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alina_liest07

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2023
Nichts in den Pflanzen
Haddada, Nora

Nichts in den Pflanzen


sehr gut

Bitterböses Debüt
Als Leila, eine aufstrebende Drehbuchautorin, auf einer Party Leon kennenlernt, scheinen sich zunächst einige Türen zu öffnen. So erhält sie ihren ersten Vertrag mit einer bekannten Produktionsfirma und es scheint allen Grund zum Feiern zu geben. Doch zwischen glamourösen Partys, Erfolgsgeschichten und Affären gerät Leila immer mehr in einen Strudel aus Konkurrenzkämpfen, Schreibblockaden, Selbstüberschätzung und Zweifeln.

Nora Haddada wirft uns direkt hinein in Leila’s Gedanken und Gefühle und in die schöne Welt des Schein und Seins der Filmindustrie.
In modernen, flotten Schreibstil lässt uns die Autorin zwischen zwei verschiedenen Zeitebenen und zwischen den Monaten hin und her springen. Der moderne Stil und der teils bitterböse Humor haben mich die meiste Zeit gefesselt, an der ein oder andere Stelle wurde es aber auch anstrengend und die Autorin hat mich etwas verloren.

Besonders gelungen fand ich die Darstellung der wachsenden Selbstzweifel, des Zynismus und die Prokrastination der Protagonistin, so wie ihre immer verzweifelt wirkenden Handlungen. Aber auch Rassismus und Tokenismus, vor allem in der Filmindustrie, werden thematisiert. Dabei ist die Ich-Erzählerin Leila keine besonders sympathische Hauptfigur: Zwischen dem Mord an einer Katze, Affären und Partynächten, trifft sie doch mehr als nur eine fragwürdige Entscheidung. Gerade das finde ich aber auch erfrischend: Hauptfiguren müssen nicht immer sympathisch sein und können falsche Entscheidungen treffen

Ich habe „Nichts in den Pflanzen“ durchaus gerne gelesen und freue mich auf weitere Werke von Nora Haddana. Allerdings ist es auch keine Geschichte, die einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht hat und an die ich noch in Jahren denken werde.
Wer eine moderne, teils wirklich bitterböse Geschichte zu den Schattenseiten der Filmindustrie und dem dort herrschendem Konkurrenzdruck gerade, für aufstrebende Talente lesen möchte, ist hier aber sicher richtig.

Bewertung vom 24.07.2023
Der Trost der Schönheit
Arnim, Gabriele von

Der Trost der Schönheit


ausgezeichnet

Eine ganz besondere Suche
„Der Trost der Schönheit“ ist ein wunderschöner, sprachgewaltiger und schwer zu greifender Text der großartigen Gabriele von Arnim. Es ist ein außergewöhnliches Buch, dass sich der Suche nach Schönheit und Trost ebenso widmet, wie den schwierigen Fragen nach der Vergänglichkeit und Ambivalenz des Lebens.

„Der Trost der Schönheit“ arbeitet mit verschiedenen Stilen, der persönliche (Kindheits-)Erinnerungen und Erfahrungen mit philosophischen Gedanken und aktuellem Weltgeschehen verbindet.
Dabei streut die Autorin immer wieder tolle, sehr passende, berühmte Zitate ein, feste Kapitel gibt es keine. Das Gelesene hat mich mitgerissen und berührt und hat mir dennoch oder gerade deswegen viel Bedacht und Aufmerksamkeit abverlangt. Nicht immer konnte ich der Autorin in ihren Ausführungen sofort folgen und dennoch haben mich viele ihrer Zeilen mitten ins Herz getroffen.

Gabriele von Arnim schreibt unfassbar klug, neugierig, selbstreflektiert, lebensbejahend und ehrlich - ohne dabei jemals die Grausamkeiten und Ambivalenzen unserer Realität zu leugnen. Und so wandert die Autorin von Erinnerungen an ihre von Kühle und Distanz geprägte Kindheit, zu Erfahrungen des Älterwerdens und des Alleinseins zu aktuellen politischen Geschehen, das bestimmt wird durch Kriege und die Klimakrise. Viele Autor*innen hätten sich hier vermutlich verloren, Gabriele von Arnim schafft es scheinbar mühelos diese Themen und Gedanken zu verbinden und den Leser dabei mitzunehmen.

„Der Trost der Schönheit“ ist vor allem große Sprachkunst – dabei regt es zum Nachfühlen und Nachdenken an und zeigt uns die Schönheit im Kleinen und Alltäglichen.
Eine dringende Leseempfehlung für gute wie für schlechte Zeiten, und ein Buch, das im wahrsten Sinne des Wortes Trost spenden kann.

