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SimoneF

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Insgesamt 508 Bewertungen
Bewertung vom 22.08.2023
Maar, Paul

Das Sams und der blaue Drache / Das Sams Bd.9


sehr gut

Wer kennt es nicht, das vorwitzige Sams? Heuer feiert die liebenswerte Schöpfung von Paul Maar ihren 50. Geburtstag, und pünktlich zum Jubiläum erscheint der 10. Band, "Das Sams und der blaue Drache", in neuem Gewand. Nina Dulleck hat die Geschichte neu illustriert. Ihre Zeichnungen sind deutlich moderner und frischer als die Originalillustrationen von Paul Maar, und sie gefallen uns richtig gut.

Die Geschichte ist typisch Sams - voller lustiger Einfälle, fröhlicher Reime und kleiner Streiche, denn auch wenn das Sams immer in bester Absicht handelt, geben eben doch meistens irgendetwas schief.

Die Altersangabe ab 7 Jahren empfinde ich als etwas hoch, ich würde das Buch eher zwischen 5 und 9 Jahren empfehlen, da es doch sehr kindlich ist. Mein Sohn hat das Sams in den letzten Jahren sehr gerne gelesen, bevorzugt nun mit 9 aber schon eher Jugendliteratur.

Bewertung vom 20.08.2023
Hilton, James

Leb wohl, Mister Chips


ausgezeichnet

​"Leb wohl, Mister Chips" von James Hilton kannte ich bisher nicht, war aber sehr neugierig darauf, nachdem ich gelesen hatte, dass das Buch in den 1930er Jahren ein großer Erfolg war.


Der ehemalige Schulmeister und Altphilologe Mr "Chips" Chipping bleibt auch nach seiner Pensionierung "seiner" Schule, dem Knabeninternat Brookfield, eng verbunden und zieht gegenüber als Untermieter bei Mrs Wickett ein. Auch im Alter folgt sein Lebensrhythmus dem Takt des Schulalltags, bleibt er Teil der Schulfamilie und ist in Gedanken bei den Generationen an Schülern, die er hat kommen und gehen sehen. Auf wunderbar warmherzige Weise erzählt Hilton von Mister Chips, seinen liebenswerten Schrullen und Eigenheiten, seinen Überzeugungen und den Höhen und Tiefen in seinem Leben. Chips erinnerte mich frappierend an einen Lehrer, den ich selbst vor vielen Jahren in Latein hatte, und der auch an unserer Schule der dienstälteste Pädagoge war, etwas altmodisch und eigen, aber gutmütig, herzlich und ein echtes Unikat.

Besonders berührt hat mich die Art, wie der Autor Mister Chips von einer Erinnerung zur nächsten treiben lässt, sich Ereignisse der Weltgeschichte mit kleinen Anekdoten aus dem Alltag längst vergangener Schülergenerationen mischen, und Chips bewusst wird, dass er der Letzte in Brookfield ist, der all diese Erinnerungen noch in sich trägt. Hilton gelingt es, melancholische und traurige Momente schwebend leicht mit heiteren und humorvollen zu verweben, Lachen und Weinen miteinander zu verbinden.

Fazit: Ein leiser, sehr berührender Roman über die Erinnerungen eines Lebens, über Vergänglichkeit und das, was von uns bleibt, und auch eine
Hommage an all die Lehrer*innen, die mit viel Hingabe im Kleinen wirken und Generationen von Schüler*innen prägen.

Bewertung vom 20.08.2023
Mattausch, Birgit

Bis wir Wald werden


sehr gut

Sehr berührend und einfühlsam erzählt Birgit Mattausch in "Bis wir Wald werden" über das Leben in einem Hochhaus, das von Aussiedler*innen aus der ehemaligen Sowjetunion bewohnt wird. Das ist umso bemerkenswerter, da die Autorin keinen entsprechenden familiären Hintergrund hat. Allerdings war sie als Pastorin jahrelang in einer schwäbischen Gemeinde tätig, der viele Aussiedler*innen angehörten.

