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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 759 Bewertungen
Bewertung vom 19.11.2020
Morley, Christopher

Das Haus der vergessenen Bücher


sehr gut

Wenn man Carlos Ruiz Zafóns "Friedhof der vergessenen Bücher" kennt, wird man auch neugierig auf "Das Haus der vergessenen Bücher". Es sind unterschiedliche Werke, in denen Abenteuer, Liebe und Verbrechen eine Rolle spielen, umwoben von einer Gemeinsamkeit, der Liebe zur Literatur.

Christopher Morley nimmt die Leser mit auf eine Reise, die seicht beginnt und im weiteren Verlauf an Spannung gewinnt. Im Jahr 1919 betreiben Roger und Helen Mifflin ein Antiquariat in Brooklyn. Roger ist ein Literaturexperte und besessen von der Welt der Bücher. Unterstützt wird er von der jungen Hilfskraft Titania Chapman.

Von Werbung hält Roger nichts und so blitzt Aubrey Gilbert von der Werbeagentur "Grey Matter Agency" bei ihm ab. Aber Aubrey bleibt im Gespräch, da er sehr von der hübschen Titania angetan ist. Die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Aubrey und Titania decken aber nur eine Facette der Geschichte ab.

Ein Buch von Thomas Carlyle über Oliver Cromwell spielt eine große Rolle. Warum ist das Interesse an diesem Buch so groß? Warum ist es zeitweise aus dem Regal verschwunden? Aubrey schöpft Verdacht und verfolgt eine wichtige Spur, deren weitere Verfolgung mit Gefahren verbunden ist.

Aufschlussreich sind die Diskussionen, die Roger Mifflin mit den Mitgliedern des Maiskolbenklubs, einem Literaturgesprächskreis, und mit Titania führt. "Unser Motto dort drüben [Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg] muss „Amerika zuletzt“ lauten, und darauf sollten wir stolz sein, …". (114)

Auch wird das Verhalten der republikanischen Partei kritisiert. "Ich [Roger Mifflin] für meinen Teil wäre bereit, die ganze republikanische Partei zu opfern." (115) Und die Großstadtkirchen kommen wegen ihrer Haltung schlecht weg. (119) Hundert Jahre alte Diskussionen, eingebunden in einen Roman, wirken erhellend.

Der Bezug zum gerade beendeten Krieg wird an verschiedenen Stellen deutlich, insbesondere im Gedicht des französischen Soldaten Charles Sorley: "An Deutschland. Verblendet seid ihr, so wie wir. Niemand hat eure Schmerzen je gewollt, und niemand wollte euer Land als Beute sehn. ...". (162)

Bewertung vom 13.11.2020
Eschbach, Andreas

Das Jesus-Video / Jesus Video Bd.1


ausgezeichnet

Bei einer Ausgrabung in Israel im Auftrag des einflussreichen Geldgebers John Kaun, Vorstandsvorsitzender der Kaun Enterprises, einer weltweit agierenden Holdinggesellschaft, findet Grabungshelfer Stephen Foxx in einer Parzelle ein Skelett, welches auffallend anachronistisch wirkt.

Das 2000 Jahre alte Skelett eines Mannes weist eindeutig Spuren auf, die nicht in die Zeit passen. Dazu gehören moderne Zahnfüllungen sowie ein Beutel mit der Beschreibung einer Video Kamera, die selbst zum Zeitpunkt der Ausgrabung noch nicht auf dem Markt erhältlich ist. Handelt es sich um die Überreste eines Zeitreisenden?

Die Gruppe um Kaun entwickelt die Theorie, dass der Mann, der in der Region von Jesus gelebt hat, diesen mit seiner Kamera aufgenommen haben könnte. Das würde die Grundlagen des christlichen Glaubens erhärten oder erschüttern. Es beginnt eine abenteuerliche Suche nach der Kamera, die auch für den Vatikan existenziell ist.

Der Roman ist vom Anfang bis zum Ende spannend. Eschbach glänzt mit Kreativität und Detailwissen. Auf der Jagd nach der Kamera werden Theorien entwickelt und wieder verworfen. Der Kirche ist daran gelegen, die Wahrheit zu verschleiern. Das Thema ist politisch, technisch, theologisch und philosophisch brisant.

Bewertung vom 13.11.2020
Camus, Albert

Die Pest


sehr gut

Albert Camus beschreibt die Entwicklung und Auswirkungen der Pest in der französischen Präfektur Oran an der algerischen Küste im Jahr 194' aus der Perspektive von Dr. Bernard Rieux, einem couragierten Arzt, der gegen die Seuche ankämpft.

Zu Beginn sterben die Ratten und später die Menschen. Über Oran wird der Ausnahmezustand verhängt. Niemand darf die Stadt verlassen. Das geordnete Leben in der Stadt bricht zusammen. Die Menschen verkriechen sich in ihren Wohnungen.

Der atheistische Arzt Rieux kämpft aktiv gegen die Seuche an, während der Jesuitenpater Paneloux in seiner Predigt die Pest als Strafe Gottes zur Züchtigung des Menschen bezeichnet. Die Protagonisten gehen unterschiedlich mit der Situation um.

