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Benutzername: 
Anne Z.
Wohnort: 
Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 27 Bewertungen
Bewertung vom 13.03.2021
Die Lustlosen Touristen
Agirre, Katixa

Die Lustlosen Touristen


ausgezeichnet

Ulias Gesangskarriere endet durch den Verlust ihrer Singstimme, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. Stattdessen promoviert sie nun in Musikwissenschaft. Ihren Mann Gustavo lernt sie während des Terroranschlags in der Madrider Metro kennen. Jetzt sind die beiden in Gustavos geliebtem nagelneuem 1er BMW auf dem Weg durch Ulias Heimat, dem Baskenland, beide mehr damit beschäftigt, was sich vor ihrem inneren Auge abspielt, als mit dem, was im Nieselregen am Autofenster vorbeizieht, während sie stets auf den Nebenstraßen durch die Landschaft fahren.

Wie der Titel bereits vermuten lässt, erzählt Katixa Agirre in ihrem Roman „Die lustlosen Touristen“ nicht von einem fröhlichen Roadtrip und ausgelassener Urlaubsstimmung. Die Atmosphäre ist eher bedrückend, man spürt von Anfang an, dass etwas nicht stimmt, während Ulia stets an Gustavo gerichtet die Geschichte ihrer Reise durchs Baskenland erzählt. Ihr Tonfall ist dabei häufig sarkastisch, ihre Beobachtungen über die Welt und insbesondere über Männer schildert sie mit leisem Spott, ihr Humor ist wundervoll ironisch und nicht selten auch ein wenig bösartig. Auch wenn sie sich gutes Essen und teuren Wein leisten, kann das Ehepaar den Urlaub nicht wirklich genießen. Zwischen ihnen stehen Geheimnisse und über Ulia hängen die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit und der des Baskenlandes und der ETA, die enger miteinander verwoben sind, als es zunächst den Anschein hat. Und was hat es mit der britischen Journalistin auf sich, die die beiden regelrecht zu verfolgen scheint?

Zwischen Ulias Reisebericht finden sich immer wieder Kapitel, die sich zunächst nicht so leicht in die Handlung einordnen lassen: Ereignisse aus Ulias Jugend, Ausschnitte aus dem Leben des Komponisten Benjamin Britten, eine junge Lehrerin in einer unter Beschuss stehenden Kirche. Wie die Europakarte auf dem wunderschönen farbenfrohen Cover wirkt auch der Roman wie eine Art Collage und nach und nach fügen sich die verschiedenen Handlungsstränge zusammen, bis am Ende alles zusammenpasst und alle Geheimnisse gelüftet werden. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass mir dies in den letzten Kapitel zu schnell geschieht und ich etwas enttäuscht darüber war, dass die Fahrt so plötzlich ihr Ende gefunden hat. Gerne wäre ich noch viele Seiten weiter mit Ulia und Gustavo durchs Baskenland sowie durch die persönlichen Geschichte der beiden gereist.

Nicht nur das Cover, sondern das ganze Buch ist etwas Besonderes und ich kann allen, die nicht gleich ungeduldig werden, wenn sich nicht alle Zusammenhänge sofort erschließen, wärmstens empfehlen, zu Ulia und Gustavo in den BMW zu steigen und „Die lustlosen Touristen“ von Katixa Agirre zu lesen.

Bewertung vom 28.02.2021
Das Flüstern der Bienen
Segovia, Sofía

Das Flüstern der Bienen


sehr gut

Zauberhaftes Porträt einer Familie und einer bewegenden Zeit

Linares zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Unruhen der Zeit machen der wohlhabenden Familie Morales zu schaffen: Sie fürchten die Gefahren des Bürgerkrieges, die spanische Grippe kostet zahlreiche Menschen in ihrem Umfeld ihr Leben und die Landreform droht, ihnen ihre Ländereien zu entreißen. Als ihre Amme Reja ein in einen Bienenschwarm eingehülltes Baby mit entstelltem Gesicht findet, zögern die Morales dennoch nicht, es bei sich aufzunehmen. Der kleine Simonopio kann zwar nicht mit Worten kommunizieren, doch wenn er mit seinen Bienen durch die Natur streift, nimmt er Dinge wahr, die allen anderen verborgen bleiben. Zwischen ihm und dem kleinen Francisco Morales entwickelt sich eine enge Freundschaft. Als alter Mann denkt Francisco an seine Kindheit zurück und stellt sich dabei auch den schmerzhaften Erinnerungen an diese Zeit.

