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kaffeeelse

Bewertungen

Insgesamt 580 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2024
Ich bin Anna
Saller, Tom

Ich bin Anna


sehr gut

Anna's Weg

Anna Freud und Sigmund Freud. Die eigene Tochter als Patientin. Trotz eigener Befangenheit. Ist halt eine andere Zeit. Wäre heute nicht mehr denkbar und würde auch nicht so stattfinden. Zumindest nicht als Fall. Sonst kann ich mir das schon vorstellen, denn das eigene Sezieren kann man schlecht abstellen und wenn dann noch das Thema Liebe dazukommt. Nun gut. Zurück zum Buch.

Vor einigen Jahren habe ich von Tom Saller „Wenn Martha tanzt“ gelesen und ich habe dieses Buch um Weimar und das Bauhaus noch gut in Erinnerung.

Dass Tom Saller in der Psychiatrie/Psychologie tätig ist, macht das Ganze dann noch etwas runder.

Und dann das Thema Anna Freud und Sigmund Freud, da ich selbst ebenso seit vielen Jahren mein Arbeitsfeld in der Psychiatrie gefunden habe, ist dieses Thema natürlich richtig verlockend.

Tom Saller vermag diese Geschichte, dieses reale Geschehen in eine Fiktion umzusetzen und er vermag das durchaus spannend zu gestalten. Als Tochter eines Psychiaters, und noch dazu dieses Psychiaters zu leben ist sicher nicht vollkommen einfach gewesen.

Von daher ist der Lebensweg der Anna Freud absolut interessant und in ihrem Werdegang für mich noch erstaunlicher, hätte ich Herrn Freud da schon eine größere Intervention zugedacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anna‘s Weg dem Vater zugesagt hat. Vielleicht liege ich hier auch falsch und ich lasse zu viel eigene Vorurteile hier einfließen, aber diese Vorurteile sind sicher nicht unbegründet.

Ein interessantes Buch, welches wunderbar unterhält und genauso brillante Einblicke in eine Familie gestattet und genauso auch geschichtlich ein Leckerbissen ist. Eine schöne Mischung. Ich kann es hier nur absolut empfehlen und sagen lest dieses Buch.

Passt es doch mehrfach in die heutige Zeit, zeigt es doch das Erstarken der Rechten damals und ihren Umgang mit der Gewalt, dies ist nur für diejenigen als Hinweis zu lesen, die vergessen haben, zu welcher Gewalt die Rechten in der Lage sind. Und es zeigt einen Blick in das queere Leben, das es natürlich immer schon gab, das nicht nur heute laut ist und das schon immer ein Teil der Menschheit war. Auch wenn das die ewig gestrigen Betonköpfe am besten vergessen würden. Am liebsten würden sie das Queere von der Erde tilgen, vergesst das nicht.

Bewertung vom 06.08.2024
Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten
Roschal, Slata

Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten


weniger gut

Dunkle Sichten

Diese Erzählstimme hier ist unzufrieden und hadert mit ihrem Ist-Zustand, sie jammert und wettert. Und sie triggert mich. Denn irgendwie erinnert mich dieser Text an ein kleines unschuldiges Rehlein, ein Opfer. Nur gibt es diese Rehlein, diese unschuldigen Menschlein in unserer Art recht wenig. Denn wir besitzen die Eigenschaft der Aktion, des eigenen Denkens, der Interaktion und bewegen uns dadurch recht schnell aus der Figur des kleinen unschuldigen Opfers heraus.

Von daher müsste man sich schon fragen, wo denn der eigene Anteil sitzt, der uns in diese Situation gebracht hat und genau an diesem Anteil setzt dann die eigene Arbeit an sich selbst an. Für gewöhnlich.

Denn das ist verdammt schwer!

Einfacher ist es immer zu sagen, der oder die haben die Schuld, weil der und/oder die haben das gemacht. Und mir geht es deswegen so schlecht. Buhuu!

