Benutzer
Benutzername: 
SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 526 Bewertungen
Bewertung vom 18.09.2023
Messenger, Shannon

Der Sternenmond / Keeper of the Lost Cities Bd.9


sehr gut

Mit Sternenmond ist nun der neunte Band der Keeper-of-the-Lost-Cities-Reihe erschienen, und wie von der Autorin angekündigt, dürfte es sich um den vorletzten Teil handeln vor dem großen Finale in Band 10.

Mein Sohn und ich habe das Buch gemeinsam gelesen und fanden die erste Hälfte ziemlich zäh und langatmig. Hier mussten wir uns eher durch die Seiten kämpfen, die sich vor allem um Sophies Gefühle drehen, ihre Entwicklung und um eine schwierige Entscheidung, die sie treffen muss. Die Teenie-Gefühlsebene nervte vor allem meinen Sohn, der sich eher für die actionreichen Abenteuer begeistern kann als für Sophies Herzensangelegenheiten. Keefe haben wie in diesem Buch sehr vermisst, da er für uns einer der unterhaltsamsten Charaktere der Reihe ist. Die Handlung wird erst spät wirklich spannend und fesselnd, und gut 200 Seiten weniger hätten dem Buch gutgetan. Generell haben wir bereits seit den letzten Bänden den Eindruck, dass die Geschichte künstlich in die Länge gezogen wird, und uns konnte sie zuletzt nicht mehr so sehr begeistern wie anfangs. Wir hoffe sehr, dass mit dem nächsten Band tatsächlich die Reihe zu dem fulminanten Ende findet, das sie verdient hat.

Bewertung vom 18.09.2023
Haderlap, Maja

Nachtfrauen


sehr gut

Die Aufarbeitung schwieriger Mutter-Tochterbeziehungen und das Leben von Frauen über  mehrere Generationen sind zur Zeit Thema vieler Romane. Auch Maja Haderlaps "Nachtfrauen" reiht sich hier ein.

Mira, Mitte 50, verheiratet mit einem Lehrer in Wien, kehrt für einige Tage nach Jaundorf, den Ort ihrer Jugend zurück, um ihre Mutter Anni schonend darauf vorzubereiten, dass sie den Hof, auf dem sie seit Jahrzehnten lebt, verlassen muss, da das Haus abgerissen wird. Mit dieser Reise kehren Erinnerungen zurück an schmerzhafte Erlebnisse, die Mira weit hinter sich lassen wollte und denen sie sich nun neu stellen muss. Als Kärntner Slowenin war sie seit ihrer Jugend auf der Suche nach ihrer Identität, erlebte Ausgrenzung und Zugehörigkeit als zwei Seiten einer Medaille: Bekannte sie sich zu ihren slowenischen Wurzeln, war sie eine Aussenseiterin bei den Deutschkärtnern, distanzierte sie sich von ihrem Erbe, nahm es ihr die slowenische Gemeinschaft übel. Die Begegnung mit ihrer Jugendliebe Jurij weckt alte Gefühle. Auch zwischen Mira und ihrer Mutter Anni blieb vieles ungesagt, das jahrzehntelang zwischen ihnen stand.

Während der erste Buchteil Miras Perspektive schildert, wechselt diese im zweiten Teil zu ihrer Mutter Anni. Dieser Wechsel war sehr aufschlussreich, da man als Leser*in nun auch an Annis Gefühlen und Gedanken teilhat und ihre Sicht auf Mira kennenlernt. Auch Annis Kindheit wird thematisiert, ihre streng religiöse Erziehung, das Leben ihrer Mutter Agnes, einer Tagelöhnerin, und ihrer Tante Dragica, die im Krieg als Partisanin gekämpft hatte.

Als Deutsche war mir die Geschichte der Kärntner Slowenen nicht bekannt, und ich habe hierzu zunächst gegoogelt, um die Situation im Buch nachvollziehen zu können. Die Konflikte zwischen Anni und Mira werden vor dem Hintergrund der jeweiligen Kindheit gut nachvollziehbar, auch das Schweigen zwischen den Generationen, die Missverständnisse und das Unvermögen, über Gefühle sprechen zu können, ist eindrücklich beschrieben. Dennoch blieb ich innerlich in einer gewissen Distanz zu allen Figuren und der Roman konnte mich emotional nicht greifen. Mir fehlte das gewisse Etwas, die Figuren blieben statisch und wurden nicht richtig lebendig. So bleibe ich mit etwas gemischten Gefühlen zurück.

