Benutzer
Benutzername: 
MB
Wohnort: 
Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 454 Bewertungen
Bewertung vom 12.06.2021
Pásztor, Susann

Die Geschichte von Kat und Easy


gut

Sehr unterhaltsam! Ein Roman der Babyboomer-Generation. Wie aufregend muss das Teenagerleben zu Beginn der Siebzigerjahre gewesen sein! Aus dem Erleben der Freundinnen Kat und Easy dürfen wir als Leser:innen dieser Zeit nachspüren. Der Zeit nachspüren heißt zum einen, diese wundersame Phase des Erwachsenwerdens noch einmal vor Augen gehalten zu bekommen; der Zeit nachspüren heißt zum anderen, an die Zeit des Umbruchs zu Beginn der 70-er erinnert zu werden. Die Entdeckung der Liebe, die Entdeckung des anderen Geschlechts, Hoffnungen und Enttäuschungen, die Suche nach Orientierung, Drogen-Probierkonsum, die Musik dieser aufregenden Jahre. Die Frage, bei welcher Schallplatte man seinen ersten Sex haben wolle? Etwa Pink Floyd's 'Dark side of the moon'?. Die erzählte Zeitebene der Siebziger endet nicht nur mit dem Erscheinen von 'Selling england by the pound' der Band Genesis, sondern auch mit dem Unfalltod von dem im Jugendzentrum arbeitenden, etwas älteren Fripp (King Crimson), in den die Freundinnen Kat und Easy beide auf ihre Art verliebt waren: Easy war mit Fripp 'zusammen' und Kat hat nur hin und wieder einen Beischlaf mit ihm abbekommen, obwohl über beide Ohren verliebt. In der zweiten Zeitebene treffen die beiden ehemaligen Freundinnen nach jahrzehntelanger Funkstille wieder aufeinander und verabreden sich für ein Treffen auf der griechischen Insel Kreta, die noch ein wenig den Flair der guten alten 'Hippiezeit' verkörpert. Das so lange Zeit Ungesagte wird dann auf der Insel doch schlussendlich noch besprechbar und nähert die beiden Protagonistinnen wieder an, beide reicher geworden an Erfahrung.
Die Story ist recht nett und auch gut erzählt. Der eigentliche Charme des Buches liegt in den gut nachfühlbaren Beschreibungen sowohl der Innenwelten von Kat und Easy, wie auch des zeitgeschichtlichen, äußeren Kontextes. Wer selbst einmal auf Kreta war und in seiner Jugend einen ähnlichen Musikgeschmack geteilt hat, ist mit dem Lesen dieses Romans klar im Vorteil;-)
Sehr unterhaltsam!

Bewertung vom 07.06.2021
Groschupf, Johannes

Berlin Heat


ausgezeichnet

Ein Wahnsinnsbuch!!!
Ich hatte schon viele lobende Worte über den Vorgänger 'Berlin Prepper' gehört... aber der neue Thriller 'Berlin Heat' von Johannes Groschupf hat mich regelrecht umgehauen. Welch ein Drive von der ersten bis zur letzten Seite. Und was der Kerl, also der Autor, auf 250 Seiten ganz locker in einem ungeheuer ansprechenden Schreibstil so alles unterbringt... Wahnsinn! Die Zeit kurz nach Corona; der kritische Blick auf das Leben in der Hauptstadt; die pointierte Beschreibung typischer Hipster-Verhaltensstile und der Blick auf grün-links-alternativ-ökologische Milieus; der warnende Blick auf das politische Rechtsaußen; der Überlebenskampf der Mittellosen; die Verrohung der Umgangsformen. All das ist natürlich nicht episch ausgebreitet, aber mit wenigen Pinselstrichen auf den Punkt gebracht - genau wie die Figuren der Story! Und bei all dem gibt es noch eine gute, ausgefeilte und extrem schnittige Geschichte!
Der spielsüchtige und verschuldete Mitdreißiger Tom, der einige Wohnungen seines Vaters verwaltet, bzw. an Berlin-Touristen nicht nur vermietet, sondern ihnen auch zusätzliche Dienstleistungen wie 'Drogen besorgen' anbietet. Tom hat Schuldenrückzahl-Stress, gerät deshalb in einen ziemlichen Schlamassel, ist 'nicht ganz erfolglos' bei den Frauen, selbst bei Polizistinnen nicht, und hat insgesamt trotz seiner Loser-Qualitäten auch einen heldenhaften Charakter. Eine Botschaft: Irgendwie geht es immer weiter im Leben und jeder macht halt so sein 'Überlebensding'. Aber: Obacht! Der Showdown am Ende ist eine klare Wrnung, dass sich da seit langem von ganz weit Rechts was zusammenrottet... um 'den Austausch des deutschen Volkes zu verhindern'. So lässt der Autor im zweiten Drittel des Thrillers die Figur Ronny sagen: "Das hat der Feminismus aus uns gemacht, verschwuchtelte Schwächlinge. Ironische Idioten. Dieses Land leidet an thymotischer Unterversorgung, sagt Marc Jongen. Wir müssen wieder hassen lernen, verstehst du? Zorn und Wut, das sind die Quellen deutscher Kampfkraft. Alles kurz und klein treten, Schutt und Asche, dazu müssen wir fähig sein."
Wer dieses Buch nicht liest, wird Gewaltiges verpasst haben!