Bewertung vom 16.07.2023
Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
Knecht, Doris

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe


ausgezeichnet

Einfühlsame Bestandsaufnahme eines Lebens
Die namenlose Protagonistin steht an einem Wendepunkt in ihrem Leben: Ihre beiden Zwillinge ziehen nach bestandener Matura aus und die bisherige Familienwohnung wird für die alleinstehende Protagonistin zu groß und zu teuer. Während sie sich überlegt, wo und wie sie in Zukunft wohnen möchte, durchlebt und erinnert sie sich an viele Momente und Phasen in ihrem bisherigen Leben – vom Aufwachsen mit vier Schwestern, je zwei Zwillingspaaren, bisherigen Beziehungen, Trennungen und Entscheidungen.

Nachdem mir bereits Knechts‘ Vorgänger „Die Nachricht“ sehr gut gefallen hat, hatte ich entsprechend hohe Erwartungen an „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ – diese wurden übertroffen!
Mit feinem Blick und viel Einfühlsamkeit zeichnet die Autorin ein bewegtes Frauenleben, dass sich wie so häufig vor allem in den leisen Momenten und Rückblicken offenbart.
Die Erzählungen und Gedanken sind dabei nicht chronologisch sortiert. Sie springen zwischen Erinnerungen an die Kindheit und Studienzeit, sowie Mutterschaft und Trennung und ergeben dennoch immer Sinn und am Ende ein stimmiges Gesamtbild.

Selten bin ich einer Hauptfigur so gerne und mühelos durch ihre Erinnerungen und Gefühlen gefolgt. Knecht gelingt es hervorragend die verschiedenen Lebensphasen authentisch darzustellen. Besonders gefallen hat mir das Wohlwollen, die Selbstreflexion und die innere Ruhe, die die Hauptfigur immer wieder mit und in ihrem Leben und sich selbst findet.

Wer nur Plot getriebene Geschichten mag, wird mit „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ nichts anfangen können– allen anderen kann ich diesen tollen, ruhigen Roman nur empfehlen. Doris Knecht schafft es immer wieder interessante und authentische Frauenfiguren zu schaffen und mit den gesellschaftlichen Erwartungen und Vorstellungen zu spielen. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 26.03.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

Wunderschöne Coming-of-Age Geschichte

Caroline Wahl ist mit „22 Bahnen“ ein wirklich ganz besonderer Coming-of-Age Roman gelungen. So dürfen wir Tilda und Ida, zwei unzertrennliche Schwestern, auf rund 200 Seiten durch ihr Leben folgen. Und dieses ist mit einer alkoholkranken Mutter, abwesenden Vätern und finanziellen Sorgen alles andere als einfach. So muss sich Tilda neben ihrem Mathematik Studium und ihrem Nebenjob an der Kasse eines Supermarktes auch im ihre kleine Schwester Ida und ihre kranke Mutter kümmern. Und dann tritt noch Viktor in ihr Leben…

„22 Bahnen“ ist für mich jetzt schon der Sommeroman des Jahres - nicht nur spielt der Roman zum Großteil während der Sommerferien und das örtliche Schwimmbad ist, wie schon der Romantitel vermuten lässt, ein wichtiger Ort in dieser Geschichte. Die Autorin schafft es die Gefühle des Sommers auf einzigartige Weise einzufangen inkl. sommerlichen Gerüchen und Hitzegewittern. Das liegt auch an dem tollen, flotten und ganz eigenem sprachlichen Sound, der mir unfassbar gut gefallen hat.

Vor allem aber trifft dieser großartige Debütroman direkt ins Herz - die toll gezeichneten Figuren, allen allen voran Tilda und Ida, haben mich von Anfang mitfiebern und hoffen lassen. Und so ist die Beziehung zwischen diesen klugen, aufgeweckten Schwestern auch das absolute Herzstück und Highlight dieses Buches - und das trotz der ebenfalls toll erzählten Liebesgeschichte.

Trotz der teils schweren und rauen Themen, die auf sehr sensible und zärtliche Art und Weise behandelt werden, strahlt „22 Bahnen“ vor allem ganz viel Wärme, Liebe und Hoffnung aus. Ich habe Tilda und Ida auf jeden Fall in mein Herz geschlossen und werde noch häufiger an die Beiden denken. Ich kann diesen wundervollen Roman nur jedem empfeheln n und hoffe das möglichst viele Menschen, diese Geschichte entdecken.

