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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1260 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2022
Ahern, Cecelia

Alle Farben meines Lebens


gut

Wenn Farben zu laut werden

„Anfangs sehe ich die Farben nur bei den Menschen, mit denen ich zusammenlebe, und jeden Morgen frage ich mich, welche Farbtöne mich dieses Mal begrüßen werden.“ (S. 20) Alice sieht schon als Kind die Gefühle, Gedanken und körperlichen Zustände anderen Menschen als Farben, und vor allem die ihrer Mutter machen ihr Angst. Lily ist keine gute Mutter, kümmert sich nicht um ihre Kinder, sondern geht feiern, raucht, trinkt und nimmt Drogen, hat extreme Stimmungsschwankungen. Alice und ihr älterer Bruder Hugh scheinen ihr völlig egal zu sein, wenn sie nicht gerade ihre Wut und Gehässigkeit an ihnen auslassen will. Sie steckt ihre kaum vorhandene Energie in den Jüngsten, Ollie, formt ihn nach ihrem Bild und entzweit die Geschwister damit. „Zunehmend wird ihr Hass zu seinem Hass, ihre Ängste werden zu seinen Ängsten, ihr Zorn wird sein Zorn. Ihre Traurigkeit, seine Traurigkeit. Es überträgt sich immer auf ihn, und er saugt es begierig auf, unverzerrt noch das letzte Stückchen.“ (S. 32) Doch gerade die Mutter, die ihren Kindern nichts geben konnte, fordert alles von ihnen, als sie erwachsen sind.

Hugh ist der Einzige, der sich für Alice‘ interessiert, sie versteht, immer für sie da ist und versucht, ihr zu helfen. Seine Freundin entdeckt später, was Alice „fehlt“ – sie ist Synästhetikerin, lernt aber nie richtig, damit umzugehen. Sie kommt mit den vielen Eindrücken nicht klar, verkriecht sich in ihrem Innersten uns schottet sich nach außen mit Sonnenbrille, Maske und Handschuhen regelrecht gegen ihre Umwelt ab. „Die Farben der Menschen zu sehen ist manchmal, als sähe man sie nackt.“ (S. 34) Einzig die Natur erdet sie, gibt ihr Ruhe und neue Kraft. Die bloßen Füße auf feuchtem Gras oder mit den Händen in der Erde wühlen, das ist ihre Welt. Aber dann fällt ihr ein Mann auf, der keine einzige Farbe ausströmt – das hat sie noch nie erlebt und macht sie neugierig ...

Ich bin eigentlich ein großer Fan von Cecelia Ahern, aber „Alle Farben meines Lebens“ lässt mich sehr zwiegespalten zurück. Einerseits ist Alice‘ Geschichte extrem traurig und auch irgendwie berührend, ich mag die poetische Sprache, mit der die Autorin über Alice‘ Farbempfinden schreibt, andererseits bleibt sie mir durch ihre abweisende Art fremd, obwohl man stets ihre Gedanken und Gefühle erfährt. Auch die Sprünge immer wieder in der Zeit zurück bzw. zum Ende hin dann um Jahre / Jahrzehnte nach vorn waren nicht meins und das Ende, die letzten beiden 1,5 Kapitel, hätte ich nicht gebraucht. Darum leider nur 3 von 5 Sternen

Bewertung vom 31.10.2022
Herzog, Katharina

Das kleine Bücherdorf: Winterglitzern / Das schottische Bücherdorf Bd.1


ausgezeichnet

Schottlands Stadt der Bücher

Vicky arbeitet als Kunsthändlerin im Unternehmen ihres Vaters in München und hofft, im neuen Jahr endlich die Niederlassung in Berlin übernehmen zu können. Sie braucht nur noch den einen großen Wurf, um ihren Konkurrenten auszustechen. Als ihr ein Brief in die Hände fällt, den der kleine Finlay aus Swinton-on-Sea seiner verstorbenen Mutter in den Himmel schicken wollte, ist sie gerührt. Ihren Vater aber interessiert nur das beiliegende Foto, auf dem Finley mit seinem Vater Graham und seinem Lieblingsbuch zu sehen ist – einer extrem seltenen, illustrierten Erstausgabe von Alice im Wunderland. Vicky wird losgeschickt, um es Graham abzukaufen, denn sie gehen davon aus, dass dieser nicht weiß, was es wert ist. Sie glaubt, dass das eine Geschäftsreise wie jede andere wird, doch sie hat nicht mit dem Zauber der schottischen Kleinstadt und seiner Bewohner gerechnet …

