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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 561 Bewertungen
Bewertung vom 23.12.2024
Die Ungelebten
Rosales, Caroline

Die Ungelebten


weniger gut

Caroline Rosales, Kolumnistin bei Die ZEIT und Autorin mehrerer gesellschaftskritischer Bücher, widmet sich in ihrem Roman "Die Ungelebten" brisanten Themen wie Machtmissbrauch, familiärer Loyalität und der Frage, wie persönliche Werte durch die Vergangenheit geprägt werden.

Im Zentrum der Handlung steht Jennifer, eine junge Frau, die aus einer prominenten Familie stammt. Ihr Vater Bernd, ein erfolgreicher Schlagermusikproduzent, sieht sich mit dem schwerwiegenden Vorwurf konfrontiert, eine aufstrebende Sängerin vergewaltigt zu haben. Die Geschichte entfaltet sich zwischen Jennifers Versuch, ihrem Vater beizustehen, und ihrer inneren Zerrissenheit, was sie überhaupt glauben kann. In dieser Ausnahmesituation wird Jennifer mit ihrer Kindheit, den patriarchalen Strukturen ihrer Familie und den gesellschaftlichen Mechanismen konfrontiert, die Machtmissbrauch begünstigen.

Rosales gelingt es, den moralischen Konflikt Jennifers authentisch darzustellen. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Loyalität gegenüber ihrem Vater, dem Wunsch nach Gerechtigkeit und ihrer eigenen Rolle als Frau, die in einer von Männern dominierten Welt aufgewachsen ist. Auch Bernd wird facettenreich dargestellt – als charismatischer, aber manipulativer Mann, dessen Ego und Karriere stets im Vordergrund stand, während er die Bedürfnisse seiner Familie vernachlässigte.

Sprachlich zeigt der Roman jedoch deutliche Schwächen. Trotz der emotionalen Wucht der Geschichte wird die Wirkung durch zahlreiche sprachliche Fehler und stilistische Unsauberkeiten beeinträchtigt. Das Lektorat hat auffallend viele Flüchtigkeitsfehler übersehen – von Tippfehlern über fehlerhafte Grammatik bis hin zu inkonsistenten Formulierungen. Diese Nachlässigkeiten mindern den Lesegenuss erheblich und lassen ein Werk, das thematisch so relevant ist, in handwerklicher Hinsicht unvollendet wirken.

Inhaltlich überzeugt Die Ungelebten vor allem durch die klare Thematisierung gesellschaftlicher Machtstrukturen. Rosales beleuchtet, wie solche Dynamiken über Generationen hinweg wirken, ohne dabei ins Klischeehafte abzurutschen. Allerdings fehlt es dem Roman an Ausgewogenheit. Die männlichen Figuren sind quasi durchweg "die Bösen", und wie Jennifer einerseits beruflich in einer Führungsposition bestehen kann, andererseits sich aber von Vater und Ehemann permanent "unterbuttern" lässt, war für mich lange nervig und irgendwann zu konstruiert.

Fazit
Die Ungelebten ist ein mutiger Roman, der sich mit hochaktuellen Themen auseinandersetzt und zum Nachdenken anregt. Doch die sprachlichen Mängel und stellenweise oberflächliche Erzählweise trüben den Gesamteindruck. Für Leserinnen und Leser, die bereit sind, sich durch sprachliche Unzulänglichkeiten nicht vom Wesentlichen ablenken zu lassen, bleibt das Buch dennoch eine lohnenswerte, wenn auch nicht perfekte Lektüre.

Bewertung vom 23.12.2024
Für mein süßes Ich
Uriselli, Alessandra

Für mein süßes Ich


sehr gut

"Für mein süßes Ich" ist weit mehr als ein Backbuch, es ist auch ein flammendes Plädoyer für mehr Selbstliebe und -akzeptanz, für ein persönliches Glück, das sich nicht von gängigen Schönheitsidealen beeinflussen lässt. Und es ist ein Aufruf zum süßen Genuss.

