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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2074 Bewertungen
Bewertung vom 22.03.2025
Hundert Wörter für Schnee
Franzobel

Hundert Wörter für Schnee


ausgezeichnet

Clash of cultures

Hundert Wörter für Schnee ist kein konventioneller historischer Roman, obwohl Franzobel Ereignisse 1893 bei einer Expedition nach Grönland erzählt. Er benutzt einen modernen Erzählstil und findet schnell einen Ton für den Roman, der auch einiges mit dem Figuren zu tun hat. Hauptfigur ist Robert E. Peary, ein Egozentriker, der zusammen mit seiner Frau Josephine eine Reise nach Grönland macht und dort die Inughuit trifft. Da ist Minik eine zentrale Figur, der ab seiner Geburt gezeigt wird und später Peary auf die Rückreise in die USA begleitet. Für beide Seiten wird es ein Clash of cultures und Franzobel arbeitet das sehr feinfühlig und mit einer Portion Ironie heraus.
Minik wird nachdem er Grönland als Junge verlassen musste, sich stets als Heimatloser fühlen.

Peary ist kein Sympathieträger, aber doch so eine interessante Figur, dass er den Roman tragen kann.

Franzobel findet viele Details, die er in die Handlung einbringt. Dennoch hat man als Leser nie das Gefühl, dass es überfrachtet wird. Das Buch macht wirklich Spaß!

Bewertung vom 20.03.2025
Wenn Russland gewinnt
Masala, Carlo

Wenn Russland gewinnt


sehr gut

Carlo Masala ist als Militärexperte schon lange bekannt durch Auftritte in Polittalkshows und durch einige Sachbücher. In seinem neuen Buch entwirft er ein Szenario über den Weltverlauf bei Sieg Russlands.
Er sieht einige Jahre voraus, z.B. bis 2028 und prognostiziert, wie sich die Beteiligten, also auch USA und vor allen Europa verhalten könnten.
Das ist hypothetisch, aber nicht gerade unmöglich.
Er geht ziemlich ins Detail, sehr glaubwürdig, aber für den Laien ist es nicht immer ganz einfach zu folgen. Ich war streckenweise auch irritiert. Es ist ein schmales Buch. Abgeholt hat mich Masala dann doch noch am Schluß mit den abschließenden Fazit im Nachwort. Dort diskutiert er auch noch mal Möglichkeiten, was passieren muss, um noch das Schlimmste abzuwenden.

Bewertung vom 20.03.2025
Eisiges Schweigen flussabwärts
Thumann, Michael

Eisiges Schweigen flussabwärts


sehr gut

Michael Thumann ist außenpolitischer Korrespondent der Wochenzeitung DIE ZEIT. Er kennt Russland sehr gut und berichtet in diesem Buch von seinen Eindrücken in dem Land.
Deutschland ist in Russland als unfreundliches Land eingestuft und deutsche Journalisten werden auch gelegentlich schikaniert. Das beginnt schon bei den Grenzübergängen.
1999 hatte Michael Thumann Putin noch persönlich interviewen können. Heutzutage ist das nicht mehr möglich. Deutsche Journalisten bekommen keine Interviews.
Thumann versucht manchen Hindernissen in Moskau entgehen, indem er oft unerkannt mit dem Fahrrad unterwegs ist.
Dann gibt es auch mal einen Rückblick in Thumann erste Reise nach Moskau.
Zurück in der Gegenwart ist das Bild alles andere als optimistisch.

Es ist ein packendes, erzählerisches Sachbuch, wie ich es schätze.

