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Berlin
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Nach In 15 Jahren Reiseleitung gelingt es mir immer noch, mich über so manchen Unsinn oder Fehler in dem einen oder anderen Guidebook zu ärgern. So habe ich denn begonnen, der nahezu unübersehbaren Venedigliteratur selbst noch ein vielleicht überflüssiges Buch unter dem Titel „Was man so alles nicht über Venedig weiß“ hinzuzufügen (erscheint 2011).

Bewertungen

Insgesamt 39 Bewertungen
Bewertung vom 29.03.2010
Großmacht Venedig
Morris, Jan

Großmacht Venedig


ausgezeichnet

Thema gefunden

Bei diesem Buch merkt man - verglichen mit dem ersten Venedig-Buch von Morris - sofort, die Autorin (der Autor) hat an Reife gewonnen. Unbegründete Urteile, unerträgliche Charakterisierungen, angesichts derer man das erste Werk mitunter einfach weglegen möchte, findet man hier nicht. Auch mit Selbstdarstellungen hält sich Morris hier zurück.
Das Thema, Venedig als Seemacht darzustellen, seiner Präsenz in Griechenland, der Ägäis, in Dalmatien nachzugehen, kommt der Neigung der Autorin, herumzureisen und darüber zu berichten, auch mehr entgegen, als eine Darstellung der Stadt Venedig selbst. Mitunter braucht man eben eine Weile, um herauszufinden, was "sein Thema" als Autor ist.

Mit dem 1. Kapitel in zwei kürzeren Abschnitten führt sie recht ordentlich in die Geschichte der Stadt und Venedigs als Seemacht ein. Mir sind da nur drei Fehler aufgefallen: Der Patriarch von Venedig war ursprünglich nicht "gleichzeitig Bischof dieser Gegend" (S. 18). Sowie: Enrico Dandolo hat nicht "den Sultan von Ägypten über die Pläne der Kreuzfahrer aufgeklärt" (S. 26) und er war es auch nicht, "der den Vorschlag machte, diesen Alexander Komnenos auf diesen Vierten Kreuzzug mit nach Konstantinopel zu nehmen" (S. 28), der den Verlauf der Geschichte "auf diese Weise manipulierte" (Ebd.). Angesehen davon: Der "Verlauf der Geschichte" ist eben der Verlauf der Geschichte und als solcher nicht "manipulierbar" - allenfalls in verfälschender geschichtlicher Darstellung.
Dann kommt aber in acht Kapiteln gleich das Eigentliche, eine Sichtung des vom venezianischen stato del mar noch vorhandenen, in Resten sichtbaren, aufspürbaren: Konstantinopel, natürlich auch mit Darstellung von Angriff und Eroberung durch die Kreuzfahrer 1203/04 (S. 32-38, 43-47); die ägäischen Inseln, wo natürlich Aufteilung und Besitznahme des infolge der Eroberung von Konstantinopel an Venedig gefallenen einen wesentlichen Platz (S. 51-55) einnimmt, aber auch die schrittweise Eroberung durch die Türken (S. 58-66); Kreta, durch die Venezianer formell von Bonifaz des Monferrat gekauft, tatsächlich aber erobert, immer wieder gegen die Fremdherrschaft, die hier wirklich kein glückliches Händchen hatte, rebellierend, schließlich von den Türken erobert - halb zu denen übergelaufen; Zypern, mittels geschickt eingefädelter Hochzeit der geliebten Tochter Venedigs, Caterina Corner, mit dem umstrittenen König Jacques (Jacob) II. Lusignan le Bâtard (Bastard) von Zypern und Jerusalem, der und dessen kleiner Sohn dann schließlich auch passend starben (ein Schelm, wer böses dabei denkt), listenreich erworben und schließlich doch nach heroischem Kampf 1571 an die Türken verloren; die Festungen entlang der griechischen Küste, wichtige Ankerplätze und "Augen" auf den Handelswegen (Hier natürlich auch S. 122-124 zur Seeschlacht von Lepanto 1571); Korfu, glücklicher von den Venezianern regiert, und ebenso die anderen ionischen Inseln - bis 1797 venezianisch; das über Jahrhunderte umstrittene Dalmatien.

