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Annis

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 23.11.2022
Die dunklen Sommer
Beverly-Whittemore, Miranda

Die dunklen Sommer


gut

Interessante Idee mit einigen Längen

"Xavier weiß es doch besser. Er weiß, dass er mich in Ruhe zu lassen hat - außer. Außer das Kommende ist schlimmer als das, was ist."

Nach dem Tod ihres Bruders findet die 12-jährige Saskia Zuflucht bei einer Sekte namens "Zuhause".
Jahrzehnte später treffen mysteriöse Briefe bei ihr ein, welche sie und ihre Jugendfreunde an eine dunkle Episode erinnern und zurück nach "Zuhause" führen. Wie weit sind sie bereit zu gehen, um ihre Geheimnisse zu bewahren?

Der Anfang der Geschichte ist unheimlich fesselnd und zieht einen direkt in ihren Bann. Man fragt sich sofort, was in jenem Sommer geschehen ist.
Die Kapitel sind abwechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit geschrieben, dabei erklären und bedingen sie sich gegenseitig. Hierdurch schafft die Autorin ein enormes Tempo und schnell kommt Spannung auf.
Leider übertreibt sie dabei irgendwann ziemlich, nach einigen kurzen Kapiteln möchte man auch einfach mal ein bisschen weiterlesen und der ständige Wechsel nervt etwas.

Nach einem aufregenden Start folgen leider einige Längen und die Geschichte plätschert nur so vor sich hin.
Auf den letzten hundert Seiten wird es dann doch wieder interessanter und die Autorin überrascht mit einigen unerwarteten Wendungen.

Insgesamt ist es eine packende Geschichte mit einem guten Plot, nur leider zieht sich der mittlere Teil sehr, daher war es für mich lediglich ein mittelmäßiger Thriller.

Bewertung vom 31.10.2022
Die Tochter der Hungergräfin
Spratte, Annette

Die Tochter der Hungergräfin


sehr gut

Die Tochter, deren Mutter niemals die Hoffnung verlor

"Ich schätze, das ist das Erbe meiner Mutter. Wir sind nicht dazu geschaffen, aufzugeben."

Annette Sprattes "Die Tochter der Hungergräfin" erzählt die beeindruckende Geschichte Gräfin Ernestines von Sayn und Wittgenstein von 1636 bis 1652, welche wohlbehütet aufwächst, bis ihr jüngerer Bruder, und somit der letzte männliche Erbfolger, stirbt. Es beginnt ein harter und langer Kampf um die Grafschaft, welcher Hunger, Flucht und Gefangenschaft mit sich zieht.

Das Cover zeigt die Gräfin in einem dunklen Raum, vor ihr drei leuchtende Kerzen, ein schwacher Lichtschein, ein kleiner Hoffnungsschimmer. Dies beschreibt sehr gut die Grundstimmung des Buches.

Positiv fiel mir zunächst auf, dass der Roman ist in vier Teile gegliedert ist, welche wiederum mehrere Kapitel beinhalten. Die einzelnen Kapitel haben kurze, wirklich treffend gewählte Titel, welche einen ersten Einblick in das Geschehen oder die vorherrschende Emotion geben und somit schon vor dem Lesen des jeweiligen Kapitels Spannung erzeugen.

Spratte hat sich dafür entschieden, die Geschichte nicht aus der Sicht der berühmten Hungergräfin, sondern aus der ihrer Tochter zu erzählen. Dabei schreibt sie in der ersten Person Singular und der Leser erhält ein gutes Bild ihrer Gedanken- und Gefühlswelt.
Gut gelungen finde ich dabei, wie diese Gedanken anfangs kindlich wirken und im Laufe des Buches zusammen mit der Protagonistin immer erwachsener und reifer werden und trotzdem stets menschlich und nachvollziehbar bleiben. Somit wächst einem Ernestine schnell ans Herz und man kann ihre Gemütsbewegungen gut nachfühlen.