Sofía Segovias Erzählstil ist so unglaublich schön wie das Buchcover von „Das Flüstern der Bienen“. Ihre Art zu schreiben spricht alle Sinne an: Man kann förmlich den Duft der Orangenbäume riechen, die karamellisierende Milch auf der Zunge schmecken und das Knarzen der Deckenbalken hören, wenn sie auf märchenhafte Weise die bewegende Geschichte der Familie Morales erzählt. Zu Beginn hatte ich etwas Schwierigkeiten, die verschiedenen Generationen der Familie und die zahlreichen Menschen, die auf der Hazienda der Morales zusammenleben, auseinanderzuhalten und mich in die Sprünge zwischen den Zeiten und Perspektiven einzufinden. Die Verwirrung hat sich aber nach wenigen Kapiteln gelegt und von da an habe ich die magische Reise nach Mexiko sehr genossen. Die Mitglieder der Familie Morales sind mir beim Lesen mit all ihren nur allzu menschlichen Stärken und Schwächen ans Herz gewachsen. Durch die Perspektivwechsel hat Segovia es aber auch geschafft, dass ich die Beweggründe des missgünstigen Espiricueta nachvollziehen konnte, auch wenn dies seine Taten nicht weniger abscheulich macht. Besonders berührt hat mich, während der Corona-Pandemie die Abschnitte über die Spanische Grippe zu lesen. Obwohl die Familie Schicksalsschläge erleidet, lässt sich der Roman mit der Leichtigkeit lesen, mit der die Bienen um die Orangenbäume summen.

Mit „Das Flüstern der Bienen“ hat Sofía Segovia ein zauberhaftes Familienporträt geschaffen, das voller Magie und Poesie steckt und die Lesenden mit auf eine einprägsame Reise ins Mexiko der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nimmt.

Bewertung vom 07.02.2021
Das achte Kind
Grabovac, Alem

Das achte Kind


sehr gut

Smilja wächst in einem kleinen Dorf im kroatischen Hinterland auf, in einem Haus ohne fließend Wasser oder irgendeiner Form von Toilette, mit einem Vater, der seinen Lohn versäuft und seine Familie schlägt. Später findet sie Arbeit in Würzburg, wo sie sich in Emir verliebt und ihren gemeinsamen Sohn Alem zur Welt bringt. Da sie weiterhin arbeiten muss, ihren Sohn in der Zeit aber nicht ihrem Mann überlassen will, der sein Geld mit Diebstählen verdient, sich die Nächte gerne feiernd um die Ohren schlägt und sie betrügt, gibt sie Alem schweren Herzens in eine deutsche Pflegefamilie. Die Familie Behrens hat bereits sieben leibliche Kinder und so wird Alem zu ihrem achten Kind. Nachdem ihre Ehe durch Emirs kriminelle Machenschaften endgültig in die Brüche geht, zieht Smilja nach Frankfurt und kommt dort mit dem alkoholabhängigen und gewalttätigen Dušan zusammen. Alem verbringt den Großteil seiner Kindheit und Jugend bei seiner Pflegefamilie in Süddeutschland, Wochenenden und Ferien in Frankfurt und die Sommer in Kroatien. Wer sein leiblicher Vater wirklich war, erfährt er erst viele Jahre später.
Es ist faszinierend, mit welcher Leichtigkeit es Alem Grabovac geling, diese schwere Kost in seinem Roman „Das achte Kind“ zu verarbeiten. Er erzählt eine ergreifende Geschichte über harte Lebensumstände ohne jede Bitterkeit und in einem so klaren, authentischen und unterhaltsamen Stil, dass man das Buch nicht mehr weglegen kann. Da ich selbst in Frankfurt lebe, waren die in Frankfurt spielenden Abschnitte des Buches für mich besonders interessant, da ich die Schauplätze kenne. Ich bin der Handlung aber auch sehr gerne ins Schwäbische sowie nach Kroatien, Serbien und Italien gefolgt. Grabovac eröffnet mit seinem Roman spannende Einblicke in das Leben in Jugoslawien sowie in das Leben jugoslawischer Gastarbeiter in Deutschland in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die handelnden Personen erleiden tragische Schicksalsschläge und durchleben furchteinflößende Situationen und insbesondere Alem und seine Mutter zeigen dabei immer wieder beeindruckende Charakterstärke. Nicht umsonst ist „Das achte Kind“ in drei Teile – das Buch Smilja, das Buch Alem und das Buch Emir – geteilt. Es geht nicht nur um Alems eigene Geschichte, sondern auch um die seiner Mutter, um die Suche nach einem Vater und den Umgang mit verschiedenen Vaterfiguren im Laufe seines Lebens.
„Das achte Kind“ von Alem Grabovac ist tief bewegend, lockerleicht und spannend erzählt und absolut empfehlenswert.