Die Protagonistin Nanush, inzwischen erwachsen, kam mit ihrer Urgroßmutter Babulya als Baby nach Deutschland und lebt noch immer mit ihr im selben Haus, aber in einer eigenen Wohnung. Babulyas Küche ist der Treffpunkt für viele Bewohner aller Generationen des Hochhauses, die wie in einer Großfamilie zusammenleben und Wärme in der Gemeinschaft suchen.

In einer sehr poetischen Sprache beschreibt sie die innere Zerrissenheit der Menschen, die in der Sowjetunion als Deutsche und Fascisti galten und hier in Deutschland als Russen wahrgenommen werden. Immer wieder taucht der Wald mit seinen Tieren als Ort der Sehnsucht für die Entwurzelten auf, die Erinnerung an die endlosen Birkenwälder der Sowjetunion lebt in den Träumen weiter.

Hierbei vermischen sich Realität und Phantasie, Erinnerung und Traum. Einige Abschnitte haben geradezu lyrischen Charakter und sind rechtsbündig formatiert in den Text integriert.

Ich muss gestehen, dass mir der poetische Stil mit teils magischen Elementen nicht liegt, ich bevorzuge eher nüchtern-klare Erzählweisen. Wer diesen jedoch mag, wird hier eine sehr lesenswerte und anrührende Lektüre finden.

Bewertung vom 20.08.2023
Ammaniti, Niccolò

Intimleben


ausgezeichnet

​Kürzlich habe ich eher zufällig "Ich habe keine Angst" von Niccolò Ammaniti gelesen und war begeistert von diesem mir bis dato unbekannten Autor.  Nun war ich sehr gespannt auf sein neuestes Werk "Intimleben".


Auch hier zog mich Ammanitis Schreibstil sofort in seinen Bann. Er schreibt lebendig, klar, direkt und in bisweilen drastischer Sprache, mit immer wieder herrlich spitzer Zunge, messerscharf beobachtend und teils ironisch überhöht. Es macht einfach Spaß, seiner virtuosen Erzählweise zu folgen, in der er  zuweilen den Leser direkt anspricht, und mit Nähe und Distanz zu seinen Figuren spielt. An manchen Stellen fragte ich mich, wie diese wohl im italienischen Original lauteten und welchen Anteil an der bemerkenswerten Wortwahl Verena von Koskulls Übersetzung hat. Da ich bereits einige von ihr übersetzte Bücher gelesen habe, meinte ich, gelegentlich ihre besondere Handschrift zu erkennen.

Durch die Protagonistin Maria Cristina, Gattin des italienischen Ministerpräsidenten, zeigt Ammaniti, welchen teils wahnwitzigen Einfluss soziale Medien heutzutage haben, und welche PR-Maschinerie hinter Personen von öffentlichem Interesse steckt. Dieser enorme Druck, unter ständiger Beobachtung zu stehen und die Gefahr, bloßgestellt oder in einem Shitstorm gegrillt zu werden, verändert Maria Cristina. Sie entwickelt einen Hang zur Paranoia, fühlt sich hilf- und haltlos. Hier spielen auch frühe Traumata eine Rolle, die  im Laufe der Geschichte thematisiert werden, und die ihre Unfähigkeit, tiefe Bindungen einzugehen, und ihr Gefühl der Fremdheit in der Welt erklären. Ihre Entwicklung gegen Ende des Romans, die durch eine schicksalhafte Zufallsbegegnung in Gang kommt, macht Mut, und zeigt nicht nur Maria Cristina, sondern auch dem Leser einen Weg zur Selbstbefreiung. Ich hätte gerne noch mehr gelesen und war beinahe traurig, als das Buch zuende war.

Fazit: Ich liebe Ammanitis Stil, und habe es richtig genossen, diesen meisterhaft und sehr modern erzählten Roman zu lesen. Ich kann ihn nur rundum weiterempfehlen!

