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MB
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Rösrath

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Insgesamt 442 Bewertungen
Bewertung vom 30.06.2025
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


gut

Der Einbruch der Moderne. Das langsame Verschwinden altvertrauter Lebenswelten, die Jahrhunderte genau so existiert haben und sich kaum verändern mussten, weil die Welt noch eine relativ stabile war. Elin Anna Labba erzählt in ihrem Roman "Das Echo der Sommer" vom langsamen Untergang des Volkes und der Kultur der Samen in Schweden. Die Samen, ein nomadisches Volk mit einem Sommer- und einem Winter-Wohnort. Anfang der Vierigerjahre wird wegen eines Staudammbaus zur Energieversorgung das Dorf in ihrem 'Sommerland' im Nordwesten Schwedens geflutet - Metapher für den Untergang. Was tun? Anhand dreier Frauen einer Familie, drei unterschiedlichen Generationen zugehörig, schildert die Autorin die unterschiedlichen Bewältigungs- bzw. Überlebensstrategien: Ignorieren und Ruhe bewahren, am Altbewährten festhalten wollen, Hin- und Hergerissensein zwischen Tradition und Moderne. Die Autorin imponiert mit ihren Schilderungen der Natur in einer äußerst poetischen Sprache. Phasenweise kann man gut und gerne von 'nature-writing' sprechen. Und sowohl Natur als auch die Kultur der Samen setzen auf eine ständige Wiederholung des Immergleichen, sind sich verlässliche Partner: Leben in Respekt und Einklang mit der Natur, Pflege und Weitergabe der Traditionen, Leben mit den Jahreszeiten, Zusammenhalt in Familie und Dorf als Überlebensprinzip. Und ebenso entschleunigt liest sich der Roman, der sich sehr langsam über 30 Jahre streckt. "Vorsichtig schlüpfte sie durch die Zeltöffnung und weckte die Tautropfen, die an der festen Stoffbahn hinabrannen. Das Moos und das Gras waren nass, der Wald noch immer grün, auch wenn bereits eine Mattheit zu erahnen war, seine Farbe war nicht mehr ganz so gesättigt. Bald würde das Laubsich gelb, später rot und zu guter Letzt braun färben. Der Tag, an dem die ersten Blätter herabfielen, war jedes Jahr ein trauriger. Danach ging es immer so furchtbar schnell." Wer viel Geduld beim Lesen aufbringen kann, bekommt einen Einblick in eine fast vergessene Kultur, kann ein paar Brocken Samisch lernen und beginnt, die Natur mit anderen Augen zu sehen.

Bewertung vom 29.06.2025
Campos, Cristina

Verheiratete Frauen


sehr gut

Mein Roman für diesen Sommer! Christina Campos ist mit ihrem zweiten Roman "Verheiratete Frauen" ein unterhaltsames und gleichzeitig auch lebenskluges Buch gelungen. Am allerliebsten hätte ich die Geschichte in einem Ruck gelesen, aber da ist ja noch dieser Alltag, der auch seine Forderungen an uns stellt; aber die Freude, die ich jedesmal empfand, wenn ich das Buch endlich wieder zur Hand nehmen konnte, um zu erleben, wie es denn nun weitergeht mit den drei Mitvierziger-Freundinnen und ihren Beziehungen, ist ein untrügliches Zeichen für einen entspannten und gleichzeitig gehaltvollen Lesegenuss. Im Mittelpunkt steht die Journalistin Gabriela, seit 15 Jahren eigentlich glücklich verheiratet, die ihren Mann Germán zwar liebt, aber die Leidenschaft, das Begehren, ist über die Jahre auf der Strecke geblieben; ein lange Zeit unerfüllter Kinderwunsch erfüllt sich schließlich. Immer wieder begegnet Gabriela dem um einige Jahre älteren Schriftsteller Pablo, fühlt sich zwar ungeheuer zu ihm hingezogen, zu einer Begegnung kommt es aber erst nach Jahren... und schließlich zu einer einjährigen Liebesbeziehung, die - wie zu erwarten - einiges im Leben von Gabriela, inzwischen Mutter, durcheinanderrüttelt. Auch Gabrielas Freundinnen Silvia und Cosima stellen ihre Beziehungen in Frage. Von der Anlage her hätte die Geschichte der reinste Kitsch mit Happyending sein können, aber das Gegenteil ist der Fall! Und ist eine neue Liebe nicht stets nach einiger Zeit "die ewige Wiederkunft des Immergleichen"? Und: Der eine oder andere wird sich wiedererkennen!