Bewertung vom 01.02.2021
2,5 Grad - Morgen stirbt die Welt
Richter, Noah

2,5 Grad - Morgen stirbt die Welt


weniger gut

Die 24-jährige Protagonistin Leela Faber kündigt schon im Prolog von Noah Richters Klimathriller „2,5 Grad – Morgen stirbt die Welt“ an, dass sie in wenigen Stunden einundzwanzig Menschen töten wird. Sie sieht keinen anderen Weg, um die sich anbahnende Klimakatastrophe zu verhindern. Ihr Freund, der Glaziologe Jakob Richter, von dem sie Zwillinge erwartet, ist bei einem Unglück in der Antarktis ums Leben gekommen. Zuvor konnte er Leela per Mail drei Dateiordner zukommen lassen, die Unglaubliches offenbaren. Mit den Dateien im Gepäck macht sich Leela auf den Weg nach Berlin, um Jakobs Kampf für das Klima gemeinsam mit dessen Ex-Freundin Mackenzie Little weiterzuführen.
Der Großteil des Romans spielt sich in nicht allzu ferner Zukunft in Deutschland ab. Richter zeichnet ein Katastrophenszenario, das die Auswirkungen des Klimawandels vor unsere eigene Haustür holt und dadurch deutlich macht, warum das Thema uns alle etwas angeht: Überflutungen vernichten ganze Städte, auf den Straßen mischen sich die Flüchtlingsströme aus nicht mehr bewohnbaren Gebieten der Erde mit den Massen derjenigen, die ihre Wohnungen in Deutschland durch die Unwetter verloren haben, während sich rechtsradikale Vereinigungen bereitmachen, um die Macht an sich zu reißen, und skrupellose Sektenführer die verstörten Menschen mit Heilsversprechen in ihre Fänge locken. Das Cover vermittelt bereits einen Eindruck von der düsteren Stimmung, die den gesamte Roman über vorherrscht, und auf dem Rand der Seiten ist ein Thermometer abgedruckt, auf dem man beim Lesen den Temperaturanstieg verfolgen kann. Die Aufmachung ist gelungen, das Thema brandaktuell und das Szenario verspricht Spannung. Deshalb hatte ich mich sehr auf „2,5 Grad“ gefreut – und wurde umso mehr enttäuscht.
Das Buch liest sich wie ein schlechter Actionfilm: seitenweise unrealistische Verfolgungsjagden, sinnlose Gewalt und großkotziges Gerede. Normalerweise bin ich ein großer Fan multiperspektivischen Erzählens, aber nicht, wenn es so schlecht umgesetzt wird wie in diesem Roman, in dem die Perspektivwechsel nur dazu zu dienen scheinen, mehr Schauplätze für brutale Gewalttaten zu eröffnen. Dabei geraten immer wieder zeitliche Abläufe durcheinander, zahlreiche kleine Logikfehler und Widersprüche stören den Lesefluss und man lernt nahezu alle Figuren nur oberflächlich kennen. Die meisten von ihnen kommen einfach nur gewissenlos und arrogant rüber. Die Namensgebung ist so plump, dass sie viele Charaktere wie Witzfiguren erscheinen lässt: Die Umweltministerin heißt Baum, der Innenminister Kotzer, der hinterhältige Intrigenspinner Paulus Moses und für den mutigen Gletscherforscher hat der Autor denselben Nachnamen gewählt wie für sein eigenes Pseudonym.
Noah Richter versucht, zu viele wichtige Themen auf einmal abzuarbeiten und geht dabei derart sensationsheischend vor, dass keines mit Tiefe behandelt wird. Die sinnlose Brutalität und die unnötigen Nebenhandlungen verdecken den Blick auf den Klimawandel, seine Ursachen und Folgen, obwohl der Autor durchaus wichtige Fakten darüber einstreut. Es ist wenig nachvollziehbar, warum bei einem Thema, das so viel Brisanz und Konfliktpotenzial bietet, eine erfundene Verschwörung im Mittelpunkt steht, die einer Gruppe von Konzernchefs und Politikern die gesamte Verantwortung zuschiebt, und der Mord an ihnen als Ausweg aus der Klimakatastrophe präsentiert wird. So spannend der Einstieg in den Roman auch ist, mir wird auf den über 400 folgenden Seiten nicht wirklich klar, wie der Anschlag die Erde retten soll.
Die Protagonistin Leela fragt sich im Prolog, wie die Lesenden wohl über sie und ihre Taten urteilen werden. Am Ende von Noah Richters „2,5 Grad – Morgen stirbt die Welt“ angekommen, muss ich leider sagen, dass sie für mich keine mutige Klimakämpferin ist, sondern sich nach dem Tod ihres Freundes in einen blindwütigen Racheakt stürzt, und mich ihre Geschichte durchweg enttäuscht hat.