All das wird bereits im sehr persönlichen Vorwort der Autorin deutlich, und auch im Rezeptteil finden sich immer wieder kleine, positive Botschaften und Anregungen, die zu mehr Genuss und Glück verhelfen mögen.

Autorin Alessandra Uriselli stammt aus Kalabrien, lebt aber inzwischen mit ihrem albanischen Ehemann und den gemeinsamen Kindern am anderen Ende Italiens, in Südtirol, und so sind die 50 im Buch vorgestellten Rezepte auch eine bunte und sehr vielfältige Mischung dieser Regionen. Dabei finden sich traditionelle Backwerke wie der albanische Blechkuchen "Revani me sherbet" oder kalabrische Sospiri genauso wie eine moderne Erdbeer-Mango-Tarte.

Die Ausstattung des hübschen Hardcovers ist solide, die zahlreichen Fotos wirken sehr ansprechend und authentisch. Insgesamt zeigt das Buch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Ein wenig schade ist es, dass die Angaben bei den Rezepten manchmal etwas ungenau sind: Mal wird der Teig einfach "in eine mit Backpapier ausgelegte Backform" gefüllt; wie groß diese sein soll, muss man selbst abschätzen. Bei den Zutaten habe ich ebenfalls gerne mehr Details, soll ich gezuckerte oder ungezuckerte Kondensmilch verwenden, wie hoch muss der Fettanteil sein etc. Und auch die Zubereitungszeit ist als grobe Richtschnur eine Hilfe, die ich ungern misse, wie hier. Aus diesen Gründen würde ich das Buch nicht unbedingt an Backanfänger*innen verschenken, ansonsten empfehle ich es aber gerne und von Herzen weiter!

Bewertung vom 23.12.2024
Velvet Winter
Baumgärtner, Theresa

Velvet Winter


sehr gut

Nachdem Theresa Baumgärtner ihre Leser*innen mit "Tweed Time" ins herbstliche Schottland geführt hat, ist "Velvet Winter" nun eine Einladung, ihr auf ihren Erkundungen durch die britischen Cotswolds zu folgen.

Die (abgesehen von zwei Fischgerichten) durchweg vegetarischen Rezepte sind ganz nach meinem Geschmack: sehr abwechslungsreich, modern, meist einfach zuzubereiten und dennoch sowohl geschmacklich wie auch optisch ein Genuss! Der Wintersalat mit Radicchio und Burrata etwa erhält durch eine selbstgemachte Glühweinmarinade eine unvergleichliche Adventsnote, ich kann gar nicht genug davon bekommen ...

Zwischen den Rezepten erzählt Baumgärtner in kurzen Geschichten von den Eindrücken, die sie auf ihrer Reise gesammelt hat, und so lässt sich in dem hochwertig gestalteten Hardcover mit stimmungsvollen Fotos, Zitaten und Gedichten englischer Literaten auch wunderbar schmökern. Einige weihnachtliche Bastelideen runden das stimmige Buch ab und machen es zum perfekten Geschenk für alle, die zum Jahresende gerne selbst kochen, backen und dekorieren.

Allerdings ist der "Werbeblock" für das Hotel der Autorin in Luxemburg mit gleich acht Seiten für mein Empfinden doch deutlich zu umfangreich geraten. Dies hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack im ansonsten rundum gelungenen Winterbuch.

Bewertung vom 25.11.2024
60 Kilo Sonnenschein
Helgason, Hallgrímur

60 Kilo Sonnenschein


ausgezeichnet

In Island ist Literatur tief in der Geschichte, Kultur und im Alltag verwurzelt. Die Liebe zum geschriebenen Wort macht das kleine Land zu einer der literarisch reichsten Nationen der Welt. Island hat eine außergewöhnlich hohe Publikationsrate. Statistisch gibt es mehr Autor*innen und veröffentlichte Bücher pro Kopf als in fast jedem anderen Land. Umso bedeutender ist die Tatsache, dass "60 Kilo Sonnenschein" dort mit dem Preis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet wurde.