Überall spürt Jan Morris hier der Geschichte nach, berichtet Interessantes daraus, weist anschaulich (auch mit Photos) auf bauliche Zeugen und Kunstwerke hin.
Mit dem letzten Kapitel kehrt Jan Morris wieder nach Venedig zurück. Es ist eine Liebeserklärung an die Stadt. Die von Venedig Beherrschten waren und sind der Liebe zu ihren (ehemaligen) Herren durchaus nicht abgeneigt. Nur so läßt sich die bemerkenswerte Botschaft aus Zara an das 1797 von herrschsüchtigen Napoleon zur Selbstaufgabe erpreßte Venedig erklären: "Setzt Eure Krone auf und kommt nach Zara!" (Zit. n. Jan Morris S. 181)
Ich will dieses Buch uneingeschränkt empfehlen, zumal diese Spuren der Venezianer heutzutage im Zeitbewußtsein fast vergessen scheinen. Sie sind aber großartig beeindruckend und sehenswert noch da!

Bewertung vom 29.03.2010
Dreimal Venedig
Morris, James

Dreimal Venedig


schlecht

In wohl guter Absicht - mißraten

Auf der englischen Ausgabe dieses Buches von 1993 prangt werbewirksam als eine Art Untertitel "'The best book about Venice ever written' (Sunday Times)", auf einer neueren englischen Ausgabe (The World of Venice: Revised Edition 1995) "'One of the most diverse and diverting books ever written about Venice...' Times (London)". Abgesehen davon, daß ich mich frage, was die Sunday Times oder Times denn nun wirklich über dieses Buch ihres eigenen Korrespondenten (!) geschrieben hat/haben, und kaum glauben kann, daß es so wenig eingeschränkt zum allerbesten erklärt wurde, wäre den Werbefachleuten doch hier zur Vorsicht zu raten gewesen. Zum einen, weil es eine riskante Sache ist, mit einem Superlativ zu argumentieren: Es wird sich doch in der fast 1.000jährigen Venedigliteratur der großen weiten Welt wenigstens ein einziges Buch finden lassen, das man begründet für besser halten kann. Man darf wohl nicht allzuviel Bücher gelesen haben, um ein einzelnes für das umfassendste und unterhaltsamste oder gar beste von allen zu halten. Außerdem: Was ist eigentlich hier der Maßstab des Guten, um ein Buch begründet an die Spitze der Meßlatte zu setzen? Man kann sicher verständliche Gründe angeben, was ein gutes Buch ist, für ein bestes Buch aber nicht. Diesem hier würde ich aber selbst das im Positiv stehende Prädikat absprechen. Nun will ich nicht gleich in den Superlativ des Gegenteils verfallen - das wäre ungerecht. Ein abgemilderter Komparativ scheint mir hier angemessen: Es ist eines von den vielen gut gemeinten Venedig-Büchern, das leider - wie viele andere auch - insgesamt mißraten ist.

Man mag ja in der Beurteilung dieses Buches vielleicht anderer Meinung sein. Ich habe jedenfalls vergebens darin nach Anhaltspunkten gesucht, daß man ihm das Prädikat "the best ever" zusprechen könnte. Gibt vielleicht die für den Leser überaus wichtige Mitteilung, daß der Autor in der Locanda Cipriani auf Torcello "manche köstliche Mahlzeit" verzehrt habe, "Ginn-Fizz-Cocktails und das filet-mignon" (S. 307) oder daß er mit einem Boot im Schlamm der Lagune stecken geblieben ist (S. 289, 343), ein Kriterium dafür her? Ich würde allerdings vielleicht demgegenüber ein Buch für besser (natürlich nicht für das beste aller Zeiten) halten, in dem der Autor - soweit er sich erinnern kann - mitteilt, wann und wo er nach Restaurantbesuch in der Gosse gelegen hat, und beschreibt, auf welche perfide Weise sich das Essen und Getränke wieder zeigten (Solche feuchten Bücher soll es ja tatsächlich geben.). Ich habe nicht untersucht, was an den späteren englischen Ausgaben dieses Buches von Morris gegenüber der letzten deutschen Ausgabe revidiert und erweitert wurde und damit vielleicht die eingangs zitierten vorgeblichen Begeistungsausbrüche von Sunday Times und Times ausgelöst haben könnte, weil es mir der Mühe nicht wert schien. Irgendwann fiel mir beim Lesen die russische Fabel von dem Bären ein, der in bester Absicht mit einem großen, schweren Stein die lästige Fliege, die seinen Freund aus dem Schlaf aufzuwecken drohte, auf dessen Stirn erschlug...

