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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2118 Bewertungen
Bewertung vom 02.06.2025
Evaristo, Bernardine

Blondes Herz


sehr gut

Das graue Herz der Finsternis

Bernadine Evaristo hatte mit ihrem Bookerpreis-Buch Frau, Mädchen etc. einen solchen Erfolg, dass auch ihre älteren Bücher nach und nach in Deutsch herausgebracht werden.
Blonde roots gehört jetzt auch dazu. Es ist ein Ideenroman. Was wäre wenn umgekehrt die Weissen Europäer von den Schwarzen versklavt wurden?
Die junge Doris ist auf den Plantagen einer Insel gelandet.
Trotz des leicht satirischen Ansatzes und der Täter-Opfer-Umkehr liest sich das Buch wie andere Bücher über die Sklaverei auch.
Man erfährt, wie Doris als Kind in England entführt und verkauft wurde und ihre Zeit auf einem Sklavenschiff und auf der Plantage.
Der Erzählton wirkt modern.
Im zweiten Teil übernimmt ein Sklavenhalter den Erzählerpart und seine Ideologie wird deutlich.

Blondes Herz ist nicht so poetisch wie der zuletzt erschienene Roman und erzählerisch noch nicht so ausgereift wie ihre neuen, aber es ist ein lesenswertes Buch.

Bewertung vom 30.05.2025
Reid, Taylor Jenkins

Atmosphere


sehr gut

Die Sterne sind unverrückbar

Bei Taylor Jenkins Reid hatte mich Carrie Soto is back beeindruckt. Der neue Roman Atmosphere hat ein wenig davon, wobei die Leidenschaft für Sport hier für den Weltraum einnimmt.
Zwei Frauen (Joan und Vanessa) und ihre Beziehung stehen im Mittelpunkt. Sie verbindet einiges und beide wollen Astronautinnen sein.
Die Autorin arbeitet die Unterschiedlichen Charakteren der beiden gut heraus. Hinzu kommt die rührende Beziehung von Joan zu ihrer Nichte. Das wird vielleicht ein wenig zu idealistisch geschildert, auch ist die Liebesgeschichte und ihr Verlauf zu pathetisch gehalten.
Die Autorin legt die Handlung in die frühen Achtziger Jahre, was gut funktioniert. Geschickt baut sie zwei Handlungsstränge auf, so bleibt eine gewisse Spannung kontinuierlich aufrechterhalten.
Das Buch liest sich und flott wie es nur gute Unterhaltungsromane schaffen. Ich würde das Buch in die Nähe von Eine Frage der Chemie rücken, obwohl es nicht ganz darankommt.

Bewertung vom 29.05.2025
Oates, Joyce Carol

Wache halten


ausgezeichnet

Ein intimer, intensiver Text!

Die große amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates hat hier ein offenbar sehr persönliches Buch geschrieben. Wenige Jahre nachdem ihr Ehemann gestorben ist, zeigt sie hier ein Paar (Michaela und Gerard), dass zum Arbeiten und Unterrichten in ein Institut nach New Mexico gegangen sind. Hier wird der Mann krank, unheilbar. Für Michaela ist es hart zuzusehen, wie ihr Mann sich in der Klinik dem Tode nähert.
Nur kurz gibt es eine Passagen an der Uni, mit einer Studentin, die Hilfe von Michaela braucht. Dann geht es wieder nur um die Krankheit und nahenden Tod. Das ist teilweise im Detail beschrieben auch für den Leser nicht ganz einfach zu ertragen.
Der zweite Teil des Buches hat eine andere Tonlage und zeigt dann die Trauer nach Gerads Tod. Es gibt auch noch weitere Passagen mit einem Studenten. Für mich sehr gelungene Szenen.

Die Autorin geht weit, die Emotionen zu zeigen. Es ist ein Buch nicht ohne Bitterkeit und doch wird eine Tiefe der Trauer dargestellt, wie man es selten gelesen hat.