Nicht nur die Jury, auch ich bin restlos begeistert. Hallgrímur Helgason hat hier ein monumentales Werk geschaffen, das die rauen und magischen Seiten Islands in einer literarischen Glanzleistung vereint. Der isländische Bestsellerautor entführt uns in die entbehrungsreiche Welt der Menschen im frühen 20. Jahrhundert, inmitten von Vulkanausbrüchen, Lawinen und bitterer Not.

Helgason erzählt die Geschichte des Waisenjungen Gestur, der in einem kleinen Fischerdorf im Nordwesten Islands aufwächst. Von Anfang an spürt man die Härte des Lebens in dieser isolierten, unwirtlichen Landschaft: eine Welt, die von gnadenloser Natur, Armut und den strengen moralischen Regeln einer patriarchalischen Gesellschaft geprägt ist. Doch Gestur ist ein Überlebenskünstler – schlau, empfindsam und voller Witz. Durch seine Augen erleben wir die rohe Schönheit Islands und den unbändigen Lebenswillen seiner Menschen.

Helgasons Schreibstil ist ein Ereignis. Mit einer unvergleichlichen Mischung aus Sprachwitz, Poesie und beißender Satire fängt er die Eigenheiten des isländischen Lebens ein. Seine Beschreibungen der Landschaft – von tosenden Stürmen über glitzernden Schnee bis hin zu schroffen Küsten – sind so lebendig, dass man den eisigen Wind auf der Haut zu spüren meint. Gleichzeitig verwebt er die isländische Kultur und Geschichte mit der Handlung, ohne je belehrend zu wirken. Es ist eine höchst fesselnde Mischung aus Historien-, Abenteuer- und Gesellschaftsroman. Dabei kennt der Autor sichtlich keine Tabus, Tod und Komik gehen Hand in Hand, und auch Religion und Sexualität werden immer wieder verwoben. Teils geht es - sprachlich wie auch in der Handlung - recht derb und brutal zu, aber ohne Effekthascherei.

Protagonist Gestur ist eine faszinierende literarische Figur. Trotz der Schicksalsschläge, die ihn ereilen, bewahrt er sich eine unerschütterliche Lebenskraft und einen staubtrockenen Humor. Er ist ein Symbol für die Widerstandsfähigkeit und den Kampfgeist der Isländer, ein moderner Schelm, der uns zeigt, dass selbst in den dunkelsten Zeiten ein Lichtschein – oder 60 Kilo Sonnenschein – Hoffnung geben kann.

Obwohl tief in der isländischen Geschichte verankert, greift "60 Kilo Sonnenschein" universelle Themen auf: Armut, soziale Ungerechtigkeit, den Konflikt zwischen Tradition und Fortschritt sowie die Suche nach Identität und Freiheit. Es ist ein Roman über das Überleben – körperlich, emotional und spirituell.

Fazit: Hallgrímur Helgason hat mit "60 Kilo Sonnenschein" einen modernen Klassiker geschaffen. Es ist ein Buch, das mich tief bewegt hat, zum Lachen brachte und staunen ließ, es berührt Herz und Verstand gleichermaßen. Wer sich auf diese intensive literarische Reise einlässt, wird mit einem Werk belohnt, das in Erinnerung bleibt – ein strahlender Sonnenstrahl in der Welt der zeitgenössischen Literatur. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 19.11.2024
Ich bin Anna
Saller, Tom

Ich bin Anna


weniger gut

Dr. Thomas Saller, der sich als Autor kurz Tom Saller nennt, ist studierter Mediziner und praktiziert als Psychotherapeut. Mit seinem aktuellen Roman wirft er einen Blick zurück auf die Anfange dieses Berufsfeldes, indem er Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse, und vor allem dessen jüngste Tochter Anna zu Protagonisten macht.