„Das kleine Bücherdorf: Winterglitzern“ ist der erste Band einer neuen Reihe von Katharina Herzog und entführt die Leser in die Vorweihnachtszeit einer malerischen Kleinstadt an der Küste, in der man sich noch gegenseitig kennt und Nachbarschaft großgeschrieben wird.
Vicky ist davon (und von Finleys Geschichte) so berührt, dass sie nicht weiß, wie sie Graham nach dem Buch fragen soll. Also lässt sie sich als Aushilfe in seinem Buchladen „The Reading Fox“ einstellen und lernt ihn und die anderen Bewohner der Kleinstadt mit ihren Schicksalen, Nöten und Sorgen näher kennen. Sie wird von ihnen herzlich aufgenommen und sofort voll integriert. Und je länger sie bleibt, um so weniger interessiert sie sich für das Buch. Stattdessen entdeckt die taffe Geschäftsfrau ihr Herz für Vater und Sohn und genießt ihr Leben endlich wieder. „Seit ich in Schottland bin, kommt es mir so vor, als hätte jemand die Stopp-Taste gedrückt.“ (S. 249) Sie strebt nicht mehr nur nach der Bestätigung durch ihren übermächtigen Vater und dem nächsten Erfolg. Doch irgendwie muss sie Graham erklären, weswegen sie ursprünglich nach Swinton gekommen ist …

Grahams Freunde sind der Meinung, dass er in seinem Herzen endlich Platz für eine neue Liebe machen soll, aber das fällt ihm schwer. „Es ist nicht so leicht, unter den Milliarden Frauen auf dieser Welt genau diejenige zu finden, die dein Herz berührt.“ (S. 23) Erst Vicky geht ihm wieder unter die Haut und auch Finlay mag sie sehr. Aber haben sie auch eine gemeinsame Zukunft?

„Winterglitzern“ ist ein entzückender Vorweihnachtsroman, der Lust auf eine Reise in Schottlands Bücherdorf macht. Es ist die perfekte Lektüre für einen gemütlichen Nachmittag auf der Couch, mit einer großen Kanne englischem Tee und ausreichend Shortbread. Außerdem möchte man nach dem Lesen unbedingt wissen, wie es Band 2 weitergeht und wer hinter dem / der geheimnisvollen E. Smith steckt.

Bewertung vom 29.10.2022
Barreau, Nicolas

Tausend Lichter über der Seine


ausgezeichnet

Zwei Briefe

„Ich bekam zwei Briefe. Der eine enthielt eine schlechte Nachricht, der andere eine traurige. Und doch bescherten mir diese beiden Briefe auf den seltsam verschlungenen Wegen, die das Leben manchmal nimmt, am Ende und völlig unerwartet das schönste Weihnachtsfest meines Lebens.“ (S. 8)
Im ersten Brief erfährt die Übersetzerin Joséphine Beauregard, dass der kleine Pariser Verlag, für den sie arbeitet, leider schließen muss. Im zweiten Brief steht, dass ihr Onkel Albert ist gestorben ist und ihr sein Hausboot vererbt hat. Mit dem Hausboot verbindet sie wunderbare Erinnerungen an einen verzauberten Sommer ihrer Kindheit, eine Flusskreuzfahrt mit Albert. Gern würde sie es behalten, doch in der jetzigen Situation kann sie das viele Geld, dass es wert ist, gut brauchen. Sie will noch einmal auf dem Boot übernachten und ist sehr überrascht, als plötzlich ein fremder Mann und sein kleiner Hund zu ihr ins Bett kriechen …

Joséphine ist genauso eine Außenseiterin wie die Helden in den Romanen, die sie aus dem Finnischen übersetzt. Während ihr Vater und ihre Schwestern beruflich erfolgreich sind, macht sie ihren Job, weil er ihr Spaß macht. Auch einen festen Freund kann sie zum Leidwesen ihrer Familie nicht vorweisen. Bei den Treffen mit ihnen kommt sie sich immer wie die absolute Versagerin vor. Und jetzt scheint auch noch der Verkauf des Hausbootes zu platzen, weil der Fremde behauptet, Albert habe ihm es ihm für 10 Jahre vermietet und er denke nicht daran, es eher zu räumen.