Bewertung vom 18.09.2023
Ammaniti, Niccolò

Fort von hier


ausgezeichnet

Vor ein paar Wochen habe ich eher zufällig die Bücher von Niccolo Ammaniti entdeckt und seinen wieder aufgelegten Bestseller "Ich habe keine Angst" und das brandneue "Intimleben" regelrecht verschlungen. Nun wollte ich auch unbedingt "Fort von hier" lesen.

Hier verbindet Ammaniti auf schicksalhafte Weise das Leben des alternden Musikers, Frauenhelden und Träumers Graziano Biglia mit dem der zurückgezogen lebenden Lehrerin Flora Palmieri und dem des zwölfjährigen schüchternen Jungen Pietro Moroni.

Wie immer bei Ammaniti fasziniert mich die Leichtigkeit und Virtuosität seines unverwechselbaren Schreibstils, mit der er eine ganz besondere Atmosphäre schafft. Man vermeint beim Lesen Ammanitis Lust am Erzählen förmlich zu spüren. Allein der ständige fliegende Wechsel zwischen der auktorialen Erzählperspektive und der Ich-Perspektive der einzelnen Charaktere ist ein herrlicher Kunstgriff. Ammaniti entwickelt seine Figuren so messerscharf, detailliert und lebendig, dass ich alle Personen und das Örtchen Ischiano Scalo in allen Einzelheiten lebendig vor mir sah. Auch bei "Fort von hier" zeigt sich Ammanitis Freude an extremen Figuren und Situationen. Er zeichnet ein Bild italienischer Dörfer abseits pittoresker Urlaubsorte, trostlos, perspektivlos, öde und heruntergekommen, und blickt schonungslos in die Abgründe und auf die Schwächen seiner Protagonist*innen. Dies schlägt sich auch sprachlich nieder, so dass einige Passagen recht vulgär gehalten sind, worauf man als Leser*in gefasst sein sollte.

Wie sich die Wege der drei Hauptfiguren kreuzen und ihr Leben für immer verändern, ist so spannend  erzählt, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte und bis zum Schluß gerätselt habe, wie es enden würde.

Ammaniti entwickelt sich zu einem meiner Lieblingsautoren, und "Fort von hier" hat mich absolut begeistert!

Bewertung vom 13.09.2023
Carofiglio, Gianrico

Groll


gut

Die Kurzbeschreibung von "Groll" und der Werdegang des Autors Gianrico Carofiglio als ehemaliger Staatsanwalt und Richter machten mich sehr neugierig.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive von Penelope Spada erzählt, einer früheren Staatsanwältin, die aufgrund eines zunächst im Dunkeln liegenden Vorfalls vor einigen Jahren ihr Amt niederlegen musste und sich nun mehr oder weniger illegal als private Ermittlerin betätigt. Ihre aktuelle Mandantin bittet sie, den bereits zwei Jahre zurückliegenden Tod ihres Vaters, eines einflussreichen Arztes und Politikers, zu untersuchen, da sie die wesentlich jüngere zweite Ehefrau ihres Vaters in Verdacht hat, hierbei nachgeholfen zu haben. Auch wenn das Ansinnen nach dieser langen Zeit aussichtslos erscheint und keine stichhaltigen Verdachtsmomente vorliegen, sagt Spada zu, und muss sich bei ihren Nachforschungen auch ihren eigenen Dämonen aus der Vergangenheit stellen.

Die Geschichte verfolgt mehrere Erzählstränge. Neben den aktuellen Ermittlungen zum Tod des Arztes erfährt der Leser im Laufe der Geschichte mehr über den Vorfall vor fünf Jahren, der dazu führte, dass Spada ihr Amt als Staatsanwältin verlor. Zum Dritten nimmt die sich anbahnende Bekanntschaft mit einem Mann relativ viel Raum im Roman ein, wobei es sich hier um keine Romanze, sondern eine schrittweise Annäherung über zunehmend privatere Gespräche handelt.

Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt, aber mir blieb Penelope Spada bis zum Schluß fremd. Auch die Geschichte konnte mich nicht packen, sie plätscherte recht langatmig vor sich hin, und in keinem der drei Erzählstränge kam für mich Spannung auf, insbesondere der zweite verlief ernüchternd, so dass ich mich insgesamt am Schluß fragte: Und das war jetzt alles? Für einen Krimi war mir die Handlung nicht spannend genug, für einen psychologischen Roman blieben die Ausführungen zu oberflächlich, es erinnerte eher an "Küchenpsychologie". Auch die Übersetzung empfand ich stellenweise als unglücklich. So ist etwa der Ausdruck "jemanden für schuldig verurteilen" im Deutschen nicht korrekt, und die Wendung "Ich musste kichern wie ein Backfisch" klingt bei einer heute 45-jährigen Frau sehr unglaubwürdig, da dieser altertümliche Begriff seit wohl 70 Jahren nicht mehr verwendet wird. Leider blieb hier insgesamt viel Luft nach oben, sodass meine Erwartungen nicht erfüllt wurden.

Bewertung vom 13.09.2023
Christie, Agatha

A Haunting in Venice


sehr gut

Mit "A Haunting in Venice" legt der Atlantik Verlag passend zum Kinostart des neuen Agatha-Christie-Films die Romanvorlage "Die Halloween-Party" neu auf, mit einem ausführlichen Vorwort des Drehbuchautors Michael Green. Das Cover ist für einen Christie-Roman außergewöhnlich gruselig und sticht definitiv ins Auge. Allerdings passt es nicht so ganz zum Inhalt des Buches, der eine recht gediegene Halloween-Party für Kinder mit Apfelschnappen und ähnlichen harmlosen Spielchen als Ausgangspunkt hat. Möglicherweise ist der Gruselfaktor des wohl recht frei mit der literarischen Vorlage hantierenden Films höher und passt besser zum makabren Titelbild.

Obwohl ich ein großer Fan von Agatha Christie bin, kannte ich diesen späten Hercule-Poirot-Fall aus dem Jahr 1969 noch nicht. Im Roman trifft man als Leser*in schnell auf alte Bekannte wie Poirots Äpfel liebende und Krimis schreibende Freundin Ariadne Oliver, und auch Superintendent Sage spielte bei einem früheren Band bereits eine Rolle. Der Fall ist wie üblich äußerst verzwickt und es macht großen Spaß, bis zum Schluß mitzurätseln, auch wenn er mich nicht ganz so sehr begeistern konnte wie andere Poirot-Romane, da er gelegentlich etwas bemüht und künstlich wirkt. Insgesamt ein lesenswerter und unterhaltsamer Poirot-Fall, aber nicht sein bester.

Bewertung vom 09.09.2023
Scherzant, Sina

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne


gut

​"Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne" von Sina Scherzant lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Das aus drei Teilen bestehende Buch beginnt zunächst sehr vielversprechend. Teil 1 spielt im Jahr 2003, die Protagonistin und Ich-Erzählerin Katharina ist 14 Jahre alt und nach der Scheidung ihrer Eltern mit ihrer kleinen Schwester Nadine uns ihrer Mutter nach Dortmund gezogen. Katha ist ein angepasstes Mädchen, das versucht, alle in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen, Fehler anderer zu kompensieren und möglichst nicht aufzufallen. Sie bezeichnet sich selbst als "Lebenshandwerkerin". Ich konnte mich von Anfang an sehr gut in Kathas Gefühlswelt hineinversetzen, und wurde öfter an meine eigene Jugend erinnert. Auch der flüssige, direkte und moderne Schreibstil gefiel mir gut. Als etwas zu offensichtlich empfand ich allerdings den feministischen Tenor des Buches, der es sich zu leicht macht. Ob Zickenkrieg, der Wunsch, als Frau anderen zu gefallen oder die Angewohnheit, die Schuld an allem bei sich selbst zu suchen - die Wurzel allen Übels ist angeblich stets das Patriarchat. Alle Männer im Buch sich schwache egoistische Figuren, verantwortungslos und lächerlich. Das ist mir doch zu einfach und einseitig, und entspricht auch nicht meiner eigenen Wahrnehmung in meiner Generation, die nur wenig älter als Katha ist. Als etwas nervig empfand ich zudem, dass Kathas Prinzip der Lebenshandwerkerin immer und immer wieder betont wurde - da wäre weniger mehr gewesen.


Das Ende des ersten Teils stellt für mich einen Bruch dar, ab dem die Geschichte dann deutlich schwächer wurde. Mit dem zweiten Teil, der eine Mischung aus Tagträumen, Realitätsfluchten und Erlebtem darstellt, konnte ich so gar nichts anfangen, und das Buch zog sich hier für mich sehr in die Länge.  Teil 3, der 14 Jahre später spielt, las sich zwar wieder angenehmer, konnte mich aber inhaltlich nicht mehr greifen.