Bewertung vom 20.03.2025
sterben üben
Feist-Merhaut, Katharina

sterben üben


ausgezeichnet

In Sterben üben schreibt die Schriftstellerin Katharina Feist-Merhaut über Ihre Großmutter, mit der sie fast täglich telefoniert und sie oft besucht.
Die Großmutter ist alt und krank, aber weiterhin eine lebensfrohe Frau, die sich viel in Schmäh ausdrückt.
Die Autorin notiert deren Sätze und reflektiert darüber. Manchmal zieht sie Vergleiche zu Helene Cixous, die viel über ihre alte Mutter geschrieben hat.
Es gibt öfter literarische Verweise: Anne Carson, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Martina Hefter, Roland Barthes, Beckett, Canetti.
Ich habe viel übrig für literarische Zitate, aber das ist auch Geschmackssache.

Es ist ein Buch mit wenig Text, aber was dasteht, ist gut durchdacht

Bewertung vom 18.03.2025
Oh Sunny
Yun, Ta-Som Helena

Oh Sunny


ausgezeichnet

Ein intensives Buch

Ein Roman um Sunny, ein Mädchen in Bremen mit koreanischen Wurzeln.

Sunny spürt schnell, dass sie anders ist als die anderen. Anlehnen kann sie sich an die ältere Freundin Ha, die zeitweise bei ihren Eltern wohnte. Doch auch die verschlossene Ha hat so ihre Probleme.

Es gibt viele Konflikte zwischen ihr und den Eltern.
Auch mit Mitte 20 wird sie von ihnen noch wie ein Kind behandelt.
Dann gibt es einen Vorfall und Sunny bricht aus. Sie schneidet sich die langen Haare ab und reist nach Berlin zu Ha, die dort einen koreanischen Kulturverein leitet.
Dort beschäftigt sie sich auch mit typisch koreanischen Themen der Geschichte, z.B. dem Leid der Trostfrauen im zweiten Weltkrieg, Kriegsgewalt gegen Frauen, das Massaker in Gwangju 1980 etc.

Auch weil in erster Person erzählt wird, liest man hier eindringlich über die Suche einer jungen Frau nach dem richtigen Weg für sich.

Mit Ta-Som Helena Yun kann man hier eine weitere neue deutsche Autorin entdecken, die sich zu lesen lohnt.

Bewertung vom 18.03.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


gut

Mimikry

Schweben ist der bei Zsolnay erschienene Debütroman der österreichischen Schriftstellerin Amira Ben Souad
Ein ungewöhnlicher Roman. Im ersten Moment schwer fassbar.
Das liegt auch daran, dass die Autorin einfallsreich ist und viele gediegene Ideen einfließen lässt.
Es ist eine andere Welt. Die Protagonistin hat einen ungewöhnlichen Beruf, oder soll man sagen Berufung, immer wieder in andere Rollen zu schlüpfen.
Sie nimmt die Rollen von Frauen ein, für Partner, die jeweils diese Beziehung nicht überwunden haben. Sie kann Aussehen, Mimik und Gestik imitieren. Dabei verliert sie selbst an Erinnerungen. Es wird ein Spiel mit Identitäten.
Für ihren aktuellen Auftrag wird sie für den Mann Gil dessen Emma.
Der Roman ist nicht direkt psychologisierend, weswegen man die Figuren manchmal nicht so ganz versteht.
Es ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Dann kann es faszinierend sein.

Bewertung vom 17.03.2025
Die letzte Favoritin
Bädekerl, Klaus

Die letzte Favoritin


sehr gut

Ein litaneihafter Text

Ein Mann erzählt sein Leben von Kindheit an. Es wird ein Leben getrieben von Lust.
Die eine Erzählstimme wird konsequent durchgehalten. Das bestimmt das Buch. Der Text ist streckenweise unangenehm derb, aber auch mit Humor.
Klaus Bädekerl schafft es, mit seinem Text einen Sog zu erzeugen.