Für Joséphine ändert sich gerade alles. Job weg, Lieblingsonkel tot und dann kann sie ihr Erbe nicht mal zu Geld machen. Außerdem ist da ihr heimlicher Freund, der sie seit Jahren hin- und ihre Beziehung geheim hält. Ob er dieses Jahr endlich Weihnachten mit ihr verbringt? Und nun muss sie sich auch noch mit diesem … Stoffel … auf dem Hausboot rumärgern!

Nicolas Barreau hat einen sehr warnherzigen Roman über die Vorweihnachtszeit in Paris geschrieben, über eine bezaubernde und eigenwillige Frau, die auf die große Liebe hofft und sich in der Zwischenzeit sehr unterhaltsame Streitgespräche mit dem Hausbootbesetzer liefert. Zum Glück hat sie Cedric, ihren allerbesten Freund, der fast immer ein Ohr und Zeit für sie hat. Joséphine und Cedric sind Protagonisten, die man im richtigen Leben gern als Freunde hätte, um mit ihnen zusammen in der Vorweihnachtszeit Paris unsicher zu machen.

„Tausend Lichter über der Seine“ ist eine ganz zauberhafte, romantische und sehr berührende weihnachtliche (Liebes-)Geschichte. Ein Buch wie eine bittersüße Umarmung, eine kuschelige Decke, eine heiße Schokolade und eine Tüte heiße Maronen.

Bewertung vom 26.10.2022
Marschall, Anja

Der Henker von Hamburg


ausgezeichnet

Schuldig

Hauptkommissar Hauke Sötje ist ganz froh, als er wegen eines Toten die Oper „Tristan und Isolde“ nicht hören muss, zu der ihn seine Frau Sophie hatte. Dadurch verpasst er allerdings auch den spontanen Auftritt der grandiosen, atemberaubend schönen und jungen italienischen Nachtigall Carlotta Francini. Während sich Hauke also dem Erhängten widmet, dem man einen Zettel mit der Aufschrift „Schuldig“ in die Taschen gesteckt hat, wird Sophie Zeuge, wie sich Carlotta nach dem Konzert in ihrer Garderobe mit einem Mann streitet. Bald tauchen weitere Erhängte auf – und alle hatten in der Vergangenheit scheinbar mit Carlotta zu tun ...

„Der Henker von Hamburg“ ist bereits der 5. Band der Reihe mit Hauke Sötje und Sophie und Anja Marschall hat es geschafft, mich wieder sofort in deren Kosmos zu ziehen. Die beiden sind inzwischen verheiratet und haben eine kleine Tochter, und während Hauke langsam aber stetig Karriere macht, fühlt sich Sophie unterfordert und vermisst die früheren Abenteuer. Darum kann sie auch Carlottas Angebot, ihre Begleitung und Freundin zu werden, nicht abschlagen, obwohl die mehr als nur ein Geheimnis zu haben scheint.

Der Fall um die erhängten Toten gestaltet sich für Hauke und seine Mitarbeiter sehr kniffelig, da es sich bei ihnen ausnahmslos um angesehene Mitglieder der Gesellschaft handelt und ihnen ihr Vorgesetzter, Polizeirat Roscher, im Nacken hängt. Sie finden einfach kein Motiv und der Täter hat kaum Spuren hinterlassen.

Sophie steckt in einer Zwickmühle. Sie mag Carlotta seht, weiß aber nicht, ob sie ihr wirklich trauen kann. Carlotta ändert immer wieder kurzfristig ihre Pläne und hängt ihren männlichen Begleitschutz ab. Außerdem spielt sie die verschiedenen Bewerber um ihre Gunst geschickt gegeneinander aus und wickelt ihr Gegenüber gekonnt um den Finger. Sie hat es faustdick hinter den Ohren, ist eine sehr unabhängige junge Frau und wiegelt Sophie auf, es ihr gleich zu tun. Wobei es Sophie schon reichen würde, wenn Hauke sie wieder in seine Arbeit einbezieht – zumal Polizeirat Roscher nichts dagegen hat.