Es sind Handlungsorientierung, Liebe und Solidarität gefragt, statt Egoismus, Aberglaube und Fatalismus, auch wenn die Situation absurd erscheint. Wer die Absurdität in den Fokus rückt, verliert den Kampf gegen die Seuche.

Die Pest ist gekommen wie eine finstere Wolke und sie verschwindet auch irgendwann wieder, ohne, dass die Betroffenen es erklären können. Sie steht metaphysisch für das Böse, welches die Menschheit von Zeit zu Zeit heimsucht.

Es ist kein Zufall, dass der Roman in den 1940er Jahren entstanden ist. Das Böse steht sinnbildlich für die Okkupation Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Auch wenn die Gefahr gebannt ist, bleibt das Böse im Menschen latent vorhanden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.11.2020
Borchert, Wolfgang

Draußen vor der Tür


ausgezeichnet

Das Buch besteht aus dem Drama "Draußen vor der Tür", vierzehn Kurzgeschichten und einem Nachwort von Heinrich Böll aus dem Jahre 1955. Borchert gehört, insbesondere wegen seiner überzeugenden den Nerv der Zeit treffenden Nachkriegsbeschreibungen, zu den wichtigsten Autoren deutscher Nachkriegsliteratur. Seine eigenen Erfahrungen fließen in seine Geschichten ein.

Der deutsche Soldat Beckmann kehrt nach 3 Jahren russischer Gefangenschaft heim in seine Heimatstadt Hamburg. Er ist traumatisiert, gebrochen vom millionenfachen Tod und hat Schmerzen aufgrund seiner Kriegsverletzungen. Verarmt und hungrig stellt er fest, dass er kein Zuhause mehr hat. Er fühlt sich von der Gesellschaft verlassen und fragt nach der Verantwortung für die Gräueltaten des Krieges.

Die Leser werden in diesem Drama mit Kälte, Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit konfrontiert. Die Gesellschaft hat ihr Mitgefühl verloren. So eindringlich, das gilt auch für die Kurzgeschichten, kann nur jemand schreiben, der die Abgründe des Krieges erlebt hat. In dem Buch finden sich Menschen wieder, die die Zeit erlebt haben. Es ist zugleich eine Mahnung an nachfolgende Generationen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.11.2020
Bambaren, Sergio

Das weiße Segel


gut

Eine Reise zu sich selbst

Bei diesem Buch handelt es sich um ein modernes Märchen, in dem Sergio Bambaren deutlich macht, worauf es im Leben wirklich ankommt. Kate und Michael, ein junges Paar aus Auckland, sind mit ihrer Lebenssituation unzufrieden. Sie erwerben ein Segelboot, kappen alle beruflichen und privaten Verbindungen zu ihrer Heimat und stechen in See. Sie begeben sich auf eine Entdeckungsreise.

Auf ihrer einjährigen Tour lernen sie unbekannte Kulturen kennen, tauschen sie Erfahrungen mit fremden Menschen aus, lernen sie mit Gefahren umzugehen und finden sie letztlich zu sich selbst. Ein magisches Buch, welches sie von einem Freund geschenkt bekommen haben, inspiriert sie auf ihrer Reise. Die Geschichte enthält einige Zufälle und zahlreiche bekannte Lebensweisheiten.

Die Charaktere sind einfach gestrickt und die Geschichte ist vorhersehbar. Die These des Buches "Folge Deinem Herzen" lädt zum Träumen ein, denn die Realität ist komplizierter. Der Autor fordert die Leser auf, wie Coelhos andalusische Hirte in "Der Alchimist", aus dem Alltag auszubrechen, sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben, Risiken einzugehen und das Schöne in der Welt zu suchen.

Bewertung vom 27.10.2020
Akyün, Hatice

Einmal Hans mit scharfer Soße


gut

Zwischen den Welten

Journalistin Hatice Akyün, in Anatolien geboren und in Duisburg aufgewachsen, kennt sowohl die türkische als auch die deutsche Kultur. Sie sagt von sich selbst, dass sie zu deutsch sei, um eine Türkin zu sein, und zu türkisch sei, um sich eine Deutsche zu nennen. Mit Charme und Selbstironie beschreibt sie ihren Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Welten.

Ihre Ausführungen sind unterhaltsam und humorvoll, aber auch sehr subjektiv. Sie beschreibt Episoden aus ihrem Leben, wobei Familie, Freundschaften und Essensgewohnheiten dominieren. Ihre Ausführungen sind lustig, erhellend, aber auch sehr klischeehaft, wenn es um die Charakterisierungen von Deutschen und Türken geht. Über ihr Berufsleben schreibt sie nicht.

Hatice Akyün führt kein durchschnittliches Leben, sondern das Leben einer unabhängigen selbstständigen Karrierefrau. Insofern entspricht ihre Lebenswirklichkeit als erfolgreiche Journalistin auch nicht dem Durchschnitt. Die Unabhängigkeit hat ihre Grenzen, wenn es um die Partnerwahl geht. Beziehungen kann man viele haben, aber als Ehepartner kommt nur ein Mann infrage, der beschnitten ist.