Da ich nicht nur Psychotherapie gegenüber aufgeschlossen bin, sondern auch recht wenig über Anna Freud wusste, war ich sehr gespannt auf "Ich bin Anna". Doch was für eine Enttäuschung: Weit über die Hälfte des Romans habe ich mich entsetzlich gelangweilt. In der Rahmenhandlung erinnert sich die 84-jährige Anna an ihre Zeit als junge Frau in Wien, trotz Berufstätigkeit lebt sie noch bei den Eltern. Im Hauptteil wechselt die Ich-Erzählperspektive zwischen Anna und ihrem Übervater Sigmund. Doch die Perspektivwechsel fördern wenig Überraschendes zutage.

Saller lässt Anna eine (fiktive) Lernanalyse bei ihrem Vater machen. Ein an sich interessantes Gedankenspiel, doch es bleibt nebulös, wie dies vonstatten ging. Auch sprachlich hat mich der Roman leider gar nicht erreicht. Stellenweise allzu bemüht intellektuell, dann wieder war nur schwer zu erkennen, aus wessen Perspektive gerade erzählt wird, zu sehr gleichen sich die Ausdrucksweisen von Tochter und Vater. Zwar lässt sich das durch einen Twist am Ende erklären, aber es hat eben leider meinen Lesegenuss deutlich geschmälert.

Auch inhaltlich hatte ich mehr erwartet. Weder erfährt man jenseits der gut bekannten biografischen Eckdaten sonderlich viel über die Familie Freud, noch über die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse. Mit einer Ausnahme, nämlich wie Sigmund dazu kam, einen Todestrieb ("Thanatos") zu postulieren; allerdings ist auch diese Erklärung fiktiv.

Alles in allem kaum Unterhaltung und wenig Erkenntnisgewinn für mich.

Bewertung vom 17.11.2024
Frankfurter Backstube
Jamin, Cathérine

Frankfurter Backstube


gut

Cathérine Jamin ist eine erfahrene Konditormeisterin, die ihr Handwerk in renommierten Konditoreien in Frankreich, Österreich und Deutschland verfeinerte, bevor sie ins Familienunternehmen in Frankfurt einstieg. In ihrem aktuellen Buch teilt sie 30 Rezepte aus ihrer Backstube – eine Einladung, den Duft Frankfurts ins eigene Zuhause zu holen, der ich gerne gefolgt bin.

Die Rezeptauswahl überzeugt mit Vielfalt: Von traditionellen Klassikern wie dem auch überregional bekannten Frankfurter Kranz bis hin zu modernen Kreationen ("Mispel in the Air") ist für jeden Geschmack etwas dabei. Die appetitlich und rustikal inszenierten Fotos wecken die Lust aufs Nachbacken, und die meisten Rezepte sind unkompliziert gehalten und für Hobbybäcker gut umsetzbar – zumindest auf den ersten Blick.

Leider ist das Buch nicht uneingeschränkt für Anfänger*innen geeignet. Manche Anleitungen sind etwas ungenau, und auch wichtige Details wie die genaue Mehlsorte oder die Größe der Backformen werden nicht angegeben. Gerade weil Jamin im Vorwort betont, dass ihre Rezepte möglichst originalgetreu nachgebacken werden sollten, ist diese Nachlässigkeit irritierend.

Hinzu kommt, dass einige Zutaten, wie etwa Mispeln in Sirup, schwer zu beschaffen sind. Hier hätte eine Bezugsquelle oder eine alternative Zutat den Zugang erleichtert. Und dass die Mainhattan Schokoblocks mit Blattgold verziert werden finde ich dekadent, das widerspricht völlig meinem moralischen Kompass. Es gibt so viele alternative hübsche Dekormöglichkeiten.