Bewertung vom 16.03.2025
Walzer für Niemand
Hunger, Sophie

Walzer für Niemand


sehr gut

Ein Song, ein Roman

Die bekannte Musikerin Sophie Hunger hat einen Roman geschrieben, der auf einen ihrer Songs basiert. Das Buch hat viel mit ihr selbst zu tun und natürlich auch viel mit Musik.
Die Erzählerin spricht innerlich ihren Jugendfreund an, mit dem sie aufgewachsen ist und den sie immer nur Niemand nennt, der ihr aber inzwischen abhandengekommen ist. Der Roman wird dadurch auch von einer Spur Trauer durchzogen.

Sie haben gemeinsam, dass sie Kinder von Diplomaten sind und daher viel umziehen mussten. Daher hatten sie meist nur sich selbst und ihre gemeinsamen Interessen an anspruchsvoller Kultur, insbesondere Musik.
Manchmal konnte man sogar annehmen, dass Niemand nicht real ist, sondern ein eingebildeter Freund.

Sophie Hunger setzt ein Leitmotiv ein, die Walserinnen, ein Schweizer Bergvolk im hochalpinen Raum. Zwischen den einzelnen Kapiteln sind daher immer Passagen mit diesen Walserinnen eingebunden. Vielleicht hätte es das nicht unbedingt gebraucht, doch es gibt dem Buch eine Struktur.

Bewertung vom 16.03.2025
Halbinsel (eBook, ePUB)
Bilkau, Kristine

Halbinsel (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mutter-Tochter-Beziehung

Es ist ein ruhiger Roman, der dennoch eindrücklich wirkt.
Erzählt wird aus Perspektive einer Mutter, deren Tochter, ca. Anfang bis Mitte 20, einen Zusammenbruch hatte. Die Umstände sind etwas unklar.
Durch das Erzählen in erster Person kommt man der Hauptfigur sehr nahe.
Annett nimmt Linn zu sich, damit sie sich erholen kann.
Als Linn in Ohnmacht gefallen war, sollte sie dabei Schäden an einem wertvollen Bild verursacht haben und jetzt dafür zahlen. Annett fühlt sich schuldig, dass sie ihre Tochter nicht ausreichend versichert hatte.
Die Tochter, die eigentlich früh selbstständig war, entwickelt sich praktisch zurück.
Aber als Leser fragt man sich, was ist denn da wirklich passiert. Ist Linn vielleicht doch verantwortlich? Ich halte Annett nicht für naiv, außer in einem Punkt. Ihr blindes Vertrauen in Linn.
Interessant wird es am Ende, als die Autorin das Thema auf eine andere, universelle Ebene bringt.
Der Roman hat einen ansprechenden Stil, wie ich ihn mag und entwickelt eine ganz eigene Atmosphäre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2025
Die Kriege der Gegenwart und der Beginn einer neuen Weltordnung
Fischer, Joschka

Die Kriege der Gegenwart und der Beginn einer neuen Weltordnung


sehr gut

Illusionslose Analyse

Joschka Fischer, heute mit 75 in einer Rolle, die früher Helmut Schmidt als Altkanzler inne hatte.
Er ist raus aus dem aktuellen Politikleben, hat aber viele Kemnntnisse. Hier schreibt er illusionslos über die Kriege in der Ukraine und Israel/Palästina sowie der Rolle der USA und was das für Deutschland bedeutete.
Die realistische, schonungslose Einschätzung tut gut, denn die Versprechungen der Parteien im Wahlkampf waren kaum glaubhaft.

Zwar sind noch nicht die neuesten Entscheidungen von Donald Trump im Buch enthalten, aber im Kapitel „Qua Vadis, USA“ blickt Fischer zurück bis in die Zeit nach 9/11, dem Krieg gegen Irak, auch die Obama-Zeit und fasst somit gut zusammen.
Auch ein Kapitel zu China ist enthalten. Dann wieder ein umfassender Blick auf Europa.

Ein lesenswertes Politsachbuch, wobei kaum ein Warn- und Weckruf, wie etwas übertrieben beworben, denn konkrete Lösungen hat auch Fischer nicht. Einen kritischen Blick auf Europas Zustand hat Joschka Fischer aber schon länger.