben verstehe ich nicht immer alles.

Fazit: Erfrischend andere "Exil-Literatur", ohne erhobenen Zeigefinger oder Selbstmitleid.

Bewertung vom 19.06.2019
Ribeiro, Gil

Weiße Fracht / Leander Lost Bd.3


ausgezeichnet

Drehbuchautor Gil Ribeiro alias Holger Karsten Schmidt legt mit "Weiße Fracht - Lost in Fuseta" den dritten Band seiner Reihe rund um den Hamburger Kommissar Leander Lost vor, der mit seinen portugiesischen Kollegen in der Algarve ermittelt. Ich habe die Vorgängerbände nicht gelesen, dennoch viel mir der Einstieg in die Geschichte leicht, es sind keinerlei Vorkenntnisse nötig.
Der Krimi hat mich sehr gut unterhalten. Weniger aufgrund des Plots, dieser ist recht unaufgeregt gestaltet. Die Story spielt rund um den Drogenhandel an der portugiesischen Südküste und ist zwar solide und ohne große Übertreibungen konstruiert, kommt jedoch auch weitestgehend ohne Überraschungsmomente aus. Nein, die Stärke des Buchs ist nicht Spannung, sondern es besticht vor allem durch seine liebevoll gezeichneten Charaktere. Leander Lost ist nicht nur namentlich und durch seine deutsche Herkunft ein Sonderling, er unterscheidet sich auch durch Aussehen und Verhalten deutlich von seinen Mitbürgern. Dies liegt darin begründet, dass er das Asperger-Syndrom hat, eine besondere Form von Autismus. Dessen Begleiterscheinungen sorgen für reichlich Situationskomik und machen Lost für den Leser zu einem großen Sympathieträger, während seine Kollegen durchaus auch unter ihm zu leiden haben. Ribeiro bleibt in seinen Beschreibungen stets respektvoll, ab und an mit einem Augenzwinkern, aber ohne "den Asperger" slapstickartig vorzuführen. So kann dieser Kriminalroman nicht nur unterhalten, sonder nebenbei auch noch Verständnis für die von dieser Autismus-Form Betroffenen wecken; in meinen Augen eine wundervolle Begleiterscheinung.
Überhaupt ist das Buch unter der Oberfläche mit einer großen Portion Mitmenschlichkeit ausgestattet. Der Autor präsentiert Landschaft und Leute der Algarve mit so viel Sympathie, dass man sich nach der Lektüre umgehend auf den Weg dorthin machen möchte.
Fazit: Kein 08/15-Schmöker, sondern ein Regionalkrimi mit Herz und Verstand.