Anja Marschall hat diesen Fall wieder extrem spannend und packend gestaltet, denn obwohl ich mit einem Teil der Lösung richtig lag, war es am Ende ein Täter, den ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Was für ein Plot-Twist, einsame Spitze.
Ich mag auch, wie der Alltag der Ermittler in die Handlung einfließt und dass man erfährt, wie kleinteilig die Polizeiarbeit war, wie die Ermittlungen damals abliefen und was für Hilfsmittel und Methoden angewandt wurden. Ein besonderes Highlight waren die Verweise auf die Kindermörderin Elisabeth Wiese (Haukes letzten Fall) und den versoffenen Henker, den es wirklich gab.

5 Sterne für diesen phantastischen historischen Krimi und vielleicht darf Sophie im nächsten Teil dann endlich ganz offiziell mit ermitteln.

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2022
Beer, Alex

Der Häftling aus Moabit / Felix Blom Bd.1


ausgezeichnet

Der Schatten von Berlin

„Felix Blom, der Meister der Tarnung und Täuschung, der Mann mit den goldenen Fingern, der König der Diebe.“ (S. 24) wird im Juni 1878 nach drei Jahren endlich aus der Isolationshaft in Moabit entlassen. Blom will jetzt vor allem zwei Dinge: Rache, denn er hat für einen Raub gesessen, den der nicht begangen hat, und seine ehemalige Verlobte Auguste zurückgewinnen. Allerdings hat er alles verloren und muss innerhalb von drei Tagen eine Wohnung und eine Arbeit finden, sonst wandert er wieder in den Bau. Von einem alten Bekannten bekommt er eine Wohnung in dem Armenviertel zur Verfügung gestellt, aus dem er ursprünglich stammt, und da er keine andere Arbeit findet, überzeugt er seine Nachbarin Mathilde Voss, die eine Privatdetektei betreibt, ihn anzustellen. Schon am zweiten Tag in seinem neuen Zuhause findet er ein Brief aus teurem Büttenpapier vor seiner Tür: „Binnen weniger Tage wirst Du eine Leiche sein.“ (S. 61) Er vermutet, dass der neue Verlobte seiner Auguste dahintersteckt. Aber dann tauchen erste Leichen auf, die die gleiche Nachricht in der Tasche tragen – ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn die letzte Nachricht des Mörders ist stets: „Binnen dreißig Stunden musst du eine Leiche sein.“ (S. 31)

„Felix Blom – Der Häftling aus Moabit“ ist der Auftakt einer neuen Reihe der österreichischen Autorin Alex Beer und spielt im Berlin der Jahrhundertwende.
Ich mag die beiden Ermittler sehr und fand ihre Wortgefechte beim Zusammenraufen und Grenzen austesten ausgesprochen unterhaltsam.
Blohm stammt aus armen Verhältnissen und hat sich nach oben „gearbeitet“, eine falsche Biographie ersonnen und als reicher Erbe ausgegeben, um seinen Reichtum erklären zu können.
Mathilde Voss war eine Edelprostituierte, die schon für ihrem Stammkunden spioniert und damit gutes Geld verdient hatte. Als der starb, hörte sie auf und gründete die Detektei – nur leider will niemand eine Frau engagieren. Sie und Blom helfen sich durch seine Anstellung gegenseitig.
In ihrem ersten Fall geht es um verschwundene Porzellanlieferungen aus China, für dessen Aufklärung sie tief in die Berliner Unterwelt mit seinen Bandenkriegen eintauchen müssen. Dabei stoßen sie auf die Gemeinsamkeit der Toten mit den Nachrichten – nur, warum auch Blom bedroht wird, erschließt sich ihnen lange nicht.

Alex Beer konfrontiert Blom und Mathilde mit mächtigen Gegnern. Da ist zum einen der Mörder, dessen Identität und Intension allen ein Rätsel ist und zum anderen der Kriminalkommissar Ernst Cronenberg und sein Assistent Bruno Harting. Die jagen den Mörder ebenfalls und wollen Blom gleichzeitig so schnell wie möglich zurück ins Gefängnis befördern.