Bewertung vom 04.06.2021
Eckert, Christa

Federflaum


ausgezeichnet

Tief bewegend! Ein Buch, vor dem man eigentlich flüchten möchte, von dem man sich aber in keiner Zeile lösen kann! Wer sich diesem Buch hingibt, steigt in das Wagnis der Selbsterkundung ein. Ich als Mann bewundere die Frauen ob ihrer Fähigkeit zur Introspektion und wünschte meinem Geschlecht auch hin und wieder den Mut zur Innenschau und eine gesunde Portion Selbstzweifel. Als männlicher Leser bin ich dankbar, an weiblichen Lebenswelten teilgehabt haben zu können.
Ich werde nicht den Ihalt des Romans referieren, aber gerne meine Eindrücke mitteilen.
Ich kenne kaum eine Autorin, der es in einer derartigen Intensität gelingt, innere Prozesse zu schildern und die Dynamik von Beziehungen zu erforschen (ich darf wohl zurecht vermuten, dass die Autorin selbst über eine gehörige Portion Selbsterfahrung verfügt). Die Lesenden werden Zeug:innen, wie die Integration negativ besetzter Erfahrungen in die eigene Lebensgeschichte gelingen kann; wie der Mut, hinzuschauen und die Bereitschaft, Geschehenes anzunehmen, einen Neubeginn ermöglichen. Das 'Loslassen' findet sich bei Christa Eckert in dem Bild der Hände der Protagonistin Judith, die sich öffnen und jeweils einen Luftballon entschweben lassen. Wir erfahren das Bild der Liebe als Brücke zum anderen und wie Gedanken und Vorstellungen die Brücke zerstören können; wir werden angeregt nachzudenken, wie unser Bild von unseren eigenen Eltern ist und was wir an unsere eigenen Kinder weitergeben; nicht nur Kinder brauchen ihre Eltern, manchmal stellen Kinder auch einen Halt für ein Elternteil dar. Im Zentrum steht die Selbstwerdung von Judith, 24 Jahre alt, vom Vater ihrer Tochter Amber getrennt lebend - auf der Flucht und auf der Suche; das Alte ist nicht mehr und das Neue noch nicht gefunden. Über die Wohnungssuche stößt sie auf Bea; eine tiefe Freundschaft beginnt, in der beide sich einander anvertrauen, bei Judith entsteht der Mut, sich selbst, ihre Geschichte und ihre Sexualität anzunehmen, sich zu heilen.
Christa Eckert verbindet die Seelenerkundungen in souveräner Weise mit Naturbeschreibungen - ihr offener Blick gilt nicht nur den Menschen sonder allem sinnlich Erfahrbarem. So beginnt Judiths Weg der Selbstwerdung im Winter und endet zur Sommerszeit.
Lieblingsstellen: "Jeder sah aus seinen eigenen Augen in die Welt, und jeder sah sie anders. Vielleicht nur ein klein wenig anders. Aber das genügte, dass zwischen Menschen Welten lagen. Wenn sie dann noch versuchten, Recht zu haben oder im Recht zu sein - dann zerbrach die einzige Brücke zwischen ihren Welten."
Und genial ist das Zusammentreffen von Judith und Alexander (Vater der Tochter) beschrieben - in der Zwischenwelt eines Kneipeneingangs: zwischen Tür und Vorhang. Und in der Zwischenwelt funktioniert die Liebe... in der tiefen Begegnung zweier Liebender in der 'Draußenwelt' lauern allerdings die Fallstricke der eigenen Biographie. Und genau davon handelt dieser wunderbare Roman. Ach ja: Wer den Buchtitel verstehen will, der muss schon bis zum Schluss durchhalten ;-))

