Benutzer
Benutzername: 
easymarkt3
Wohnort: 
...

Bewertungen

Insgesamt 866 Bewertungen
Bewertung vom 24.02.2024
Di Stefano, Patrizia

Nostalgia Siciliana


sehr gut

Eine herzerwärmende Biographie
Das Cover könnte sehr gut für eine Werbekampagne der Tourismusbranche über Sizilien um 1940 herhalten, passend zum nostalgischen Buchinhalt. Dieser Familienroman spielt sich zwischen Berlin und Sizilien ab, abwechselnd in Rückblenden erzählt, mal aus der Sicht von Vater Giovanni Di Stefano, Gianni, dem Pizzakönig, ab 1949, mal von Tochter Tita erzählt ab 1973. Ein Anruf des Notars aus Marina di Ragusa macht im Jahre 2004 die Regelung der Erbschaftsangelegenheit um Magni, einem bäuerlichen Anwesen, zum zentralen Ausgangspunkt des Romans. Erinnerungen und Aufzeichnungen der Familie Di Stefano über dieses Landgut Magnì zwischen Ragusa und dem ehemaligen Fischerort Mazzarelli spiegeln ein warmherziges, wenn auch finanziell karges, arbeitsames Familienleben wieder. Die Biografie des italienischen Gastarbeiters Gianni betont die enge Bindung zur sizilianischen Familie, zu seiner über alles geliebten Heimat trotz seines familiären und beruflichen Erfolges in Deutschland. Seine Zerrissenheit in diesen zwei Welten kommt neben dem historischen Zeitgeschehen, sizilianischer Kulturgeschichte mit Sagen, Märchen, Aberglauben und Geschichten dieser Insel nicht zu kurz. Diese Liebeserklärung an ihren Vater, der in Deutschland die Tiefkühlpizza erfand, überzeugt durch einfühlsam beschriebene Emotionen zwischen Heimweh, Melancholie und Trauer. Die Angaben zu seinem liebenswürdigen Charakter überstrahlen die negativen Fakten wie die Cosa Nostra, dysfunktionale Bürokratie, Müllchaos, Arbeitslosigkeit und Brände Siziliens. Aber auch die Repressalien, die Distanz und Ablehnung der deutschen Bevölkerung, ihre Essgewohnheiten aus der Sicht der Gastarbeiter kommen zur Sprache. Insgesamt ein interessantes Spiegelbild eines Gastarbeiters und seinem familiären Umfeld in zwei sehr verschiedenen Welten.

Bewertung vom 22.02.2024
Jansen, Maria

Schura


sehr gut

Unverarbeitete Trauer und ein wenig märchenhafte Magie
Das Cover verdeutlicht bildlich, wie die junge Hauptfigur Schura auseinander fällt und lautlos weint in ihrer traumatischen Trauer. In dieser russischen Familiengeschichte geht es um die junge Schura und ihrem besonders engen Verhältnis zu ihrem ältesten Bruder Kostja, der plötzlich verschwindet. Ihr Zusammenleben mit Großeltern, Eltern und ihren älteren Brüdern in einer russischen Stadt in Karelien und auf der Datscha ihrer Großeltern wird umfassend liebevoll, teils mit deftig herbem Wortschwall beschrieben. In ihrer trauernden Seelenwanderung besonders während ihres Medizinstudiums bei Anatomiestudien erfolgt nach jahrelanger Wut und Feindseligkeit gegenüber ihrer Umwelt ein unerwartetes Wiedersehen mit Kostja – nur für sie sichtbar, geschaffen aus Erinnerungen und Traurigkeit. Beim Sezieren zwischen Brust und Bauchhöhle empfindet sie das dazwischen liegende Zwerchfell als Sitz der Seele vergleichbar mit der Rolle von Kostja in ihrer Familie. Mit der Romanfigur der Babka Jasja kommt ein märchenhaftes Erzählelement mit heidnischer Magie des slawischen Kulturraums ins Spiel, der der schwermütigen russischen Seele Erleichterung verschafft bis zur Erlangung neuer Freiheiten. Russisch/kyrillisch durchzieht das Buch zusammen mit Beschreibungen zu typischem Brauchtum und Ritualen. Ein interessanter, feinfühliger, bildhafter Sprachstil mit kreativen Wortkombinationen.