Der Roman ist auf die wichtigsten Geschehnisse in dieser Zeitspanne von 16 Jahren fokussiert, diese sind dafür umso intensiver erzählt und es entstehen so gut wie keine Längen.
Die Autorin hat es gut geschafft, dass man verstehen kann, wie und wieso sich alles entwickelt hat und gerade Ernestines beeindruckende Entfaltung ist absolut gelungen: von einem etwas arroganten, verwöhnten Kind zu einer intelligenten jungen Frau.
Aber auch die Sturheit und der Kampfgeist ihrer Mutter sind imponierend, sie hat in jeder Situation noch Hoffnung und gibt nicht auf, egal, was andere sagen und denken.
Dabei langweilt die Autorin nicht mit geschichtlichen Zahlen und Fakten, sondern stellt stets das Empfinden Ernestines in den Vordergrund. Sie hält sie sich größtenteils an die gut recherchierten historischen Hintergründe, abweichende Passagen sind im Nachwort erklärt.

Außerdem hat sie einen sehr angenehmen, natürlichen Schreibstil, nicht aufgesetzt wie es in einigen anderen historischen Romanen vorkommt, trotzdem der Zeit angemessen. Man kann das Buch gut und flüssig durchlesen. Mit wenigen Worten schafft sie es, einen 400 Jahre in der Zeit zurückzuversetzen, man bekommt einen lebendigen Eindruck vom Dasein während des 30-jährigen Krieges.

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich allerdings: Es fehlt ein richtiger Höhepunkt in der Geschichte, so herrscht stetig ein gleichbleibendes Spannungslevel, es gibt keine Höhen und Tiefen. Man hätte zum Beispiel einen stärkeren Fokus auf die Zeit der Gefangenschaft, welche den Titel "Hungergräfin" mit sich brachte, legen und hier etwas mehr Dramatik einbringen können.

Insgesamt empfehle ich das Buch allen Fans von historischen Romanen und von imponierenden Geschichten von Frauen, die ihrer Zeit weit voraus waren.

Bewertung vom 29.10.2022
Du kannst alles lassen, du musst es nur wollen
Sträter, Torsten

Du kannst alles lassen, du musst es nur wollen


ausgezeichnet

Typischer Sträter-Humor gepaart mit ernsten Themen

"Sie und ich, du und ich, wir werden nie perfekt sein, also sollten wir alles daran setzen, uns locker zu machen. So ist der Mensch. Ich vor allem. [...] Es hört nie auf. Und das ist gut. Sich zum Deppen zu machen, ist gut für die Seele."

Endlich! Torsten Sträters neuestes Buch "Du kannst alles lassen, du musst es nur wollen" ist erschienen und beinhaltet die besten Geschichten der letzten drei Jahre.
Es ist aufgeteilt in neun Kapitel, welche übersichtlich im Inhaltsverzeichnis gegliedert sind ("Was [im Buch] drinsteht? Steht drin."), sodass man sich auch ohne Lesezeichen mühelos zurechtfindet - falls das Buch denn aus der Hand gelegt werden kann.

Im ersten Teil "Stories" lesen wir im altbekannten Sträter-Stil Alltagssituationen, die durch Abschweifungen ins Absurde geführt werden und deren Pointe wie gewohnt immer wieder überraschend kommt. Absolutes Highlight war für mich definitiv die zweite Geschichte "Zucker", eine Anspielung auf Stephen Kings "Shining".

In den weiteren Kapiteln widmet sich Sträter ernsteren Themen, nähert sich diesen aber stets humorvoll.
Natürlich dreht sich viel um Corona, auch mit der Politik wird sich kritisch befasst, aber zur Sprache kommen auch Probleme, die darüber hinaus nicht vergessen werden dürfen. Der Autor richtet sich dabei mit einem Appell an den Leser, man solle beim eigenen Verhalten anfangen, etwas zu verändern, ohne dass einem jedoch das Gefühl vermittelt wird, belehrt zu werden.

