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MarcoL
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Füssen

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Insgesamt 258 Bewertungen
Bewertung vom 06.11.2022
Habekost, Britta

Melodie des Bösen / Kommissar Julien Vioric Bd.2


ausgezeichnet

Ein brillant recherchierter Krimi im Paris von 1925, geprägt vom Jazz.

Paris 1925, die Surrealisten sind präsent, leben ihr Leben in vollen Zügen, und genießen die neue aufstrebende Musik. Eine Musik abseits von Zwängen und Genres, frei wie das Leben es sein sollte, voller Schwung und Elan, abseits aller Konventionen. Der Jazz hat Paris erobert, sehr zum Argwohn der musikalischen Traditionisten. Es kommt zu Gewalt und Ausschreitungen, und der Rassismus schaukelt sich hoch in kaum dagewesen Höhen. Denn schließlich sind viele der Jazzmusiker Schwarze, oder Kreolen. Der vorläufige Höhepunkt: ein menschliches Herz wird am Grab von Fredéric Chopin abgelegt.
Spätestens jetzt ist die Polizei gefordert, denn dieser grausame Fund erinnert an eine ungeklärte Straftat aus dem Jahr 1913. Lieutenant Julien Vioric konnte den Fall damals nicht lösen. Nun sollte sich eine zweite Chance ergeben. Und dies vorerst gegen seinen Willen. Monate zuvor hatte er seinen Dienst quittiert, um einer Liebe wegen nach Antibes zu gehen. Doch er kehrt nach Enttäuschungen zurück in sein geliebtes Paris, und wird just vom Präfekten wieder in den Polizeidienst eingeführt, ohne Julien lange zu fragen. Der Präfekt ist Juliens jüngerer Bruder, arrogant bis in die Haarspitzen, mehr an seiner gesellschaftlichen Stellung interessiert als an den Grundzügen seines Postens, sprich die Antipathieperson non plus ultra.
Während der Ermittlungen gerät Vioric natürlich sofort in den Dunstkreis des Jazz mit all seinen Protagonist:Innen. Zusätzlich geraten die beiden Journalistinnen Heloise und Lysanen zwischen die Fronten … ein Katz und Maus Spiel beginnt.
Brillant recherchiert erzählt uns die Autorin von einer weiteren Epoche aus dem Paris der Zwanziger Jahre, mit alle seinem Glamour, und auch mit all den Schattenseiten. Der angeführte Rassismus trifft einen beim Lesen mit voller Wucht, und lässt mich immer wieder an der Menschheit zweifeln (natürlich auch in Anbetracht aller gegenwärtiger Probleme).
Manchmal poetisch, mal sehr direkt, bringt sie uns die Geschichte näher, lässt die handelnden Personen sehr authentisch und plastisch wirken. Es ist im Prinzip der Nachfolgeroman von „Stadt der Mörder“, kann aber ohne weiteres als eigenständiger Roman gelesen werden. Sehr aufschlussreich und interessant fand ich auch das Nachwort der Autorin zur Person von Nancy Cunard, welche eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat.
Ich gebe hier gerne eine Leseempfehlung für diesen historischen #Krimi , und bin schon sehr gespannt, in welche Kreise uns Britta Habekost in ihrem nächsten Paris-Roman führen wird (ich hoffe zumindest darauf).

Bewertung vom 16.10.2022
Atwood, Margaret

Penelope und die zwölf Mägde


ausgezeichnet

Ein episch genialer Pageturner und eine etwas andere Darstellung von Homers Odyssee

Der Roman erschien bereits 2005, auch in einer deutschen Übersetzung. Die vorliegende Ausgabe wurde neu (und sehr genial) übersetzt.