Bewertung vom 20.03.2023
Das Ende der Ehe
Roig, Emilia

Das Ende der Ehe


ausgezeichnet

Eine im besten Sinne (heraus-)fordernde Lektüre

In ihrem neuen Sachbuch mit dem provokanten Titel „Das Ende der Ehe“ beleuchtet Emilia Roig die Ehe als staatliche Institution und die Folgen und Auswirkungen auf unser Zusammenleben. Von den finanziellen und gesellschaftlichen Privilegien, die mit der Ehe im Speziellen und heterosexuellen Paarbeziehungen im Allgemeinen ausgehen, zu unbezahlter Care-Arbeit und der gleichgeschlechtlichen Ehe, deckt die Autorin dabei ein großes Spektrum an Themen und Aspekten ab.

Dabei zeigt Roig nicht auf Individuen und spricht auch keiner Ehe oder Paarbeziehung ihr Glück oder ihre Daseinsberechtigung ab. Vielmehr weist sie auf strukturelle Probleme und Ungerechtigkeiten, die durch die Institution der Ehe entstehen und entstanden sind hin und sie scheut dabei nicht vor sensiblen und intimen Themen zurück - ganz im Sinne von „das Private ist politisch“.

Das binäre Geschlecht als Grundlage der Unterdrückung werden ebenso erklärt wie geschichtliche Zusammenhänge und die finanziellen Privilegien sowie Abhängigkeiten die durch die Ehe entstehen. Wie Emilia Roig richtig darlegt, sollte jede*r der sich um die Gender Pay Gap kümmert auch andere eklatante Lücken wie die Gender Tax Gap mitdenken.
Bei all dem hat Emilia Roig einen sehr angenehmen und pointierten Schreibstil und so schafft sie es auch die verschiedensten Aspekte und Hintergründe verständlich zusammenzuführen und darzulegen.

Auch wenn ich mich häufig mit feministischer Literatur und Gedanken beschäftige, hat mir diese Lektüre viele neue Denkanstöße beschert.
Das letzte, leider viel zu kurze Kapitel, bietet zudem einige Lösungsansätze über die ich weiter nachdenken werde. „Das Ende der Ehe“ ist eine Einladung Beziehungen neu zu denken und vor allem ein mutiges und ermutigendes Plädoyer für die Gemeinschaft - klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 25.02.2023
In blaukalter Tiefe
Hauff, Kristina

In blaukalter Tiefe


sehr gut

Atmosphärischer und mitreißender Segeltörn
Der Anwalt Andreas und seine Frau Caroline begeben sich zusammen mit Andreas’ Protegé aus dessen Kanzlei und dessen Freundin Tanja auf einen irgendwo zwischen Urlaub und Arbeitstrip liegendem Segeltörn im sommerlichen Schweden. Begleitet werden sie dabei von den mysteriösen und zurückgezogenen Skipper Eric. Nach und nach bröckelt jedoch die Fassade und es kommen Spannungen und Probleme ans Licht - und das soll nicht die einzige Gefahr bleiben.

Erzählt aus den unterschiedlichen Perspektiven der vier Segelteilnehmer, schafft es Kristina Hauff scheinbar mühelos ein atmosphärisches und stimmungsvolles Bild, sowie eine subtile Spannung zu erschaffen, die sich im Laufe immer weiter aufbaut. Die zahlreichen Beschreibungen der schwedischen Küstenlandschaft mit seinen vielen kleinen Inseln und den Schären sind dabei sehr gelungen und machen Lust auf einen eigenen Trip in diese Region.

Im Laufe des Roman entwickelt es sich immer mehr zu einem Kammerspiel auf See bezoehungswiese an Board. Zwischen den fünf Menschen und all ihren gesagten und ungesagten Wünschen, Provokationen und Verfehlungen braut sich auf engstem Raum ein Unglück zusammen.
Durch die kurzen Kapitel und wechselnden Perspektiven erschafft die Autorin eine temporeiche und mitreißende Geschichte, die ich in wenigen Stunden verschlungen habe. Dabei sind nicht alle Charakter sympathisch, im Gegenteil, sie sind durch und durch von Zweifeln und geheimen Bedürfnissen geplagt. Auch das macht „In blaukalter Tiefe“ aus.

Vor allem zum Ende hin kamen mir einige Geschehnisse und Charakterentwicklungen doch etwas überhastet vor und auch das Ende hat mich nicht hundertprozentig überzeugen können.
Nichtsdestotrotz hat mich „In blaukalter Tiefe“ wunderbar unterhalten und für einige Stunden auf einen spannenden Segeltörn versetzt - von mir gibts dafür eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 19.02.2023
Anti-Girlboss
Shehadeh, Nadia

Anti-Girlboss


sehr gut

Ein erfrischendes Plädoyer für ein Leben in der Komfortzone

Nadia Shehadeh liefert mit „Anti-Girlboss" vor allem eines: ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die kapitalistische Hustle Culture, für mehr Ausruhen und Nein sagen und ein Leben in der „Komfortzone“. In Zeiten in denen immer noch diverse Girlboss Trends auf Social Media hoch und runter laufen und der sogenannte Dienst nach Vorschrift mit „Quiet Quitting“ eine völlig fehlgeleitete Bezeichnung erhalten hat, ist dieser Aufruf nötiger denn je.