Bewertung vom 13.06.2019
Horsten, Christina;Zeltner, Felix

Stadtnomaden


gut

Das temporäre Lebenskonzept, das die Buchautoren für ein Jahr praktiziert haben, klingt für mich aufregend, innovativ und vielversprechend: Zunächst als Schnapsidee abgetan wagt die deutsch-amerikanische Kleinfamilie in New York ein mutiges Experiment. Sie wollen ein Jahr lang jeden Monat in eine andere Wohnung ziehen.
Die Autoren Christina Horsten und Felix Zeltner sind preisgekrönte Journalisten, und entsprechend locker-flüssig liest sich ihr Bericht auch. Die Kapitel wurden abwechselnd aus Christinas bzw. Felix´ Sicht verfasst; der Perspektiv- und Stilwechsel ist durchaus erfrischend. Die beiden zeigen auf, welche Auswirkungen die hochfrequenten Umzüge auf ihren Alltag hatten: was benötigt man wirklich, wie kommt man mit den Nachbarn in Kontakt, wie ist die Infrastruktur im jeweiligen Viertel?
Das Buch hinterlässt jedoch einen schalen Nachgeschmack bei mir. Zum einen nimmt die Gentrifizierung in meinen Augen einen zu großen Teil des Buchs ein. Sie ist ohne Frage ein großes Problem in den meisten Metropolen, aber ich hatte an dieses Buch ganz andere Erwartungen. Nicht zuletzt aufgrund der Unterüberschrift hatte ich mich darauf gefreut zu erfahren, wie es das Leben der Autoren dauerhaft verändert hat, nicht mehr sesshaft zu sein, sondern mehr oder weniger ein nomadisches Leben zu führen. In einer neuen Wohnung, einem neuen Viertel anzukommen, es zur erkunden, neue Menschen kennen zu lernen, um kurz darauf schon wieder Abschied zu nehmen und weiter zu ziehen. Wie die kleine Tochter Emma damit klar kommt - nämlich erfrischend unkompliziert - erfahren wir. Wie sich die Eltern, als Individuum wie auch als Paar, dabei fühlen, kommt für mich oft zu kurz, bleibt an der Oberfläche. Auch tauchen einige Widersprüche auf: Einerseits ist das Geld knapp, Kreditkarten wurden gesperrt, andererseits leistet sich die Familie nicht nur täglich auswärts zu essen, sondern es sind auch Unterkünfte drin, die mehr als 200 Dollar pro Nacht kosten. Einerseits klagt man, dass der Weg zur Kindertagesstätte so lange dauert, andererseits ist immer Zeit für Sport, Spaziergänge durch die Neighborhood, lange Abendessen, die monatliche Suche nach einer neuen Wohnung, und all das bei zwei Fulltime-Jobs.
Das Paperback ist liebevoll gestaltet, zahlreiche Farbfotos, witzige Skizzen zu Beginn der Kapitel und hilfreiche Stadtkarten auf Vor- und Nachsatz bieten anschauliche Details.
Mein Fazit: Ich habe viel über New York, die Charakteristika seiner Viertel und einige faszinierende (und auch manche unsympathische) Bewohner gelernt, aber leider weniger über die Autoren und darüber, wie sich deren Leben verändert hat, erfahren als erhofft.

Bewertung vom 07.06.2019
Roberts, Alice

Spiel des Lebens


sehr gut

Das vorliegende Buch beleuchtet auf unterhaltsame Weise die Wechselwirkung zwischen neun domestizierten Arten und dem Menschen.
Die britische Autorin Alice Roberts stellt spannende Fragen, liefert interessante Einblicke in vergangene und aktuelle naturwissenschaftliche Forschung und gibt intelligente Antworten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Genetik, doch Roberts nimmt den Leser auch auf Entdeckungsreise durch andere Disziplinen mit. Sie bewegt sich dabei auf sicherem Parkett, ist sie doch nicht nur Medizinerin, sondern auch noch Anthropologin und Paläopathologin. Entsprechend anspruchsvoll ist der Stil, der Leser sollte nicht nur Interesse für Biologie, sondern auch entsprechende solide Grundkenntnisse mitbringen.
Für alle anderen wären erklärende Fußnoten sicher hilfreich gewesen, auch hätte ich mir ein Glossar mit Fachbegriffen gewünscht.
Den einzelnen Kapiteln sind jeweils kurze Zitate aus der Literatur vorangestellt, über die es durchaus nachzudenken lohnt. Gut gefallen hat mir außerdem der Erzählstil Riberts', erklärende Passagen in sachlich-nüchternem Ton werden immer wieder durch Abschnitte aufgelockert, in denen sie - durchaus humorvoll - von ihren eigenen Forschungsreisen bei indigenen Völkern und an Ausgrabungsstätten berichtet, man darf als Leser fast ein Teil ihrer Exkursion sein. Spannend ist dabei auch, zu erfahren, wie Paläontologen Schlüsse auf das Leben unserer Vorfahren ziehen. So ist es z. B. hilfreich, dass unsere Ahnen ihre Zähne meist nicht putzten, denn die mangelnde Zahnhygiene führte zu Zahnstein, der überraschende Details über die Ernährung preisgibt. Auch ungespülte Keramikscherben verraten einiges über den vorgeschichtlichen Speiseplan!
Dieses Sachbuch ist voller überraschender Details, etwa dass Andenvölker bereits vor Jahrtausenden Kartoffeln gefriergetrocknet haben und sie dadurch länger lagern konnten
Roberts zeigt auf, wie Ackerbau und Viehzucht den Alltag der Menschen verändert haben. Sie stellt aber auch intelligente Fragen zur Zukunft, wie sich die zunehmende Bevölkerung nachhaltig ernähren kann, und ob etwa die Gentechnik wirklich in allen Anwendungsbereichen verteufelt werden muss, oder ob es nicht auch positive Seiten geben kann.
Sympathisch ist die Beschreibung von Irrwegen der Wissenschaft, immer wieder werden früher gültige Lehrmeinungen zurecht gerückt. Der Autorin glückt gleichermaßen der Blick in naturwissenschaftliche Detailfragen wie auch aufs große Ganze, interdisziplinär und nach vorne gerichtet.
Fazit: Ein anspruchsvolles Sachbuch, nicht immer einfach zu lesen, aber für alle naturwissenschaftlich interessierten Leser ein echter Gewinn!

