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MB
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Rösrath

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Insgesamt 438 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2025
Montell, Amanda

Das Zeitalter des magischen Zerdenkens. Notizen zur modernen Irrationalität


sehr gut

Gelungen. Amanda Montell ist mit Ihrem Buch "Das Zeitalter des magischen Zerdenkens - Notizen zur modernen Irrationalität" eine Art Aufklärungsbuch für die Herausforderungen der Gegenwart gelungen, welches zudem an keiner Stelle zu akademisch sondern vielmehr gut lesbar ist und zudem ausgezeichnet an unsere Alltagserfahrungen anknüpft. So analysiert sie sehr treffend das Wesen der Fankultur, identifiziert sie in ihrem Wesen als eine Kompensationsmöglichkeit für 'schwache Ich's' indem sie Zugehörigkeit sicherstellt und ein Modell anbietet, die eigene 'Leere' mit 'etwas' anfüllen zu können. 'Man' bildet eine Gemeinschaft der Verehrung - z.B. die Swifties. Und es geschieht die totale Idealisierung, wenn der angehimmelte Star sich im Rahmen des Erwünschten verhält, wenn nicht, dann droht die totale Verteufelung. 'Verschwörungstheorie' höre sich noch viel zu wissenschaftlich an. 'Verschwörungs-Unsinn' wäre da die weit bessere Bezeichnung. Und existenzielle Verunsicherung ist ein guter Nährboden für Verschwörungs-erzählungen; diese konstruieren sowohl Feindbilder im Außen (Bill Gates, die Eliten,...) als auch im Innen (du musst in dir selbst etwas verändern, dann kommt das Glück automatisch auch zu dir - gib einfach deine Bestellung im Universum auf...). Heilbringertum durch selbsternannte 'Manifestationsexperten' auf Insta und anderen Plattformen boomen sein 9/11 und der Corona-Pandemie. Bevorzugt angeboten werden einfache Erklärungen für eigentlich komplexes Weltgeschehen. Das Gefühl, das eigene Leben über einen Glauben 'an die richtige Sache' richten zu können. Um nur einige Phänomene zu nennen, die die Autorin sehr präzise und unterhaltsam analysiert, um uns vor Fehlglauben und Wahrnehmungsverzerrungen zu schützen. Ein lehrreiches Buch. Auch als Hörbuch gut eingelesen.

Bewertung vom 19.06.2025
Gröschner, Annett

Schwebende Lasten


sehr gut

Beindruckend. Sehr beeindruckend, wie es der Autorin gelingt, Geschichte nicht nur lebendig werden zu lassen, sondern auch das Herz der Lesers zu öffnen für die stillen und unerwähnten Figuren der Geschichte. Annett Gröschner ist mir in einem Kulturbeitrag im TV begegnet, sie ist Stadtschreiberin in Mainz für das Jahr 2025. Und dieser Beitrag hat mich neugierig gemacht auf ihr aktuelles Buch "Schwebende Lasten". Ein ungewöhnlicher Titel, welcher sich aber durch die erzählte Geschichte wunderbar erklärt. Ein Stück Zeitgeschichte, fast ein Jahrhundertroman - vom Kaiserreich bis zum Ende der DDR, erzählt aus der Perspektive von Hanna Krause, der Blumenbinderin (nettes Detail: jedes Kapitel widmet sich in einem ersten Absatz einer bestimmten Pflanzenart), die später dann zur Kranführerin wird, aber nie ihre Liebe zu den Blumen verliert; die zwei Weltkriege durchlebt, den Verlust zweier Kinder erleidet, sich für Mann und Familie aufopfert und am Ende das fortgeschrittene 20. Jahrhundert immer weniger versteht. Hanna Krause, immer anständig und bescheiden, das Leben so nehmend, wie es kommt. Ohne Jammern und Klagen, aber ausgestattet mit zweckdienlichen Überlebensstrategien. (Beispiel: Wenn ihr Mann Karl getrunken hatte, war er nicht mehr zu halten, es gab aber ekin Geld für weitere Kinder: "An solchen Abenden musste er auf der Küchenbank schlafen. Eine bessere Form der Geburtenkontrolle kannte Hanna nicht."). Eine Geschichte, die Geschichte lebendig werden lässt. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 12.06.2025
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