Das Inhaltsverzeichnis mit kleinen Bildkacheln ist sehr ansprechend. Dennoch hätte ich mir zum schnellen Wiederfinden eines Rezepts auch ein alphabetisches Register gewünscht. Eine zusätzliche Prise Lokalkolorit gibt es bei zwei Rezepten, zu denen man etwas über deren Geschichte erfährt.

Insgesamt vergebe ich gute 3 von 5 Sternen – ein inspirierendes Buch mit kleinen Schwächen, das aber durch ein solides Preis-Leistungsverhältnis punktet.

Bewertung vom 14.11.2024
Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir?


gut

Man schwimme auf der anscheinend immer noch aktuellen Welle der Autofiktion mit, webe ein paar seltsam anmutende Betrachtungen über Sternbilder und nicht minder diffuse Referenzen an Lars von Triers Film "Melancholia" ein, kröne das Ganze mit einer Portion römischer Mythologie - und heraus kommt ein Roman, den die Jury mit dem Deutschen Buchpreis auszeichnet.

Ja, ich bezeichne hier etwas, aber ich kann diese Entscheidung wirklich nicht nachvollziehen. Zwar beginnt "Hey, guten Morgen, wie geht es dir?" mit einem vielversprechenden Plot und einem aktuellen Thema: dem Phänomen der Love-Scammer, eine Art moderner Heiratsschwindler, die über digitale Plattformen Vertrauen erschleichen und finanziell ausnutzen. Doch leider bleibt der Roman hinter seinen Möglichkeiten zurück und liefert ein eher unausgereiftes Leseerlebnis, das durch diverse Stil- und inhaltliche Entscheidungen zusätzlich erschwert wird.

Eine der größten Irritationen stellt für mich die inflationäre Verwendung von Namen aus der römischen Mythologie dar. Obwohl Namen wie "Juno" und andere mythologische Verweise durchaus ein literarisches Stilmittel sein können, um Charakterzüge zu unterstreichen oder tiefere symbolische Bedeutungen einzuführen, wirkt die Namensgebung in diesem Roman eher beliebig und wenig durchdacht. Die Symbolik bleibt oft unklar, und ohne ersichtliche Verbindung zur Handlung oder den Figuren scheint diese Referenz eher wie ein aufgesetztes Motiv, das unnötig überladen wirkt.

Auch die Gedanken der Protagonistin über Sternbilder und den Film "Melancholia" hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. An sich sind beides interessante Themen, doch leider fehlt es mir auch hier an einer Verknüpfung zum Kern der Geschichte. Diese philosophischen Exkurse wirken oft wie fremde Einschübe, die nicht zur Weiterentwicklung der Charaktere beitragen.

Protagonistin Juno bleibt leider erstaunlich statisch und eindimensional. Ihre Beziehung zu ihrem Ehemann, der an multipler Sklerose leidet, wird dabei vor allem durch ihre Erschöpfung und Überforderung bei der Pflege geschildert. Hier wird eine Chance verpasst, die emotionale Tiefe und die komplexen Facetten einer solchen Partnerschaft auszuloten. Die Perspektive ihres Mannes, seine Ängste und Sehnsüchte, hätten der Geschichte weitere emotionale Ebenen verleihen können. Stattdessen bleibt die Darstellung auf ein oberflächliches Bild von Pflege und Aufopferung beschränkt, hinzu kommt lediglich das prekäre Erwerbsleben vieler Künstlerinnen und Künstler.

Auch das Thema der Love-Scammer wird leider nicht voll ausgeschöpft. Es hätte Gelegenheit geboten, eine packende psychologische Spannung zu entwickeln und die schleichende Manipulation, die mit solchen Betrugsmaschen einhergeht, intensiv zu erforschen. Stattdessen bleibt der Plot recht oberflächlich, und die Dynamik zwischen Juno und dem Scammer wirkt fast schon stereotypisch. So bleibt die Handlung – trotz der Aktualität und des Potenzials des Themas – in einem mittleren Spannungsniveau stecken und lässt mich am Ende eher unberührt zurück.