Erhellend fand ich ihre Erlebnisse auf der Autofahrt in die Türkei. Ob ein türkischer Hochzeitsbrauch, bei dem rote Bänder um die Taille der Dame gewickelt werden, wirklich unterhaltsamer ist, als das Zersägen eines Baumstammes bei manchen deutschen Hochzeiten, darüber ließe sich streiten. Die Autorin schreibt keine durchgängige Geschichte, aber sie liefert einen Beitrag zum Verständnis unterschiedlicher Kulturen.

Bewertung vom 12.10.2020
Kast, Bas

Der Ernährungskompass


sehr gut

Gesunde Ernährung ist möglich

Das Buch enthält die Quintessenz aus zahlreichen ernährungswissenschaftlichen Studien. Bas Kast macht deutlich, von welchen Nahrungsmittel wir mehr essen sollten, weil sie gesund sind und welche wir aufgrund der Nebenwirkungen meiden sollten. Menschen reagieren unterschiedlich auf Stoffe in Lebensmitteln und so kann jeder auf Basis der zusammengestellten Hintergrundinformationen seinen eigenen Essensfahrplan erstellen.

Nicht alle Erkenntnisse sind neu und es kann unterschiedliche Wege geben, sein individuelles Ziel zu erreichen. Positiv ist, dass der Autor undogmatisch an das Thema herangeht und sich jenseits von Ideologien mit Gesundheitsfragen auseinandersetzt. Das Buch ist, wie der Titel schon sagt, ein Kompass, eine Orientierungshilfe für gesunde Ernährung. Jeder muss seinen eigenen Weg finden zwischen Genuss und Gesundheit.

Kast untersucht die Grundstoffe der Nahrung und ihre Auswirkungen auf den menschlichen Organismus, er analysiert verschiedene Diäten, geht auf unterschiedliche Fastenkuren ein und thematisiert den Einfluss des Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers auf die Nahrungsaufnahme. Im Epilog stellt er 12 Ernährungstipps zusammen, die das Destillat seiner umfangreichen Untersuchungen darstellen.

Bewertung vom 01.10.2020
Al-Zein, Mahmoud

Der Pate von Berlin


sehr gut

"Doch Menschen betrachten Dinge unterschiedlich, und die Entwicklung des Verhältnisses zwischen zwei Leuten erscheint je nach Perspektive in einem anderen Licht." (238)

Die Lebensgeschichte von Mahmoud Al-Zein, der als Jugendlicher aus dem Libanon geflüchtet ist und sich zum "Paten von Berlin" entwickelt hat, ist spannend zu lesen. Im Fokus stehen Familie, Respekt, Autorität, Ehre und Freundschaft, aber auch der brutale Kampf zwischen rivalisierenden Gruppierungen.

Institutionen wie Polizei, Ausländerbehörde, Justiz und Presse kommen bei diesen Betrachtungen schlecht weg. Die Integration, so der Eindruck, ist fehlgeschlagen. Einige Gründe werden genannt. Stattdessen hat die Bandenkriminalität zugenommen. Diese regeln Streitigkeiten meist untereinander.

Der Autor erzählt seine Lebensgeschichte aus seiner Perspektive. Es wäre interessant, zu verschiedenen Ereignissen und Entwicklungen die jeweils andere Seite zu hören. Der Preis für die Macht ist hoch, wie er heute einsieht und auch an die jüngere Generation weitergibt. Dennoch ist seine heutige Rolle nicht transparent geworden.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2020
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


gut

Gustav Mahler (1860 – 1911) war ein weltberühmter österreichischer Dirigent und Komponist. In dem Buch beschreibt Robert Seethaler eine Sequenz aus dem Leben des großen Musikers. Es handelt von seiner letzten Schiffsreise von New York nach Europa. Mahler ist krank und gebrechlich. Ein Schiffsjunge betreut ihn.

Mahlers Musik steht nicht im Fokus, sondern der Mensch, der sich dahinter verbirgt. Auf dem Schiff passiert nicht viel, der Roman lebt von den Erinnerungen an sein früheres Leben, an seine Familie und seine nicht immer einfache Art im Umgang mit Mitgliedern des Orchesters.

An Deck des Schiffes dominieren die Gespräche Mahlers mit dem Schiffsjungen. Dieser kennt den Musiker nicht, weiß aber, dass es sich um einen Direktor handelt. Es sind diese Unterhaltungen über das Frühstück, über fliegende Fische oder über den Sonnenaufgang, die den Menschen Mahler skizzieren.

In dem Portrait kommt der Musiker Gustav Mahler zu kurz. Die Ausführungen wirken insgesamt seicht. Der Musiker wirkt verletzlich, melancholisch, nachdenklich. Für ein abgerundetes Bild des berühmten Musikers reicht nicht eine Facette aus der Endphase seines Lebens, sondern ist eine umfangreiche Biographie erforderlich.