Das depressive Thema impliziert durch die Vielfalt menschlicher Charaktere immens viele Erscheinungsformen, dennoch gibt es die reinen Opfer ein Glück selten, denn diese Opfer machen sich und ihrer Umwelt das Leben schwer, sehr schwer. Denn in ihrer Opferhaltung ist es für diese Menschen sehr schwer Wege aus ihrem eigenen Drama zu finden, allerdings fällt es ihnen sehr leicht andere zu Tätern zu stilisieren, ohne natürlich bei den eigenen Motiven zu suchen. Klarer Fall.

Und genau so erscheint mir hier diese Erzählstimme.

Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass dieses Szenario, in dem die Erzählstimme festsitzt, für sie destruktiv ist und sie vielleicht nicht unbedingt Möglichkeiten sieht aus dieser Situation herauszukommen.

Dennoch hat allein schon die Möglichkeit die Briefe fremder Menschen zu lesen und ihre Schicksale vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, ein richtig großes Potenzial. Denn da könnte man vom eigenen Drama abgelenkt werden und die dramatischen Lebensverläufe dieser Anderen auf sich einwirken lassen.

Könnte man. Muss man natürlich nicht.

Man kann auch der Meinung sein, dass Therapeutinnen Phrasen dreschen und ihnen nicht vertrauen. Doch dies impliziert ja eventuell auch, dass man sich nicht vollkommen öffnet und auch dadurch therapeutische Arbeit torpediert und sie damit erschwert. Immens erschwert. Aber auch da ist natürlich wieder die Therapeutin schuld. Und eigenes Zutun interessiert nicht. Schlimm!

Andererseits ist da auch die Liebe, um mal etwas positives einfließen zu lassen und man kann nur hoffen, dass über diese immense Kraft die Möglichkeit für die Erzählstimme liegt ihrem eigenen Drama zu entkommen.

Ich habe mich wirklich versucht auf diese Erzählstimme einzulassen, aber sie triggert mich dermaßen, dass ich sicher auch innerlich blockiert habe. Auch meine Arbeit in der Psychiatrie wird hier sicher mitgewirkt haben. Vielleicht sollte ich dieses Buch noch einmal lesen. Vielleicht.

Bewertung vom 05.08.2024
Laufendes Verfahren
Röggla, Kathrin

Laufendes Verfahren


ausgezeichnet

Brot und Spiele

Der NSU-Prozess. Schon der Gedanke daran lässt meinen Blutdruck steigen. Dieser unsägliche Prozess des Reinwaschens. Diese unsäglichen Vorgänge in der Zeit davor. Wie war dies alles möglich? Wie konnte der NSU in der Lage sein so etwas zu tun? Und was macht die tote Polizistin in diesem Ganzen? Welche Rolle spielte sie?

Die Autorin scheint auf dieses Geschehen ähnlich zu schauen. Denn in dieser literarischen Aufbereitung des NSU-Prozesses sammelt sich ihr Sarkasmus, ihre Hilflosigkeit und auch ihre Angst. Diese Angst vor dem Kommenden. Gerade in der heutigen Situation soo wichtig. Wie kann es diese Partei nur schaffen so viele Unzufriedene um sich zu versammeln? Wie kann man nur bei solchen Demokratiefeinden ein Kreuz setzen? Ich verstehe es nicht. Und noch weniger verstehe ich diese politischen Brandstifter, die die Grünen als ihr Ziel auserkoren haben. Die Grünen sind an allem schuld. Ja an was sind sie denn schuld? Die Themen, die die Menschen bewegen sind bei den Vorgängern der Grünen zu Problemen geworden. Aber die Grünen sind schuld. Und deswegen setzen wir unser Kreuz bei Demokratiefeinden, dann wird alles besser. Nu klar, dann wählen wir wieder eine Partei mit 100 %. Haben alle die gleichen Ansichten und bauen wieder Waffen für den Frieden. Hatten wir schon einmal. War scheiße! England zeigt es doch wie dumm es ist auf Populisten zu hören. Trotzdem rennt eine große Gruppe von Unzufriedenen weiter den Populisten hinterher. Doch was macht diese Menschen so unzufrieden. Was ist in unserem Land so schlecht im Vergleich mit anderen Ländern der Welt? Das erschließt sich mir so gar nicht.