Bewertung vom 30.05.2021
Philips, Marianne

Die Beichte einer Nacht


ausgezeichnet

Unbedingt lesen!!!
"Die Beichte einer Nacht" ist ein wahres Kleinod aus dem Jahre 1930. Schwamm drüber, dass es sich eigentlich um eine Beichte handelt, die sich über zwei Nächte zieht. Leentje ist Patientin in einer psychiatrischen Anstalt und erzählt der Nachtschwester ihr Leben - und wir sind, genau wie die Nachtschwester Zeugen dieses berührenden Berichtes. Einen Freispruch wird Leentje zwar nicht erhalten; gleichwohl verleiht der Erzählprozess dem eigenen Leben Wirklichkeit; die Selbstvergewisserung und Selbstdistanz im Erzählen ist fast schon ein therapeutischer Prozess. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, mit Kinderträumen ausgestattet, die immer wieder einen Zusammenstoß mit der Realität erleiden; Leentje, eines von 10 Kindern, hat sich wegen der Kraftlosigkeit der Mutter um die Nachzüglerin Lientje zu kümmern. Mit großer Intensität lässt Marianne Philips ihre Protagonistin das Frauwerden schildern: "... und man merkt, dass man völlig anders geworden ist, dass man für etwas gemacht ist, und man sucht in alle Richtungen wofür genau." Leentje plagt im weiteren der Zweifel: "Niemand hat Schuld an meinem Leben, nur ich selber." Zur Frau geworden verlässt Leentje das Elternhaus, verdingt sich als Verkäuferin, um schließlich gut - aber nicht verliebt - einzuheiraten. Als die Mutter erkrankt, nimmt sie ihre kleine Schwester Lientje mit zu ihrem älteren Ehemann. Nach dem Scheitern der Beziehung kehrt sie mit ihrer Schwester zurück ins einfache Leben und verliebt sich in Hannes. Leentje verzweifelt zuehmend an ihrem Leben, hat das Gefühl, weder ihrer Schwester noch Hannes gerecht werden zu können. Das eigene Älterwerden neben ihrer jungen Schwester und die Eifersucht nagen an ihr. Leentje leidet an vermeintlich falsch getroffenen Lebensentscheidungen. Die Last der Wahl, so scheint es ihr, ist einem erst durch den Tod genommen: "Darum ist es vielleicht gut, dass wir sterben dürfen, ohne selber darüber zu entscheiden. Dabei zumindest haben wir keine Wahl, man stirbt nicht, man wird gestorben. So wie man geboren wird - ohne jedes Wissen oder Wollen."
Ein beeindruckendes Werk mit einem unerwarteten Ausgang, der sich aber dennoch in jeder dieser wunderbar geschriebenen Zeilen andeutet.

Bewertung vom 25.05.2021
Thiele, Markus

Die Wahrheit der Dinge


sehr gut

Ein wichtiges Buch!
Markus Thiele gelingt es in hervorragender Weise, gute Unterhaltung mit intellektueller Herausforderung zu verbinden und dabei noch brandaktuell zu sein. Zwar beruft er sich auf reale Justizfälle - Marianne Bachmeier, die während eines Gerichtsprozesses in den 80-ern den Mörder ihrer Tochter erschoss und der an rechter Gewalt gestorbene Angolaner in Eberswalde Anfang der 90-er - arbeitet sie aber gut und zeitaktuell um. "Die Wahrheit der Dinge ist die Summe der Unwahrheiten" - ein Gedanke, der sich durch die gesamte Geschichte zieht! Der renomierte Strafrichter Frank Petersen hadert mit sich, sind doch einige seiner Urteile vom BGH widerrufen worden. Ein altes Trauma lebt wieder auf: Corinna Meier, die den offensichtlich rechtsradikalen Mörder ihres Sohnes am letzten Gerichtstag im Verhandlungssaal erschossen hat, nachdem sie Jahre vorher bereits den Vater des Sohnes durch rechte Gewalt verloren hatte... Petersens Frau wirft ihm bezüglich seiner Urteile Voreingenommenheit und Selbstgerechtigkeit vor und trennt sich 'vorübergehend' von ihm. Und so geht es um weit mehr, als nur um ein Urteil; es geht um Politisches und Privates, es geht um Rassismus und Angst; es geht um existenzielle Fragen der Gerechtigkeit: Kann man alles richtig gemacht haben und trotzdem falsch liegen? Petersen macht sich auf die Suche nach der Wahrheit und kontaktiert Corinna Meier am Tag ihrer Entlassung um mehr zu erfahren, um die Geschichte hinter der Faktenlage zu ergründen; er weiß aber auch, dass er seiner Frau gegenüber das Eingeständnis seiner Fehlbarkeit machen muss, weil sonst die endgültige Trennung droht. Petersen beweist als Protagonist, wie man an inneren Konflikten wachsen kann. Und Markus Thiele fordert seine Leser:innen zum Mitdenken auf. Was will man mehr?