Geschickt verwirrt die Autorin ihre Leser mit immer neuen Verdächtigen und Tathypothesen und obwohl man die Lösung die ganze Zeit vor Augen hat, habe ich sie einfach nicht gesehen – das ist extrem raffiniert gemacht.
Auch das Setting des alten Berlins mit seinen Armenvierteln, Eckkneipen und der gegensätzlichen Welt der Schönen und Reichen hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Mein Fazit: Ein toller Reihenauftakt mit einem ehemaligen Häftling, Hochstapler und Meisterdieb und einer früheren Edelprostituierten, die den spannenden und temporeichen Wettlauf gegen einen einfallsreichen Mörder gewinnen müssen.

Bewertung vom 23.10.2022
Lacrosse, Marie

Haus der Träume / Die Kaufhaus-Saga Bd.1


sehr gut

Die Geschichte dreier Familien

Rieke ist 10 Jahre alt, als ihre Mutter Käthe, die Leiterin der Putzkolonne, sie zum ersten Mal mit ins KaDeWe nimmt. Dort lernt sie zufällig Judith kennen, die Tochter des Kaufhausjustiziars.
Jahre später ist Käthe im KaDeWe erst Kassen- und dann Lehrmädchen, und der Unterschied zwischen dem mondänen Kaufhaus und ihrer ärmlichen Wohngegend könnte kaum größer sein. Sie verliebt sich in ihren Kollegen Hermann, doch noch bevor sie heiraten können, bricht der erste Weltkrieg aus.
Judith konnte aufgrund ihrer bessergestellten Familie im Gegensatz zu Rieke ein Lyzeum und danach die soziale Frauenschule von Dr. Alice Salomon besuchen. Sie engagiert sich in der Kinderfürsorge und betreut verschiedenen Einrichtungen im Scheunenviertel, der ärmsten jüdischen Gegend Berlins. Eigentlich soll sie Harry, den Sohn des KaDeWe-Gründers Adolf Jandorf heiraten, doch dem schmecken ihre Ambitionen nicht. Darum ist sie nicht unglücklich, als er sich freiwillig an die Front meldet und eine Hochzeit in weite Ferne rückt.

„Das KaDeWe - Haus der Träume“ hatte mich mit seinem Klappentext und der Vorankündigung „… folgen wir ihren Protagonist*innen in das Berlin der 10er und 20er Jahre, wo sich im Glanz und Luxus des legendären Kaufhauses »KaDeWe« die Lebenswege zweier junger Frauen kreuzen.“ gelockt. Aber meine Erwartungen wurden nicht ganz erfüllt, denn die Handlung dreht sich hauptsächlich um 3 Familien.
Da ist als erstes die des Kaufhausinhabers Adolf Jandorf, der sich vom ganz untern hochgearbeitet und die Dynastie begründet hat. Leider scheint sein Sohn Harry kein Interesse zu haben, das Imperium zu übernehmen.
Darüber hinaus geht es um den Firmenjustitiar Paul Bergmann, seinen Sohn Johannes, der als Einkäufer im KaDeWe Karriere macht und ein dunkles Geheimnis hat, und seine Tochter Judith, die sich für soziale Belange engagiert und Soziologie studiert.
Die dritte ist die Arbeiterfamilie Krause. Mutter Käthe arbeitet als Leiterin der Putztruppe im KaDeWe und bringt ihre Kinder Rieke und Robert als Aushilfen und später Lehrlinge im KaDeWe unter, während sich ihr Mann mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt, immer mehr dem Alkohol verfällt und die Familie tyrannisiert.

Die Autorin schildert sehr anschaulich die verschiedenen Milieus, Arbeits- und Lebensbedingungen und geht auf die gravierenden Unterschiede zwischen Arm und Reich ein. Die Handlung umspannt die Zeit von 1907 bis 1924, dabei spielen dann natürlich auch der 1. Weltkrieg und die Inflation eine sehr große Rolle, sowie das Erstarken des Nationalsozialismus und die ersten Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung.

