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Bewertungswiesel

Bewertungen

Insgesamt 32 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


gut

Das Cover zeigt Blumen, doch wenn man das Buch liest, fällt auf, dass Sterne viel besser gepasst hätten, denn es geht sehr oft um Astronomie. Darüberhinaus ist es voller parapsychologischer Elemente, an die ein ansonsten sehr wissenschaftlich orientierter Junge ernsthaft glaubt.
Der im Vordergrund stehende Handlungsstrang beschreibt ein jugendliches Geschwisterpaar, das einen tödlichen Unfall verursacht. Trotz dieses traumatischen Ereignisses sind die zwei im weiteren Leben erstaunlich erfolgreich. Zwar kämpft die Tochter (erfolgreich) mit einem Alkoholproblem, das hindert sie keineswegs daran, angesehene Filmproduzentin zu sein. Ihre Ehe beeinträchtigt das alles kaum. Der Sohn verschwindet ein paar Jahre ins Ausland, macht allerdings nach seiner Rückkehr locker zwei sehr angesagte Szene-Restaurants auf. Der Vater lädt als Arzt ebenfalls eine Schuld auf sich, lebt aber viele Jahre in Ruhe und Wohlstand, quasi direkt neben dem Baum, an dem ein Mädchen durch den von seinen Kindern verursachten Unfall starb.
Und weil der Zufall und das Schicksal, die in diesem Roman enorm viel Gewicht haben, es so wollen, spielt er für seine Nachbarn den Geburtshelfer, was eine lebenslange, natürlich magische Bindung zur Folge hat. Das mit seiner Hilfe zur Welt gekommene Kind wird - welch ein Wunder - Sterbebegleiter für seine, insgesamt mehr als blass dargestellte, und zuletzt noch an Alzheimer erkrankte Frau. Bis auf Sarah sind alle Frauenfiguren schwach, so bestätigt sich damit das patriarchale Gebot: Es kann nur eine (starke Frau) geben!
Der Plot ist sehr irreal, die Sprache schwenkt häufig ins Futur.
Der allwissende Erzähler macht das Ganze zu einem stark konventionellen Roman, der auch durch etliche Zeitsprünge nicht moderner wird. Was lernt man durch dieses Buch? Wer hart arbeitet, erlangt sogar mit psychischem Trauma gesellschaftliche Anerkennung.
Wer‘s glaubt, wird selig.

Bewertung vom 24.01.2024
Weiße Wolken
Seck, Yandé

Weiße Wolken


ausgezeichnet

Auf dem abstrakten Cover zeichnen sich Schnittmengen in ganz neuen Nuancen ab, so wie auch beim Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft durch kulturellen Austausch das allgemeine Spektrum erweitert wird.
Im Roman erfahren wir einiges aus dem Leben zweier Schwestern mit deutscher Mutter und gemeinsamem Vater, der vor vielen Jahren aus dem Senegal einwanderte.
In Zeiten stärker werdenden Rechtsrucks ein wirklich wichtiges Thema, das von Zazie, der jüngeren der beiden Schwestern, immer wieder angesprochen wird, ist der Rassismus.
Ihr Zorn über ungerechte Strukturen setzt ergänzend auch den Feminismus in den Fokus. Fast jedes Gespräch mit ihr mündet im gesellschaftskritischen Lamento, was die - von Mental Load geplagte - ältere Schwester Dieo, Mutter dreier Söhne, oft sehr anstrengend findet. Beide haben trotzdem ein sehr enges Verhältnis zueinander. Zazie unterstützt Dieo in ihrem Alltag. Diese führt mit ihrer Familie ein komfortables Leben samt Lastenrad und Psychoanalyse. Sie hat allerdings auch einen mittelalten weißen Mann geheiratet. So denkt sie beispielsweise über ein Schwarzes Au-pair aus der Verwandtschaft nach, wovon die finanziell knappe Zazie, angehende Doktorandin, nichts hält, weil es imperialistische Strukturen verfestigt.
Die Stärke des Romans liegt eindeutig in den pointierten Dialogen.
Der Vater, von dem wir ja bereits durch den Klappentext erfahren haben, dass er im Verlauf der Handlung sterben wird, spielt über rund 250 Seiten keine tragende Rolle. Der Klappentext ist meiner Meinung nach etwas irreführend. Auch die Reise in den Senegal selbst kommt wenig ausgeschmückt, mit noch weniger Seiten aus. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, wie diese Reise was genau bewirkt. Dieo sieht ihre Verwandtschaft zum ersten Mal, leider sind ihre Eindrücke kaum ausgearbeitet.
Man erfährt wenig über das Land Senegal, umso mehr über das Leben nicht deutsch gelesener Menschen in Deutschland. Das bedeutet zu einem Großteil die kulturübergreifend immer gleichen Alltagsprobleme im Familiären
- plus die großen Fragen nach Identität und gesellschaftlicher Akzeptanz. Letztlich stellt sich die noch größere Frage nach der Verantwortung der EU in der Welt.
Ein nachdenklich machendes Buch!