Bewertung vom 28.05.2025
Safier, David

Die Liebe sucht ein Zimmer


sehr gut

David Safier ist nach 28 Tage lang und Solange wir leben wieder ein ernsthafter, leidenschaftlicher Roman gelungen. Er spielt 1942 im Warschauer Ghetto und ist ganz ein Buch über das jüdische Theater.

Es gibt großartige Details über das Theater. Aber man vergisst nie, die Zeit, in der es sich abspielt. Alle Juden sind sich der großen Gefahr allzeit bewusst.
David Safier schildert so einige Härten.

Die Handlung umfasst im Wesentlichen die Dauer eines Theaterstücks. Das Stück heißt Die Liebe sucht ein Zimmer und beinhaltete auch Gesangseinlagen.
Der Clou ist, dass zum einen das Stück präsentiert wird, aber nebenbei auch die Geschichte der Schauspieler. Da ist die Liebe zwischen den Schauspielern Sara und Edmund, aber auch die des Intendanten, der mit Sara aus dem Ghetto fliehen will. Dann auch noch die Nebenfiguren, die Rollen im Stück haben.
Das Ganze wird von der Sprecherin Katharina Thalbach zusammengehalten. Eine Meisterleistung!

Bewertung vom 28.05.2025
Maar, Paul

Lorna


sehr gut

Der berühmte Kinderbuchautor Paul Maar, inzwischen 87 Jahre alt, legt hier eine vollendete Novelle über eine Frau vor.
Wichtig ist die Erzählperspektive. Die liegt bei einem Freund von Lorna, der einfühlsam und streckenweise bewundernd über Lorna und ihr Leben schreibt. Sie waren Kinderfreunde, später ein Paar. Aber Lorna entwickelte erst ein Helfersyndrom, später eine Manie und eine psychische Störung, mit der schwer zurecht zu kommen ist.
Es ist eine tragische Geschichte, aber unbedingt lesenswert.

Bewertung vom 28.05.2025
Gardner Smith, William

Gesicht aus Stein


ausgezeichnet

Ein bemerkenswerter Roman und eine großartige Entdeckung. William Gardner Smith ist jetzt nicht gleich ein zweiter James Baldwin. Solche Giganten der Literatur sind rar, aber auch Gardner Smith hat einen guten, reflektierenden Stil. Dazu gehört ein ebenso die Situation durchdenkender Protagonist.

Simeon Brown verlässt die USA und geht nach Paris, um dort den Rassismus zu entgehen. Er freundet sich mit einigen Leuten an und findet mit der Jüdin Maria eine Liebe. Aber der Algerienkrieg zeigt Frankreichs düsteres Gesicht und Simeon kommt immer mehr ins Grübeln, ob er sich mehr gegen den Rassismus engagieren muss. Die Gewalt in Paris eskaliert.

Der Roman wirkt nicht altmodisch und ist doch in seiner Zeit behaftet. Er erzeugt ein realistisches, glaubhaftes Bild über diese Zeit an diesem Ort.

Hoffentlich folgen weitere Übersetzungen von Büchern dieses Autors. Gesicht aus Stein jedenfalls ist unbedingt empfehlenswert.

Bewertung vom 28.05.2025
Mann, Thomas

Mit Thomas Mann am Meer


ausgezeichnet

Aus dem Werk des Zauberers

Ulrich Tukur, der bekannte Schauspieler, Musiker und Schriftsteller hat hier Texte von Thomas Mann versammelt, die mit dessen Nähe zum Meer zu tun haben.
Man kann die Qualität der Texte aber auch den Topos Meer erkennen.

Ziemlich am Anfang ist anscheinend komplett die Kurzgeschichte Der Tod enthalten. Ein sehr früher Text, von mir bisher übersehen. Es ist ein ergreifender Text voller Wehmut.
Aber es gibt auch viele Auszüge aus den bekannten Bücher: Buddenbrooks und Zauberberg.
Außerdem Tagebucheinträge und Briefe.
Es ist ein sehr reichhaltiges Buch.