Jandorf scheint ein sehr humaner und großzügiger Arbeitgeber gewesen zu sein, der seine Mitarbeiter anständig bezahlt und die Löhne auch während der Inflation regelmäßig und fair anpasst. Man erfährt, wie sich im Laufe der Zeit die Kleider und angebotenen Güter ändern, Jandorf auf politische und gesellschaftliche Umbrüche reagiert. Besonders beeindruckt hat mich, dass er immer Lebensmittel und Kohlen wieder für die ärmsten Kinder spendet.

Judith steht für die modernen jungen Frauen aus begüterten Familien, die es sich erkämpft haben, ihre Erfüllung im Beruf und sich nicht nur als Hausfrauen und Mütter zu sehen, als Repräsentantinnen der Familie, wie es noch ihre Mütter sind. Sie ist sehr intelligent und zielstrebig, hat ein großes Herz und soziales Bewusstsein, das hat mir gut gefallen.

Auch Rieke mochte ich sehr. Sie träumt von einem besseren Leben und arbeitet sich stetig nach oben, dabei erlebt sie viele Rückschläge und muss einiges erdulden.

Marie Lacrosse zeichnet ihre Protagonisten sehr fein und realitätsnah, man konnte gut mit ihnen mitfühlen und mitfiebern, denn natürlich gibt es auch den einen oder anderen Gegenspieler in der Geschichte. Auch das KaDeWe und die einzelnen Arbeitsbereiche bzw. -abläufe werden sehr plastisch beschrieben. Allerdings war mir die Rahmenhandlung zum Teil zu weitschweifig und detailverliebt, die Politik von der Handlung zu sehr abgekapselt. Darum leider nur 4 von 5 Sternen.

Bewertung vom 18.10.2022
Martin, Pierre

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens / Monsieur le Comte Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Ein Gourmand, aber kein Gourmet

… so sieht sich Lucien. Der Spross eines uralten Adelsgeschlechts müsste nicht arbeiten, aber da er gutes Essen liebt, „gönnt“ er sich den Spleen, ein kleines, feines Bistro zu betreiben. Sein Vater findet das nicht so toll, denn die Comtes de Chacarasse folgen seit Jahrhunderten einer außergewöhnlichen Berufung – sie sind Assassinen: „… Dienstleister, die das Töten zur Kunstform erhoben hatten.“ (S. 16), mit Kunden aus den allerhöchsten Kreisen.
Auch Lucien wurde von Kindheit an als Auftragskiller ausgebildet, aber er will nicht töten. Doch als sein Vater bei einem Auftrag tödlich verletzt wird, muss er in dessen Fußstapfen treten. „Mein Sohn … jetzt musst du das Erbe antreten. Mit allen Konsequenzen …“ (S. 15)

„Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens“ ist der Auftakt einer neuen Krimireihe von Piere Martin und obwohl ich seine Reihe um Madame le Commissaire Isabelle Bonnet nicht kenne, habe ich ihren Gastauftritt sofort entdeckt.

Lucien ist ein echter Lebemann, jung und gutaussehend, der am liebsten mit seiner Vespa oder seinem kleinen Motorboot an der französischen Rivera entlangkurvt und dabei schöne Frauen kennenlernt. Dass er jetzt als (wenn auch sehr gut bezahlter) Killer arbeiten soll, passt ihm so gar nicht. Darum versucht er auch, die Aufträge, die ihm durch seinen Onkel Edmond überbracht werden, ohne Mord zu lösen. Und so lange sie trotzdem ihr Geld bekommen, ist das Edmond zum Glück egal.
Neben dem Beruf, Anwesen und Vermögen seines Vaters hat Lucien auch dessen Sekretärin „geerbt“. Francine ist unglaublich elegant und unnahbar und weiß mehr über die Geschäfte der Familie, als sie zugibt.
Für Luciens leibliches und seelisches Wohl sorgt die liebenswerte, aber schon recht alte und schwerhörige Haushälterin und Köchin Rosalie, die ich besonders mochte.

In dem Buch ist drin, was draufsteht – ein unterhaltsamer Kriminal-Roman. Lucien hat nicht den einen großen Fall, sondern mehrere kleine, die er verfolgt, darum gibt es keine durchgehende Spannung, aber einen schönen Showdown und ein Ende, das neugierig auf den nächsten Band macht. Die Sprache ist etwas lax und die Situationen zum Teil leicht überzogen, aber es passt alles irgendwie zusammen und zu Luciens Lebensweise. Ich mochte auch das Flair der Riviera-Küste. Die verschiedenen Orte in Südfrankreich und Italien werden sehr anschaulich beschrieben und bei den erwähnten Gerichten und Weinen läuft einem das Wasser im Mund zusammen.