gut

Da wäre mehr drin gewesen. Ein Drei-Generationen-Panorama, welches mich nicht erreichen konnte. Aber es ist eines auffällig: Drei-Generationen-Geschichten erscheinen gegenwärtig gehäuft auf dem Buchmarkt. Und die meisten davon folgen einer Grundidee, die auch in Paola Lopez' Erstling "Die Summe unserer Teile" handlungsleitend zu sein scheint, nämlich dass es nur über das Verstehen der Vergangenheit eine Idee für die Zukunft gibt. Ist diese Thematik aus diesem Grund so populär, weil wir nach Gewissheiten für unsere Zukunft suchen? Da ist Lucy, Informatikerin in Berlin, die keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hat, Medizinerin in München und verheiratet mit dem Psychiater Robert. "Lucys Leben glich schon immer einem leicht verstimmten Klavier, verschoben um weniger als einen Halbton." Und ein Klavier bringt die Handlung schließlich auch in Gang. Als Lucy eines Tages nach Hause kommt in ihre kleine Berliner Wohnung, steht dort der Flügel ihrer Kindheit; offenbar in die Wege geleitet durch ihre Mutter; mit dem Flügel taucht auch der der polnische Geburtsname ihrer Großmutter auf, einer seinerzeit im Libabon tätigen Chemikerin, was Lucy zu einer Spurensuche ermutigt und sie nach Polen führt. Was hat die Frauen der drei Generationen geprägt und zu einem eher kühl-distanzierten Verhältnis geführt? Und ist für Lucy zumindest zu ihrer Mutter ein Wiederaufleben des Mutter-Tochter-Verhältnisses möglich? Die Autorin bemüht sich, bei ihren Figuren etwas in Bewegung zu setzen, was ihr aber nur mäßig gelingt. So plätschert die Geschichte auf ihren 250 Seiten ein wenig vor sich hin. Da wäre mehr drin gewesen...

Bewertung vom 09.06.2025
Kucher, Felix

Von Stufe zu Stufe


gut

Nette Idee. Auch nett in der Umsetzung. Liest sich äußerst leichtgängig. Auch ein wenig Spannung. Auch ein wenig 'Aufklärung' - wer weiß schon etwas über die Anfänge des österreichischen Films... Auch ein wenig Kritik an der gegenwärtigen Arbeitswelt mit ihren unsicheren Arbeitsverhältnissen. Auch ein kritischer Bezug zur akademischen Handhabung von Kulturgütern. Auch eine weibliche Emanzipationsgeschichte. Auch die Geschichte eines mäßigen Scheiterns. Auch eine Geschichte über eine männliche Gedankenwelt, die schon lange nicht mehr spruchreif ist. Und auch eine Bezugnahme zu der eigentlich schon sehr lange andauernden Kriegssituation in der Ukraine. Und das alles untergebracht in nicht einmal 300 Seiten. Das ist entweder ganz große schriftstellerische Kunst oder droht am Anspruch zu scheitern. Mein Fazit: Recht unterhaltsam aber ohne die mögliche Tiefe gelöst. Zwei Handlungsstränge - Louise Kolm dreht einen ersten bedeutsamen Film (vergangene Ebene); der arbeitslos gewordene Marc erhält durch einen glücklichen Zufall die Gelegenheit genau diese Filmrolle in der Ukraine aufzufinden und seine akademische Karriere wieder neu befruchten zu können (Gegenwartsebene); und beide Handlungsstränge sind 'nur' durch die Filmrolle verbunden. Der erste Handlungsstrang fast ein nüchterner Bericht, der zweite ein wenig wie ein Roadmovie.

Bewertung vom 03.06.2025
Dean, Will

Die Kammer


gut

Gefühlte Luftnot beim Lesen. Engegefühle im Brustbereich. Ein klares Anzeichen von Angst. So geht es nicht nur den verbliebenen Sättigungstauchern, die den Auftrag haben eine Tiefseeleitung zu flicken. Sondern auch mir als Leser. Dem Autor Will Dean gelingt es in seinem Thriller "Die Kammer" recht gut, ein klaustrophobisch anmutendes Szenario aufzubauen. Zudem erfährt man eine Menge Details über die Herausforderungen derartiger Tauchgänge - Technikbegriffe sind im Glossar erläutert - was dem Lesefluss und Spannungsbogen nicht immer zuträglich ist. Nach ca. einem Drittel des Buches ereignet sich innerhalb der Besatzung (fünf Männer, eine Frau) ein Todesfall; ein zweiter, dritter und vierter folgen rasch; es gibt Verdächtigungen, aber unklar bleibt bis zum überraschenden Ende, ob die tödliche Gefahr von 'innen' oder von 'außen' kommt. Die Protagonist:innen müssen bis zum Auftauchen noch viele Stunden miteinander auf engstem Raum verbringen; Geschichtenerzählen lenkt ab - Geschichten über andere Taucher, die herausfordernden Situationen ausgeliefert waren. Die Erzählperspektive ist die von Ellen Brooke, des weiblichen Crue-Mitglieds; sie ist auch die einzige, über die wir etwas mehr erfahren; die meisten anderen Charaktere bleiben eher blass. Fazit: Die beklemmende Atmosphäre ist spürbar, zuviele technische Details, zuviele für die Handlung vollkommen unbedeutende Nebengeschichten, unzureichend ausgelotete Figuren.