Bewertung vom 25.06.2025
Reilly, Rebecca K

Greta & Valdin


weniger gut

Seicht und belanglos. Im Klappentext heißt es, die Autorin Rebecca K Reilly habe mit ihrem Debut "Greta & Valdin" einen "warmen und klugen Roman über das heutige Leben geschrieben, in dem alles nur ein bisschen stylischer und sexier ist als in unserer Realität" - dann fehlt mir doch sehr der Bezug zur Lebenswirklichkeit... und wirklich klug finde ich ihn auch nicht; weder was den Inhalt, die Story betrifft, noch die Romankonstruktion. Es plätschert alles ziemlich belanglos vor sich hin, was sicher nicht von allen Leser:innen genau so empfunden werden wird, weil, wer das minutiöse Sezieren eines Dates gerne mitverfolgt als wenn es sich um ein existenzielles Ereignis handele, in dem es um Leben und Tod ginge, der wird die Geschichte mit all ihren Details (wer, was, mit wem, wann und warum) bestimmt bereichernd finden. Nett ist die Kapitel für Kapitel wechselnde Erzählperspektive der zusammenwohnenden Geschwister Greta und Valdin; und im Laufe der Geschichte erfährt man doch einiges über das Lebensgefühl der beiden ihrem eigenen Geschlecht zugeneigten Protagonist:innen - alles scheint irrsinnig kompliziert... für mich eher kein inspirierendes Leseerlebnis.

Bewertung vom 21.06.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


ausgezeichnet

Mutmacher-Story. "Strandgut" ist mein erstes Buch von Benjamin Myers. Hatte in der Vergangenheit bereits einiges Gutes gehört, wollte mich der 'Fangemeinde' aber nicht anschließen... doch jetzt gehöre ich auch dazu und werde mir auch seine anderen Veröffentlichungen zu Gemüte führen. Die Story aus "Strandgut" hat mich ein wenig an 'Searching for sugarman' erinnert - (Der amerikanische Musiker Sixto Rodriguez veröffentlichte in den 1970er Jahren zwei Alben, die trotz begeisterter Kritiken in seinem Heimatland vollkommen erfolglos waren. Auf einer kopierten Kassette fand seine Musik ihren Weg nach Südafrika, wo seine politischen Lieder die Stimmung gegen die Apartheid und den Kampf um Bürgerrechte spiegelten. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich seine Musik über das ganze Land. Rodriguez wird eingeladen und steht nach Jahrzehnten als alter Mann wieder auf der Bühne.)
Earlon »Bucky« Bronco ist ein alter Mann geworden, der seit seinen wenigen Hits Ende der 60-er nicht mehr gesungen hat. Auf der anderen Seite des großen Teichs gibt es allerdings eingefleischte Fans seiner Nothern-Soul-Music, die ihn nach England einladen. Bucky hat seit dem Tod seiner geliebten Frau eigentlich mit allem abgschlossen, sein Leben dreht sich um seine Rückenschmerzen, Medikamente und Alkohol. Bucky denkt nicht groß nach; schließlich hat er nichts zu verlieren und steigt in den Flieger. Myers beschreibt, wie Bucky - auch durch die Menschen, die er in den wenigen Tagen trifft, seine Vergangenheit ruhen lassen und sich noch ein paar Tage Zukunft geben kann. Die Macht der Freundschaft, die Macht der Musik. Lange zweifelt man daran - genau wie Bucky selbst - ob es zu dem Auftritt kommen wird, der exakt an dem Tag stattfinden soll, als seine Frau Maybellene vor genau einem Jahr gestorben ist. Weil, wer so lange nicht gesungen hat und sich fühlt wie ein Wrack, schafft so jemand 20 Minuten auf der Bühne vor einem erwartungsfreudigen Publikum??? "'Alt werden' war zudem ein seltsamer Ausdruck. Ist es irgendwann wirklich noch ein Werden, fragte sich Bucky, ein sich immer weiter formen und größer werden wie ein einzelner Baum, der noch steht und wächst, nachdem alle anderen um ihn herum von Stürmen entwurzelt, oder der Kettensäge zum Opfer gefallen sind?" Ich freue mich auf meinen nächsten Benjamin Myers.