Bewertung vom 15.10.2022
Atmaca, Aylin

Ein Alman feiert selten allein


sehr gut

Weihnachtswahnsinn

„… was sich dort nur wenige Zentimeter von mir entfernt abspielt, hat mit Liebe nicht mehr viel zu tun – und mit Weihnachten schon mal gar nicht.“ (S. 9)
Wann beginnt bei euch der Weihnachtswahnsinn? Ich versuche pünktlich zum ersten Advent alle Weihnachtsplätzchen fertig zu haben und die „Kleinigkeiten aus der Küche“ (Marmelade, Liköre, etc.). Erst danach fange ich an, mir Gedanken über mögliche Geschenke zu machen.
In Jonas` Familie werden die Weihnachtskarten inklusive Einladung zur Familienfeier bereits Anfang September verschickt. Die 200 (!) Karten bastelt seine Mutter natürlich jedes Jahr selber und jede ist ein kleines Kunstwerk. Das ist für Elif, Jonas` türkische Freundin, etwas befremdlich. Zumal sie direkt nach dem Erhalt der Karte der WhatsApp-Gruppe “Weihnachtswunder“ mit ca. 30 ihr völlig Fremder zugefügt und das Fest darin generalstabsmäßig durchgeplant wird. Aber sie freut sich auf das erste richtige deutsche Weihnachtsfest, an dem sie endlich seine Familie kennen lernen wird. Sie träumt von Feiertagen wie in den amerikanischen Kitschfilmen und ist eingeschüchtert, als sein Elternhaus wirklich genauso aussieht und dekoriert ist. Doch je länger das Fest der Liebe andauert, um so fremder wird ihr Jonas: „… Jonas benimmt sich, seitdem wir hier in seinem Elternhaus sind, wie ein kopfloser Teenager. Und jede Stunde in diesem Haus geht gefühlt in Lebensjahr flöten.“ (S. 113)

Mit Elif und Jonas‘ Familie prallen zwei Welten prallen aufeinander, nicht nur in religiöser und kulinarischer Hinsicht, auch die minutiös geplanten Vorbereitungen und die Feier an sich bringen Elif an ihre Grenzen. Außerdem scheint sich Jonas zurückzuentwickeln, um den Vorstellungen seiner Eltern zu entsprechen und auch Elif verstellt etwas und versucht, es allen recht zu machen. Aber das geht natürlich nicht lange gut.

Aylin Atmaca erzählt in „Ein Alman feiert selten allein“ zwanglos und kurzweilig vom ersten Weihnachten bei der Familie des Freundes, von kleinen und großen deutsch-türkischen Missverständnissen und Vorurteilen, vom Geschenkechaos und Festessen und natürlich dem sich langsam zusammenbrauenden großen Streit, den es wohl bei fast jedem Zusammenkommen von so vielen Leuten auf engstem Raum gibt. Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert und mich bzw. meine Familie (leider) bei einigen Ereignissen wiedererkannt.

Die spannende Frage ist jetzt: Wird es eine Fortsetzung geben, denn Elifs Familie weiß noch nichts von Jonas …

Bewertung vom 12.10.2022
Maifeld, Monika

Mütter hat man nie genug


gut

Eine junge Frau sucht nach ihren Wurzeln

Durch einen DNA-Test erfahren die 28jährige Stefanie und ihr jüngerer Bruder Felix, dass sie nicht verwandt sind. Als sie ihre Eltern darauf ansprechen, erzählen die ihnen eine abenteuerliche Geschichte. Weil ihre Mutter keine Kinder bekommen konnte und sie zu alt für eine legale Adoption waren, haben sie Stefanie auf illegalem Weg adoptiert – um kurz darauf doch noch ein eigenes Kind zu bekommen. Stefanie ist wie vor den Kopf gestoßen und bricht den Kontakt zu ihnen ab, nicht aber den zu ihrem Bruder, der sie auf der Suche nach ihrer wahren Mutter begleitet.