Bewertung vom 21.02.2024
Rennefanz, Sabine

Kosakenberg


sehr gut

Der schwierige Prozess der Neuerdung.
Das Cover zeigt einen Eierkarton mit 4 weißen Eiern und einem braunen, vielleicht als Symbol für vier Kosakenberger- vielleicht Freundinnen oder Familienmitglieder, während Kathleen, die weibliche Hauptfigur, als braunes Ei die entfremdete Städterin darstellen könnte – bildlich passend zum Buchinhalt. In zehn Kapiteln geht es um Heimfahrten ins brandenburgische Heimatdorf Kosakenberg, reflektierend über ihre Kindheit, über Eier als Zahlungsmittel nicht nur zu DDR-Zeiten. Durch ihren Umzug nach London verlässt sie ihre zu eng gewordene Heimat, verliert ihre Dazugehörigkeit zur Dorfgemeinschaft und sogar zu der Familie. In dieser Rückbesinnung auf das Herkunftsmilieu scheint Kathleen mit ihrem erfolgreichen Selbst im Londoner Berufsleben zu kämpfen, auch weil ein solch städtisches Leben, wie sie es führt, in Kosakenberg gar nichts zählt. Der Versuch, in der neuen Heimat seine alte Heimat zurückzugewinnen mit neuer Identität, schmerzhafter Abnabelung und Selbstfindung scheint nur schwer zu verwirklichen zu sein, denn die alte Heimat bleibt nur Erinnerung. Einige Klischees zu Ossis und Wessis tauchen nur am Rand auf. Historisches Zeitgeschehen wie z. B. den Brexit, Paul McCartney auf einer Einweihungsparty, einer Ostdeutschen als Kanzlerin, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach der Wiedervereinigung oder Wölfe in Ostbrandenburg, Proteste in Sachsen gegen den Anstieg der Einwanderung aus muslimischen Ländern ist eingeflochten. Der Schreibstil ist klar, eher sachlich und direkt. Reflektionen über den emotionalen Wert von Zuhause werden angeregt.

Bewertung vom 20.02.2024
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal (eBook, ePUB)


sehr gut

Macht über das eigene Schicksal
Die weibliche Hauptperson Odile Ozanne erzählt von ihrem zunächst geregelten Leben in einem besonderen Tal, mit Stacheldraht umzäunt und viel Gendarmerie nebst strengen Verhaltensregeln. Identische Dörfer existieren in östlicher und westlicher Richtung, nur auf der Zeitskala um 20 Jahre versetzt. Allein mit begründeter Besuchserlaubnis darf man unter Einhaltung strenger Regeln benachbarte Täler besuchen, um geliebte Familienmitglieder zu sehen. In Besuchern hinter Gesichtsmasken aus der Zukunft erkennt Odile zufällig die Eltern ihres jugendlichen Freundes Edme. Dadurch weiß sie mit 16 Jahren von dessen baldigem Tod und hadert schwer mit dem ihr darüber auferlegten Schweigen. Jedoch mit 36 Jahren, degradiert auf den Rang einer neuen Kadettin, greift sie in ihr bisher unbefriedigendes Leben ein und flieht ins Tal ihrer Vergangenheit, um wichtige negative Ereignisse in ihrem Leben vor zwanzig Jahren noch rechtzeitig rückgängig zu machen. Auf diesem gefährlichen Weg sorgen reichlich viele negative Figuren für Spannung und kreative Twists. Verschiedenste Charaktere sind klar beschrieben in dieser fantasievollen, kreativen Fiktion. Thematisiert werden die erste Liebeserfahrung Jugendlicher und das Leben in einem Überwachungsstaat ohne Freiraum für eigene Entscheidungen.