Die Odyssee. Von einem Mann geschrieben, für Männer geschrieben. War es so, wie es Homer darstellt.? Alles nur fiktiv? Oder war es ganz anders? Oder nur auf die heroischen Teile zurecht gemünzt? War Penelope wirklich die tugendhafte Ehefrau, welche über 20 Jahre lang brav auf ihren Mann gewartet hat? Und warum mussten zwölf Mägde letzten Endes ihr Leben lassen?
Die Autorin geht den Fragen nach, stützt sich zwar in erster Linie auf Homer, aber bedient sich auch anderer Quellen (im Anhang erläutert). Denn all diese Sagen und Legenden wurden vorerst ja nur mündlich weiter gegeben.
Atwood nimmt den Stoff neu auf, und erzählt uns die Geschichte aus der Sicht von Penelope. Und in Chören und Gesängen kommen die Mägde zu Wort. Die Sagenwelt rund um Odysseus rückt so in einer etwas anderes Licht, die heldenhaften Abenteuer hätten ja auch anders interpretiert werden können. 
Die Sage wird etwas entzaubert, das Patriarchat angeprangert. Strahlende Königinnen werden zu Opfern, Könige zu schwachen Säufern. Die Heiratspolitik tut ihr übriges.
Aber wie war es denn nun wirklich? Natürlich weiß es niemand, aber Penelope webt (wie auch in der Mythologie) ein sehr glaubhaftes Bild über ihre Geschichte. Sie spart auch nicht an Kritik, sowohl all der Umstände, wie auch an sich selbst. Und dann war noch die schöne Helena …
Der Roman ist rasant, spielt mit Bildern, stellt vieles in Frage und manifestiert dennoch die ein oder andere Meinung. Die Sätze triefen teilweise vor Sarkasmus, ein Umstand, der mir sehr gut gefallen hat und das ganze Buch zu einem wahren Pageturner und Jahreslesehighlight macht.

S.51: „Und so wechsle ich den Besitzer wie ein abgepacktes Stück Fleisch. Mit der Besonderheit, dass die Verpackung aus reinem Gold bestand und wertvoller war als der Inhalt. Ich war sozusagen eine vergoldete Presswurst.“
S.89: „Dann wieder war Odysseus bei einer Zauberin gelandet, die seine Männer in Schweine verwandelte – was bei den Kerlen offen gestanden keine große Leistung ist.“

Neben Penelope kommen die Mägde zu Wort, in Sprechgesängen und Chören gemäß dem epischen Vorbild. Sie singen von sich, rücken ihr Schicksal in das Licht des Geschehens, sprechen aus, was Sache ist, prangern ihren Mord an und stellen die Frage, warum sie mit den Belagerern von Osysseus' Haus gehängt wurden.
Übrigens: Penelope und die Mägde erzählen uns dies alles erst, als sie schon tot sind und in der Unterwelt wandeln, und dabei auf die ein oder andere Bekannte oder Zeitgenossen treffen. Sehr genial, wie ich finde und gebe hier für dieses Ausnahmebuch eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 13.10.2022
Jennings, Karen

Eine Insel


ausgezeichnet

Der Mensch und der Geflüchtete! Ein starkes Thema in einem wunderbaren Roman! Pageturner!

Samuel lebt seit mehr als 20 Jahren auf einer kleinen Insel als Leuchtturmwärter. Die südafrikanische Küste ist nicht weit weg, alle zwei Wochen kommt ein Versorgungsschiff, bringt das Nötigste, und ein kleiner Plausch ergibt sich auch. Das genügt Samuel völlig an sozialen Kontakten, mehr mutet sich der Siebzigjährige nicht zu. Seine Hütte ist karg, Wind und Wetter ausgeliefert, dem Verfall immer mehr preis gegeben.
Vieles wird angeschwemmt, meist Unnützes, selten Brauchbares. Oftmals sind auch Leichen im Treibgut, welche er dann notdürftig bestattet, denn die Regierung am Festland kümmert es nicht. Es sind Flüchtlinge, welche auf schwerer See ihre Passage mit dem Leben bezahlten.
S.12: „Wir können nicht jedes Mal auf die Insel kommen, wenn irgendwelche Ausländer auf der Flucht ertrinken. Die gehen uns nichts an.“
Eines Tages findet Samuel ein Fass, welches er gut gebrauchen kann, und einen leblosen Körper. Zuerst gilt es, das Fass zu bergen, dann würde er sich um den Toten kümmern. Doch der Mann ist nicht nicht tot, und so erbarmt sich Samuel seiner, hilft ihm so gut er kann, und würde den armen Kerl mit dem nächsten Schiff aufs Festland schicken.
Die sprachliche Barriere verhindert eine Konversation, und die spärlichen Handzeichen und Gebärden führen zu Missverständnissen. Samuel bekommt Angst um sein Leben, eine alte Paranoia steigt aus seinem Inneren hervor, mach ihn krank und lässt ihn zeitweise nicht mehr klar denken.