Bewertung vom 19.06.2025
Montell, Amanda

Das Zeitalter des magischen Zerdenkens. Notizen zur modernen Irrationalität


sehr gut

Gelungen. Amanda Montell ist mit Ihrem Buch "Das Zeitalter des magischen Zerdenkens - Notizen zur modernen Irrationalität" eine Art Aufklärungsbuch für die Herausforderungen der Gegenwart gelungen, welches zudem an keiner Stelle zu akademisch sondern vielmehr gut lesbar ist und zudem ausgezeichnet an unsere Alltagserfahrungen anknüpft. So analysiert sie sehr treffend das Wesen der Fankultur, identifiziert sie in ihrem Wesen als eine Kompensationsmöglichkeit für 'schwache Ich's' indem sie Zugehörigkeit sicherstellt und ein Modell anbietet, die eigene 'Leere' mit 'etwas' anfüllen zu können. 'Man' bildet eine Gemeinschaft der Verehrung - z.B. die Swifties. Und es geschieht die totale Idealisierung, wenn der angehimmelte Star sich im Rahmen des Erwünschten verhält, wenn nicht, dann droht die totale Verteufelung. 'Verschwörungstheorie' höre sich noch viel zu wissenschaftlich an. 'Verschwörungs-Unsinn' wäre da die weit bessere Bezeichnung. Und existenzielle Verunsicherung ist ein guter Nährboden für Verschwörungs-erzählungen; diese konstruieren sowohl Feindbilder im Außen (Bill Gates, die Eliten,...) als auch im Innen (du musst in dir selbst etwas verändern, dann kommt das Glück automatisch auch zu dir - gib einfach deine Bestellung im Universum auf...). Heilbringertum durch selbsternannte 'Manifestationsexperten' auf Insta und anderen Plattformen boomen sein 9/11 und der Corona-Pandemie. Bevorzugt angeboten werden einfache Erklärungen für eigentlich komplexes Weltgeschehen. Das Gefühl, das eigene Leben über einen Glauben 'an die richtige Sache' richten zu können. Um nur einige Phänomene zu nennen, die die Autorin sehr präzise und unterhaltsam analysiert, um uns vor Fehlglauben und Wahrnehmungsverzerrungen zu schützen. Ein lehrreiches Buch. Auch als Hörbuch gut eingelesen.