Und gerade wenn man an das Geschehen im Zusammenhang mit dem NSU denkt, warum wird man durch so etwas nicht wachgerüttelt. Wollen wir wirklich wieder in eine Diktatur? Ein Land ohne Ausländer und ohne Homosexuelle, ohne Transsexuelle. In ein Gilead für uns Frauen, in dem wir Kinder bekommen dürfen, diese zuhause erziehen, nicht mehr arbeiten gehen und unsere Rechte eingeschränkt werden. Wollen wir das wirklich? Nicht mehr die eigene Meinung sagen dürfen, literarisch, medial, künstlerisch eingeschränkt sein, nur Vorgekostetes zum Verzehr vorgesetzt bekommen. Ist dies wirklich euer Ziel? So eine graue Welt. Hatten wir, gerade wir im Osten schon. Muss das wirklich sein? Nur weil Betonköpfe nichts Neues wollen. Kein neues Blut, keine neuen Ideen, die am patriarchalen Machtanspruch sägen, nichts Buntes und Aufrührerisches, und vor allem nichts Weibliches in der althergebrachten Männerwelt. Traurig! Und dies geschieht 2024. Und nicht nur hier bei uns, überall werden diese Hassenden lauter und sie säen Angst zur Erreichung ihrer Ziele. Denn ein angsterfülltes Volk lässt sich besser und vor allem unbemerkter steuern.

Warum rüttelt dieses Geschehen um den NSU nicht auf? Warum hinterfragt man nicht die Hintergründe? Warum duckt sich dieser deutsche Untertan immer so schnell ab, wenn es wichtig wird. Warum ist das so? Und warum neigen wir dazu uns Feindbilder zu erschaffen, die beim genauen Hinsehen jämmerlich in sich zusammenfallen? Anstatt bei der Macht hinzusehen, die weiter auf den Schwachen rumhackt, um ja nicht das eigene Vermögen anzutasten. Obwohl sie ja auch zu unserem Staat gehören und diesem Staat und seinen Untertanen ihren Reichtum verdanken. Denn diejenigen, die das Geld erwirtschaften, sind nicht diejenigen, die das Geld haben. Aber das Thema Brot und Spiele hat ja immer schon funktioniert. Warum nicht auch jetzt.

Die Schärfe in der Aufarbeitung des NSU-Prozesses in dem Buch von Kathrin Röggla hat mir sehr gefallen, denn diese Schärfe schwebt auch in mir, wie man diesem Text entnehmen kann. Das Zynische in der Aufarbeitung hier hat mir sehr gefallen, genau wir mir auch gefallen hat, dass dieses Buch in der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist.

Bewertung vom 05.08.2024
Katja
Reimann, Brigitte

Katja


ausgezeichnet

Weiblichkeit neu denken

Brigitte Reimann ist mir im letzten Jahr mit ihren Tagebüchern in „Ich bedaure nichts“ und mit ihrer Biografie von Carsten Gansel über den Weg gelaufen und sie ist mir sehr positiv aufgefallen. Natürlich möchte ich meiner Herkunft auch etwas Zeit widmen und deswegen befasse ich mich natürlich mit der DDR, mit einigen Schriftstellern, mit dem damaligen Leben. Vielleicht kann man, wenn man die Vergangenheit besser versteht, auch dieses Jetzt besser begreifen. Ist aber immer noch ein Versuch. Mehr dazu sagen kann ich immer noch nicht.