Ich hatte eine tiefere Auseinandersetzung mit den Themen Pflege, Manipulation und emotionaler Erpressung gesucht, bekommen habe ich lediglich einen durchschnittlichen Roman mit jammerndem Grundrauschen.

Bewertung vom 12.11.2024
Jeden Tag kreativ sein
Deuchars, Marion

Jeden Tag kreativ sein


sehr gut

"Jeden Tag kreativ sein" von Marion Deuchars ist ein inspirierendes Buch, anhand dessen man die eigene Kreativität spielerisch und mit einfachsten Mitteln entdecken kann. Die mehrfach ausgezeichnete schottische Illustratorin lädt ihre Leser*innen ein, den Alltag durch kreative Übungen und neue Perspektiven zu bereichern. Sie kombiniert dabei ihre eigene Erfahrung als Künstlerin mit leicht umsetzbaren Techniken und Anleitungen, die sich meines Erachtens vor allem an Anfänger richten.

Das Buch bietet rund 70 kreative Anregungen, die oft mit nur wenigen Minuten umzusetzen ist. Die Übungen reichen von einfachen Zeichentechniken über das Malen und Schreiben bis hin zu Achtsamkeitsübungen, die das Auge für Details schulen und helfen, eigene Ideen zu entwickeln. Durch die klare und humorvolle Anleitung schafft Deuchars es, Berührungsängste abzubauen und die Hemmschwelle für kreative Prozesse zu senken.

Ein großer Vorteil des Buches ist seine Vielseitigkeit. Deuchars bedient sich verschiedenster Materialien und Techniken, was das Experimentieren mit Farben, Formen und Texturen besonders spannend macht. Da wird einfach mal mit dem Wischmop auf dem trockenen Innenhof mit Wasser ein feuchtes (und vergängliches) Kunstwerk geschaffen. Oder aber man nutzt die Natur, sei es, um aus buntem Herbstlaub einen farbigen Kreis zu legen, oder sich aus Pflanzenteilen verschiedene Pinsel zu basteln, die die interessantesten Striche zaubern. Manches ist einem vielleicht so oder so ähnlich bereits begegnet, sicher hat Deuchars hier "das Rad nicht völlig neu erfunden". Aber sie hat mir den nötigen Kick versetzt, um selbst wieder aktiv kreativ zu sein, statt passiv zu konsumieren.

Die Gestaltung des Buches selbst ist ansprechend und folgt dem Credo der Autorin: Kunst darf Spaß machen und soll Menschen zum Ausprobieren ermutigen. (Wieso das Cover hingegen so schlicht und einfallslos daher kommt, wissen wohl nur Autorin und Verlag.)

Fazit: "Jeden Tag kreativ sein" ist ein guter Ratgeber für alle, die Lust haben, Kreativität in ihren Alltag zu integrieren, spielerisch und voller Neugierde.

Bewertung vom 28.10.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


sehr gut

Der aktuelle historische Roman von Julia Malye basiert auf einer faszinierenden und wenig bekannten Episode Anfang des 18. Jahrhunderts: der Entsendung von Frauen aus dem Pariser Asyl La Salpêtrière in die französische Kolonie Louisiana. Malye erzählt die Geschichte dreier Protagonistinnen – Charlotte, Pétronille und Geneviève – die gezwungen sind, sich in einem völlig fremden Land neuen Herausforderungen zu stellen.