Mit Meerfahrt mit Don Quijote endet das Buch mit einem tagebuchartigen Text. Im Gegensatz zu den Tagebüchern ist dieser Text aber literarisch und essayistisch sorgfältig bearbeitet. Ein Highlight.

Bewertung vom 28.05.2025
Astrabie, Sophie

Die Chance unseres Lebens


sehr gut

Sara und Stanislas

Es gibt eine oft verwendete Formel für passende Sommerlektüre, die berührt. Das funktioniert ein weiteres Mal in diesem Roman. Ein selbstbewusstes Mädel mit dem Herz am rechten Fleck und ein kluger, aber schüchterner Junge, die sich anfreunden.
Wird aus der Freundschaft Liebe und was wird 20 Jahre später sein?

Das Buch erinnert von der Stimmung her an Helle Sommer, dem früheren Roman der Autorin. Es ist ein schnell gelesener Roman und als Leser fühlt man mit den beiden Protagonisten.

Bewertung vom 26.05.2025
Marx, Reinhard

Kult. Warum die Zukunft des Christentums uns alle betrifft


sehr gut

Habent sua fata libelli

Kardinal Reinhard Marx arbeitet sein Essay gründlich aus und setzt gekonnt Zitate, wie z.B. Peter Sloterdjik und/oder nimmt Bezug auf andere Persönlichkeiten, wie z.B. oft auf Jürgen Habermas
Auch von Franziskus ist öfter die Rede.

Marx benennt die globalen Herausforderungen, die auch die Kirche betreffen.
Er bleibt aber auch oft Optimist, der an das Christentum als Religion der Zukunft und er kommt auf seine Vision, dem „Kult“ und die Eucharistie zu sprechen.
Ehrlich gesagt, ich war da teilweise raus.

Interessanterweise plädiert Marx für eine Globale Soziale Marktwirtschaft, doch die aktuelle Weltlage ist eine andere.
Marx selbst sagt ja: „Und ich bin sehr besorgt über die europaweiten und weltweiten Entwicklungen hin zu Rechtspopulismus, Nationalismus und rückwärtsgewandter Abgrenzung.“
Die Zukunft des Christentums hängt somit von vielen Faktoren ab.
Unabhängig davon hat Reinhard Marx mit seinen sprachlichen Mitteln gekonnt sein Essay gestaltet.

Bewertung vom 24.05.2025
Lau, Mariam

Merz


ausgezeichnet

Mariam Lau ist Zeit-Korrespondentin und Buchautorin. Sie hat schon über Angela Merkel und Harald Schmidt geschrieben.
Das hier vorliegende Buch ist jedoch keine Biografie im eigentlich Sinne, sondern beleuchtet die politischen Vorgänge der letzten Zeit, vordergründig im Zusammenhang mit Friedrich Merz Wahlkampf und Kanzlerschaft. Der Untertitel ist treffend gewählt.

Über Friedrich Merz wurden in letzter Zeit schon ein paar Bücher veröffentlicht, die hohe Qualität haben, aber Mariam Laus Buch ist das erste, nachdem Merz wirklich Kanzler geworden ist. Sie hat es mit spürbarer guter Schreiblaune gemacht und man wird von ihr kenntnisreich durch die Ereignisse der letzten Monate gewirbelt.
Dabei ist die Frage der politischen Position, die die neue Regierung und vorrangig Merz suchen, wichtig. Und das innen- wie außenpolitisch.

Immer wieder gibt es auch bemerkenswerte Rückblicke und man liest im Zusammenhang auch von anderen Politikern.

Mariam Lau spart nichts aus, bleibt aber fair.
Das Buch bietet pure Lesefreude und vielleicht ist Laus Merz-Buch daher das bisher beste.