Bewertung vom 29.03.2010
Die geheimen Gärten Venedigs
Gardin, Gianni B.; Moldi-Ravenna, Christiana; Sammartini, Teodora

Die geheimen Gärten Venedigs


sehr gut

Gärten für Geschichtsinteressierte

Eine Eigenart venezianischer Gärten gibt es, aufgrund derer man sie als geheimnisvoll bezeichnen kann: "Zu vielen venezianischen Gärten gibt es keinen Zugang. Und auch da, wo sie zugänglich sind, gibt es fast immer einen verborgenen und abgeteilten Bereich, in den man sich zurückziehen kann, nicht nur, um sich besser für Betrachtungen zu sammeln oder um indiskreten Blicke fernzuhalten, sondern um vor Scharlatanen der Erinnerung die Handlungen und Gedanken zu verbergen, die nur wenigen Auserwählten enthüllt werden dürfen, wenn sie ihren Zauber nicht verlieren sollen." (S. 31)

Das Buch ist mit Photos von Gianni Berengo Gardin ausgestattet, von dem es im Vorwort von Vittorio Fagone heißt, er hat "wie vielleicht kein anderer italienischer Fotograf dieses Jahrhunderts" Venedig erforscht (S. 10). Das kann ich leider nicht beurteilen und daher will ich es auch mit dieser Würdigung der Photos hier bewenden lassen. Aber wenigstens ein Photo sei hier herausgehoben, das jeden vom Gegenteil überzeugen muß, der meint, Venedig sei keine Gartenstadt: Die Bildunterschrift zu dem auf S. 112 lautet: "Natur und Baukunst verbinden sich in der Stadt mit ihren Gärten in einer Einheit aus Farben und Formen, in dem sich Leben und Vergehen widerspiegeln." Dem ist nichts hinzuzufügen!

Dieses Buch präsentiert "lebendige, seltene Gärten, verlassen, mißbraucht, ausgelöscht oder zweckentfremdet" als Embleme von Venedigs anderem Gesicht" (S. 11). Na, so bedrückend, wie diese Stelle im Vorwort suggeriert, kommen die beiden Autorinnen nicht daher. Schon die Überschrift "Erinnerung" des ersten Unterabschnitts vom Einleitungskapitel "Gefühle als Hauptdarsteller" macht klar, es ist ein eher fideles Buch. Einleitend wird zunächst anhand historischer Gartenglanzpunkte und ihrem Widerschein in den Stadtplänen von Jacopo de'Barbari/Anton Kolb (1500), Bolognino Zalterio/Paolo Forlani (1566), Ludovico Ughi (1729) und Bernardo und Gaetano Combatti (1847), die selbstverständlich abgebildet sind (S. 16-20), dieses imaginäre Wesen der Serenissima verdeutlicht. Mit Beschreibungen von Gärten, die nie zu lang ausfallen, mit Aufzählungen der Pflanzenpracht, zu der natürlich die Photos das ihrige beitragen, mit Passagen aus litararischen Werken, in denen venezianische Gärten eine wesentliche Rolle spielen, wird man beim Lesen in einen wahren Rausch der Sinne versetzt. Wer da nüchterner eine historische Abhandlung haben möchte, sei auf entsprechende im Literaturverzeichnis (S. 159-164) mit aufgeführte Darstellungen verwiesen, von denen sogar einige im gleichen Verlag auch auf Deutsch erschienen sind. Wer nun unbedingt Gärten Venedigs im Original besichtigen will - und das Wollen kann schon durch dieses schöne Buch zu einem inneren Muß werden, der findet hier aber schwerlich hinreichend Handreichung. Da ist dann schon eher auf Gabriela Bondi, Mariagrazia Dammicco, Letizia Querenghi "I Giardini Veneziani: Guida per Veneziani distratti, Forestieri illuminati, Giardinieri appassionati" (Venezia 2003) zu verweisen.