Insgesamt hatte ich mir nach einem starken Beginn deutlich mehr von diesem Buch erwartet. Es zog sich ab dem zweiten Teil zusehends in die Länge, und ich war letztlich froh, als ich durch war. Die grundsätzlich interessanten Gedanken zur Sozialisation junger Frauen und Rollenmustern wurden mir zudem zu einseitig und plakativ dargestellt. 

Bewertung vom 05.09.2023
Ende, Michael

Momo - Das Hörspiel


ausgezeichnet

Zum 50. Geburtstag des Kinder- und Jugendbuchklassikers Momo von Michael Ende erscheint bei Hörbuch Hamburg/Silberfisch ein neu inszeniertes Hörspiel unter der Regie von Robert Schoen. Die Laufzeit beträgt 3 Stunden und 43 Minuten.

Da ich Michael Endes Bücher seit meiner Kindheit liebe, war ich richtig gespannt auf die Hörspielversion - und bin begeistert! Das Ensemble erweckt die Figuren gekonnt zum Leben und ich konnte sofort richtig in die Geschichte abtauchen. Vor allem die Stimme des Erzählers Friedhelm Ptok passt ganz hervorragend. Das Herzstück des Hörspiels ist für mich die liebevolle und differenzierte musikalische Gestaltung durch Tobias Unterberg, die das Geschehen wunderbar unterstreicht und eine ganz besondere Atmosphäre erzeugt. Man spürt, mit wie viel Liebe zum Detail, Qualität und Sorgfalt hier produziert wurde.

Mir hat dieses Hörspiel wirklich gut gefallen und ich kann es rundum weiterempfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2023
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


sehr gut

"Kleine Probleme" von Nele Pollatschek war für mich eine echte Achterbahnfahrt. Passagen, die so treffend, pointiert und mit so viel Wortwitz geschrieben waren, dass ich sie mir im ebook markierte, wechselten sich mit solchen ab, die mich so sehr nervten, dass ich sie am liebsten nur quergelesen hätte. Der Protagonist und Ich-Erzähler Lars ist ein Meister der Prokrastination, und leider auch ziemlich unbeholfen und selbstmitleidig. Er wirkt wie ein ewiges Kleinkind, und ich ertappte mich immer wieder dabei, dass ich mich fragte, wie es seine Frau Johanna überhaupt so lange mit ihm ausgehalten hatte - ich hätte ihn vermutlich nach wenigen Monaten hochkant rausgeschmissen, da er mich schon beim Lesen auf die Palme brachte. Ich sehe zwar sein Bemühen am Silvesterabend, traue ihm aber keine nachhaltige Veränderung zu, und fürchte, dass er in einer Beziehung sofort wieder in seine alten Verhaltensmuster zurückfällt. Da mir der Protagonist mit Fortschreiten des Romans bis auf wenige Kapitel immer unsympathischer wurde und ich mit seinen Tagträumen und Realitätsfluchten absolut nichts anfangen konnte, bin ich sehr zwiegespalten. Der Schreibstil der Autorin gefiel mir an sich wirklich gut, und ich kann mir sehr gut vorstellen, ein weiteres Buch von ihr zu lesen, doch diese Geschichte konnte mich insgesamt nicht überzeugen.

Bewertung vom 01.09.2023
Haas, Wolf

Eigentum


ausgezeichnet

​"Eigentum" von Wolf Haas ist ein (auto)biographisch geprägter Roman über die letzten Lebenstage seiner Mutter, die 95jährig in einem Pflegeheim verstirbt. Passagen des Ich-Erzählers Wolf Haas, der die letzten Stunden bei seiner Mutter in seinem Heimatort verbringt, wechseln sich mit Rückblenden ab, in denen er seine Mutter als Ich-Erzählerin von ihrem Leben berichten lässt. Diese Erinnerungen sind umgangssprachlich und mit dialektalen Einsprengseln gehalten. Der Sprachduktus hat mich sehr an die Erzählweise meiner eigenen Großmutter erinnert. Einige Erinnerungen sind bewusst widersprüchlich gehalten, manches wiederholt sich, als würde man tatsächlich einem alten Menschen beim Erzählen zuhören. Bereits durch diese sprachlichen Mittel hatte ich ein lebendiges Bild seiner Mutter vor Augen.