Bewertung vom 25.05.2021
Landsteiner, Anika

So wie du mich kennst


sehr gut

Quasi in einem Rutsch...
"So wie du mich kennst" von Anika Landsteiner hat mich von der ersten Seite an nicht mehr losgelassen, mich angerührt und bewegt. Mann könnte - nimmt man den Titel des Romans - sagen, dass es da noch viel Verborgenes und Unerzähltes in uns allen gibt, dass wir zwar glauben uns zu kennen, dass wir zwar viel miteinander reden, uns aber viel zu wenig über uns erzählen! Die Familie der Geschwister Karla und Marie lebt sehr dörflich und die beiden teilen ihre Kindheit, Jugend und ihre ersten Liebesabenteuer in dieser wohlgeordneten Welt. Marie verliebt sich in einen Amerikaner, folgt ihm in die USA. Karla verbleibt als Journalistin eines Provinzblattes in der Heimat. Marie verlässt ihren Mann und landet als Fotografin in New York - in der Stadt, die "einem nicht dabei half, sich zu finden - sondern vielmehr unter die Arme griff, wenn man sich verlieren wollte." Marie kommt durch einen Unfall ums Leben und ihre Schwester Karla reist nach New York, um die Wohnungsauflösung zu übernehmen, was aber eigentlich bedeutet, auf Spurensuche zu gehen. Dabei erlebt sie nicht nur die Weltstadt und ihre Menschen, sondern spürt auch eine bisher unerzählte Seite ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Marie auf; und selbstverständlich lernt Karla auch viel über sich selbst, das eigene Leben und findet am Ende einen neuen Zugang zu dem, was 'Familie' und Zusammenhalt bedeuten. Zwar sind die Protagonistinnen weiblich - gleichwohl eine Lese-Muss für Männer!! Gekonnte Sätze erzählen eine einfühlsame Geschichte; bei guter Regie unbedingt auch Stoff für eine Netflix-Serie!

Bewertung vom 22.05.2021
Bazyar, Shida

Drei Kameradinnen


ausgezeichnet

Außergewöhnlich...
Shida Bazyar hat in ihrem neuen Werk "Drei Kameradinnen" außergewöhnliches geleistet! Dem großen Lob der Literaturkritik kann ich mich da nur anschließen. Klar passt die Geschichte gut in unsere Zeit. Wir wissen, dass Rassismus gar nicht geht und auch, dass rechtsaußen eine hochgefährliche Hohlköpfigkeit lauert; wir wissen auch, dass Teenager zuweilen noch unausgereifte Weltbilder haben und sich die Radikalität der einen oder anderen Anschauung mit den Jahren wohl relativieren wird. Und zwischen den Geschlechtern läuft es auch nicht immer optimal. Aber Shida Bazyar gelingt es auf eine andere Art, uns (weißen und so viel wissenden und politisch korrekten) Leser:innen den Spiegel vor die Nase zu halten. Das Buch kommt zuweilen wie ein nettes Teenager-Geplaudere daher... und dann kommt sie ganz unvermittelt, diese sensible Beobachtung der Menschen und ihrer Beziehungen, die Beschreibung von Ansichten; die Fähigkeit Dialoge so zu Papier zu bringen, dass man das Gefühl hat, direkt danaben zu sitzen. Und dann die plötzlichen Zwischenstopps, in denen die Autorin sich direkt an die Leser:innen wendet, stellenweise erschreckend entlarvend, erwischt sie uns doch bei bestimmten Gedanken, von denen sie geahnt hat, dass wir sie an genau dieser Stelle denken. Ja, das Buch hat mich angesprochen und berührt, nicht nur, weil wir als Leser:innen auch zu Zeugen des Schreibprozesses werden, nicht nur wegen des Stilmittels der direkten Ansprache, sondern weil es auch die Spannbreite zwischen dem radikalen Rassismus von Rechtsaußen (während die Handlung sich zuspitzt läuft der NSU-Prozess) und dem stillen Rassismus in uns selbst - der als Subtext oft genug mitschwingt, ohne dass wir es bemerken - ausleuchtet. Und dann noch diese feinsinnige Ironie: "Seit es legitim war, als Mann in aller Öffentlichkeit nach Gummibärchen und Spice-Girl-Deo zu riechen, hatte ich den Eindruck, dass wir der Gleichheit der Geschlechter einen Schritt näher gekommen waren."
Eigentlich werden nur die wenigen Tage vor der Hochzeit einer Freundin beschrieben und am Ende brennt ein Haus und eine der drei Kameradinnen muss in den Knast... aber so ganz nebenbei bekommt man ein Psychogramm unserer aktuellen gesellschaftlichen Lage aus der Perspektive von Menschen 'mit Migrationshintergrund' an den Kopf geknallt. Unbedingte Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 19.05.2021
Schaller, Katharina