Bewertung vom 19.06.2025
Gröschner, Annett

Schwebende Lasten


sehr gut

Beindruckend. Sehr beeindruckend, wie es der Autorin gelingt, Geschichte nicht nur lebendig werden zu lassen, sondern auch das Herz der Lesers zu öffnen für die stillen und unerwähnten Figuren der Geschichte. Annett Gröschner ist mir in einem Kulturbeitrag im TV begegnet, sie ist Stadtschreiberin in Mainz für das Jahr 2025. Und dieser Beitrag hat mich neugierig gemacht auf ihr aktuelles Buch "Schwebende Lasten". Ein ungewöhnlicher Titel, welcher sich aber durch die erzählte Geschichte wunderbar erklärt. Ein Stück Zeitgeschichte, fast ein Jahrhundertroman - vom Kaiserreich bis zum Ende der DDR, erzählt aus der Perspektive von Hanna Krause, der Blumenbinderin (nettes Detail: jedes Kapitel widmet sich in einem ersten Absatz einer bestimmten Pflanzenart), die später dann zur Kranführerin wird, aber nie ihre Liebe zu den Blumen verliert; die zwei Weltkriege durchlebt, den Verlust zweier Kinder erleidet, sich für Mann und Familie aufopfert und am Ende das fortgeschrittene 20. Jahrhundert immer weniger versteht. Hanna Krause, immer anständig und bescheiden, das Leben so nehmend, wie es kommt. Ohne Jammern und Klagen, aber ausgestattet mit zweckdienlichen Überlebensstrategien. (Beispiel: Wenn ihr Mann Karl getrunken hatte, war er nicht mehr zu halten, es gab aber ekin Geld für weitere Kinder: "An solchen Abenden musste er auf der Küchenbank schlafen. Eine bessere Form der Geburtenkontrolle kannte Hanna nicht."). Eine Geschichte, die Geschichte lebendig werden lässt. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 12.06.2025
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


gut

Da wäre mehr drin gewesen. Ein Drei-Generationen-Panorama, welches mich nicht erreichen konnte. Aber es ist eines auffällig: Drei-Generationen-Geschichten erscheinen gegenwärtig gehäuft auf dem Buchmarkt. Und die meisten davon folgen einer Grundidee, die auch in Paola Lopez' Erstling "Die Summe unserer Teile" handlungsleitend zu sein scheint, nämlich dass es nur über das Verstehen der Vergangenheit eine Idee für die Zukunft gibt. Ist diese Thematik aus diesem Grund so populär, weil wir nach Gewissheiten für unsere Zukunft suchen? Da ist Lucy, Informatikerin in Berlin, die keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hat, Medizinerin in München und verheiratet mit dem Psychiater Robert. "Lucys Leben glich schon immer einem leicht verstimmten Klavier, verschoben um weniger als einen Halbton." Und ein Klavier bringt die Handlung schließlich auch in Gang. Als Lucy eines Tages nach Hause kommt in ihre kleine Berliner Wohnung, steht dort der Flügel ihrer Kindheit; offenbar in die Wege geleitet durch ihre Mutter; mit dem Flügel taucht auch der der polnische Geburtsname ihrer Großmutter auf, einer seinerzeit im Libabon tätigen Chemikerin, was Lucy zu einer Spurensuche ermutigt und sie nach Polen führt. Was hat die Frauen der drei Generationen geprägt und zu einem eher kühl-distanzierten Verhältnis geführt? Und ist für Lucy zumindest zu ihrer Mutter ein Wiederaufleben des Mutter-Tochter-Verhältnisses möglich? Die Autorin bemüht sich, bei ihren Figuren etwas in Bewegung zu setzen, was ihr aber nur mäßig gelingt. So plätschert die Geschichte auf ihren 250 Seiten ein wenig vor sich hin. Da wäre mehr drin gewesen...

Bewertung vom 09.06.2025
Kucher, Felix

Von Stufe zu Stufe


gut

Nette Idee. Auch nett in der Umsetzung. Liest sich äußerst leichtgängig. Auch ein wenig Spannung. Auch ein wenig 'Aufklärung' - wer weiß schon etwas über die Anfänge des österreichischen Films... Auch ein wenig Kritik an der gegenwärtigen Arbeitswelt mit ihren unsicheren Arbeitsverhältnissen. Auch ein kritischer Bezug zur akademischen Handhabung von Kulturgütern. Auch eine weibliche Emanzipationsgeschichte. Auch die Geschichte eines mäßigen Scheiterns. Auch eine Geschichte über eine männliche Gedankenwelt, die schon lange nicht mehr spruchreif ist. Und auch eine Bezugnahme zu der eigentlich schon sehr lange andauernden Kriegssituation in der Ukraine. Und das alles untergebracht in nicht einmal 300 Seiten. Das ist entweder ganz große schriftstellerische Kunst oder droht am Anspruch zu scheitern. Mein Fazit: Recht unterhaltsam aber ohne die mögliche Tiefe gelöst. Zwei Handlungsstränge - Louise Kolm dreht einen ersten bedeutsamen Film (vergangene Ebene); der arbeitslos gewordene Marc erhält durch einen glücklichen Zufall die Gelegenheit genau diese Filmrolle in der Ukraine aufzufinden und seine akademische Karriere wieder neu befruchten zu können (Gegenwartsebene); und beide Handlungsstränge sind 'nur' durch die Filmrolle verbunden. Der erste Handlungsstrang fast ein nüchterner Bericht, der zweite ein wenig wie ein Roadmovie.