Bewertung vom 01.01.2024
Not Your Business, Babe!
Bogner, Verena

Not Your Business, Babe!


ausgezeichnet

Auf den ersten Blick erwarte ich bei einem rosa Buch nicht unbedingt Tiefgang und gut recherchierte Fakten. Mit all den englischen oder halb englischen Begriffen entsteht sprachlich zunächst der Eindruck, dass ausschließlich sehr junge Frauen die Zielgruppe sind.
Im Laufe der Lektüre werde ich komplett überrascht! Das Buch strahlt tatsächlich eine Kraft aus, die wirklich fast jede Altersgruppe ermutigen kann.
Die Autorin erzählt sehr persönlich von ihren Erfahrungen, spricht die Leser*in immer wieder direkt an und vermittelt eine Verbundenheit, die den Feminismus weiter vorantreiben kann. Dabei ist stets klar, dass es eben nicht so einfach ist, wie so manche weibliche Ikone am Beispiel ihres eigenen Erfolges propagiert: Nicht jede kann alles schaffen. Es ist eine Frage der Privilegien. Wer es nicht schafft, ist in den allermeisten Fällen weder zu faul noch zu dumm, sondern einfach gefangen in den toxischen Strukturen aus Patriarchat und Kapitalismus. Nicht nur bezahlte Arbeit ist Leistung. Die Autorin setzt den Fokus auf Solidarität unter Frauen. Und hier kann das Buch einiges bewirken. Unbedingte Empfehlung, nicht nur für Berufseinsteigerinnen.

Bewertung vom 17.12.2023
Hab ich noch Hoffnung, oder muss ich mir welche machen?
Raether, Till

Hab ich noch Hoffnung, oder muss ich mir welche machen?


gut

Ein rotes Buch mit einem so humorvollen Titel erregt Aufmerksamkeit. Das ist in unserer von Überfluss geprägten Zeit der erste Schritt zum Erfolg.
Der Autor erzählt auf kompakten 125 Seiten, wie er persönlich mit der geballt negativen Informationsflut unserer Zeit umgeht. Das ist zuweilen interessant, oft sehr vertraut und letztendlich ohne Ergebnis,
was nicht überrascht, denn kein Buch sollte Krieg oder Klimawandel verharmlosen. Er schwankt in seinem Alltag zwischen Sympathie mit Klimaklebern und Ärger über gestörte Tagesabläufe. Zwischendurch sinniert er noch über Gedichte von Emily Dickinson aus dem vorletzten Jahrhundert.
Es ist alles etwas banal und leider keine Zeile annähernd so humorvoll wie der Titel. Das Buch liefert höchstens ein paar psychologische Einsichten in das Prinzip Hoffnung. Es ist definitiv kein Buch, das man gelesen haben MUSS.

Bewertung vom 15.12.2023
Die Verletzlichen
Nunez, Sigrid

Die Verletzlichen


ausgezeichnet

So hübsch das Gemälde auf dem Cover mit einer Blume, die zum Papagei wird, auch sein mag - es sieht nur aus wie ein klassischer Roman, ist aber keiner.
Er ist eine Anhäufung von sehr persönlichen Gedanken und Erinnerungen. Direkt, authentisch. Die Erzählerin ist eine Frau im Alter der Autorin, mit dem Beruf einer Autorin. Diese findet sich aufgrund einer Kette freundschaftlicher Verstrickungen während der Anfangszeit der Pandemie in Isolation mit einem, ihr vorher nicht bekannten jungen Mann, von dem wir erfahren, dass er zuvor in der Psychiatrie war. Aus diesem Setting könnte nun ein sehr spannender Thriller entstehen: Hilflose ältere Frau steckt in der Falle eines Psychopathen. Oder ein sehr philosophischer Bildungsroman: Ältere Frau teilt ihre Weisheiten. Oder natürlich ein sehr moderner, sehr kitschiger Liebesroman: Ältere Frau verführt jungen Mann.
Zum Glück verzichtet die Autorin auf all diese Plots und schafft etwas überraschend lesbares, vollkommen Eigenes.
Wieviel Autofiktion darin steckt, kann man natürlich nur vermuten. Was auf jeden Fall darin steckt, sind ungewöhnliche Denkanstöße über unsere Zeit, unsere Probleme, unser menschliches Sein. Ein Buch, das man mehrmals lesen und allen schenken kann, die offen für neue Literaturformen sind.

