Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Juti
Wohnort: 
HD

Bewertungen

Insgesamt 711 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2025
Reichskanzlerplatz
Bossong, Nora

Reichskanzlerplatz


ausgezeichnet

die Lebensgeschichte eines Liebenden

Eigentlich könnte es ein harmloses Buch sein, eine Geschichte, die wir unendlich oft gehört haben, eine Dreiecksbeziehung. Doch selten ist zum einen, dass der Liebende schwul ist und dies in der Nazi-Zeit verbergen will und zum anderen ist es außergewöhnlich, dass die Geliebte Magda Quandt heißt.
Quandt ist bis heute eine der reichsten Unternehmerfamilien Deutschlands, was auch problematisiert wird, da das Unternehmen während der Nazi-Zeit von Zwangsarbeitern profitierte.

Noch viel brisanter wird die Geschichte, wenn man weiß, dass Magda Quandt sich scheiden ließ und Josef Goebbels heiratete. Die beiden waren die Vorzeigefamilie der Nazis, obwohl der Mann etliche Seitensprünge machte. Da zählt der eine Liebhaber Magdas ja nur als Vergeltung. In Wikipedia steht das der Führer selbst die Ehe retten musste, hier wird das eher am Rande erwähnt, weil in den Kriegsjahren die Hauptfigur in der italienischen Botschaft arbeitet und den direkten Kontakt zu Marta verliert.

Ein Buch über die existentiellen Dinge des Lebens, auch weil Magdas und Quandts Sohn Helmut stirbt, was historisch nicht stimmt. Dieser Sohn leitete mit seinem Halbbruder die Firma. Ich habe das Buch schnell und gerne gelesen. Selbst wenn, wie die Zeit schreibt, der Wikipedia- Artikel von Magda Quandt ausreichen würde, man muss ihn erstmal finden. Und dieses Werk ist viel emotionaler.
5 Sterne für ein Buch der Longlist, die im letzten Jahr viele gute Bücher hatte. Ich hoffe, dass ich die drei von mir noch nicht gelesenen Bücher der Shortlist genauso gut finde.

Zitate: Haben Sie schon Charlotte gesehen? […] In ihrem Dekolleté könnte man Fledermäuse verstecken! (76)
Die Weimarer Republik mit ihren kleinteiligen Parteien und Anliegen hatte sich nicht bewährt in dieser Zeit, in der eine Wirtschaftskrise auf die nächste folgte und die Menschen sich am Abend ins Bett legten, das schon verpfändet war, ehe sie wieder aufwachten. Weimar war etwas Gutes, solange die Suppenküche nur die drei, vier Verlorenen des Viertels bediente, die die Köchin beim Vornamen kannte, und nicht die Massen, die straßauf, straßab anstanden, Großfamilien, Kleinfamilien, einsame Alte, zuversichtliche Junge, die jeden Morgen auf die Straße traten, dass es auch wieder besser werden würde. (146)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.02.2025
Seelenzauber
Ayan, Steve

Seelenzauber


ausgezeichnet

Ein äußerst empfehlenswertes Buch, das über viele Persönlichkeiten der Psychologie berichtet. Wie Freud seine Psychoanalyse entwickelt. Wie Adler, der in Freuds Gesinnungskreis kaum zu Wort kommt und deshalb selbst eine freie Psychoanalyse entwickelt.

Auch die Verhaltenstherapie von Watson wird zum Thema, weil besagter Mann die Traumdeutungen und die verdrängte Erfahtungen von Freud für Unsinn hält.
Auch der Urvater aller Selbstoptimierer und Verkäufer Gutmann hat später Amerika erobert.
Wie gesagt, sehr empfwehlenswert.

Bewertung vom 13.02.2025
Auf allen vieren
July, Miranda

Auf allen vieren


sehr gut

Das feuchteste Buch des Jahres

Buchse auf und rubbel die Katz! So lautet die Devise für dieses Buch. Natürlich ist die Handlung dann irgendwann egal. Die Ich-Erzählerin hat Torschlusspanik, dass nach der Menopause der Östrogengehalt so sinkt, dass sie keine Lust mehr hat. (Grafik 215)

Auf Seite 315, also erst im letzten Drittel steht der Satz, der zum ersten Auftritt von Sam gehört hätte: „Sam ist nonbinär. Geschlechtsneutrale Pronomen dey/demn.“ Passend darauf die Antwort: „Ah, verstehe. Das ist ja ganz was Neues“


Also, das Buch hat schon seine Mängel und gegen Ende habe ich vor lauter Gefummel den Faden verloren. Sagen wir mal 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.02.2025
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


ausgezeichnet

Die Revolution entlässt ihre Kinder

Ein Russland-Roman in westeuropäischer Kürze. Doch nicht Putin ist das Thema, sondern Lenin und seine Gräueltaten.
Alles wird beschrieben von einer hundertjährigen Architektin, die auf Ereignisse im Jahr 1922 zurückblickt. Damals musste sie mit ihren Eltern auf dem Philosophenschiff die Sowjetunion verlassen. Nur warum durfte sie, warum wurden sie nicht gehängt oder geköpft?