Bewertung vom 03.06.2025
Dean, Will

Die Kammer


gut

Gefühlte Luftnot beim Lesen. Engegefühle im Brustbereich. Ein klares Anzeichen von Angst. So geht es nicht nur den verbliebenen Sättigungstauchern, die den Auftrag haben eine Tiefseeleitung zu flicken. Sondern auch mir als Leser. Dem Autor Will Dean gelingt es in seinem Thriller "Die Kammer" recht gut, ein klaustrophobisch anmutendes Szenario aufzubauen. Zudem erfährt man eine Menge Details über die Herausforderungen derartiger Tauchgänge - Technikbegriffe sind im Glossar erläutert - was dem Lesefluss und Spannungsbogen nicht immer zuträglich ist. Nach ca. einem Drittel des Buches ereignet sich innerhalb der Besatzung (fünf Männer, eine Frau) ein Todesfall; ein zweiter, dritter und vierter folgen rasch; es gibt Verdächtigungen, aber unklar bleibt bis zum überraschenden Ende, ob die tödliche Gefahr von 'innen' oder von 'außen' kommt. Die Protagonist:innen müssen bis zum Auftauchen noch viele Stunden miteinander auf engstem Raum verbringen; Geschichtenerzählen lenkt ab - Geschichten über andere Taucher, die herausfordernden Situationen ausgeliefert waren. Die Erzählperspektive ist die von Ellen Brooke, des weiblichen Crue-Mitglieds; sie ist auch die einzige, über die wir etwas mehr erfahren; die meisten anderen Charaktere bleiben eher blass. Fazit: Die beklemmende Atmosphäre ist spürbar, zuviele technische Details, zuviele für die Handlung vollkommen unbedeutende Nebengeschichten, unzureichend ausgelotete Figuren.

Bewertung vom 02.06.2025
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


ausgezeichnet

Erzählte Lebensgeschichte. Allerdings nicht so ganz. Wohl eher autofiktional. Dreißig Jahre nach der blutigen Niederschlagung der studentischen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens entschließt sich die in Kanada lebende Chinesin Lai Wen, von den Ereignissen, bei denen sie als Studentin selbst Zeugin war, zu berichten; dies mit den Freiheiten einer Autorin und ihres durch Elena Ferrante inspirierten Erstlings. Die schrecklichen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind aber lediglich der Schlusspunkt einer beeindruckenden Lebenserzählung. Lai Wen widmet ihrer rebellischen Großmutter eine große Aufmerksamkeit, beschreibt empathisch ihren durch seine schlechten Erfahrungen mit dem Regime 'still gewordenen' Vater, gibt ihrer Mutter die Rolle derjenigen, die mit einer gewissen Strenge und Forderung nach Anpassung die Familie zu schützen beabsichtigt. Lai Wen beschreibt ihre Erfahrungen als Heranwachsende, zunächst einmal wenig selbstbewusste Person; wir begleiten sie durch ihre Schulzeit hindurch und wie sie ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe macht, wie sie schließlich als Studentin auf eine Gruppe von Menschen stößt, die ihren ganz eigenen Weg gehen, der eben nicht der Weg der Anpassung ist, wie sie in Anne eine bewunderte Freundin trifft, die sich am Tag X den Panzern des totalitären Statswesens entgegenstellt. Lai Wen macht mit ihrem Buch Geschichte erlebbar - gegen das Vergessen. Ein wichtiges und anrührendes Buch.