Bewertung vom 06.06.2019
Gasser, Markus

Die Launen der Liebe


sehr gut

Dem österreichischen Literaturwissenschaftler Markus Gasser ist mit "Die Launen der Liebe" ein herausragendes Sachbuch geglückt. Anhand von ausgewählten Liebesromanen oder -gedichten der letzten beiden Jahrhunderte schildert er das Liebesleben der jeweiligen Autoren und wie diese ihre eigenen Erfahrungen mit diesem so übermächtigen Gefühl schriftstellerisch umsetzten. Der Leser erfährt, wie Bettine von Arnim sich zunächst in Goethes Werk und dann in den Dichterfürsten selbst verliebt. Man erfährt, wie die Liebesgeschichte seiner Großeltern Eingang in einen Roman Gabriel García Marquéz´ gefunden hat und bekommt Einblicke in John Updikes Ehe.
Gasser ist dabei selbst ein großartiger Schriftsteller. Ich habe bislang den Ausdruck "Pageturner" nur in Zusammenhang mit Belletristik verwendet, aber bei dem vorliegenden Sachbuch ist er unbedingt gerechtfertigt. Gasser schreibt unterhaltsam, zaubert poetische Sprachbilder, erklärt, überrascht, baut Spannung auf ... ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, bevor ich es zu Ende gelesen hatte. Bemerkenswerterweise kommt der Autor sowohl ohne Kitsch als auch ohne Gefühlsduselei aus. Es geht um große Emotionen, Ängste, Verlust, Betrug, es wird nichts beschönigt, aber er verzichtet zugleich auf Effekthascherei. Denn auch so ist das wahre Leben dramatisch genug.
Einzig ein paar Fotos oder Portraits der Schriftsteller sowie einen Anhang mit deren Kurzvitae und wichtigsten Werken samt Erscheinungsjahr hätte ich mir gewünscht.
Doch auch so gibt es eine unbedingte Leseempfehlung von mir für alle, die sich nicht nur für gute Literatur, sondern auch dafür interessieren, wie große Autoren ihr eigenes Leben in ihre Werke haben einfließen lassen.