Es ist erfrischend und ermutigend die Autorin so offen und humorvoll über ihre liebste Freizeitbeschäftigungen sprechen zu hören: Vom Serien schauen, vom stundenlangen am Handy scrollen oder vom Schlafen. In Zeiten, in denen einen Selbstoptimierung und immer höhere „Girlboss“ Ziele vorgelebt werden, kann man sich schnell schlecht und unzulänglich fühlen. Umso wichtiger ist es mit neoliberalen Mythen und kapitalistischen Märchen abzurechnen.

„Anti-Girlboss“ liest sich dabei schnell und leicht. Nadia Shehadeh hat einen humorvollen und lockeren Schreibstil und flechtet neben ihrer eigenen Geschichte einige Beispiele und Anekdoten aus der aktuellen Popkultur ein, von der berühmt gewordenen Hochstaplerin Anna Delvey zu Aussagen von Kim Kardashian und der Kritik an sogenannten Nepo-Babies.

Was mir an der ein oder anderen Stelle gefehlt hat, war der rote Faden und auch einige Wiederholungen sind mir aufgefallen. Nichtsdestotrotz war eine „Anti-Girlboss“ eine unterhaltsame, durchaus lehrreiche Lektüre, die mit ihrer entwaffnenden Offenheit durchaus eine echte Seltenheit ist. Ich hab mich sehr gesehen gefühlt und hoffe dass noch sehr viel mehr Menschen sich aktiv gegen die sogenannte Girlboss Culture stellen und echten Fortschritt für alle, nicht nur für wenige fordern.

Bewertung vom 15.02.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


ausgezeichnet

Einzigartiges Familienporträt
Ein großes Anwesen am See, ohne Männer aber dafür mit umso mehr Geheimnissen, steht im Zentrum dieses Romanes - oder viel mehr die Frauen, die in ihm leben oder gelebt haben. Als die Großmutter stirbt, „Patriarchin“ dieser Familie, scheint ein Kartenhaus an Geheimnissen einzubrechen.

„Männer sterben bei uns nicht“ wird auf verschiedenen zeitlichen Ebenen und aus Sicht der Enkelin und angehenden Erbin des Familienvermögens samt Anwesen, Luise, erzählt.
So erfahren wir in Rückblenden von Luise Kindheit, von Lenis Verschwinden und von den toten Frauen im See. Zum anderen bringt der Tod der Großmutter in der Gegenwart lang behütete Geheimnisse hervor und so ergibt sich uns durch Luises Augen ein Puzzle aus Geheimnissen, Missgunst und Sehnsucht nach echter Nähe, Versöhnung und Verbundenheit.

Annika Reich hat es geschafft eine mysteriöse, dunkle und dennoch höchst faszinierende Stimmung zu erschaffen und die subtile Spannung bis zum Ende aufrecht zu erhalten. So bin ich, trotz durchaus herausfordernde Erzählweise, innerhalb kürzester Zeit nur so durch die Seiten geflogen.
„Männer sterben bei uns nicht“ zeichnet sich auch durch seine faszinierenden Figuren voller Ambivalenzen und den tollen Schreibstil aus. In den schwierigen und komplexen Beziehungen und Geheimnisse dieser Frauen spiegeln sich Neid und Manipulation, Verrat und Leid, aber es finden sich auch kleine Hoffnungsschimmer der Solidarität und des Mitgefühls. Und über allem liegt, im Schweigen vergraben, die Zeit des Krieges und die Fragen nach der Rolle der Familie in dieser Zeit.

In diesem Roman bleibt zwischen Gesagtem und Ungesagtem vieles unklar und im Dunkeln verborgen und regt dadurch zum Nachdenken an. Ich kann verstehen, dass der Erzählstil nicht jedem oder jeder zusagt, aber mich hat „Männer sterben bei uns nicht“ sehr berührt und fasziniert und ich kann diesen einzigartigen Roman nur empfehlen.