Unterwasserflimmern


sehr gut

Intensität...
Zugegebenermaßen war ich als männlicher Leser zunächst skeptisch und dachte anfangs 'Mal wieder so eine weibliche Selbsterkundungsgeschichte' und musste direkt an 'Häutungen' von Verena Stefan aus dem Jahre 1975 denken... Ich muss aber gestehen, dass das Buch mich zunehmend wie ein Sog erfasst und mit seiner sprachlichen Intensität und Direktheit auch überzeugt hat. Manchmal legt das Leben ja einen Zwischenstopp ein - man verlässt eine irgendwie verfahrene Situation, begibt sich auf eine Reise, denkt nach und ist gleichzeitig in einer Phase des Übergangs gefangen, in der das Alte noch nicht vorbei ist und das Neue noch nicht begonnen hat; und mit der Rückkehr von der Selbstklärungsreise startet dann ein zarter Neubeginn. So in etwa könnte man beschreiben, was der Protagonistin aus 'Unterwasserflimmern' widerfährt: Das Konstrukt parallel zum eigenen Partner Emil, der sich langsam mit Hausbau und Kinderplanung auf einen verbindlichen Lebensweg festlegen möchte, den um einiges lebensälteren - wenn auch selbst verheirateten - Geliebten Leo zu haben zerbricht, als ihr Partner Emil ihr eine Affäre gesteht. Die Protagonistin bricht alle Brücken ab, reist ins südlich gelegene Nachbarland ans Meer, trifft dort auf andere Lebensmodelle und Menschen, denen sie neu begegnen kann; was zunächst wie eine Flucht vor einer Entscheidung anmutet, erfordert schließlich aber eine Entscheidung, da sie befürchtet schwanger zu sein, allerdings ohne zu wissen, wer denn nun der Vater ist. Wer auf der Suche nach sich selbst noch nicht ans Ziel gelangt ist (falls das überhauptmöglich ist...), mag sich nicht zwischen unterschiedlichen Daseinsmöglichkeiten entscheiden müssen, hält sich gerne alles offen... und die vermutete Schwangerschaft bahnt eine Entscheidung! Deshalb auch gegen Ende der Geschichte das Bild der Morgendämmerung - als Zeichen für einen Neubeginn! Und zum Titel des Buches: Die Sehnsucht, sich in den Weiten des Meeres aufzulösen, sich treiben und durchfluten zu lassen - gleichzeitig aber 'an Land' die Anforderung , die das Leben stellt auch anpacken zu müssen. Mit der Italienreise und dem Resultat, doch nicht schwanger zu sein, gelingt es der Protagonistin am Ende, ihr altes Leben für einen Neustart ins noch Ungewisse zu integrieren - anstatt es - im wahrsten Sinne des Wortes - abtreiben zu müssen.
Selbsterkundung? Ja! Aber mit welch großartiger Intensität und sprachlicher Wucht!!!