Man merkt immer wieder, die Autorinnen schöpfen aus einem überreichem Fundus an Kenntnissen, gleichwohl bleibt die Entwicklung und Veränderung des Gartenbaus in Venedig nur angedeutet (S. 62-73, 85, 91f, 107/110), historische venezianische Gartentraktate werden erwähnt, aber nur angerissen. So bleibt für den interessierten Laien manches unbefriedigend. Wenigstens Signalinformationen wie Ursprungszeit des jeweiligen Gartens, zugehörige Gebäude, wesentliche Veränderungen, Besitzer im Laufe der Jahr(hundert)e hätte man bieten können. Angaben, ob sie überhaupt und wie (Voranmeldung) zu besichtigen sind, von Straße/Hausnummer, wären natürlich wünschenswert, aber dieses Buch ist nicht geschrieben worden, um einen die Gärten durchziehenden Touristenstrom zu erzeugen. Und das kann man durchaus verstehen. Aber: Ein Garten, "den man nicht besichtigen kann, ist ein für immer verlorener Garten." (S. 107)

Bewertung vom 29.03.2010
Die Welt von gestern in Farbe: Venedig

Die Welt von gestern in Farbe: Venedig


ausgezeichnet

Seltene, farbenfrohe Ansichten aus vergangen Zeiten

Diesmal hat Petra Reski eine glücklichere Wahl mit Verleger und Herausgeber getroffen, als bei ihrem letzten Venedig-Buch mit dem anmaßenden Titel. Der Inhalt hält, was Titel und Abbildungen auf dem Schutzumschlag versprechen.
Christian Brandstätter hat aus dem Schatz handkolorierter Diapositive der Wiener Urania schöne Ansichten Venedigs von etwa 1900 bis 1920 ausgewählt und dazu passende Äußerungen von Literaten und prominenten Venedig-Besuchern hinzugefügt. Hier erscheint Venedig als Stadt des Lichtes und der Farbe, wozu es heutzutage - abgesehen von den prächtigen Palästen - sonst schon mal eines ver- und bezaubernden Sonnenstrahls bedarf. Das heutige elende Grau vieler Häuser, von dem wir Venedig-Liebhaber doch möglichst peinlich berührt schweigen, war nicht immer so. Da gibt es also gegenwärtig noch viel zu tun!
Petra Reski schrieb zum Buch ein einleitendes Essay (S. 5-8) und man merkt deutlich, ihr Text ist gegenüber früheren gereifter. Nun kann sie gelassen mit eigenem und Touristendrang umgehen, etwa ein ans Wunderbare grenzendes Bild schnell selbst auf dem Photo festhalten zu müssen (Ist es nicht merkwürdig, daß wir uns nicht bezähmen können, immer mehr Photos zu machen und ins Internet zu stellen, obwohl wir doch wissen, daß die Milliarden oder mehr Photos dort fast nur von den Computern "angeschaut" werden, auf denen sie gespeichert sind?), jetzt kann sie Gondelanleger erwähnen, ohne abfällige Bemerkungen über gondelfahrende Touristen zu machen, und der Italiener an ihrer Seite ist nun "natürlich" zum "Venezianer an meiner Seite" (S. 6) aufgestiegen. Ja, in Venedig kann man lernen, in Jahrhunderten zu denken, und die vor rund 100 Jahren aufgenommenen Photos in naturgemäß etwas bläßlicher Handcoloratur (Hups, Koloraturen sind ja was anderes!) können dabei helfen. Und in hundert Jahren..., "aber vielleicht kommt auch alles ganz anders." (S. 8)
Christian H. Stifter erläutert S. 142-143 Ursprung der 60.000 Einzelbilder umfassenden Sammlung der Wiener Urania, würdigt die heute faktisch vergessene Bedeutung der Skioptikon-Vorträge und macht klar, daß da wohl noch so mancher Schatz zu heben ist. Zwischen 1900 und 1937 gab es 553 Vorträge zu Venedig, allein 400 davon in der Wiener Urania, erfährt man da fast beiläufig. Dann kann man als Venedig-Liebhaber regelrecht Neidflecken kriegen!
Das Buch macht sich sicher gut als schönes Geschenk, vorausgesetzt man findet dazu den passenden Beschenkten. Es ist ja bald Weihnachten, oder so...