Bewertung vom 04.06.2019
Attah, Ayesha Harruna

Die Frauen von Salaga


sehr gut

Obwohl ich Historienromane liebe, war dies der erste einer afrikanischen Autorin für mich.
Ayesha Harruna Attah ist gebürtige Ghanaerin und lebt nach ihrem Studium in den USA nun im Senegal. Grundlage für den vorliegenden Roman waren unter anderem Gespräche mit ihrem Großvater, was der Geschichte in meinen Augen besondere Authentizität verleiht.
Die Handlung spielt im Westafrika Ende des 19. Jahrhunderts, die lokale Bevölkerung leidet unter den Kolonialherren. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht eines jungen Mädchens, das bei einem Überfall auf sein Dorf versklavt wird und seine Familie verliert und aus Sicht einer Königstochter, die vom Vater zu einer politisch arrangierten Hochzeit gedrängt wird. Beide Frauen hadern mit ihren Schicksalen und legen dennoch eine unglaubliche Stärke an den Tag.
Das Buch ist schön gestaltet, das Cover ein echter Hingucker. Eine Karte Westafrikas mit den wichtigsten Orten und Stammesgebieten erleichtert die Orientierung. Leider fehlt ein Glossar mit verwendeten afrikanischen Worten, nicht jeder Leser wird mit der westafrikanischen Küche, den Gottheiten o.ä. hinreichend vertraut sein, und wiederholtes Nachschlagen hemmt leider den Lesefluss.
Sprachlich darf man von diesem Roman nichts Überdurchschnittliches erwarten. Er liest sich leicht und gefällig, aber sowohl großartige Landschaftsbeschreibungen als auch tiefgehende Stimmungsbilder wird man vergeblich suchen. Das große Plus der Geschichte liegt in meinen Augen ganz woanders: Attah bringt dem europäischen Leser die - für die meisten - völlig fremde und in Teilen bereits vergangene Kultur Westafrikas näher. Und zwar quasi nebenbei, unaufgeregt, ohne Klischees zu bedienen oder eine extra Portion Exotik beizumischen. Und das finde ich sehr bemerkens- und begrüßenswert. Denn so fremd mir Sklavenraub und Zwangsehen auch sind, die Ängste der Protagonistinnen sind es nicht. Ich konnte mich bei der Lektüre gut in deren Charaktere hineinversetzen, und es bleibt die Erkenntnis: So sehr sich meine Kultur und Werte auch von der der Afrikanerinnen sein mögen, unsere Ängste ähneln sich und unser Streben nach Glück und Liebe eint uns alle.

Bewertung vom 16.05.2019
Dyk, Paul van

Im Leben bleiben


gut

Ich wurde auf das Buch aufmerksam, nachdem ich kürzlich ein Fernsehinterview mit Paul van Dyk gesehen hatte.
Der Techno-DJ war vor drei Jahren während eines Auftritts durch ein Loch auf der Bühne gefallen und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie zwei Wirbelbrüche. Wie van Dyk sich wieder ins Leben zurückkämpfte, welchen Anteil die Unterstützung durch seine damalige Freundin und jetzige Frau dabei spielte und wie er sein Schicksal ohne Verbitterung annimmt, das hat großen Eindruck auf mich gemacht.
Der Anfang des Buches konnte mich ebenfalls begeistern: Aus Sicht seiner Freundin Magdalena ist beschrieben, wie extrem verunsichernd dieser Unfall und die Prognose der behandelnden Ärzte auf sie wirkten. Die Erzählung wechselt zwischen Magdalenas und Pauls Perspektive, leider ist das optisch nicht kenntlich gemacht, was mich ab und an verwirrt hat, so dass ich manche Absätze noch einmal lesen musste.
Pauls Botschaft ist unter anderem, dass es für Koma-Patienten extrem wichtig ist, dass ein ihnen Nahestehender an sie glaubt, dass die Patienten auch Stimmungen wahrnehmen, und dass Negatives möglichst von ihnen fern gehalten werden soll. Diese Sichtweise teile ich, dennoch bleibt nach der Lektüre ein schaler Beigeschmack für mich. Denn der Großteil der Koma-Patienten dürfte finanziell deutlich schlechter gestellt sein als der erfolgreiche DJ, der mehrmals pro Jahr um den Globus jettete; oft kämpfen Angehörige erfolglos darum, dass nötige Therapien von den Krankenkassen erstattet werden. Und nicht jeder Partner kann es sich leisten, monatelang nicht von der Seite des geliebten, verunfallten Menschen zu weichen, wie es Pauls Magdalena tat. Ich fand das alles zu sehr durch die rosa Brille beschrieben.
Auch hätte ich es schön gefunden, wenn Paul seine Prominenz und die Betroffenheit durch den schlimmen Unfall genutzt hätte, um mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung für Koma-Patienten zu erreichen. Sei es, indem er selbst eine entsprechende Stiftung gründet, sei es, um bestehende Organisationen finanziell zu unterstützen. (Wäre z.B. auch mit dem Verkaufserlös des Buches möglich gewesen ...)
Stilistisch ist das Buch leider auch nur mittelmäßig. Da Paul immer noch sprachliche Einschränkungen hat, ist es völlig verständlich, dass er für seine Veröffentlichung die Unterstützung eines Co-Autors (Guido Eckert) in Anspruch genommen hat. Dass dieser etwas versteckt nur auf der Titelinnenseite genannt ist, wirkt auf mich jedoch seltsam, fast als wollte man einen Ghostwriter aus ihm machen. Ebenso wie die Tatsache, dass Freundin Magdalena weder als Autorin genannt, noch im Klappentext kurz vorgestellt wird, obwohl ganze Abschnitte aus ihrer Perspektive erzählt werden.
Eine sehr große Rolle spielt Pauls Musik in seinem Leben, leider habe ich hier einige Passagen nicht ganz verstanden, da mir Hintergrundwissen zu Techno und der Produktion dieser Musikrichtung fehlt.
Die Aufmachung des Buchs ist hingegen sehr schön: ein ausdrucksstarkes Foto auf dem Cover, mehrere Farbfotos in der Buchmitte veranschaulichen seine Klinikaufenthalte und auch den ersten Live-Auftritt nach dem Unfall.
Fazit: Ein starker Mann mit einer ebenso starken Frau an seiner Seite, beeindruckend, wie die beiden mit einem schweren Schicksalsschlag umgehen. Aber leider wird das Buch dem Leben nicht ansatzweise gerecht, es hätte einen besseren Co-Autoren verdient.

