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jr17

Bewertungen

Insgesamt 42 Bewertungen
Bewertung vom 04.12.2022
Frau mit Messer
Byeong-mo, Gu

Frau mit Messer


sehr gut

Der Beruf des Hauptcharakters aus Gu Byeong-Mos Roman ist selten. Sie ist Auftragsmörderin. Aber die Probleme, die ihr begegnen, nachdem sie dem Beruf 50 Jahre lang nachgegangen ist, sind die eines jeden und einer jeden. Ihre Mitarbeitenden scheinen sie nicht mehr richtig ernst zu nehmen. Ihre Chefs geben ihr einfachere Aufgaben. Und auch sie selbst merkt, dass nicht mehr alles so funktioniert wie früher. Vor allem ihr Körper lässt nach, aber auch mit ihrer Konzentration scheint sie mitunter Probleme zu haben. Ganz langsam lässt Gu mehr über die Vergangenheit des Hauptcharakters, die unter dem Decknamen Hornclaw geführt wird, durchscheinen. Warum führt jemand diesen Beruf aus? Wie so vieles beantwortet sie diese Fragen mit den Umständen des Aufwachsens - so schlicht, so glaubwürdig. Aber wann ist der richtige Moment, um loszulassen?

Bewertung vom 29.11.2022
Miss Kim weiß Bescheid
Cho, Nam-joo

Miss Kim weiß Bescheid


sehr gut

Kraftvoll

Es ist diese Mal kein Roman sondern eine Sammlung von Kurzgeschichten, die Cho Nam-Joo unter dem Titel "Miss Kim" vereint hat. Im Zentrum stehen ganz unterschiedliche Charaktere - mit einer großen Gemeinsamkeit: Sie alle sind Frauen im modernen Südkorea. Das reicht, um auch im Leben der insgesamt acht Frauen, die jeweils alleine im Mittelpunkt der acht Kurzgeschichten stehen, große Parallelen zu schaffen. Dabei tauchen vor allem die Motive der Einsamkeit, der Bevormundung und der absoluten Überarbeitung immer wieder auf. Rund 30 Seiten braucht Cho Nam-Joo, um eine neue Welt zu eröffnen. Ob Mutter, Großmutter, Tochter, egal. Keine von ihnen kann ohne soziales Umfeld gedacht werden, jede ist auf der Suche nach sich selbst. Zurück bleibt die Ahnung, dass sich wohl sehr viele Frauen in Südkorea in diesen Erzählungen wiederfinden können. Ich bin schon jetzt gespannt, worauf wir uns von dieser Autorin als nächstes freuen dürfen!

Bewertung vom 27.09.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


gut

Die Einsamkeit der Großstadt

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ist ein interessanter Schauplatz für die junge, namenlose Erzählerin dieses Romans. Mit ihren Eltern von Ort zu Ort gezogen, ist sie heimatlos und versucht, in Den Haag Anschluss zu finden.
Während gegen Ende einige Erzählstränge offen bleiben, bleibt der Hauptstrang es nicht, was aus meiner Sicht eine vertane Chance ist. Allerdings gelingt Katie Kitamura vor allem eins: Ein tiefer Einblick in den Charakter ihrer Hauptfigur. Häufig sind erzählte Zeit und Erzählzeit weit auseinander - doch nicht etwa, weil so viel zusammengefasst wird. Sondern weil die Gedanken der Erzählerin abschweifen. Manchmal spannend, manchmal allerdings auch zu belehrend führt diese Technik dazu, dass man der Erzählerin immer näher kommt und ihre Namenlosigkeit gleichzeitig zur Verallgemeinerung ihrer Person führt. Und nicht wenige Charakterzüge beginnt man auch bei sich selbst zu hinterfragen.