Nebenbei sei bemerkt, dass sich auch ein Mathematiker auf dem Schiff befand, der dem Mädchen folgendes Rätsel gibt. Ein zum Tode Verurteilter hat noch einen letzten Satz frei. Ist der Satz richtig wird er geköpft, ist der Satz falsch, wird er gehängt. Doch wenn der Verurteilte den richtigen Satz findet, kommt er frei. Lest dieses Buch, erfahrt die Antwort!

Der Autor erwähnt wie schon Sargnagel den Roman „Oblomow“, wo die Hauptfigur nur im Bett liegt. Offenbar ist sein Werk in Österreich nationales Kulturerbe.

Weiter werden viele russische Künstler zitiert, doch manches ist auch Fiktion. Ich habe dieses 220 Seiten kurze Büchlein schnell und gern gelesen. 5 Sterne. Oblomow lese ich noch in diesem Frühling.

Zitate:
Ich war vierzehn Jahre alt und hatte bereits einen Busen. Meine Mutter sorgte sich, dass er sehr groß werden könnte. Weil er schon so früh anfing. Er ist dann ja au. ch groß geworden. […] Die Damen zu der Zeit […] bevorzugten einen kleinen Busen oder gar keinen. Am besten gar keinen. Pech gehabt. Sonst war ich noch ein Kind. Sogar mehr ein Kind als die anderen Mädchen in meinem Alter, die noch keinen Busen hatten. Außerdem störte er beim Turnen und ich war eine gute Turnerin und tat es gern. (13)

Ich habe eine Liste von Dingen zusammengestellt, die wir als Erstes vergessen wollen (104)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.01.2025
Vierundsiebzig
Othmann, Ronya

Vierundsiebzig


sehr gut

Der Genozid an den Jesiden

Eigentlich ist mit ja egal, ob dieses Buch ein Roman ist oder nicht. Wäre es ein Sachbuch, hätte es nicht am Deutschen Buchpreis teilgenommen und wäre nicht oder erst später bei mir gelandet, weil ich - wie jedes Jahr – die ganze Shortlist lesen will.

Nach den beiden Nieten startet dieses Buch fulminant mit dem 3. August 2014, dem Tag als der Islamische Staat (IS) die Jesiden überfiel. 2018 fliegt sie zum ersten Mal ins Zweistromland, um mehr von diesem Genozid zu erfahren. Anfangs bedrückt mich die ganze Gewalt, die Kämpfe, die Morde, die Vergewaltigungen, die Entführungen.

Mir wird klar, dass die Autorin so keine 500 Seiten füllen kann und deswegen beschäftigt sie sich auch mit dem Familienbesuch, denn ihr Vater ist Jeside und ein großer Teil der Familie lebt noch im Morgenland, also in den heutigen Staaten Irak, Syrien, Türkei und Armenien.

Letztere beide werden auch ausführlich behandelt, haben doch die Türken 1916 einen Völkermord an den Armeniern verübt. Die Autorin zählt dann viele Völker auf, die „Geschwister“ der Jesiden sind, weil sie einen Völkermord erlitten haben. Im Museum in Erbil ist auch der Völkermord an den Asyrern (bin nicht ganz sicher, vielleicht hießen sie anders) dargestellt, den hier kaum jemand kennt.

Zwischenzeit wird ausführlich das Gerichtsverfahren gegen Jennifer W. Geschildert, die in Falludscha in der Sommerhitze ein 5jähriges Mädchen einfach verdursten ließ.

Während die meisten (früheren) Wohnorte der Jesiden im Kurdengebiet in Syrien und im Irak liegen, beschäftigt der Schlussteil sich mit einer Reise in die „Umstrittenen Gebiete“, die nicht von Erbil sondern von Bagdad aus verwaltet werden. Der Großvater der Autorin wurde schon in der Türkei umgebracht, der Rest der Familie konnte mit dem Auto ins Sindschar-Gebirge flüchten.