„Mütter hat man nie genug“ von Monika Maifeld ist die berührende Suche einer jungen Frau nach ihren Wurzeln. Der Plot der Geschichte hatte mich sofort gepackt und das Auf und Ab der Suche fand ich sehr spannend. Aber die Umsetzung ist meines Erachtens nicht ganz so gut gelungen, zu oft wurden Zufälle bemüht, damit es am Ende aufgeht und ich glaube auch nicht, dass 1990 in Deutschland schon jemand ein Handy aus der Handtasche gezogen hat. Die dürften erst 1992 auf den Markt gekommen sein. Der Sprachstil ist recht einfach gehalten und einige Protagonisten, besonders Stefanies Verlobter Bertram, konnten mich nicht überzeugen. Auf der einen Seite scheint er gegenüber Stefanie immer überbesorgt und großzügig, trägt sie sozusagen auf Händen, auf der anderen Seite ist er extrem eitel und oberflächlich und steht voll unter Muttis Knute. Dazu kommt, dass die zeitlichen Abläufe z.T. im Laufe der Handlung etwas durcheinandergeraten sind (genauer kann ich es leider nicht sagen, dann würde ich spoilern).

Positiv erwähnen möchte ich das Setting des Buches. Stefanies Beruf als Bogenbauerin fand ich sehr interessant und auch die verschiedenen Orte, an denen die Handlung spielt, werden stimmungsvoll beschrieben. Außerdem haben mir die Geschwisterbeziehung und der Zusammenhalt von Stefanie und Felix gut gefallen.

Trotzdem kann ich aufgrund der oben genannten Mankos leider nur 3 Sterne vergeben.

Bewertung vom 09.10.2022
Schuster, Stephanie

Wünsche werden wahr / Wunderfrauen-Trilogie Bd.4


sehr gut

Weihnachten in Familie

… auf dem Brandstetterhof hätte sich Luise auch dieses Jahr gewünscht, doch ihre Tochter Josefine fährt zusammen mit ihrem Mann David und den Kindern nach Berlin zu Davids Vater Jack – was nach der Wende jetzt endlich problemlos möglich ist. Außerdem haben sie und Josefin sich zerstritten, weil die sich nach Luises Meinung zu wenig emanzipiert und zu oft hinter David zurücksteckt, dabei bekommt sie in Kürze ihr drittes Kind und ist eine tolle Illustratorin, die endlich auch ein eigenes Buch schreiben will.

Aber auch der Hof und der Reitstall, die Luise und ihrer Freundin Marie betreiben, hält sie auf Trab. Zum ersten Mal haben sie über Weihnachten zahlende, aber anstrengende Gäste und auch Annabel und Helga, die anderen beiden Wunderfrauen, werden die Feiertage und den Jahreswechsel mit ihnen verbringen.

In „Wünsche werden wahr“ erfährt man, was Luise, Marie, Helga und Annabel in den letzten 19 Jahren erlebt, wie sie und ihre Familien sich weiterentwickelt haben. Nicht nur im Hinblick auf Weihnachten und den Jahreswechsel, sondern auch wegen ihres vorgerückten Alters erinnern sich die vier Frauen an ihre aufregenden Abenteuer und was ihnen Schönes und Trauriges widerfahren ist, welche Verluste sie erleiden mussten. Außerdem haben Luise und Helga haben ein jeweils ein Geheimnis, dass sie den anderen Wunderfrauen endlich sagen wollen.

Ich fand es schön, wieder zusammen mit den Wunderfrauen zu lachen und zu weinen, die emotionalen Berg- und Talfahrten zu teilen und bei den dramatischen Szenen den Atem anzuhalten. Und auch der Geist besinnlicher Weihnachten kommt nicht nur wegen Luises Köstlichkeiten nicht zu kurz. Am Ende feiern sie trotz aller Hindernisse zusammen und versprechen sich, auch in Zukunft füreinander da zu sein und aufeinander acht zu geben. Weil Freundinnen das größte Geschenk sind.

Ein schöner Zusatzband der Reihe, der trotz aller Traurigkeit auch Hoffnung macht, weihnachtliche Stimmung verbreitet und gleichzeitig eine unterhaltsame Reise in die 90er ist.