Während der Erzählung von der Insel schwenkt die Autorin zurück auf Samuels Lebensgeschichte. Von seiner Kindheit, geprägt durch Armut und soziale Abgeschiedenheit. Das Land stöhnte unter der Kolonialmacht, die Unabhängigkeit machte es nicht viel besser. Der Präsident wurde gestürzt, ein Diktator übernahm die komplette Kontrolle über den kleinen Staat. Es gab Widerstandsbewegungen – und viele Gefangene und Tote. Mehr erzähle ich nicht … selber lesen!, denn dieses Buch ist ein wahrer Pageturner, brillant und eiskalt erzählt. Jennings zeichnet ein sehr scharfes Portrait von Samuel und seinen Lebensumständen.

Subtil und unterschwellig werden nicht nur Regime, sondern die ganze globale Lebensweise, welche den Planeten an die Wand fährt, an den Pranger gestellt. Die Menschheit schottet sich selber ab, lebt wie Samuel, ohne Empathie, ausländerfeindlich. Um die armen Geflüchteten will sich niemand kümmern, sie sind ein unerwünschtes Treibgut im Meer der Gesellschaft.
S.66: „Und heute sagt uns die Landkarte, wer wir sind und wo wir sind, aber uns hat nie einer gefragt, ob das auch stimmt.“
Das Buch erschien im Original (An Island) 2019 und war für den Booker Prize nominiert – sehr zu recht, würde ich sagen. Es ist der erste Roman (von vier) der Autorin, welcher ins Deutsche übersetzt worden ist (bitte mehr davon). Absolute Leseempfehlung für dieses Lesehighlight.

Bewertung vom 09.10.2022
Haohui, Zhou

Die blinde Tochter / Die 18/4-Serie Bd.3


ausgezeichnet

Episch! Spannung pur!

Das ist der atemraubende, abschließende Teil der 18/4 Trilogie. Der Rächer Eumenides ist gefasst, und sitzt im Hochsicherheitstrakt der Gefangenenanstalt in Chengdu seine Haftstrafe ab. Aus Mangels an Beweisen hat er nur fünf Jahre bekommen, welche er in Ruhe absitzen möchte. Doch dann taucht ein Mithäftling auf, erste Fluchtpläne werden noch zur Seite geschoben. Doch der „Neue“ scheint etwas zu wissen, … und während neue Pläne geschmiedet, die Hackordnung in der Zelle neu gestaltet wird, geht es in der Stadt drunter und drüber.
Denn es ist keineswegs Ruhe eingekehrt. Neue, selbsternannte Bosse der Unterwelt, schenken sich nichts, und ein blutiger Machtkampf um die Vorherrschaft beginnt. Hauptmann Pei Tao von der Polizei und Sonderermittler ist gewieft, nutzt die Gunst der Stunde, und kann die beiden kriminellen Lager gegeneinander ausspielen.
Doch dann gelingt Eumenides die Flucht, und eine junge blinde Frau wird zum alles entscheidenden Drehpunkt. Wie es wohl ausgeht – wird von mir natürlich nicht verraten.
Ich kann aber sagen: Alles drei Teile sind nägelabkauend spannend, von der ersten bis zur letzten Seite.
Der Autor hat hier quasi eine eigene Welt geschaffen, wie es mir scheint. Handlungen, Beziehungen und Taten erstrecken sich über neunzehn Jahre, sind miteinander sehr geschickt verwoben. Für mich grenzt es an ein Wunder, dass der Autor hier nie den Überblick verliert, alles fügt sich nahtlos in einer unglaublichen Perfektion ineinander. Ereignisse vom 18.4.1984 werfen nach wie vor ihre langen Schatten bis ins Jahr 2003, zum ultimativen Showdown. Kein einziges Mal hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass ein Detail der Logik nicht folgte. Im Gegenteil – der Inhalt strömt wie in einem reißenden Fluss dahin, ohne Wiederkehr, aber dennoch mit überraschenden Wendungen und einer Story, welche wirklich unvorhersehbar ist.
Ganz großes Kompliment an Zhou Haohui und den Übersetzer Julian Haefs. Ich bin/war schwer begeistert, und gebe hier eine absolute Leseempfehlung für alle Freunde von Thriller und Krimis.