Aber zu Brigitte Reimann kann ich etwas sagen, diese Autorin scheint eine interessante Frau gewesen zu sein. Eine Frau mit vielen Ecken und Kanten. Und eine mutige Frau. Sicher keine Frau, die ich auf einen Sockel stelle und fortan als ein Idol anbete. Dazu ist mein Denken einfach nicht mehr Schwarz-Weiß genug. Sie hatte definitiv auch Seiten, mit denen ich überhaupt nicht konform gehen kann. Aber dies ist auch der Zeit geschuldet, der sie entstammt.

Und gerade wegen der Zeit, der sie entstammt, verwundern mich diese Blicke auf weibliches Denken und Leben, die Brigitte Reimann hier zeigt. Der Aufbau- Verlag versammelt hier in „Katja“ noch nicht veröffentlichte Erzählungen der Reimann und zeigt in diesen Erzählungen den absolut fortschrittlichen Geist dieser Autorin und er zeigt in diesen Geschichten die feministische Denke der Reimann in den 50ern, in den 60ern und in den frühen 70er Jahren.

Und genau hier ziehe ich meinen imaginären Hut vor dieser Autorin und ihrem Mut. Wir wissen, wie man heute auf feministisches Denken reagiert. Von daher kann man sich in etwa vorstellen mit welchen Betonköpfen die Reimann da immer wieder angeeckt sein muss.

In „Katja“ sind absolut interessante Frauenbilder versammelt, die einerseits einen Blick in die Vergangenheit vermitteln und andererseits das Nachdenken der Leserschaft ermöglichen. Für Fans der Reimann ist dieses Buch ein Muss. Und auch für alle anderen sei dieses Buch wärmstens empfohlen, denn dieses Buch sägt am verstaubten Bild vergangener Zeiten.

Bewertung vom 05.08.2024
Aufrappeln
Poznan, Judith

Aufrappeln


sehr gut

Alles neu

„Aufrappeln“ von Judith Poznan ist ein Buch über den Umgang mit einer plötzlichen Veränderung. Wobei diese plötzliche Veränderung zwar plötzlich und unerwartet eintritt, aber dennoch nicht vollkommen plötzlich und unerwartet ist. Klingt komisch. Ist aber leider so. Es geht um eine Paarbeziehung, eine Paarbeziehung, die vor sich hingeht, die dahinplätschert, der das Feuer abhandengekommen ist. Man lebt neben sich her. Und dann kommt der Knall. Vielleicht ist das auch der Grund, dass dieses Aufrappeln besser gelingt. Denn genau diesen Anschein macht es in der Geschichte von Judith Poznan. Die Autorin erzählt dieses gravierende Geschehen absolut leicht und ohne diese manchmal auftretende Dramatik. Sie ist mehr mit dem Funktionieren der beiden ehemalig Verbündeten für das gemeinsame Kind beschäftigt, als dass das Drama einen Platz finden könnte. Aber dieses nicht vorhandene Drama sagt ja auch einiges aus, oder? Klar gibt es die eine oder andere Träne, aber ein Gefühlschaos sieht in meinen Augen anders aus. Und so liest sich dieses Buch über einen Neuanfang leicht und schnell, und die Leserschaft beobachtet diesen Umgang der Erzählerin mit diesem neuen Abschnitt in ihrem Leben und feiert die Erzählerin auch dafür, dass ihr das so leichtfüßig gelingt. Ein schönes Buch über das Leben. Denn auch so kann es ablaufen, so ohne Dramatik. Denn diese Dramatik würzt das Leben und die Liebe, ja, unbedingt, aber manchmal überwürzt diese Dramatik das Leben auch und man verliert die Lust auf etwas Neues. Und dies wird der Erzählerin nicht passieren. Sie beendet dieses Kapitel in ihrem Leben und ist bereit für das Nächste, das irgendwann beginnen wird.

Bewertung vom 05.08.2024
Lichter auf der Piazza Maggiore
Palandri, Enrico

Lichter auf der Piazza Maggiore


sehr gut

Ein mutiger Blick auf die Welt in Bologna in den Endsiebzigern

1979 veröffentlicht Enrico Palandri „Lichter auf der Piazza Maggiore“ und er erlangt mit diesem Buch Bekanntheit und es wird in Italien sehr gut verkauft. Wenn man bedenkt, welche politischen Wirren Italien in den 70ern heimsuchten, ist dies absolut nachvollziehbar.