Sehr persönlich und nahbar wird es im Kapitel über Sträters Depressionen.
Außerdem widmet er sich dubiosen Formulierungen und Redewendungen der deutschen Sprache, gibt Filmtipps und schreibt über die Spielzeuge seiner Kindheit.

Der Autor hat einen geschickten Mix aus lockeren und ernsten Themen gewählt, wobei alle Geschichten kurzweilig und unterhaltsam, teilweise auch sehr berührend sind. Sie bringen einen sowohl zum Lachen, als auch zum Nachdenken und bieten somit beste Unterhaltung.

Ich empfehle das Buch allen Sträter-Fans, Freunden von Wort- und Sprachspielen, sowie jenen, die satirische Kurzgeschichten mögen und mal wieder ein paar herzhafte Lacher brauchen.

Bewertung vom 15.10.2022
Elektra, die hell Leuchtende
Saint, Jennifer

Elektra, die hell Leuchtende


sehr gut

Frauen im Schatten des Trojanischen Krieges

"Als ich geboren wurde, gab mein Vater mir meinen Namen. Er benannte mich nach der Sonne: die hell Leuchtende. So hatte er es mir erklärt, als ich noch klein war - ich sei das Licht unserer Familie."

Jennifer Saints "Elektra, die hell Leuchtende" behandelt den Trojanischen Krieg aus der Sicht dreier Frauen, deren Schicksale miteinander verbunden sind:
Elektra, die nichts will, außer ihrem Vater Gerechtigkeit zu erweisen;
Klytämnestra, die vor Trauer und Wut um ihre ermordete Tochter ihre lebendigen Kinder vergisst;
und Kassandra, deren furchteinflößenden Visionen niemand Glauben schenken will.

Das Cover des Buches ist mir direkt in die Augen gesprungen: auf dunklem, mattem Hintergrund sieht man goldglänzend Elektra, die sich von ebendiesem abhebt und erstrahlt und somit ihrem Namen alle Ehre macht.

Die Geschichte an sich ist nicht neu. Wer sich mit der griechischen Mythologie auskennt, kennt auch die grundlegende Handlung des Romans. Was jedoch neu ist, ist die Erzählweise: Saint lässt die Frauen in den Vordergrund rücken und gibt ihnen eine Stimme, diesmal geht es nicht primär um die heroischen Taten der Krieger.
Die Autorin lässt uns durch die Ich-Perspektive tief in die Gedanken- und Gefühlswelten der jeweiligen Erzählerin (wechselt zwischen den drei Protagonistinnen) eintauchen, wodurch man gut mit ihnen mitfühlen und ihre Taten nachvollziehen kann. Jede hat mit ihrem eigenen Schicksal zu kämpfen und jede geht auf ihre Art damit um.

Saint hat eine wunderschöne Erzählart, mit wenigen Worten schafft sie es, den Leser in das mythische Griechenland zu versetzen.
Wer sich mit den Geschichten auskennt, der wird viele bekannte Namen wie Helena, Achilles, Odysseus, usw. hören und sich über die kleinen angedeuteten Legenden freuen; kennt man sich nicht aus, so wird man aber auch nicht mit Fragezeichen im Kopf zurückgelassen.
Einzig und allein die Familienkonstellationen der Protagonistinnen könnte für Neulinge verwirrend sein. Deshalb hätte ich mir einen Stammbaum oder eine Auflistung der Personen zum Nachschlagen gewünscht. Gerade wenn man das Buch nicht in einem Rutsch durchliest, kann man durch die vielen Namen aus verschiedenen Generationen, die teils nur einmal erklärt werden, durcheinander kommen.

Alles in allem ist es eine spannende Neuerzählung einer alten Geschichte, die sowohl für Kenner der griechischen Mythologie, als auch für Einsteiger absolut zu empfehlen ist und nochmal eine ganz andere Seite beleuchtet.