Bewertung vom 06.10.2022
Cho, Nam-joo

Miss Kim weiß Bescheid


ausgezeichnet

Normalerweise bin ich nicht unbedingt ein Freund von gesammelten Erzählungen, aber hier habe ich eine Ausnahme gemacht – und sie hat sich sehr gelohnt. Ich bin schwer begeistert von dem Buch der koreanischen Autorin.
Sie erzählt uns acht Alltagsgeschichten von und über Frauen, wie sie mit ihren Leben, Ängsten, Sorgen und Nöten klarkommen. Oder wie die Gesellschaft und ihr Umfeld auf diese Frauen Einfluss nehmen. Es gibt bittere, gesellschaftskritische Töne genauso wie heitere, oder sogar selbstkritische Texte der Autorin.
Es sind verschiedene Situationen, mit welchen diese koreanischen Frauen klarkommen müssen, und Cho Nam-Joo erzählt darüber, nicht bewertend, sondern objektiv, in einer wunderbaren Sprache. Ich hätte da ewig weiterlesen können, so leicht gingen diese teilweise auch schwierigen Themen über die Seiten. Bei einigen der Episoden kann man durchaus eine Globalisierung der Themen vornehmen, denn sie betreffen bestimmt alle Frauen auf der Welt.
Zum Beispiel: die Beendigung einer Beziehung in Briefform „Lieber Hyunnam“, welche ich sehr genossen habe, oder über das „Entsorgen“ und Mobben von Personal „Miss Kim weiß Bescheid“ (mein persönlicher Favorit). Diese Erzählungen habe ich sehr genossen, natürlich auch alle anderen. Auch „Die Nacht der Polarlichter“ ist eine wundervolle Beschreibung über die Macht von Sehnsucht und Wunscherfüllung.
Das Buch ist nicht wirklich ein Aufschrei, aber ein klares Statement, wie das Patriarchat agiert, dominiert, verletzt und unterdrückt. Es ist auch ein Hilferuf und ein Mutmacher.
Somit gebe ich sehr gerne eine ganz klare Leseempfehlung ab, und bin mir sehr sicher, dass ich die ein oder andere Geschichte bestimmt nochmals lesen werde.
Auch möchte ich hier noch erwähnen, dass Haptik und Optik vom Feinsten sind, und das Buch somit wirklich rundum mehr als gelungen ist. Großes Kompliment natürlich auch an die Übersetzerin Inwon Park.