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.03.2010
Venedig ist ein Fisch
Scarpa, Tiziano

Venedig ist ein Fisch


sehr gut

Gedruckter Fisch mit Hand und Fuß

Dies ist wirklich ein seltenes Exemplar unter den Venedig-Kenner-und-Liebhaber-Büchern, die sich so im Teich der deutschsprachigen Literatur tummeln. "Die anderen Bücher würden lächeln über das, was ich dir da erzähle." (S. 7) Der Autor ist nämlich ein echter Venezianer, wenngleich er auch nicht mehr in Venedig lebt. Die Frage, warum Deutsche ebenso wie Österreichische und Schweizer Verlage, gern Englische und Französische Venedig-Kenner-und-Liebhaber-Bücher übersetzen, kaum aber Italienische, ob das vielleicht daran liegt, daß solche Italienischen Bücher überhaupt seltener sind, überlasse ich gern den Romanisten. Nun bedeutet Rarität nicht zwangsläufig auch Qualität. Ich würde Tiziano Scarps Broschüre aber mindestens als solide-bodenständig bezeichnen., was ja auch ein Qualitätsmerkmal ist.
Es ist wohl leicht untertrieben, wenn es im Klappentext heißt, Tiziano Scarpa "wirft viel von dem Bildungsballast, der auf Venedig lastet, ins Meer": Ich hoffe für seinen Seelenfrieden, daß er die meisten Venedig-Klischees gar nicht kennt, denn die Masse der Venedig-Kenner-und-Liebhaber-Bücher, die diese verbreiten (Ich wusste nicht, was ich mir antue, als ich begann, die zu studieren.), hat er wohl überhaupt nicht konsumiert. Daß der Autor befürchtet, seine Stadt könnte irgendwann irgendwie nicht mehr (so) da sein, wie sie sollte, kann ich verstehen, obwohl es wohl etwas pathologisches hat (Man zeige mir den Menschen, der nicht irgendeinen kleinen Spleen hat.), denn nach 1797 wurde sie zuerst von sämtlichst größenwahnsinnigen Selbstherrschern, dann von selbstverliebten Romantikern und schließlich von erlebnishungrigen Touristen okkupiert. Gleichwohl fordert er freundlich den Leser auf: "Mach auch du 'den Venezianer'... Die erste und einzige Route, die ich dir empfehlen möchte, hat einen Namen. Sie heißt: Zufall. Untertitel: Ohne Ziel... Wenn du dich nicht mehr auskennst, triffst du bestimmt einen Venezianer, der dir freundlich zeigen wird, wie du wieder zurückfindest. Wenn du überhaupt zurückfinden willst." (S. 13-15)
Tiziano Scarpa erzählt über Venedig von Innen her. Er macht auf das Auf-und-Ab der Stadt aufmerksam, die jedem Besucher doch als flach erscheint, auf ihre organische Gestalt, die der Fremde als verwirrend empfindet. Für ihn ist weniger die vieldiskutierte Frage wichtig, ob man sich in Venedig öfter verliebt als anderswo, sondern wie. Er weiß von der Schönheit, mit der die Gondel gerudert wird, von den Vergnügungen der Kinder in dieser Stadt, davon, welcher Bronzedeckel auf den Brunnen am besten klingt... Er kennt die Notwendigkeit einer Maske in einer "Stadt, in der es so etwas wie Privatsphäre nicht gibt" (S. 51), weiß den Lärm in der Stille zu schildern, berichtet vom Schmecken a la venezian. Ja er gibt sogar Ratschläge, wie man sich sprachlich als Venezianer tarnt, und wie man sich vor der allgegenwärtigen Schönheit, die jeder kleine Fleck hier ausstrahlt, wie man sich vor der zuhauf zu findenden Erhabenheit schützt. "Die Schönheit erschlägt, ohrfeigt, mißandelt dich." (S. 85) Braucht es mehr Beweise, daß Venedig freundlich macht? Natürlich ist auch von Skurril-Gegenwärtigem die Rede und zu allem gibt Tiziano Scarpa S. 101-106 sogar weiterführende Literatur an (auch darin ist dieses Buch unter den Venedig-Kenner-und-Liebhaber-Büchern eine Rarität).
Ich möchte dem Autor zurufen: Tiziano, zeig mehr Präsenz in Venedig und in der deutschsprachigen Venedig-Literatur! Das mindert vielleicht etwas die Gefahr, daß die Stadt einst unerkennbar unter den Mythen entschwindet.