Jetzt veröffentlich der Schöffling Verlag dieses Buch erstmals auf Deutsch. In einer Zeit in der das gesamte Europa von politischen Wirren heimgesucht wird. Ein kluger Schachzug, wie ich anfänglich dachte.


Nur ist dieses Buch nicht so politisch, wie ich vor der Lektüre dachte. Es kreist eher um das Empfinden der Jugend in den 70ern in Italien. Es geht um die Jugend, die Gefühle, das überschäumende Leben und die edlen Ziele von jugendlich kraftvollen Weltverbesserern. Was nicht schlecht ist. Nur wenn man die politischen Ereignisse als Vordergrund sieht, könnte man etwas enttäuscht werden. Denn als eine Agenda der politischen Ereignisse in Bologna kann ich dieses Buch nicht sehen.


Eher steht das jugendliche Gefühlsleben im Vordergrund, die politischen Ereignisse laufen etwas im Hintergrund ab. Was man in den 70ern sicher gefeiert hat, denn das war ja eine andere Zeit. Eine Zeit, in der der Mief der Nachkriegszeit an vielen Orten in Europa aufgebrochen wurde. Und das wurde sicher mit Nachdruck gefeiert und der Mut dazu sicher völlig zurecht gewürdigt.


Aus unserer heutigen Sicht erscheint dieses Buch aber etwas lasch, aber so darf man dieses Buch sicher nicht bewerten, denn hier muss man definitiv die Situation in der Zeit der Entstehung des Buches einfließen lassen. Von daher ist es ein hervorragendes Buch!


Und gern gelesen habe ich es allemal, denn es vertieft das Wissen über das Geschehen in Italien. Wer auf meinen Blog schaut, wird unter dem Stichwort Italien viele Bücher finden, die das Geschehen in Italien beleuchten. Von daher passt es perfekt in mein Jagdschema.


Und eine Vier Sterne Bewertung von mir bedeutet ja, dass dies ein sehr gutes Buch ist, wo halt nur noch der letzte kleine Kick gefehlt hat.


Lest es und urteilt selbst. Für Italien-Fans ist „Lichter auf der Piazza Maggiore“ ein Muss, denn es zeigt ein Gestern. Und wenn man dieses Gestern mit dem jetzigen Geschehen vergleicht, dann, ja, was dann. ?!?! Für mich stellen sich hier viele Fragezeichen auf. Und auch Ängste.


Muss sich Geschichte wirklich wiederholen? Sind wir wirklich so wenig lernfähig? Oder zählt nur halt wieder die Gier einzelner, dafür sehr mächtiger Menschen?!?!

Bewertung vom 14.07.2024
Unschärfen der Liebe
Overath, Angelika

Unschärfen der Liebe


sehr gut

Ménage à trois
Beziehungsarbeit während einer Zugfahrt, Nachdenken über die Beziehungsmuster, über Ängste, Ängste vor dem eigenen Tun, Ängste vor dem Tun des Partners.

Und während dieser Gedanken tuckert der Protagonist Baran von Chur nach Istanbul zu seinem Mann Cla. Während dieser Fahrt ermöglicht Angelika Overath immer wieder kurze Blicke in die bereisten Länder, so dass dieses Buch auch ein Reiseroman wird.

Nun ist dieses Buch aber nicht nur ein Blick in eine Beziehung, sondern eigentlich ist dieses Buch auch eine kleine Ménage à trois, denn Baran kommt aus Chur und hat dort Clas ehemalige Freundin, die Bündnerin Alva und Clas Tochter Florinda besucht. Und natürlich hat er nicht nur einen Besuch abgestattet, denn irgendwie ist zwischen Alva und Baran etwas passiert, was Baran natürlich zusetzt.