Bewertung vom 23.12.2020
CO2 - Welt ohne Morgen
Roth, Tom

CO2 - Welt ohne Morgen


sehr gut

Der Klimawandel unterscheidet sich von anderen Katastrophen, denn er ereignet sich nicht plötzlich, sondern vollzieht sich schleichend. Um die tödliche Gefahr sichtbar zu machen, die von zu hohem Treibhausgasausstoß ausgeht, greifen vermeintliche Klimaaktivisten zu einem drastischen Plan: Während die Politiker auf der Klimakonferenz in Glasgow einmal mehr nur um den heißen Brei herumreden, entführen sie die jugendlichen Teilnehmenden eines internationalen Klimacamps in Australien. Sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden, drohen die Entführer damit, jede Woche eines der Kinder in einem Online-Livestream zu töten – und zwar anhand von CO2. Unter den entführten Jugendlichen aus zwölf Nationen befindet sich auch die fünfzehnjährige Hannah aus Deutschland. Während Ermittler aus der ganzen Welt sich verzweifelt die Köpfe zerbrechen, Politiker stur bleiben und Hannahs Mutter in Berlin alles dafür tut, um ihre Tochter sicher nach Hause zu holen, begibt sich Hannahs Onkel Marc selbst auf die gefährliche Suche nach seiner Nichte. Es beginnt ein nervenaufreibender Wettlauf gegen den Countdown der Entführer.

Zahlreiche Perspektivwechsel, sowohl zwischen Personen als auch zwischen Gegenwart und Zukunft, und unerwartete Wendungen machen Tom Roths Thriller zu einer Achterbahnfahrt, in der nichts ist, wie es zunächst scheint. Dem Autor gelingt es, die Spannung und das hohe Tempo von der ersten bis zur letzten Seite aufrechtzuerhalten. Man erlebt die Handlung aus den Blickwinkeln von Entführern und Entführten, Ermittlern und Angehörigen sowie Politikern und deren Beratern und aus all diesen Eindrücken setzt sich nach und nach ein Puzzle zusammen. Es fällt leicht, sich in die entführte Hannah und ihre verzweifelte Familie hineinzuversetzen, während manch andere Charaktere durch ihre emotionale Kälte Unverständnis auslösen. Doch gerade die vielen Figuren mit ihren ganz unterschiedlichen Eigenschaften, Überzeugungen und Vorgehensweisen sorgen dafür, dass auf keiner einzigen Seite Langeweile aufkommt und sich die durch die Entführung entstehenden Konflikte nachvollziehen lassen. Lediglich die Figur des eigenbrötlerischen FBI-Agenten ist für meinen Geschmack etwas zu klischeehaft geraten.

Im Laufe der actiongeladenen Handlung gerät nie in Vergessenheit, dass „CO2 – Welt ohne Morgen“ ein ungemein aktuelles Thema behandelt. Tom Roth gelingt durch seine Worte genau das, was die Entführer durch ihre grausame Aktion erreichen wollen: Er öffnet uns die Augen dafür, welch große Gefahr der Klimawandel darstellt, wie er unseren Planeten verändert und dass es höchste Zeit ist zu handeln. Nicht nur das brutale Vorgehen der Entführer, sondern auch die Ausblicke ins Jahr 2040 lassen es einem kalt den Rücken hinunterlaufen, vor allem, weil die Fakten zum Klimawandel bestens recherchiert sind und das Szenario somit realistisch wirken lassen.

„CO2 – Welt ohne Morgen“ schafft es, eines der wichtigsten Themen unserer Zeit mit Spannung und Nervenkitzel statt mit erhobenem Zeigefinger in den Mittelpunkt zu stellen, und ist eine absolute Leseempfehlung für alle Thrillerfans.