Bewertung vom 05.10.2022
Gorcheva-Newberry, Kristina

Das Leben vor uns


ausgezeichnet

Berührend, sensibel, und dennoch ein wahrer Pageturner

Westliche Popkultur ist selten in der ehemaligen Sowjetunion in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, dennoch versuchen Milka und Anja jeden zu ergatternden Schnippel in die Finger zu bekommen.
Beide sind beste Freundinnen, und Milka, deren Familie als dysfunktional bezeichnet werden kann, verbringt die meiste Zeit bei Anja. Deren Eltern besitzen akademische Grade, die politischen Ansichten sind dennoch sehr konträr. Die Großmutter ist Überlebende der Leningrader Blockade und leidet still vor sich hin, während dar Vater die Zustände im Land verherrlicht und die Mutter mit Wut und Sarkasmus auf die Zustände reagiert.
Die 90er beginnen – die Perestroika gibt Anlass zur Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen ist innig, endet aber sehr tragisch. Anja geht zum Studium noch vor dem Fall der Sowjetunion in die USA, und kehrt nach 20 Jahren wieder zurück. Russland hat sich verändert, und ihre Eltern bitten sie um Hilfe. Immobilienmogule durchkämmen das Land, versuchen den Einwohnern jedes Stück Land und Parzelle abzuluchsen – so auch Obstgarten und Datscha von Anjas Eltern. Der Zwangsverkauf soll verhindert werden.
Während dieser Zeit bricht vieles auf, es geraten Dinge an die Oberfläche, welche sehr schmerzen, und dennoch aufklären.
Die Autorin hat mit diesem sehr innigen Roman ein Opus über Exil und Heimat geschaffen; Zerfall, Verlust, Freundschaft gehen Hand in Hand. Er ist sehr berührend, und dennoch ein richtiger Pageturner. Das Buch findet Anlehnung an den „Kirschgarten“ von Anton Tschechow. Die russische Volksseele, eine Kultur geprägt von Traurigkeit und Wehmut quillt auf fast jeder Seite hervor – ganz große Literatur und absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 29.09.2022
Sigurdardóttir, Yrsa

SCHNEE


ausgezeichnet

Spannend von der ersten bis zur letzten Seite ist dieser Thriller – den man mit wenigen Attributen beschreiben kann: Nordisch düster und isländisch mystisch.
Vier Menschen entschließen sich spontan, mit einem Wissenschaftsstudenten durch die Weiten des Isländischen Hochlandes zu wandern. Das Projekt soll Daten über die Gletscher vermitteln. Frisch, frohen Mutes und bestens eingekleidet machen sie sich auf den Weg – kaum jemand weiß über diesen Trip Bescheid. Eine armselige Schutzhütte wird als Obdach dienen genauso wie Zelte.
Das Wetter ist unwirsch. Sturm und Schnee sind die ständigen Begleiter.
Als sie vermisst werden, wird ein Rettungsteam geschickt, und findet … was nicht verraten werden darf. Aber es ist sehr mysteriös und teilweise spooky.
Ein anderer Handlungsfaden beschäftigt sich mit Hjörvar, einer der beiden Mitarbeiter einer Radarstation. Die Autorin webt ein perfektes Psychogramm um ihn, seiner Familie und seinen spärlichen sozialen Kontakte.
Was haben beide Stränge miteinander zu tun? Oder mit Johanna, welche Mitglied des Rettungsteams ist. Oder einem einzelnen Kinderschuh? Und dann die Stimmen, Visionen … alles nur Einbildungen eines erschöpften Verstandes?
Das alles ist nicht nur mysteriös, sondern bietet dem Leser auch das ein oder andere Gänsehautfeeling. Und alles eingepackt in trostlosen Weiten von Islands Natur … sehr stimmungsvoll.
Die Auflösung lässt lange auf sich warten, und kommt am Schluss fast etwas zu schnell und heftig daher. Man überlegt und grübelt dann schon mal, ob das alles tatsächlich so hätte laufen können … da war ich ein wenig überfordert mit dem abrupten Ende. Nichtsdestotrotz gibt es eine Leseempfehlung von mir, für alle Freunde von Thriller und die gerne nordische Bücher lesen.

Bewertung vom 22.09.2022
Slimani, Leïla

Schaut, wie wir tanzen


ausgezeichnet

Familienepos und Gesellschaftsstudie, wundervoll erzählt!