Bewertung vom 29.10.2023
Jil Sander. Eine Annäherung
Wiesner, Maria

Jil Sander. Eine Annäherung


ausgezeichnet

Das Naheliegende ist das Einfache, also ist auf dem Buch über Jil Sander einfach Jil Sander zu sehen - im charakteristischen Hosenanzug.
Das Buch ist keine Biographie!
Passend zum Modestil folgt Maria Wiesners Annäherung dem Ziel der absoluten Sachlichkeit: Streng an Fakten orientiert, komplett frei von Ornamentalem, etwa Klatsch und Tratsch aus der Welt der Reichen und Schönen.
Die Autorin hat zwei Jahre lang sehr gründlich recherchiert, bis hin zum Test einer Jahrzehnte alten Parfümprobe aus Sammlerbeständen. Sie hat mit vielen Menschen aus dem internationalen Umfeld der Designerin gesprochen und so ein Porträt erstellt, das sich vor allem auf die Marke konzentriert,
Es gab keinerlei Interviews mit Jil Sander selbst, so bleibt ihre Person weitestgehend im Verborgenen.
Getreu dem Grundsatz des Bauhaus, dass Form der Funktion folgen soll, schuf Jil Sander ihre Mode, und so nüchtern und ohne Ausschmückungen ist auch der Text. Seriöser Journalismus!
Das Buch wird der - auf die Sache fokussierten und absolut nicht bühnenorientierten Modeschöpferin in vollem Umfang gerecht und informiert nebenbei über den globalen Handel. Wer sich für Mode interessiert, kann mit dieser Lektüre nichts falsch machen.

Bewertung vom 22.10.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


sehr gut

Durch den Adler auf dem Cover bekommen wir bereits die Grundstimmung des Romans vermittelt: Es geht um den Wunsch, sich kraftvoll über alles hinweg zu erheben und Verletzungen aus der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Hochinteressante Figuren, ungeheuer dichte Atmosphäre. Das Motiv der Zugfahrt nach Malma wiederholt sich auf drei Zeitebenen.
Es entsteht eine ungeheure Spannung, indem aus den unterschiedlichen Perspektiven der Personen ein Puzzleteil nach dem anderen aufgedeckt wird. Im Zentrum steht Harriet, von der eigenen Mutter verlassen, als Mutter überfordert. Ihre Handlungen sind teilweise absurd und dennoch nachvollziehbar. Sie ist besessen von dem Wunsch, ihre Kindheit aufzuarbeiten. Das überfordert ihren Mann Oskar, selbst von einer grausamen Mutter geprägt, und nun ein diffus unnahbarer Vater.
Verlust ist ein zentrales Thema auch im Leben ihrer Tochter Yana. Sie alle verspüren eine Ohnmacht, ihr Leben nicht selbst bestimmen zu können, denn das Trauma wird über Generationen weitergegeben.
An einigen Stellen überzeugt mich der Handlungsstrang allerdings nicht ganz. Es ist mir teilweise zu weit weg von dem, was meiner Auffassung nach plausibel wäre. Die Rolle des Haustiers über nahezu fünfzig Jahre hinweg etwa nimmt zu viel Raum ein. Auch hätten mich mehr Details aus Oskars Vergangenheit interessiert, er ist der flachste Charakter im Roman.
Das hat mein Leseerlebnis insgesamt aber nicht maßgeblich geschmälert. Wer psychologischen Tiefgang schätzt, ist mit diesem Buch auf der sicheren Seite.