Bewertung vom 15.01.2023
Ohne mich
Schüttpelz, Esther

Ohne mich


ausgezeichnet

Tolles Debüt voller Humor und Tiefgang

Esther Schüttpelz nimmt uns in ihrem humorvollen und berührenden Debütroman „Ohne mich“ mit durch das chaotische Trennungsjahr der namenlosen Protagonistin. Noch mitten im Referendariat und Studium haben sie und ihr Ehemann sich nach nur kurzer Ehe und Beziehung getrennt.
Während ihre Freunde Auslandsaufenthalte absolvieren oder nach Berlin ziehen, versucht sie in Münster, nun alleine, in der ehemaligen Ehe-Wohnung wieder in die Spur zu kommen und ihre Examen zu beenden.

Esther Schüttpelz hat einen wirklich tollen, flotten und dichten Schreibstil, voller Humor und Ironie, der ganz viel Spaß macht und mich durch den recht schmalen Roman regelrecht hat fliegen lassen.
Aus der Ich-Sicht erzählt, sind die Gedankengänge der Hauptfigur sowohl herrlich komisch, als auch authentisch und berührend. Und obwohl die Protagonistin eine gewisse Distanz wahrt, so erfahren wir beispielsweise nie ihren Namen, so ist es eine sehr sympathischen Hauptfigur, der ich wahnsinnig gerne durch ihr Jahr zwischen Trennung, Referendariat, Examen, Musik und Partyexzessen gefolgt bin.

Die Autorin hat es für mich in "Ohne mich“ geschafft ein ganz bestimmtes Gefühl einzufangen: Irgendwas und irgendwo zwischen Verloren sein, Selbstfindung und Weitermachen. Dieses Gefühl ist gewiss nicht auf die Mitt-Zwanziger beschränkt, wird hier aber durch das Ende des Studiums, die Trennung und sich in die Welt verteilende Freundeskreise sehr schön eingefangen.

Mich hat Esther Schüttpelz mit ihrem schmalen, aber humor- und gefühlvollen Debüt voll überzeugt und ich bin jetzt schon neugierig auf ihre weiteren Werke. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 30.12.2022
Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?
Weber, Sara

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?


ausgezeichnet

Ein hochaktuelles, pointiertes und, trotz allem, mutmachendes Sachbuch

In ihrem ersten Buch zeigt Sara Weber die Probleme unserer heutigen (Arbeits-)Welt in Zeiten von anhaltenden Krisen und sich verändernden Gesellschaften und Bedürfnissen auf. Burnout, Quite Quitting und Fachkräftemangel - im ersten Teil legt die Autorin die strukturellen Problemen unsere Arbeitswelt dar und zeigt auf, wie Ungerechtigkeit und Ungleichheit dadurch weiter wachsen. Im zweiten Teil stellt (und beantwortet) Sara Weber verschiedene „Was wäre wenn..“-Fragen in Bezug auf unsere Art zu arbeiten.

Die Autorin bietet uns ein breites Spektrum an Beispielen von prekären, unter- oder unbezahlten Jobs und schlechten Arbeitsbedingungen: Von Essenlieferant*Innen und Pflegekräften, zu Lehrer*Innen, Erzieher*Innen und unbezahlter Care Arbeit.
Aber auch der allgegenwärtige Fachkräftemangel und die Macht, die Arbeiter*Innen damit zuteil wird, sind hier Thema. Wichtig und richtig ist es hier die Bedeutung von Gewerkschaften und Arbeiterbewegungen als Treiber für positiven Wandel zu nennen - wie die Autorin unter anderem an jüngsten Beispielen aus den USA darlegt.
Auch bleibt Weber nicht ausschließlich bei sogenannten Bürojobs, wo Remote Work und flexible Arbeitszeiten teilweise schon länger Fuß fassen konnten, stehen. Vielmehr erinnert sie daran, dass wir gerade systemrelevante und physische Arbeit unbedingt mitdenken müssen. Und sie ruft uns ins Gedächtnis, wie sehr strukturelle Diskriminierung, Rassismus und mangelnde Inklusion unsere heutige Arbeitswelt weiterhin prägen.

Die meisten Themen und Gedanken sind mit Sicherheit nicht neu, aber man kann sie nicht oft genug hören bzw. lesen - vor allem wenn auf so flotte, leicht verständliche und mit einer Prise Humor gespickten Art geschrieben wird. Neben Problembeschreibung- und Analyse liefert die Autorin auch viele Lösungsvorschläge, spannende Denkansätze und Forschungsergebnisse für eine bessere (Arbeits-) Zukunft.

Alles in allem eine klare Leseempfehlung. Wer sich schon mit dem Thema beschäftigt hat, dem wird einiges bekannt vorkommen - allerdings wurde es bisher selten in eine so kompakte, pointierte aber auch mutmachendende Form gepackt.