Bewertung vom 16.05.2021
Mack Jones, Stephen

Der gekaufte Tod


sehr gut

Ein Krimi, der es in sich hat...
Ein Krimi, der es in sich hat und in dem gleichzeitig viel steckt! Zum einen - wer weiß schon etwas über die soziale Situation in Mexicantown in Detroit? Zum anderen, wer ahnt schon etwas von der Unterwanderung der Banken durch die 'dunkle Seite der Macht'? Vor allem aber lebt der spannungsgeladene Detroit-Krimi von der Coolness seines Protagonisten, des in das Wohn-Viertel seiner Kindheit zurückgekehrten, ehemaligen Polizisten August Snow - wegen eines gewonnenen Prozesses gegen das korrupte Detroit Police Department nun ein reicher Mann. Sein Gerechtigkeitssinn läßt ihn nun wieder aktiv werden, auch ohne einen offiziellen Auftrag. Er entdeckt immer weiter reichende Verstrickungen und bemerkt irgendwann, dass auch er nur eine Figur in einem Spiel auf höherer Ebene ist. Snow ist schon eine ziemliche Heldenfigur, nicht nur, weil er mit ausgewählten Gefährten das eine oder andere blutige Gemetzel übersteht, sondern vor allem auch, weil er über ein ausgeprägtes soziales Gewissen verfügt und Menschen Gutes tut. Dass er ungesund lebt und auch viel trinkt zementiert seinen Heldenstatus zusätzlich! Einige Textbeispiele, die die Grundtonalität des Krimis gut wiedergeben:
"An einem trüben und kühlen Morgen, als ich gerade ein hartes drittes Set Deltamuskelübungen mit 70-Kilo-Gewichten im YMCA auf der Broadway Street absolvierte, beschloss ein kleiner dunkler Raum ganz hinten in meinem Gehirn plötzlich, die Jalousie hochzuziehen und blendendes Licht hereinzulassen." Man hätte da auch einfach schreiben können "Und plötzlich hatte ich eine Idee!"
Oder: "Die vier Stunden im Auto waren vier Stunden zu lang, daher fasste ich die Tempolimit-Schilder größtenteils als passiv-aggressive Empfehlungen auf." statt "Ohne Rücksicht auf die Geschwindigkeitsbegrenzung drückte ich das Gaspedal bis zum Anschlag durch."
Also bitte lesen, sofern man auf gut geschriebene und spannende Unterhaltung steht!

Bewertung vom 14.05.2021
Dignös, Eva;Schnitzler, Katja

Das Faultier bewegt sich wie Opa


ausgezeichnet

Besser als jeder Ratgeber!!!
Da ist den beiden Autorinnen ein ganz großer Wurf gelungen: Sie haben einen wahnsinnig humorvollen Ratgeber für gestresste Eltern geschrieben, der eigentlich gar kein Ratgeber sein soll, aber - vielleicht gerade deshalb - hilft! Eigentlich geht es um nichts anderes als Kindersprüche, also um das, was Kinder schonmal so ganz direkt, nüchtern, naiv und weltklug 'raushauen'. In die gut sortierten Kapitel mit Kindersprüchen sind entspannte Erklärpassagen für die Eltern eingefügt. Und jedes Kapitel wird sehr nett und mittels humorvoller Umschreibungen des anstehenden Thamas eingeführt. Wenn es beispielsweise um die Kinderkrankheiten und das Kranksein der Kinder geht, werden die diese allerliebsten Wesen als 'Virenschleudern' bezeichnet und Krankheiten dieser Altersgruppe als 'Lernprogramme fürs Immunsystem' bezeichnet. Weitere Bespiele, die ein 'Gefühl' für diese Lektüre geben können: "Ich mag nur das Weiße vom Rührei." "Mein Lieblingsobst ist Salamie." "Möchtest du ein Kinderschnitzel haben? - Nein, ein Schweineschnitzel." Eine Fünfjährige zu ihrer Oma: " Mir gefällt nicht, wenn du Jeans anhast. Weil du dann unten jung aussiehst und oben alt. Das passt nicht zusammen." Die Frage eines Vierjährigen zu Papas Bartstoppeln: "Tut es weh, wenn man die reinmacht?" Die Sache mit dem Ordunghalten: "Ich kann nicht aufräumen. Ich habe Stress an den Händen."
Mein Fazit: Ein unbedingt empfehlenswertes Buch - wie geschaffen für die aktuelle Situation, wo Eltern gefordert sind Homeoffice und Homeschooling gleichzeitig zu managen, ohne dabei die Nerven zu verlieren: Humor ist da das wohl beste Zaubermittel!