Bewertung vom 20.10.2023
Ich erkenne eure Autorität nicht länger an
Bech, Glenn

Ich erkenne eure Autorität nicht länger an


ausgezeichnet

Das Cover mit dem plakativen Titel spricht von einer großen Wut auf eine Gesellschaft, die nicht für alle offen ist, dominiert von reichen, urbanen Cis-Männern auf dem emotionalen Niveau von 15-16 -Jährigen.
Der Autor erzählt in pointierten, tief gehenden Aphorismen vom (eigentlich doch vorbildlichen) Dänemark, in dem keineswegs alle gleiche Chancen haben.
Wenn man in eine arme Familie in der Provinz geboren wird, ist es geradezu unmöglich, Privilegien über Bildung zu erlangen. Wenn man noch dazu homosexuell ist, hat die Lebenswirklichkeit rein gar nichts mit der von angesagten Personen in Metropolen und auf Social Media gemeinsam. Der Autor berichtet von Mobbing und dem Gefühl der Selbstverleugnung, vom Verstecken, und das alles in diesem Jahrtausend, noch immer! Diejenigen, die sich zufällig im Mainstream (hetero, obere Mittelschicht) befinden, haben nicht annähernd eine Vorstellung von der tatsächlichen Situation. Schließlich erlebt man doch auf allen Kanälen, wie cool sich z. Bsp. schwule Künstler inszenieren.
Dieses Manifest ist ein sehr poetischer, noch dazu perfekt lesbarer Appell an die sogenannten Cis-Personen, und auch an sonstige Privilegierte, egal welcher sexuellen Orientierung, etwas aufmerksamer mit Empathie auf seine Mitmenschen zu blicken. Klare Leseempfehlung für ALLE, die starke Texte lieben, nicht nur für Benachteiligte!

Bewertung vom 01.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Der neue Kehlmann präsentiert sich auf schwarzem Hintergrund, mit weißen und roten Lettern, also in den Farben der preußischen Fahne. Wir haben es mit einem hochkarätigen historischen Roman zu tun. Er zeigt die Geschichte des deutschen Films, von Stummfilm bis Nachkriegs-Heimatfilm.
Mit Ironie und einem beeindruckenden Gespür für die Schwächen der Menschen schickt uns der Autor auf die Spuren des berühmten Regisseurs G.W. Pabst. Dieser war eine Art Wendehals. Im Herzen politisch links, verfilmte er Brechts „Dreigroschenoper“, lehnte Hitlers Machtergreifung ab, versuchte sein Glück in Paris und Hollywood, konnte sich allerdings, nicht zuletzt aufgrund rudimentärer Englischkenntnisse, dort nicht durchsetzen und landete zunächst aus privaten Gründen wieder in seiner Heimat Österreich, die jetzt Ostmark hieß. Dort ließ er sich von den Nazis vereinnahmen, wobei er sich immerhin von klassischen Propagandafilmen fern hielt und versuchte, einfach weiter gute Filme zu machen. Bis zuletzt redete er sich selbst ein, er kämpfe für die reine Kunst.
Schon der Einstieg in den Roman ist brillant! Wir befinden uns in der Gegenwart, die Perspektive ist die seines, inzwischen senilen Assistenten Wilzek.
Kehlmann liebt die indirekte Rede, dennoch wirken die Dialoge unmittelbar und echt. Atmosphärisch dicht und immer ganz nah am tiefsten Inneren der Menschen kommen nach und nach andere Personen in den Fokus.
Wer sich für das Kino interessiert, findet in diesem Roman, was möglicherweise hinter den Kulissen in den Köpfen der Beteiligten geschah. Wer einen ungewöhnlichen Roman über die Nazizeit lesen möchte, sollte diesen hier nicht auslassen.
Kehlmann ist wieder einmal genial!

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Bewertung vom 29.08.2023
Wellenkinder
Bahrow, Liv Marie

Wellenkinder


sehr gut

Das Cover mit der Schaukel am Meer lässt an einen beschwingten Sommerroman denken.
Das ist dieses Buch nicht. Es handelt sich eher um einen historischen Roman mit Thriller-Elementen. Drei Handlungsstränge über Personen in verschiedenen Zeiten sind inhaltlich geschickt miteinander verflochten.
Dabei wird die Grausamkeit des Systems der sozialistischen Diktatur anhand der einzelnen Lebensgeschichten deutlich.
An manchen Stellen erscheint mir die fiktive Handlung aber zu stark konstruiert. Die drei Personen, aus deren Perspektive im Wechsel berichtet wird, sind etwas klischeehaft. Einige Ereignisse können sich unmöglich so ereignet haben. Es wurden zwar geschichtliche Fakten als Hintergrund genommen, bei deren Ausschmückung zum Roman wurde aber definitiv zu dick aufgetragen und Gesetze der Logik wurden außer Kraft gesetzt. Schade.