Bewertung vom 16.02.2024
Sack, Adriano

Noto


gut

Ein Land mit großer Geschichte: Sizilien
Das Cover überzeugt durch die südländische Vegetation in malerischen, warmen Farben eines Sonnenuntergangs – sehr ansprechend. Thematisch geht es zunächst um die sensible Trauerbewältigung von Konrad Grubinger um seinen Partner Adriano, dessen Restasche mit auf der Reise nach Noto auf Sizilien ist. Dort lebende, befreundete deutsche Expats bilden den Rahmen für einen verklärten Rückblick auf gemeinsame Jahre dieses Paares mit Hausbau, diversen Ausflügen rundum die Insel Sizilien und Aktivitäten mit Freunden. Sowohl die positiven, touristischen Highlights werden belichtet als auch die problematischen Seiten der Gegenwart wie Brandgefahr und massiver Bürokratie und ihrer Vergangenheit wie die Mafia und ihre Bekämpfung werden kurz erwähnt. Informatives über den Sizilianischen Zwergelefanten, über Amphibienflugzeuge der Marke Canadair zur Brandlöschung oder über die Operation Husky der Alliierten 1943 wird eingeflochten. Das Tagebuch von Adriano erzählt von einer Mattanza – Thunfischjagd - auf der Insel Favignana, von einer Prozession in Siracusa. Wildpferde aus den Nebrodi-Bergen und eine Saunahöhle laden zu Ausflügen ein. Vorgestellt wird die Insel in ihrem malerischen Zerfall mit jahrhundertealten, immer noch gepflegten Traditionen, ihren Märkten. Der Schreibstil ist bisweilen etwas langatmig, der rote Faden inhaltlich manchmal wie Tagebucheinträge unterbrochen.
Insgesamt eine berührende Abschiedsreise nach tragischem Verlust des geliebten Partners.

Bewertung vom 15.02.2024
Everett, Percival

James


sehr gut

Was für ein unwürdiges Leben als Sklave der Südstaaten Amerikas!
Die Szenerie spielt rund um den Mississippi, um Ortschaften wie z.B. Hannibal, Fourmile Island, Saverton, in der Nähe von New Orleans etc. bis nach Edina, Missouri. In Anlehnung des Romans Huckleberry Finns Abenteuer von Mark Twain findet sich im Original dieses Autors auch das Südstaatenenglisch des 19. Jahrhunderts unter den Sklaven wieder, was für den Übersetzter sicher eine besondere Herausforderung darstellt und dem Leser zumindest anfangs den Lesefluss beeinträchtigen mag. Dieses Pigeon-English wird hier bewusst als Distinktionsmerkmal gegenüber dem Standardenglisch der weißen Bevölkerung eingesetzt, sind doch Sklaven als Angehörige vermeintlich primitiver Völker retardiert, einfältig und nur mehr Tier oder Arbeitsmaschine. Interessant sind die Reflektionen von Locke, Montesquieu, Voltaire, Diderot, Rousseau über Ungleichheit, Rasse, Sklaverei, Albinismus. Diese Philosophen der Aufklärung kannten wohl genau die Wirklichkeit der Sklaverei in den Kolonien. Die Hauptfigur Jim, ein verheirateter Sklave mit Tochter, des Lesens und Schreibens kundig, spielt jedoch den Dummen aus Selbstschutz. Um seinem Verkauf zu entkommen, flieht er zusammen mit dem Jungen Huckleberry, Huck genannt, und erlebt als gejagter Entflohener viele Abenteuer. In seinen Träumen ist er z.B. mit Montesquieu der Meinung, dass wir, ungeachtet von Hautfarbe, Sprache oder Gepflogenheiten, alle gleich sind. Auch der historische Moment des Kriegs zwischen den Nord- und Südstatten Amerikas ist geschickt eingeflochten mit einem positiven Ausgang für James alias Jim. Die Sklaverei und der Sklavenhandel wurden übrigens letztlich nicht allein (und nicht einmal hauptsächlich) aus moralischen, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen abgeschafft.
Interessanter Lesestoff!