Die Autorin hat große Mühe aufgewandt und sich von „Ich schreibe“ über „Ich lese“ zu „Ich notiere“ weiterentwickelt. Zwischendurch behandelt sie auch die Geschichte der Jesiden, aber nur europäische Reisende scheinen schriftliche Quellen hinterlassen zu haben. Die jesidische Religion hat keine Bücher. Warum die Jesiden von ihren Nachbarn auch „Teufelsanbeter“ genannt werden, wird aber mit keinem Wort erwähnt und Carsten Niebuhr aus dem 18. Jahrhundert scheint die Autorin nicht zu kennen.

Es kann also noch ein dritter „Roman“ folgen. Für diesen gibt es 4 Sterne, das beste Buch der Shortlist, das ich gelsen habe, aber es folgen noch ein paar.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.01.2025
Pixi Wissen 74: Dinosaurier und Urzeittiere
Hoffmann, Brigitte

Pixi Wissen 74: Dinosaurier und Urzeittiere


ausgezeichnet

Warum 74?

Stell dir vor es wären 75! Wer soll das denn alles lesen!

Bewertung vom 24.01.2025
Ich denke ganz oft an dich

Ich denke ganz oft an dich


ausgezeichnet

Ich find so schön von dir, dass du an mich denkst und gebe dir 5 Sterne.

Bewertung vom 23.01.2025
Weiter nach Osten
Kerangal, Maylis de

Weiter nach Osten


ausgezeichnet

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

2012 ist die französische Originalausgabe erschienen. Damals gab es keinen Ukraine-Krieg. Deswegen geht die Reise nach Osten über die Transsibirische Eisenbahn, ein Ort meiner Sehnsucht. Rekrut Aljoscha steigt ganz im Westen ein, doch wird er vorher von zwei seiner Kameraden blaut und rot geschlagen. Er kann in den Zug fliehen, doch die Lust zum Militär, wenn es sie je gab, ist verschwunden.

Da ist ihm das Glück hold. Er trifft im Zug Helene, eine Französin, die seine Sprache zwar nicht spricht, aber durch die blaue Flecken im Gesicht ahnt, was geschehen ist. Sie versteckt Aljoscha in ihrem 1.Klasse-Abteil.

Zunächst wird die Geschichte aus Aljoschas Sicht erzählt. Erst als Helene die Bühne betritt, wird die Erzählung auktorial. Selbstverständlich sucht das Militär den Desertierten und ob das erfolgreich ist, erzeugt auf den letzten 40 Seiten eine knisternde Spannung, die auch ich nicht nehmen will.

5 Sterne für diese kurze Novelle.

Bewertung vom 22.01.2025
Männer, die die Welt verbrennen
Stöcker, Christian

Männer, die die Welt verbrennen


sehr gut

Schon erstaunlich, welche Macht die Öl- und Gaskonzerne haben. Und sie schaden der Demokratie. Schließlich kommt das Öl aus den größten Diktaturen der Welt.
Die gute Nachricht: Wir brauchen es bald nicht mehr. Die erneuerbaren Energien und die Speichermöglichkeiten steigen exponentiell. Mal sehen, wie sich Trump mit Musk einig wird, der ja bekanntlich E-Autos verkauft. 4 Sterne

Bewertung vom 19.01.2025
Iowa
Sargnagel, Stefanie

Iowa


sehr gut

Wiener Humor

Eigentlich brauch ich nix zu erzählen. Die Autorin reist nach Iowa, mitten in den USA, aber kein Trump-Staat sondern ein Swingstaat. Aber der Clou ist: Die deutsche Musikerin Christiane Rösinger reist mit und kommentiert die Erzählung der Autorin. Wenn es sie nicht wirklich geben müsste, hätte sie erfunden werden müssen.

Der Inhalt ist klar. Amerikaner, gerade mitten auf dem Land, fahren alles mit dem Auto und ernähren sich total ungesund. Dass es dort auch noch teuer ist, war mir neu.
Auch die Gespräche der beiden Frauen werden problematisiert, wobei mir nur noch der Feminismus und die tickende biologische Uhr in Erinnerung geblieben ist.

Weniger gefallen hat mir, dass das ganze Buch keine Kapitel, ja nicht einmal Abschnitte kennt, so dass ich für die 302 Seiten doch ungewöhnlich lang brauchte. Vielleicht hätte der Verlag auch eine etwas größere Schrift wählen können.

Von den Büchern der Shortlist ist dieses das Beste, das ich bisher gelesen habe. Aber Luft nach oben besteht immer noch. 4 Sterne