Bewertung vom 06.05.2019
Rosnay, Tatiana de

Fünf Tage in Paris


ausgezeichnet

Dies ist einer der wenigen Romane, bei denen es mir schwer fällt, eine Rezension zu schreiben.
Und zwar schlichtweg deswegen, weil ich befürchte, der schriftstellerischen Leistung der Autorin nicht gerecht zu werden, nicht angemessen würdigen zu können, wie großartig ich dieses Buch finde, ohne in unglaubwürdige Schwärmerei zu geraten.
Ich will es dennoch versuchen: Tatiana Rosnay zeichnet das Bild einer französisch-amerikanischen Familie, die sich - inzwischen auf drei Länder verstreut - in Paris für eine Familienfeier treffen. Dort sitzen sie aufgrund sintflutartiger Regenfälle fest, und nicht nur die Seine tritt über die Ufer und verändert das Bild der Metropole, sondern auch die Familienmitglieder erkennen neue, bislang verborgen gehaltene Seiten aneinander.
Rosnay beschwört gekonnt eine bedrohliche Stimmung durch das extreme Unwetter herauf. Sprachlich ist der Roman ungewöhnlich, es wird überwiegend aus Sicht des erwachsenen Sohnes erzählt, es herrschen indirekte Rede, innere Monologe und Rückblicke in Form von Erinnerungen vor. Dennoch werden die Protagonisten gut erkennbar und vielschichtig charakterisiert.
Den Kapiteln vorangestellt ist jeweils ein Zitat aus einem Gedicht, gekonnt übersetzt (wie auch der gesamte Roman) von Nathalie Lemmens.
Besonders hervorheben möchte ich die detaillierten Beschreibungen, die das Setting sehr gut nachvollziehen lassen. Ob es die Straßen, Plätze oder Bücken von Paris sind, ob es um die Folgen des Hochwassers wie Evakuierungen, Plünderungen, Erliegen des öffentlichen Nahverkehrs geht oder um botanische Details zu Bäumen - hier wurde seitens der Autorin umfassend recherchiert, das merkt man dem Text an. (Lohnend ist hier auch ein Blick in das Literaturverzeichnis!)
Auf Vor- und Nachsatz findet sich eine Karte von Paris mit den tatsächlich überschwemmten Regionen des Seinehochwassers von 1910 und den fiktiven überfluteten Bereichen von denen der Roman erzählt.
Fazit: Ein großartiger Roman über die Wichtigkeit des Wortes, darüber, dass Unausgesprochenes so viel unnötiges Leid verursachen kann. Eine Geschichte voller Tiefgang, leicht erzählt, mit langem Nachhall. Unbedingt lesen!