Bewertung vom 02.06.2025
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


ausgezeichnet

Erzählte Lebensgeschichte. Allerdings nicht so ganz. Wohl eher autofiktional. Dreißig Jahre nach der blutigen Niederschlagung der studentischen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens entschließt sich die in Kanada lebende Chinesin Lai Wen, von den Ereignissen, bei denen sie als Studentin selbst Zeugin war, zu berichten; dies mit den Freiheiten einer Autorin und ihres durch Elena Ferrante inspirierten Erstlings. Die schrecklichen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind aber lediglich der Schlusspunkt einer beeindruckenden Lebenserzählung. Lai Wen widmet ihrer rebellischen Großmutter eine große Aufmerksamkeit, beschreibt empathisch ihren durch seine schlechten Erfahrungen mit dem Regime 'still gewordenen' Vater, gibt ihrer Mutter die Rolle derjenigen, die mit einer gewissen Strenge und Forderung nach Anpassung die Familie zu schützen beabsichtigt. Lai Wen beschreibt ihre Erfahrungen als Heranwachsende, zunächst einmal wenig selbstbewusste Person; wir begleiten sie durch ihre Schulzeit hindurch und wie sie ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe macht, wie sie schließlich als Studentin auf eine Gruppe von Menschen stößt, die ihren ganz eigenen Weg gehen, der eben nicht der Weg der Anpassung ist, wie sie in Anne eine bewunderte Freundin trifft, die sich am Tag X den Panzern des totalitären Statswesens entgegenstellt. Lai Wen macht mit ihrem Buch Geschichte erlebbar - gegen das Vergessen. Ein wichtiges und anrührendes Buch.

Bewertung vom 02.06.2025
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


weniger gut

Schade. Sehr schade sogar! Bieten doch Zeitreise-Romane die wunderbare Möglichkeit einer kritischen Gegenwartsschau. Dabei hatte in Kaliane Bradley's "Das Ministerium der Zeit" alles recht gut begonnen - nämlich genau mit der erwähnten kritischen Gegenwartsschau. Die junge Protagonistin erhält einen neuen Job in einem 'geheimnisvollen Ministerium' mit nicht ganz so klaren Zielsetzungen; es ist mit Hilfe einer 'Zeitreisemaschine' gelungen, Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen; und der neue Job besteht darin, diese Menschen bei der Integration in die für sie vollkommen neuen Lebensumstände zu begleiten. Die Intergrationsbeauftragten werden treffenderweise 'Brücken' genannt. Das ist anfangs auch alles recht amüsant, weil es ja gerade die Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind (z.B. Musik streamen zu können), welche die Neuankömmlinge in besonders großes Erstaunen versetzen. Die Protagonistin verliebt sich dann schließlich in ihren Klienten, den eigentlich 1847 verstorbenen Polarforscher Commander Graham Gore, Beteiligter der verschollenen Polarexpedition von Sir John Franklin. Es kommt zu Todesfällen und am Ende auch zu der Erkenntnis, dass die Gegenwart auch Teil eines Zeitreiseexperimentes der Zukunft ist... Fazit: Zuviel 'Liebes-Gedöns', zu wenig Philosphie! Und auch nur mäßige Spannung.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.05.2025
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