Die Autorin beschreibt eindrucksvoll die Härten und Entbehrungen, die diese Frauen ertragen müssen, sowohl auf der gefährlichen Reise als auch bei ihrer Ankunft in der Wildnis Louisianas. Besonders gelungen ist ihre Darstellung der Komplexität weiblicher Beziehungen und die Entwicklung der Protagonistinnen von völlig unterschiedlichen Hintergründen hin zu einer Gemeinschaft, die durch geteiltes Leid und Hoffnung verbunden ist. Die verschiedenen Facetten von Mutterschaft, Freundschaft und Überlebenskampf stehen im Mittelpunkt, wobei Malye immer wieder betont, wie unvorbereitet diese Frauen auf das raue Leben in der Kolonie waren. Die authentische Atmosphäre des Romans und die unzähligen historischen Details haben mich förmlich in die Zeit des frühen Kolonialismus eintauchen lassen. Allerdings wirkte die Handlung durch die Überfülle an historischen Informationen streckenweise etwas überladen, und es war nicht immer leicht, sich ohne Personenregister in der Vielzahl an Figuren zurecht zu finden.

​Äußerst bemerkenswert ist, dass Julia Malye "La Louisiana" sowohl auf Englisch als auch auf Französisch selbst geschrieben hat, ohne eine Übersetzung zu beauftragen. Dies ist eine relativ seltene Praxis unter Autor*innen und zeigt Malyes außergewöhnliche Sprachbeherrschung sowie ihr tiefes Verständnis beider Kulturen. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in ihrem persönlichen Hintergrund: Malye hat sowohl in Frankreich als auch in englischsprachigen Ländern gelebt und gearbeitet, was ihr eine einzigartige Perspektive auf beide Sprachwelten ermöglicht. Durch das eigenhändige Schreiben in beiden Sprachen kann sie sicherstellen, dass der Text in beiden Fassungen seine ursprüngliche Nuance und den beabsichtigten Tonfall behält, was bei Übersetzungen oft verloren gehen kann. Die deutsche Ausgabe wurde übrigens aus dem Französischen übertragen.

"La Louisiana" ist eine fesselnde Mischung aus Abenteuer-, Historien- und Gesellschaftsroman, die das Schicksal und den Überlebenskampf starker Frauen aus einer vergessenen Ecke der Geschichte ins Spotlight rückt.

Bewertung vom 20.10.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


weniger gut

Ich war etwas irritiert von diesem Roman, deutet der Klappentext doch an, dass es vor allem darum geht, zu welchen Grausamkeiten Kinder fähig sind. Schnell wird jedoch klar, dass sich die Geschichte vor allem um die erwachsene Pia dreht und darum, wie deren Erlebnisse in ihrer Kindheit sich auf ihre Partnerschaft und ihre Rolle als Mutter auswirken.

Die Story ist durchaus spannend, nicht zuletzt durch den Gegensatz der klaren, schnörkellosen Sprache einerseits und andererseits der Tatsache, dass sich Pia zunehmend als unzuverlässige Erzählerin entpuppt.

Allerdings mache ich der Autorin einen Vorwurf: Sie beschreibt Vieles, ohne zu werten. Dies ist in einem Roman auch nicht immer nötig. Wenn es jedoch um psychische und physische Gewalt an Kindern geht, ist es meines Erachtens nicht in Ordnung, derartige Übergriffe lediglich mit der eigenen schlimmen Kindheit der Täterin zu erklären. Lind lässt den Teufelskreis von Gewalt und Missbrauch in der Schwebe, ohne ihn wirklich zu hinterfragen oder zu durchbrechen. Hier verlange ich mehr, in der Realität, aber auch in der Fiktion. Es fehlt eine Reflexion oder zumindest ein Ansatz, der über das bloße Aufzeigen von Traumata hinausgeht. Das Gefühl bleibt, dass die Geschichte stehen bleibt, wo sie eigentlich hätte weitergehen müssen. Gerade angesichts der gravierenden Thematik wäre ein tiefergehender moralischer Diskurs wünschenswert gewesen.

Insgesamt ist "Kleine Monster" ein atmosphärisch dichter und spannender Roman, der jedoch mit seiner Zurückhaltung im Umgang mit ethisch herausfordernden Themen einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.