Bewertung vom 29.03.2010
Gebrauchsanweisung für Venedig
Deutsch, Dorette

Gebrauchsanweisung für Venedig


sehr gut

Außer der Titel: gut

Eine "Gebrauchsanweisung für Venedig" ist das Buch, dem HEILIGEN MARCUS sei Dank, natürlich nicht. Wie kann ein Verlag nur auf solch einen unsinnigen Titel für eine Buch-Reihe kommen? Schade, daß die Autorin sich auf solch einen völlig irreführenden Titel eingelassen hat! Die zeit- und lokalgeschichtlich interessantem Persönlichkeiten, die bei ihr auch selbst zu Wort kommen, scheinen dafür zu bürgen, daß das Erzählte tatsächlich stimmt (sonst hätte es sicher Proteste gehagelt).

Bewertung vom 29.03.2010
Venedig für Fortgeschrittene
Tötschinger, Gerhard

Venedig für Fortgeschrittene


weniger gut

Vorausgeschrittene Erwartungen - leider etwas enttäuscht

Das vorausgegangene Venedig-Buch von Gerhard Tötschinger, der anspruchsvolle Titel und die gelungene Aufmachung seines neuesten Venedig-Buches wecken hohe Erwartungen. Das Einleitungskapitel (S. 7-20) bietet zunächst auch einen kurzweiligen Parfoceritt durch die venezianische Geschichte und kommt zu einem Schluß, dem man nur Beifall spenden kann: "Je weniger Ahnungslose sich durch Weltsensationen drängen, desto mehr Platz bleibt für Ahnungsvolle, die Venedig seine Würde lassen, der Serenissima die Ehre erweisen." (S. 20)

Aber erweist Tötschinger der Allerheitersten (Das scheint mir die einzig richtige Übersetzung von "Serenissima" zu sein.) die ihr gebührende Ehre? Von einem Theatermann erwarte ich Geistesblitze, Dramatik, Komik, Unterhaltung - nicht unbedingt Ehrungen. Vielleicht liegt es ja allein an meinen Erwartungen, daß es mir nicht so recht gelingt, an diesem Buch Gefallen zu finden. Unzufrieden bin ich, weil mir das alles nicht interessant genug erzählt ist, und das, gerade weil Tötschinger interessanter erzählen kann (Das beweist z.B. das Einleitungskapitel.). Und vielleicht sollte es auch "heiter/sereno" erzählt sein.