sehr gut

Bewegende Story...- obwohl, so wahnsinnig storyartig ist Ocean Vuongs zweites Buch mit dem seltsamen Titel "Der Kaiser der Freude" gar nicht; vielmehr ist es ein sehr gelungener Versuch, das unterprivilegierte Amerika mit seinen 'Verlierern' abzubilden. Besonders hervorheben möchte ich die Sprache des Autors, eine Art extrem poetischer Unterschichts-Slang. Hai stammt aus Vietnam und lebt mit seiner Mutter in einem nichtssagenden, kleinen Ort in New England; des Lebens überdrüssig. Doch bevor er sich von der Brücke in einen Fluss stürzt, entdeckt ihn Grazina, eine alte Frau aus Litauen mit beginnender Demenz. Die beiden freunden sich an, Hai wohnt bei Grazina... und so bilden die beiden eine kleine Überlebensgemeinschaft; Hai beginnt, vermittelt durch den Kontakt seines Cousins Sony, in einem Diner zu arbeiten, derweil seine Mutter glaubt, er würde Medizin studieren. Im Diner findet Hai eine zweite 'Überlebensgemeinschaft' aus Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Was besonders beeindruckt - der unbedingte Überlebenswille aller Protagonisten, für die jeder Tag aufs Neue eine Herausforderung darstellt. Die Bezeichnung 'Sozialdrama' für Ocean Vuongs Roman wäre absolut unzureichend - dafür steckt zu viel Poesie zwischen den Buchdeckeln!

Bewertung vom 13.05.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Eine bewegende Geschichte. Eine Story, in der man versinken kann. Eine Geschichte, die anrührt. Der Wunsch nach familiärem Zusammenhalt, Liebe, die die Jahrzehnte überdauern kann, herzerwärmend; aber auch die harte Wirklichkeit des Rassismus und des tragischen Lebensverlaufes finden sich wieder. Deshalb lohnt es sich, "Beeren pflücken" von Amanda Peters in die Hand zu nehmen, beziehungsweise sich das sehr gut zweistimmig eingelesene Hörbuch zu Gemüte zu führen. Die Handlung nimmt ihren Anfang bei einer Familie Indigener, die den Sommer über ihr Geld mit Beerenpflücken verdienen. Die vierjährige Ruthie verschwindet; die Familie ist in Aufruhr und insbesondere ihr größerer Bruder Joe macht sich Vorwürfe. Wenig später stirbt auch noch Bruder Charlie bei einer blutigen Streiterei. Die gebeutelte Familie fristet ihr Dasein in der festen Überzeugung, dass Ruthie noch lebt. Ruthie hatte sich von der Feldarbeit entfernt und war von einer Frau mit unerfülltem Kinderwunsch aufgegriffen worden, die sie fortan als ihre eigene Tochter Norma großzieht. Das ist die Grundanlage der Geschichte. Im Weiteren wechselt die Autorin zwischen beiden Familien regelmäßig die Erzählperspektive - die eine Familie mit den großen Verlusten, die andere mit der großen Lebenslüge und dem düsteren Geheimnis. Die Autorin stellt an keiner Stelle die Schuldfrage, beschreibt aber in höchst bewegender Weise, wie es den Familien ergeht, bis dann schließlich...

Bewertung vom 11.05.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Spannung mit Anspruch. Beide Aspekte zu bedienen und in knapp 600 Seiten zu packen, dabei Leserin und Leser an keiner Stelle zu langweilen... das ist schon anerkennenswerte Schreibkunst. Und genau das ist der US-amerikanischen Autorin Liz Moore mit ihrem neuen Roman "Der Gott des Waldes" recht gut gelungen. Sie spannt einen zeitlichen Bogen von den 50-er Jahren bis in das Jahr 1975. In einem Feriencamp in einer Waldregion verschwindet die 13-Jährige Barbara. Barbara ist anders als die gleichalten Mädchen, kleidet sich auffällig, hört Punk-Musik und steht im Konflikt mit ihrem Elternhaus, den reichen van Laars. In ebendieser Region verschwand auch Barbaras Bruder Bear vor 14 Jahren. Gibt es einen Zusammenhang? Die Spannung von Liz Moores Roman speist sich aus der Suche nach Barbara, in den Rückblenden aus der Geschichte des Verschwindens ihres Bruders und in wechselnden Vermutungen und Verdächtigungen; zumal es im Wald eine mysteriöse, herumirrende Frau zu geben scheint und ein entflohener Straftäter in der Region vermutet wird. Die Spannung ist aber nur das eine; der Autorin gelingt es ausgesprochen gut, verschiedene Ereignisse, die Geschichten der Familien, die Beziehungsdynamiken der Jugendlichen im Camp und die Polizeiarbeit nicht nur miteinander zu verknüpfen, sondern auch den gesellschaftlichen Hintergrund eindrücklich zu portraitieren. Leseempfehlung!