Bewertung vom 18.08.2023
Messenger, Shannon

Keeper of the Lost Cities - Entschlüsselt (Band 8,5) (Keeper of the Lost Cities)


gut

Bei "Keeper of the Lost Cities 8,5 - Entschlüsselt" von Shannon Messenger handelt es sich, wie die Nummer 8 5 bereits nahelegt, um einen ganz besonderen Band der Reihe.

Er besteht zu ca. 2/3 aus einem sehr umfangreichen Nachschlagewerk, das Signaturkarten zu den wichtigsten Charakteren enthält, ferner eine Weltkarte samt ausführlichen Informationen (leider im ebook nicht dabei), Portraits diverser Figuren (leider ebenfalls nicht im ebook), Wissenswertes zum Leben in den Verlorenen Städten, u.a. zu den Mitgliedern des Hohen Rats, der Foxfire-Akademie, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Elfen, Informationen zu den Neverseen, und, und, und.

Gleich zu Beginn des Buches weist die Autorin darauf hin, dass man vor der Lektüre des Lexikons unbedingt die Bände 1-8 gelesen haben sollte, da Spoiler enthalten sind. Tatsächlich kennt man vieles von dem, was hier aufgeführt wird, bereits aus den vorherigen Büchern. Wer diese erst kürzlich gelesen hat, wird sich also möglicherweise langweilen. Mein Sohn, der eigentlich ein großer Fan der Reihe ist, zeigte an diesem Buchteil wenig Interesse, da es für jüngere Leser*innen doch etwas langatmig ist. Er möchte einfach wissen, wie die Geschichte weitergeht. Andererseits empfand ich den Schreibstil und insbesondere die Anmerkungen der Autorin doch als sehr kindlich, so dass ich als ältere Leserin etwas genervt war. Meiner Ansicht nach ist dieser Teil des Buches nur etwas für absolute Hardcore-Fans, die jedes Detail der Keeper-Welt kennen möchten. Würde es sich hierbei um einen lexikonähnlichen Einzelband handeln, den man auch einfach auslassen könnte, wäre das völlig in Ordnung. Doch leider wurde dieser im letzten Drittel mit einer ca. 260 Seiten langen Fortsetzung der eigentlichen Reihe gekoppelt. Diese Geschichte wird aus der Sicht von Keefe erzählt, schließt nahtlos an Band 8 an und bildet wiederum die Voraussetzung für Band 9. Wer die eigentliche Reihe also weiterlesen möchte, kommt um Band 8,5 nicht herum, selbst wenn ihn das Nachschlagewerk nicht interessiert. Das empfinde ich als ziemlich unglücklich, hier wäre eine saubere Trennung wesentlich kundenfreundlicher gewesen.

Insgesamt hat meinen Sohn und mich Band 8,5 nicht überzeugt, und wir sind nun auf Band 9 gespannt.

Bewertung vom 17.08.2023
Wickham, Chris

Das Mittelalter


sehr gut

Da ich gelegentlich gerne historische Sachbücher lese, wenn auch vor allem über die Antike, war ich sehr gespannt auf Chris Wickhams Werk "Das Mittelalter".

Anders als die meisten Autoren erzählt Chris Wickham die Geschichte des Mittelalters nicht chronologisch linear, sondern anhand von zentralen "Momenten des Wandels", die wichtige Wendepunkte darstellen. Dieser Ansatz klang äußerst vielversprechend, und tatsächlich lieferte er mir völlig neue Sichtweisen und Einblicke, und ermöglichte mir, Zusammenhänge zu erkennen, die mir bisher so nicht bewusst waren.