Absolut unversöhnlich muß ich aber auf Geschichtsschönfärberei reagieren! Auch bei anderen österreichischen Gegenwartsautoren kann man eine sehr rosarote, mindestens auf einem Auge blind machende, k.u.k.-nostalgische (so deute ich jedenfalls "...die uns vertrauten Adelstitel..." S. 241) Brille ausmachen. Stimmt hier etwas im landläufigen österreichischen Geschichtsverständnis nicht? Es ginge ja noch an, wenn Tötschinger naiv einer beschönigenden Sicht auf die österreichische Vergangenheit folgte. Aber er ist sich durchaus dessen bewußt, daß die österreichische Herrschaft über große Teile Italiens im 19. Jahrhundert von anderen anders - sehr anders! - gesehen wird. Das wird deutlich, wenn er gegen die Bezeichnung Österreichs als Besatzungsmacht in Italien polemisiert. Gewiß, "nach dem Wiener Kongreß und mit dem Lombardo-Venezianischen Königreich war ein österreichischer Soldat in Venedig, Padua, Verona, Milano, Bergamo, nicht Soldat einer Besatzungsmacht" (S. 154, vgl. auch S. 150, 200). Er war Soldat einer Kolonialmacht!
Natürlich hatte Österreich auch in Venedig, wie jede Kolonialmacht, seine Hilfswilligen. Und natürlich haben talentierte Venezianer - das ist Tötschinger besonders wichtig - auch in Österreich und Wien Karriere gemacht. Wo sollten sie denn auch sonst in dieser Zeit Karriere machen? Über die, die etwa nach Frankreich emigrierten oder ausgewiesen wurden, schreibt Tötschinger aber kein Wort. Ich korrigiere mich wie folgt: "10 Worte", denn Daniele Manin wird ein mal S. 80 beiläufig in einem Nebensatz erwähnt.
Die Interpretation, die Tötschinger dem Gedenken Rainer Maria Rilkes - "Wenn man bedenkt, wie viele Bomben, ruchlos, darüber ausgeworfen worden sind..." - gibt, scheint mir geradezu perfide. Rainer Maria Rilkes Bemerkung in einem Brief aus dem Jahre 1920 bezieht sich ganz offensichtlich auf die Bombardements gegen die 2. Markusrepublik und im I. Weltkrieg, jeweils österreichische Bomben, "nicht eine einzige Bombe wurde 'darüber ruchlos ausgeworfen'" und "hier irrt Rilke", kommentiert dTötschinger (S. 200).

Der Österreicher hat ganz offensichtlich sein Buch allein für Österreicher geschrieben: Ganz klar spricht er von den "wenigen Schweizer(n), die dieses Buch lesen" (S. 155). Es mag ja verkaufsträchtig sein, wenn man seinem bevorzugten Publikum bauchpinselt. Er hätte aber vielleicht besser ein Buch "Österreicher aus, in und nach Venedig" schreiben sollen, das vielleicht auch "Von Venedig Fortgeschrittene" betitelt werden könnte. Er deutet immer wieder an, daß es da eine Menge zu erzählen gibt, führt es aber nicht wirklich aus. Und etwas kritisch-ironische Distanz (nochmal: sereno ist zu deutsch "heiter") wäre dabei sicher auch hilfreich.

Bewertung vom 29.03.2010
Hermann Schreiber: Das Schiff aus Stein - Venedig und die Venezianer
Schreiber, Hermann

Hermann Schreiber: Das Schiff aus Stein - Venedig und die Venezianer


schlecht

Reichhaltige Kenntnisse - absurde Logik

Ich hätte vielleicht besser dem Impuls nachgeben sollen, das Buch nach den ersten Seiten zuschlagen und wegzulegen. Aber das macht man ja wohl bei einem Buch, was so oft (1979, 1981, 1986, 1988, 1992) aufgelegt worden ist, nicht gleich.