Marokko 1968, die Familiengeschichte der Belhajs geht weiter und führt uns in ein arabischen Land im Wandel. Frankreich verliert immer mehr an Einfluss, die Kolonialzeit ist definitiv vorbei, der wieder eingesetzte König Hassan versucht, seine Autorität auszubauen.
Der Jugend geht es verhältnismäßig gut. Studium, Partys und der Hauch eines DolceVita ist zumindest jenen vergönnt, die es sich leisten können. Die 68er Welle schwappt von Europa her rüber, die Hippies entdecken das Land und günstige Rauschmittel.
Mitten drinnen ist Aicha, Tochter von Mathilde Belhaj, eine Elsässerin, und Amine, ihrem marokkanischen Vater. Er hat durch harte Arbeit seine Landwirtschaft ausbauen können. Er traf zur passenden Zeit die richtigen Entscheidungen und ist Eigentümer eines florierenden Unternehmens. Dadurch wurde es Aicha auch ermöglicht, in Straßburg Medizin zu studieren und lernt eine komplett andere Welt kennen.
Zurück im Maghreb trifft sie auf eine Welt, welche noch wie eingefroren scheint und sich dennoch in einem Wandel befindet. Sie wird es als Ärztin nicht leicht haben, sich in einer patriarchalisch dominierten Welt zu behaupten.
Sie lernt in dieser Zeit einen Studenten kennen, den alle nur „Karl Marx“ nennen. Beide spüren eine gegenseitige Anziehung, und … mehr wird nicht verraten.
Die Autorin versteht es in diesem Buch meisterhaft, eine Gesellschaftsstudie, eingepackt in ein Familienepos, zu packen. All die Umbrüche in jener Zeit, die Rolle der Monarchie, und die Kluft zwischen Armut und Reichtum treten derart transparent zu Tage, dass man sich während des Lesens mitten in der Geschichte fühlt und die Protagonisten mit Haut und Haar erlebt. Gestochen scharfe Sätze, formuliert aus der Distanz, ohne zu bewerten, zeigen ihr wahres schriftstellerisches Genie.
Es kommen natürlich viel mehr Personen im Roman vor, mit all ihren Verbindungen zu einander, ihren eigenen Leben, Ängsten, Nöten und Freuden.
Somit ist es ist gar nicht so einfach, für dieses tolle Buch die passenden Worte er Begeisterung zu finden, außer: Lest es! Absolute Leseempfehlung

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2022
Hughes, Dorothy B.

Ein einsamer Ort


ausgezeichnet

Die Autorin gilt als Pionierin der Kriminalliteratur – und dieser Krimi hat es wirklich in sich. Sofern von einem Krimi überhaupt gesprochen werden kann. Für mich ist es viel mehr ein Psychogramm eines Täters. Das investigative Erscheinen eines Ermittler fehlt hier fast völlig. Und anders als bei den gefeierten europäischen Krimiautor:Innen wie z.B. Agatha Christie oder Canon-Doyle, bei welchem die Aufklärung im spannenden Mittelpunkt steht, geht es hier so gut wie nur um den Täter. Der ganze Schreibtstil ist, so meine ich, sehr amerikanisch.
Der Leser begleitet Dix Stelle, ehemaliger Jagdflieger im WW2, mehr oder weniger auf Schritt und Tritt. Er reist von New York in den Großraum Los Angeles, bekommt regelmäßig Schecks von seinem Onkel, kann im Appartement eines alten Bekannten wohnen, und ist dennoch immer knapp bei Kasse. Er trifft einen alten Freund und gleichfalls Veteran, Brub Nicolai. Dieser ist mittlerweile bei der Polizei und ermittelt in einem brisanten Fall: Ein Serienmörder geht um, der wahllos Frauen tötet. Die Spuren könnten sogar an die Ostküste führen ...
Sehr bald ist dem Leser klar, um wen es sich bei diesem Mörder handelt, welche grausamen Obsessionen und frauenfeindliche Gedanken er hegt. Der Zufall hat ihn an die Seite des Ermittlers gespült, und so sieht er sich den Kriminalisten immer einen Schritt voraus. Allein der Umstand, dass wir vom Täter alles wissen, und von den Ermittlungen nur das Allernötigste, macht die Lektüre für mich zu einem besonderen Leckerbissen.
Wie gesagt, die Aufklärung des Falles bzw. die Suche nach dem Täter kommt im ganzen Roman fast nicht vor – wenn, dann nur am Schluss. Die restliche Zeit sind wir im Kopf von Steele, mit seinen Gedanken, wie er der Justiz entkommen kann. Und dann kreuzen seinen Weg doch immer wieder Frauen, die ihn magisch anziehen.
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, und gebe eine ausdrückliche #Leseempfehlung für Freunde der Spannungsliteratur ab. Denn der #Krimi ist anders, und sprengt die üblichen Rahmen.