Dieser Erkenntnisgewinn ist allerdings stellenweise hart erarbeitet, da das Buch doch recht trocken geschrieben ist, und durchgehend aus Fließtext besteht, der nicht durch Diagramme oder Schaubilder aufgelockert wird. Als Nachschlagewerk eignet sich das Buch nicht. Da die Kapitel häufig gegenseitig auf einander verweisen, muss das Buch zumindest beim ersten Mal komplett von Anfang bis Ende gelesen werden, ein "Herauspicken" eines einzelnen Kapitels, das einen gerade besonders interessiert, ist schwierig. Als etwas gewöhnungsbedürftig empfand ich die ständige Verwendung des Wortes "wir" ("Wenn wir uns diesen Fragen stellen,...", "Wie wir gesehen haben"), die für mich nicht recht zu dem trockenen Schreibstil passte, aber im englischen Eprachraum weit verbreitet ist.

Insgesamt hat Wickham ein wirklich neuartiges und sehr anspruchsvolles Werk über das Mittelalter geschaffen, das sich meiner Meinung nach jedoch vor allem für Leser*innen eignet, die bereits einiges an Vorwissen über die Epoche mitbringen.

Bewertung vom 15.08.2023
Messenger, Shannon

Der Aufbruch / Keeper of the Lost Cities Bd.1


sehr gut

Da ich bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Fantasy-Bücher lese und aus dem Jugendalter schon eine Weile raus bin, kannte ich bisher noch keinen Band der Keeper-of-the-Lost-Cities-Reihe.  Mein Sohn ist jedoch ein riesengroßer Fan davon, und so wollte ich es nun auch wissen und habe mich an Band 1 gewagt.

Sophie ist 12 Jahre alt, hochintelligent und bereits in der 12. Klasse der Highschool. Sie fühlt, dass sie anders ist als Gleichaltrige und gilt als Aussenseiterin. Zudem kann sie die Gedanken der Menschen um sich herum hören. Eines Tages begegnet sie Fitz, der ihr offenbart, dass sie kein Mensch ist, sondern eine Elfe, und der sie davon überzeugt, ihre menschliche Familie zu verlassen und mit ins Elfenreich zu kommen. Dort wird sie auf Probe an der Foxfire-Akademie angenommen und muss sich in der Elfenwelt zurechtfinden, die ganz anderen Regeln folgt als die ihr vertraute Menschenwelt.

An der ein oder anderen Stelle kam mir manches so ode so ähnlich bekannt vor, etwa aus Harry Potter, doch hat Shannon Messenger eine Vielzahl eigener kreativer Ideen mit eingebracht, so dass die ein oder andere Parallele nicht störend ist. Besonders gut gefällt uns, vor allem meinem Sohn, dass hier in der magischen Welt Dinosaurier leben.

Der Schreibstil ist sehr angenehm und flüssig zu lesen, und auch humorvolle Szenen kommen nicht zu kurz. Man spürt an einigen Stellen allerdings stilistisch, dass es sich um eine amerikanische Autorin handelt, was mir persönlich nicht so liegt. Jugendliche Leser*innen werden sich daran eher nicht stören.

Passend zur jugendlichen Zielgruppe klingen auch typische Teenager-Themen an wie erste Verliebtheiten und Schulalltag.

Der erste Band endet zwar nicht mit einem Cliffhanger, lässt jedoch viele Fragen offen, so dass ich nun unbedingt wissen möchte, wie es mit Sophie weitergeht, und mir nun wohl als nächstes Band 2 von meinem Sohn stibitzen werde....

Ein gelungener Auftakt in eine interessante Fantasy-Reihe für Jugendliche ab 10-11 Jahren und fantasybegeisterte Erwachsene, die inzwischen bereits 8,5 Bände umfasst und Ende August mit Band 9 fortgesetzt wird.

Bewertung vom 15.08.2023
Engelmann, Justina

Mein großer Kosmos Weltraumatlas


ausgezeichnet

"Mein großer KOSMOS Weltatlas" von Justina Engelmann ist ein wirklich tolles Buch, das unsere ganze Familie begeistert hat. Es glänzt mit 126 prall gefüllte Seiten voller Wissen über das Weltall, das in die Kapitel "Sonne und Planetensystem", "Sterne und Milchstraße", "Galaxien und Weltall" und "Beobachten und Erkunden" gegliedert ist. Jedes Kapitel besteht seinerseits aus mehreren Themen, die jeweils auf einer Doppelseite behandelt werden. Textabschnitte mit kindgerecht aufbereiteten Informationen sind übersichtlich angeordnet und werden durch eine Vielzahl aufwändiger Illustrationen optimal ergänzt.