Bewertung vom 03.12.2020
Unter Ultras. Eine Reise zu den extremsten Fans der Welt.
Montague, James

Unter Ultras. Eine Reise zu den extremsten Fans der Welt.


gut

Vorab eine Warnung an alle Fußballfans: „Unter Ultras“ ist kein Buch über Fußball. Es ist ein Buch über Politik, über Geschichte und vor allem ein Buch über Menschen. Über Menschen auf der ganzen Welt und darüber, warum sie Dinge tun, die für viele Außenstehende schwer zu begreifen sind, zum Beispiel in einer Gruppe in einen Wald zu fahren, um sich dort 30 Sekunden lang mit einer anderen Gruppe bis zur Bewusstlosigkeit zu prügeln. Der Frage nachgehend, was es eigentlich bedeutet, ein Ultra zu sein, besucht James Montague 25 Länder und spricht mit Hunderten von Menschen. In seinem Buch nimmt er die Lesenden mit auf seine Reise von Kroatien über Argentinien, Brasilien, die Türkei und die Vereinigten Staaten bis hin nach Indonesien. Und das sind nur einige seiner zahlreichen Stationen auf der Suche nach den extremsten Fans der Welt und ihren Beweggründen. Diese erweisen sich als äußerst vielfältig: Den wenigstens scheint es ausschließlich um die Liebe zu einem Verein oder zum Sport zu gehen. Vielmehr geht es um Gemeinschaft, um politische Botschaften, um Einfluss und Macht und manchen auch einfach nur um den Adrenalinkick und die Schlägereien.

Montagues Rechercheleistung ist beeindruckend. Es gelingt ihm, sich Zugang zu einer Welt zu schaffen, die Journalisten wie ihm nur selten Zugang gewährt. Dabei riskiert er nicht selten sogar sein eigenes Leben, sei es, indem er mit zu einem Duell fährt, von einem potenziellen Gesprächspartner fast in eine Falle gelockt wird oder auf einer indonesischen Autobahn von einer Horde Macheten schwingender Ultras angegriffen wird. Neben interessanten Informationen und Erfahrungen, die er unterwegs sammelt, liefert der Autor auch eine Menge Hintergrundinformationen, die stets mit Fußnoten belegt sind, sodass man bei Interesse selbst weiterlesen kann. Leider ist es bei der Fülle an Fakten oft schwierig, den Überblick zu behalten. Montague trifft so viele Menschen, nimmt so viele Vereine und ihre verschiedensten Ultragruppierungen in den Blick, dass man gelegentlich zurückblättern muss, um nachzuschlagen, von wem genau gerade die Rede ist, insbesondere, wenn zusätzlich noch Spitznamen verwendet werden. Dass die Ereignisse nicht immer chronologisch erzählt werden, sorgt für zusätzliche Verwirrung.

Insgesamt bietet „Unter Ultras“ dennoch einen spannenden Einblick in verschiedenste kulturelle Welten abseits des Spielfelds, der sich zu lesen lohnt. Man sollte dafür jedoch eine gewisse Ausdauer mitbringen.

Bewertung vom 14.11.2019
Der Mensch ist böse
Hannes, Julian

Der Mensch ist böse


gut

Der Autor schildert die Fälle spannend, kurzweilig und fesselnd, achtet dabei aber stets darauf, den Respekt vor den Betroffenen zu wahren. Da für die einzelnen Geschichten jedoch nur um die zwanzig Seiten bleiben, kann er dabei nicht so tief ins Detail gehen, wie man es sich als Leser wünscht. Die im Klappentext hervorgehobene psychologische Seite kommt leider ebenfalls etwas kurz, was unter anderem der Tatsache geschuldet ist, dass der Täter in vielen der Fälle weiterhin unbekannt ist. Auch wenn ich das Buch mit Interesse und Lesefreude verschlungen habe, bin ich der Antwort auf die Frage, was einen Menschen zum Mörder werden lässt, nur wenig näher gekommen.

„Der Mensch ist böse“ bietet 13 gut durchmischte kompakte Päckchen aus Spannung, Mystery und Fakten für alle, die einen kurzen Blick in die Abgründe dieser Welt werfen wollen und den Frust aushalten, den die Beschäftigung mit ungeklärten Kriminalfällen unweigerlich mit sich bringt.