Im Buch wimmelt es nicht nur von völlig unbegründeten Annahmen und Folgerungen, die dann als Tatsachen unterstellt werden, der Autor wiederspricht sich auch häufig selbst.
So gleich am Anfang: Schreiber vermutet anläßlich der Erwähnung von Schiffen im Brief des Cassiodor an die Veneter aus dem 6. Jahrhundert: "Es muß wohl um den Levantehandel gegangen sein, also um Schiffsverkehr mit Kleinasien und Ägypten, vielleicht auch mit Nordafrika." (S. 13f) Aber erst für die Mitte des 9. Jahrhunderts ist bezeugt, daß man in Venetien seegängige Schiffe gebaut hat. S. 14 heißt es, "Auf der Insel Rialto muß um 500 und wohl schon seit 460 ein Fernhandelszentrum existiert haben", während nur einige Seiten weiter steht, daß Venedig bzw. Civitas rivo alto, wie es am Anfang hieß, "zu dieser Zeit (Mitte des 7. Jahrhunderts) noch nicht erwähnt wird" (S. 20), es in der Zeit Pippin des Kleinen (777-810) die Stadt "noch gar nicht gab." (S. 28) Es wäre müßig alle widerspüchlichen oder unlogischen Stellen aus dem Buch hier aufzuführen. Nur noch zwei Beispiele: "Es scheint, daß Paoluccio seine großen Taten in relativ hohem Alter vollbrachte..." (S. 25) Aus dieser durch nichts begründeten Vermutung (durch den Chronisten GIOVANNI DIACONO ist lediglich überliefert, daß er ein "vornehmer und rechtschaffener Mann" war) wird dann die "Tatsache" abgeleitet, daß der Langobardenhäuptling Luitprand, der gegen den Dogen Paoluccio Krieg geführt hätte und später mit dem befreundet gewesen sei, "viel jünger als Paoluccio" (Ebd.) gewesen sei. Das ist vielleicht nicht wichtig, läßt aber an Kompetenz und Redlichkeit des Autor zweifeln. Oder etwa die Argumentation zu der Frage, ob der Doge Enrico Dandolo von Anfang an listig und hinterhältig die Umleitung des 4. Kreuzzuges zur Eroberung Konstantinopels geplant hätte: "Wenn Dandolo also solche weitgehende Absichten hatte, wenn er das gewaltige Kreuzfahrerheer für Venedigs Zwecke einsetzen wollte, so war er gewiß auch der Mann, dies so vorzubereiten, daß sich keine schlüssigen Beweise dafür finden lassen würden." (S. 96) Mit dieser Logik könnte man jedem alles unterstellen, gerade weil es dafür keinerlei Beweise gibt.

S. 315 ist Schreiber "an dem Punkt angelangt, da Bekenntnisse fällig würden", deutet aber "nur vorsichtig an, daß jeder von uns ein Venedig in der Seele trägt..." Mir ist nicht so richtig klar, wer da mit diesem ominösen Plural gemeint ist, aber vielleicht hilft da S. 304-307 weiter, weniger, um zu verstehen, was Schreiber "in der Seele trägt", als, was er im Schilde führt: Zunächst wird die national-italienische Befreiungsbewegung in Venedig denunziert, indem es heißt, ihr Führer Daniele Manin hätte sich "1847/49 zum Diktator von Venedig" aufgeschwungen (S. 304) und S. 307: "Pseudo-Manische Revolte". Das sollte man überhaupt nicht - weil es einfach falsch ist - und schon gar nicht als Wiener sagen! Das brutale Vorgehen des greisen Österreichischen Feldmarschall Radetzky gegen Venedig wird dagegen verschwiegen. Und dann fängt Schreiber an zu träumen: "Auch zwischen Venedig und Österreich... herrschten Operettenintrigen und Miniaturgegensätze (sic!), an denen dennoch die Chance der gemeinsamen Zukunft zugrundeging. Sie war durchaus möglich... Die österreichische Chance bestand durchaus, denn im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie kam es auf ein Völkchen mehr oder weniger keineswegs an" (S. 306). Und schließlich läßt er Sympathie erkennen, "wenn heute, beinahe zweihundert Jahre nach Napoleons Verrat an Venedig, im einst venezianischen Friaul Kundgebungen für die Rückgliederung an Österreich stattfinden" (S. 307).

Herrmann, mir graust vor dir!