Unser Sohn ist 9 Jahre alt, und für ihn ist das Buch optimal. Er wird sicherlich noch länger Freude daran haben und das Buch auch für Referate oder ähnliches in der Schule nutzen können. Einziger Kritikpunkt ist für mich, dass das Produkt in China gedruckt wurde, da wir sehr auf kurze Wege und europäische Produktion achten.

Fazit: Ein sehr informativer, sehr schön gestalteter Weltraumatlas für Kinder ab der 3. Klasse, den wir rundum weiterempfehlen können.

Bewertung vom 15.08.2023
Beckmann, Reinhold

Aenne und ihre Brüder


ausgezeichnet

​In "Aenne und ihre Brüder" zeichnet Reinhold Beckmann die Lebensgeschichte seiner Mutter Aenne und ihrer vier im zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder zwischen 1921 und 1946 nach. 


Das Buch basiert auf Gesprächen mit seiner Mutter, Feldpostbriefen und umfangreichen Recherchen in alten Chroniken und weiterführender Literatur. Beckmann ordnet die Familiengeschichte in den historischen politischen und gesellschaftlichen Kontext ein. Aenne wächst mit ihren Brüdern strenggläubig im erzkatholischen Wellingholzhausen in der Nähe von Osnabrück auf. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges werden ihre Brüder Alfons und Franz eingezogen, Hans ist bereits zuvor freiwillig in die Wehrmacht eingetreten. Kurz vor Kriegsende erhält auch der 17-jährige Willi seinen Einberufungsbescheid. Anhand der Feldpostbriefe und alter Regimentsbücher und Feldchroniken zeichnet Beckmann die Truppenbewegungen der Einheiten seiner Onkel während des gesamten Krieges nach und macht sich hierbei auch darüber Gedanken, was sie von Gräueltaten, die im nahen Umfeld passiert sind, mitbekommen haben müssen. Da die Quellenlage dünn ist und die teils in den 70er Jahren verfassten Feldchroniken "in der "soldatischen Tradition" verhaftet" sind, wie Beckmann schreibt, und damit meilenweit entfernt von kritischer Reflexion, kann hier nur spekuliert werden. 


Man spürt, dass Reinhold Beckmann sehr darum bemüht ist, ein möglichst genaues Bild von den Gefühlen, Gedanken und Wesenszügen seiner Onkel zu erhalten. Dies gelingt vor allem bei Franz, dem Ältesten, der als einziger trotz Zensur der Feldpost bemerkenswert offen über seine Gefühle, die Hoffnungslosigkeit und die Grausamkeit des Krieges schreibt. Franz wuchs mir während des Lesens sehr ans Herz, da aus seinen Briefen deutlich wird, wie sehr er den Krieg verabscheut und sich nichts sehnlicher wünscht als endlich nach Hause zurückzukehren, eine Familie zu gründen und in Frieden zu leben. Seine Schreibweise zeigt, dass er ein warmherziger, sensibler junger Mann gewesen sein muss, der sich auch im Feld um seine Brüder und die Familie daheim sorgte, und der auch durch die sechs Jahre als Soldat innerlich nicht abstumpfte oder verrohte. Bei Alfons zeigen die Briefe ebenfalls, dass der Krieg bei dem ehemals lustigen und unbekümmerten Jungen tiefe Spuren hinterließ. Da von Willi, dem Jüngsten, keine Feldpost existiert, bleibt seine Geschichte besonders vage. Bei Hans hätte ich mir gewünscht, dass sein Entschluss, freiwillig in die Wehrmacht einzutreten, noch näher beleuchtet worden wäre. Grund war angeblich vor allem die finanziell sichere Anstellung und sozialer Aufstieg. Dennoch frage ich mich hier, wie es um seine politische Gesinnung bestellt war, auch wenn er kein NSDAP-Mitglied war. Spätestens seit der Reichspogromnacht müssten ihm, der bereits Jahre zuvor die Provinz verlassen hatte und bei Leipzig lebte, doch Zweifel gekommen sein. 