Bewertung vom 06.09.2022
Washburn, Kawai Strong

Haie in Zeiten von Erlösern


ausgezeichnet

Ein fantastisches Buch über das Leben

Hawaii. Die Zuckerrohrplantagen werden stillgelegt, unzählige Hawaiianer verlieren ihre Arbeit, während die „Haole“ - die Weißen - die Inseln überrennen und mit ihrem Protz und ihrer Geldgier einen Ausverkauf des Landes starten. Der Tourismus überfällt die Insel wie eine der sieben Plagen. Und die Magie der Inseln, die Geschichte der Götter wird immer weiter zurückgedrängt.
Familie Flores ist eine der Betroffenen. Um über die Runden zu kommen, wandern sie auf die Hauptinsel aus, um zumindest eine Arbeit zu bekommen. Irgendwie schaffen sie es, durch zu kommen. Ihre drei Kinder wachsen auf, und ihnen wird ein Studium auf dem amerikanischen Festland ermöglicht.
Mutter Malia versucht zumindest im Geiste, alte Traditionen und altes Wissen aufrecht zu erhalten. Es scheint auch in ihren Kindern weiter zu leben. Nainoa wird, so unglaublich es klingt, als Siebenjähriger von Haien gerettet. Und seitdem trägt er eine besondere Gabe in sich. Er wird zum Mittelpunkt der Familie, alles dreht sich um ihn, oft sehr zum Leidwesen seiner Schwester Kaui und Bruders Dean. Mit seiner Gabe kommt etwas Geld in die leere Familienkasse – also kein Wunder, dass seine Geschwister in seinem Schatten ausharren müssen.
Aber auch sie sind vom Schicksal begünstigt, haben Gaben und Talente. Nur dauert es sehr lange, bis sie ihrer gewahr werden und voll ausnützen können. Bis dahin leben sie ihr Leben auf dem Festland, jeder in einer anderen Stadt, so gut oder schlecht wie sie können.
Erst als ein Unglück passiert, zieht es es sie zurück zu ihren Eltern. Der Kreislauf des Lebens hat den Zenit überschritten und steuert seinem Anfang entgegen.
Doch was ist der Anfang? Und das Ende?
Washburn beschreibt in diesem wunderbaren Roman die Geschicke seiner Protagonisten. Diese kommen Kapitel für Kapitel selber zu Wort, teilen uns ihre Freuden, aber hauptsächlich ihre Sorgen und Ängste. Sie reifen alle heran, bis auch sie bemerken, dass sie etwas Besonderes sind. Jeder nutzt sein Talent letztendlich auf die beste Art und Weise.
Es ist ein Aufschrei, wie sich der Mensch von der Natur entfernt, obwohl er gleichsam ein wertvoller Teil davon ist. Erst der ein oder andere Schicksalsschlag lässt das alte Gespür für die Götter, die Weisheit der Natur, wieder in den Körpern aufleben.
Der Autor spannt somit, zumindest sehe ich das so, einen weiten Bogen über die hawaiianischen Legenden. Wie geht man mit Verlusten, Trauer um? Was bedeutet Hoffnung? Was sind Erfolg, Reichtum, Geld? Was ist Familie letztendlich?
Hoffnungsvoll und/oder melancholisch – jeder muss seinen eigenen Weg finden.
Washburn präsentiert und hier einen unvergleichbaren Roman. - Ganz große Leseempfehlung!