Bewertung vom 13.02.2024
Benedict, Marie

Das verborgene Genie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.5


ausgezeichnet

Was ist eigentlich aus der Wissenschaft geworden, die einfach nur um ihrer selbst willen betrieben wird?
Das interessant gestaltete Cover zeigt eine junge Frau, durch eine geschwungene, mittig verlaufende Schlangenlinie teils als Röntgenbild und teils als Retrofoto dargestellt. Dadurch ergibt sich schon ein deutlicher, sinnvoller Hinweis auf den Buchinhalt. Die Hauptperson als Erzählerin ist Rosalind Elsie Franklin, britische Biochemikerin, Spezialistin für die Röntgenstrukturanalyse kristallisierter Makromoleküle mit Grundlagenforschung über die Molekularstruktur von Ribonukleinsäure, Viren und Graphit. Ihr wichtigstes Forschungsergebnis ist jedoch die mathematische Analyse ihrer Röntgenbeugungsdiagramme der Desoxyribonukleinsäure, die die Voraussetzung ist zur Aufklärung der Doppelhelixstruktur der DNA. Die fiktive Rosalind dieser Autorin stützt sich auf die brillante Biografie Rosalind Franklin and DNA von deren amerikanischen Freundin Anne Sayre, geschrieben 1975. Diese äußerst strebsame Wissenschaftlerin mit all ihrem verborgenen Genie wird als Tochter, Schwester, Freundin, Kollegin, Geliebte und Ikone porträtiert während ihrer unermüdlichen Forschungstätigkeit in Paris und London. Rosalinds enormes, bahnbrechendes Vermächtnis zu DNA und RNA sind international bahnbrechende, unschätzbare Erkenntnisse. Ihre unvergesslichen Verdienste für die Menschheit in historischem Kontext sind in beeindruckendem Schreibstil aufbereitet, auch wenn die wissenschaftliche Materie für Laien schwer zu packen sein mag. Eine starke, kluge Frau inmitten einer hart umkämpften Männerwelt der Forschung nach dem 2. Weltkrieg – ihr gebührt Hochachtung.

Bewertung vom 12.02.2024
Tallert, Kurt

Spur und Abweg


gut

Sprunghafte Gedankengänge, komplizierter Schreibstil.
Das Cover macht neugierig, zeigt es doch Harry Tallert in einem Fenster mit Blick auf ein Krokodil im unteren Ausschnitt. Das autobiografische Werk über die deutsch-jüdische Familie Tallert verfolgt die Spur des halbjüdischen Vaters Harry, die sein Sohn Kurt anhand von diversen Unterlagen wie Notizbüchern, Fotos, Briefen, Recherchen und eigenen Erinnerungen nachzuzeichnen versucht. Besser nachvollziehbar sind die niedergeschriebenen Gedanken, Ängste und Traumata des Vaters als die manchmal sprunghaften gedanklichen Streifzüge des Autors über internationalen Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung. Diese schwer verständlichen Abwege sind zum Teil seinem zu komplizierten Schreibstil geschuldet, der auch den Lesefluss behindert. Bei zu langem, verschachteltem Satzbau vermag man schlecht den beschriebenen Inhalt herausfiltern. Der rote Faden verliert sich manchmal in nicht nachvollziehbaren philosophischen Gedankengängen. Familienbezogene Informationen dieser Familiengeschichte in Bezug auf die Nazizeit sind ebenso interessant und emotional greifbar wie darin eingeflochtene historische Gegebenheiten.

Bewertung vom 11.02.2024
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


ausgezeichnet

Geschichten über ein Land, das es nicht mehr gibt. 5*
Heinz Labensky, alias Einstein, jetzt 78 Jahre alt, beleuchtet sein Leben ab 8 Jahren als Außenseiter in dem kleinen Ort Briesen in Brandenburg während einer langen Reise im Flixbus von Erfurt über Leipzig und Berlin auf nach Rostock-Warnemünde. Unter diesem interessanten Spannungsbogen entfalten sich nicht nur sein abenteuerliches Leben in der DDR und sein besonderer Charakter in originellen Wortwendungen und humorvollem Schreibstil. Auffällig bildlich beschrieben ist sein Charakter wie z.B.so:
Manchmal landete er mit seinen Gedanken ja in Sackgassen, die zu schmal waren, um darin zu wenden.
Er saß eher unbeteiligt da wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Er kam sich lebensphilosophisch vor wie am Katzentisch ohne Besteck.
Auch das Leben seiner besten, hoch intelligenten Freundin Rita aus Kindheitstagen entpuppt sich als Matrjoschka-Puppe, schält sich schließlich überraschend aus mehreren Zwiebelschalen. Ein Brief von Ritas Tochter bildet Anstoß und Endpunkt dieses teils philosophischen Romans mit tiefschürfenden Überlegungen von Heinz z.B. zu Wunschdenken oder was wirklich wichtig im Leben sei. Das Leben in der DDR, besonders in Ostberlin wird informativ klar beschrieben. Auch zeitgeschichtliche, politische Ereignisse die BRD und die DDR betreffend sind geschickt plaziert. Die Parolen, Werbesprüche und Flüsterwitze der DDR tragen zur Aufheiterung der an sich beklemmenden Gesamtsituation bei. Insgesamt ein menschlich berührendes Leseerlebnis.