Bewertung vom 20.09.2022
Snowflake
Nealon, Louise

Snowflake


sehr gut

Mutig Merkwürdig

Debbie ist anders. Das merkt man bereits ab Seite eins. Doch während zunächst unklar ist, ob dieses Anderssein an ihrer Herkunft von einem Bauernhof liegt, wird immer deutlicher, dass das nicht der einzige Grund ist. Autorin Louise Nealon reizt die Grenze zum Übernatürlichen aus. Ob sie sie übertritt, muss jeder und jede selbst entscheiden.
Klar wird mit der Zeit vor allem eines: Debbie ist alles andere als eine zuverlässige Erzählerin. Sie ist nicht unehrlich, dieses Gefühl hat sie mir nicht vermittelt. Vielmehr ist sie selbst nicht sicher, was wann genau wie und warum passiert. Das gibt dem Buch zusätzliche Spannung zur ansonsten pointierten und episodenhaften Lektüre. Es spricht für Nealon, dass das Ende nicht alles auflöst, Handlungsstränge in der Schwebe hält und Raum für Fantasie lässt. Denn das ist dieser Roman, der noch lange nachklingt, mit Sicherheit: Fantastisch.

Bewertung vom 05.09.2022
Eine Feder auf dem Atem Gottes
Nunez, Sigrid

Eine Feder auf dem Atem Gottes


sehr gut

Sie hat eine Passion für Ballett, eine deutsche Mutter und einen Vater, mit dem sie kaum spricht: Sigrid Nunez' schreibt zum ersten Mal über sich selbst - und wie. Es ist die Geschichte einer Frau, die angekommen und doch noch auf der Suche zu sein scheint. Geht das? Sie weiß was sie nicht will, aber was will sie?
Gespickt mit Zitaten, die zeigen, wie belesen Nunez ist, teilt sie den Roman in vier Teile, beginnend mit ihrem Vater. Über ihn weiß sie am wenigsten. Dann schreibt sie über ihre Mutter, ihre Jugend und einen langjährigen Liebhaber. Über andere zu schreiben erlaubt ihr, sich selbst einzugrenzen, abzugrenzen von denjenigen um sich herum. Ihre Sprache ist dabei klar und immer wieder assoziativ, ein Stil, der mir sehr gut gefallen hat. Wie nebenbei scheint sie Fragen der Gesellschaft zu erörtern. Rassismus, Sexismus oder unterschiedliche Lebensentwürfe. Je länger man ließt, desto klarer wird jedoch: Genau diese Themen sind es, die sie in ihrem innersten zu interessieren scheinen. Noch nie habe ich einen kurzweiligeren autobiographischen Roman gelesen.

Bewertung vom 25.08.2022
Beifang
Simons, Martin

Beifang


sehr gut

Frank ist neugierig. Worauf, das scheint er selbst nicht so genau zu wissen. Was er weiß ist, dass er mehr über das Leben, vor allem aber die Kindheit seines Vaters Otto herausfinden möchte. Doch der Vater schweigt. Frank wendet sich deshalb an einige der 11 Geschwister Ottos. Was sie erzählen, ist grausam.
Sehr erfolgreich baut Martin Simons seine Charaktere auf. Sie sind häufig unnahbar und trotzdem klar gezeichnet. Auf seine schlichte Art bekommt man beim Lesen das Gefühl, nur das Wesentliche wird erzählt. Aber was ist eigentlich das Wesentliche? Ich selbst wurde gedanklich erst gegen Ende dazu herausgefordert, Franks Wahrheiten in Frage zu stellen.
Ohne auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten bewegt sich die Handlung des Romans durch die Generationen. Fängt Stimmungen und Geschichten auf, zeichnet eine grausame Nachkriegszeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts und arbeitet heraus, woran es zwischenmenschlich ankommt. Sehr zu empfehlen!

Bewertung vom 25.08.2022
Die Familie
Krupitsky, Naomi

Die Familie


gut

Antonia und Sofia sind beste Freundinnen. Vielmehr: Sie sind auch Verbündete. Verbündete in einer Welt der Mafia. Es ist der Kosmos ihrer Väter im New York der 30er, in dem der Roman einsetzt. Joey und Carlo sind Teil der New Yorker Mafia und wissen beide nicht so recht, wie sie dort gelandet sind. Doch eines ist klar: Die Familie, die in diesem Fall die ganze Mafia ist, verlässt man nicht. Es sind authentische Figuren, mit denen Naomi Krupitsky ihre Geschichte aufzieht. Vor allem Antonia möchte man als Leser beistehen. Doch ab einem gewissen Punkt wirkt die Geschichte repetitiv über den Grad dessen hinaus, was es bräuchte, um die Eintönigkeit und Wiederholbarkeit der beiden Frauenleben zu zeigen. Sprachlich ist der Roman solide, gerade am Anfang tut die detailreiche Beschreibung von Gefühlen und Regungen gut. Gegen Ende wirkt die Art, Umgebung und Gedanken zu beschreiben, doch teilweise etwas lang.