Für die Mutter, 1923 geboren, waren die Kriegsjahre und die erlebten Inflationen prägend. Der Wunsch nach Eigentum war immer da, erfüllte sich zu Lebzeiten jedoch nie - erst mit dem Begräbnis, so sinniert Wolf, bezieht sie erstmals eigenen Wohnraum, die letzte Wohnung für die Ewigkeit, 1,7 qm im bester Lage, unverbaubar.

Das Buch ist geprägt von dem für Wolf Haas typischen Humor und seiner Kunst, die Alltagssprache authentisch einzufangen und literarisch anspruchsvoll zu verarbeiten. Trotz seines manchmal recht bissigen Humors, auch im Angesicht des Todes, und des klaren Blicks auf die Ecken und Kanten seiner Mutter spürt man eine große Zuneigung aus seinen Worten, und das Buch ist eine schöne Hommage an sie und vielleicht auch an viele Frauen aus dieser Generation, die ein ähnliches Leben geführt haben. Lesenswert!

Bewertung vom 31.08.2023
Walls, Jeannette

Vom Himmel die Sterne


ausgezeichnet

Der Roman "Vom Himmel die Sterne" von Jeanette Walls spielt zu Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Kleinstadt in Virginia. Sallie Kincaid ist 8 Jahre alt, die Tochter des einflussreichsten Mannes in der Stadt und liebt ihren Vater abgöttisch. Als sie eines Tages mit ihrem kleinen Halbbruder Eddie spielt, kommt es zu einem Unfall, bei dem Eddie verletzt wird, und auf Drängen ihrer Stiefmutter muss sie das Haus verlassen und viele Jahre in ärmlichen Verhältnissen bei einer Tante leben. Als junge Frau kehrt sie ins Haus ihres Vaters zurück und sieht sich Argwohn, Ablehnung und Vorurteilen innerhalb der Verwandtschaft ausgesetzt. Sie setzt alles daran, ihre Stärke zu beweisen und die Anerkennung ihres Vaters zu gewinnen. In den nächsten Monaten überschlagen sich die Ereignisse, und Sallie muss schneller auf eigenen Beinen stehen als gedacht. Stück für Stück kommt Sallie Familiengeheimnissen auf die Spur und lernt, viele Dinge in einem neuen Licht zu betrachten.

Da ich anhand des Titels und des Covers etwas anderes erwartet hatte, hat mich dieses Buch in vielerlei Hinsicht überrascht, aber auf eine absolut positive Weise! Sallie war mir von Anfang an sehr nahe, obwohl ich nicht jede ihrer Ansichten teile oder gutheiße. Der Schreibstil ist so natürlich und lebendig, dass ich das Gefühl hatte, Sallie würde neben mir sitzen und mir ihre Geschichte erzählen, mit all ihren Gedanken und Zweifeln, die ihr durch den Kopf gehen. Gleichzeitig hat die Erzählweise etwas unglaublich Kraftvolles und Ehrliches. Sowohl Sallie als auch die anderen Charaktere sind glaubhaft, ambivalent und plastisch ausgearbeitet, machen zum Teil eine deutliche Entwicklung durch. Insbesondere bei Sallie ist das wirklich großartig beschrieben, wie sie sich immer weiter von früheren Vorstellungen emanzipiert, wichtige Erfahrungen sammelt, Werte und Ansichten überdenkt. Als Leserin habe ich mit ihr mitgelitten, mit ihrem Handeln und Denken auch in einigen Punkten gehadert, und war fasziniert von ihrer Persönlichkeit und ihrer Unerschrockenheit. Sie geht mutige, ungewöhnliche Wege für eine Frau in dieser Zeit, und der Roman zeichnet auch ein eindrückliches Bild von der damaligen Stellung der Frau. Kaum zu glauben, dass seither gerade einmal 100 Jahre vergangen sind, und welch ein Glück, dass sich hier einiges getan hat!

Der Großteil des Romans spielt zwischen 1920 und 1922 zur Zeit der Prohibition in Amerika, und dieser kommt eine wichtige Rolle zu. Der Autorin gelingt es, die Atmosphäre in einer typischen Kleinstadt in den Südstaaten spürbar werden zu lassen, in der Rassismus aufblitzt, Selbstjustiz um sich greift und die Waffe immer schnell zur Hand ist. Washington ist weit weg, und das Wort einflussreicher Männer vor Ort steht über dem Gesetz.

Die Geschichte hat mich so gefesselt und berührt, dass ich das Buch an einem Tag ausgelesen habe, und es wird mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben. Für mich ein absoluter Ausnahmeroman, den ich unbedingt weiterempfehlen möchte!