Auch die Lebensumstände und die Entwicklung der politischen Stimmung in Wellingholzhausen werden thematisiert, ebenso wie die unrühmliche Rolle der katholischen Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus. 


Reinhold Beckmann gibt sich viel Mühe, möglichst ausgewogen und differenziert zu schreiben, was aufgrund der persönlichen Beziehungen, der schwierigen Thematik und der subjektiven Erinnerungen von Aenne und weiteren Zeitzeugen sicherlich nicht einfach ist. In Anbetracht dieser Umstände gelingt ihm das sehr gut. 


Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das das unmenschliche und sinnlose Leid, das Kriege über alle Beteiligten auf allen Seiten bringen, deutlich macht, und uns zeigt, wie kostbar der Frieden ist. Gerade jetzt, wo dieser Frieden in Europa gefährdeter ist als je zuvor seit Ende des Zweiten Weltkrieges, eine immens wichtige Botschaft. 

Bewertung vom 12.08.2023
Kuhlmann, Stefan

Herr Winter taut auf


ausgezeichnet

​Der Klappentext machte mich sehr neugierig auf "Herr Winter taut auf", und ich erwartete eine eher leichte und lustige Geschichte. Ich war daher etwas überrascht, dass Tod und Trauer viel Raum einnehmen und ein ernster und melancholischer Ton mitschwingt. Doch Stefan Kuhlmann gelingt es wunderbar, die Balance zwischen ernsten Themen und humorvollen Passagen mit viel Wortwitz und Situationskomik zu halten. Das Buch hat mich tatsächlich immer wieder an "Ein Mann namens Ove" erinnert. Sehr einfühlsam schildert er Robert Winters Gefühlswelt und seine Schwierigkeiten, sich als grummeliger und spitzzüngiger Einzelgänger seiner Umwelt zu öffnen. Soziale Kontakte waren noch nie seine Spezialität, der kommunikative Part in seiner Beziehung war seine Frau Sophia, die als AVON-Beraterin arbeitete und Geselligkeit schätzte. Nach ihrem plötzlichen Tod entscheidet er sich nach einigem Ringen dazu, ihre Tätigkeit bis Jahresende fortzuführen, um ihr den Traum, "AVON-Beraterin des Jahres" zu werden, posthum zu erfüllen. Als frisch pensionierter Steuerprüfer hatte er mit Kosmetika bisher so gar nichts am Hut, und mit seiner direkten Art eckt er zunächst allerorten an. Glücklicherweise steht ihm mit Lilly eine ehemalige Kundin seiner Frau freundschaftlich zur Seite. Indem Robert Winter durch seine Kosmetikberatungen schrittweise lernt, auf andere Menschen zuzugehen, gelingt es ihm auch langsam, sich seiner Tochter Miriam und seinem Enkel Jonas zuzuwenden. Die Beziehung zu Miriam ist seit Jahren angespannt, und tatsächlich empfand ich Miriams Verhalten gegenüber ihrem Vater als übertrieben hart und abweisend. Robert Winters Entwicklung ist sehr glaubhaft beschrieben, und auch Rückfälle in alte Verhaltensmuster bleiben nicht aus. An der ein oder anderen Stelle war die Geschichte etwas langatmig, und die eingebaute Transgender-Thematik empfand ich als etwas gezwungen.

Besonders gut gefiel mir, dass der Roman bis zum Schluß authentisch bleibt und auf Liebesgeschichten oder kitschige Elemente verzichtet. Ich habe das Buch sehr genossen, und kann es in jedem Fall weiterempfehlen.