Bewertung vom 26.07.2022
Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


sehr gut

Tamar Noort hat einen Roman geschrieben über den Sinn des Lebens. Es ist ein zurückhaltender Roman, der die richtigen Fragen stellt, vielschichtige Charaktere zeichnet und gut unterhält - was will man mehr? Als Elke, irgendwo zwischen Theologie Studium und Arbeit Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet und dabei plötzlich Gott wortwörtlich verliert, steht sie vor einer großen Leere. Mit der Zeit lernt sie, was sie vom Leben möchte, aber das geschieht langsam und behutsam. Sie lernt neue Menschen kennen, entfremdet sich von anderen und lernt dann wieder Schritt für Schritt, sich anzunähern. Dabei beweist Tamar Noort nicht nur Feingefühl für die Tiefen und Abgründe der Trauer, sondern auch viel Humor, der das Blättern von Seite zu Seite ganz leicht macht.
Elke macht Fehler. Sie zweifelt und muss Vertrauen neu lernen. Aber genau das macht sie so sympathisch und lässt den Roman so nah an uns heran.

Bewertung vom 25.07.2022
Violeta
Allende, Isabel

Violeta


gut

Violeta ist 100 Jahre alt, als sie auf ihr Leben zurückblickt und ihrem Enkel Camilo schildert, was ihr in all der Zeit passiert ist. Sie berichtet. Doch genau das ist die Schwäche des Romans: Sehr sachlich schildert die 100-Jährige von Flucht, Armut, Tod, neuer und alter Liebe und ihren Kindern. Am emotionalsten wird sie beim Berichten über die eigene Tochter, doch bereits wenn es um ihren Sohn geht, ist sie wieder distanziert.
Violeta hatte ein spannendes Leben, keine Frage. Eine emanzipierte Frau, ist sie früh selbstständig, sorgt für sich und ihre Familie und unterstützt andere, wo sie kann. Doch etwas zu häufig scheint alles zusammenzupassen, ein paar mal zu oft habe ich mich beim Lesen gefragt, ob ich ihr die Schilderung der Ereignisse nun abnehme oder nicht.
Allein die Perspektive macht sie selbstverständlich zur unzuverlässigen Erzählerin. Dann hätte ich mir jedoch eine passioniertere Erzählerin gewünscht.

Bewertung vom 11.06.2022
Nachtschwärmerin
Mottley, Leila

Nachtschwärmerin


sehr gut

Kiara ist 17, als sie ihre Miete nicht mehr bezahlen kann. Ihr Vater ist gestorben, die Mutter in der Reha, der Bruder will Rapper werden. Deshalb sieht sie keinen anderen Ausweg, als sich zu prostituieren. Nach kurzer Zeit schon fällt sie dabei der Polizei in die Hände. Doch anstatt sie zu beschützen, nutzt eine Reihe von Polizisten die Teenagerin zum eigenen Vergnügen. Sie kann nicht mehr zählen, wie oft sie mit den Männern schlafen muss, auf ihre Parties geht und wie oft sie dabei noch nicht einmal bezahlt wird. Es ist der Kampf einer verzweifelten jungen Frau um die Kontrolle in ihrem eigenen Leben. Eigentlich noch eher der Kampf eines Kindes, das zur Erwachsenen werden muss, viel zu früh. Leila Mottley legt ein brutales und gleichzeitig mitfühlendes Debut vor. Über die Realität in ihrer Heimatstadt Oakland. Über die Realität junger (schwarzer) Frauen. Über die Realität.