Und so blickt Baran nicht nur auf das bereiste Land, sondern auch auf die Mitreisenden und lenkt sich mit Spekulationen über diese Menschen, mit Spekulationen zu ihren Lebenssituationen etwas vor der eigenen, im Dreieck springenden, Gedankenwelt ab.

Über diese Blicke auf verschiedene Menschen philosophiert Angelika Overath etwas über die Unschärfen der Liebe, ein interessantes Buch, auch ein gutes Buch, ebenso ein interessanter Schreibstil und auch ein schöner Sprachklang. Alles ganz gut. Ja. Durchaus. Aber was vermittelt mir dieses Buch? Dass Menschen Menschen sind und manchmal unergründlich. Nun gut. Das ist mir nicht unbedingt neu.

Das Buch endet in Istanbul und zeigt ein mögliches Ende.

Was schön ist.

Aber was passiert dann? Alva ist Florindas Mutter, der Kontakt zu Cla wird also bestehen, wie wird dann Baran damit umgehen. ?!?! Mein Kopfschütteln seht ihr ja gerade nicht.

Aber auch dies bleibt offen, Menschen sind ja Menschen, ich weiß.

Das mögliche Ende lässt aber eigentlich alles offen. Denn obwohl die Geschichte ja durchaus nachvollziehbar ist, gerät das Buch am Ende doch etwas phantastisch und lässt die Leserschaft etwas verwundert zurück, mich zumindest. Trotzdem ein gut gewähltes Ende. Vielleicht sogar etwas hoffnungsvoll und verträumt. Trotz der dramatischen Situation. Die nach dem Geplätscher vorher doch mit einem gewaltigen Knall einhergeht.

Bewertung vom 14.07.2024
Chrysalis
Metcalfe, Anna

Chrysalis


sehr gut

Veränderung
„Chrysalis“ ist ein richtig interessantes Buch. Denn es könnte zu einem Nachdenken anregen, wenn man denn will. Eine Frau sucht nach einer traumatischen Erfahrung nach einer Veränderung. Sie geht einen neuen Weg. Sie will stärker werden, will unabhängiger werden, sie will sich stärken und schützen. Dies macht sie recht rigoros. Und schürt damit nicht unbedingt nur empathische Gefühle in der Leserschaft. Doch warum ist das so? Würden wir genauso reagieren, wenn der Hauptcharakter ein Mann wäre? Denn so etwas direkt zu Verurteilendes macht der Hauptcharakter in „Chrysalis“ nicht. Sie geht nicht allzu nett mit ihrer Umwelt um. Auch mit ihrer Mutter nicht. Was für mich das Schlimmste war.

Durch die Aktion des weiblichen Hauptcharakters wird indirekt/direkt ein Blick auf weibliche Rollenmodelle geworfen und die Leserschaft reagiert darauf. Doch warum ist das so? Wäre der Hauptcharakter in diesem Buch ein Mann, würde die Leserschaft garantiert anders reagieren. Dort wäre so eine Aktion legitimer.

Doch hier ist es eine Frau und sofort urteilen wir anders. Ich würde mich durchaus eine feministisch geprägte Frau nennen, aber auch bei mir stößt dieses Handeln der Frau in Chrysalis an gewisse Grenzen. Nicht völlig und stringent. Denn ich kann diesen Wunsch der Frau verstehen, ich agiere im Leben ähnlich. Ich brauche meine Freiräume und ich verteidige sie auch, ich genieße und brauche meine Autarkie, ich kann mir etwas anderes nicht mehr vorstellen. Kompromisse einzugehen ist notwendig und auch schön, aber in gewissen Momenten gibt es keine Kompromisse mehr, da geht es nur noch nach meinem Gusto und das ist gut so.

Aber das Handeln des Hauptcharakters mit der eigenen Mutter wirft in mir Fragen und auch Abscheu auf. Ich bin garantiert nicht heilig und mache Fehler, auch im Umgang mit meiner Mutter, betrachte mein Tun dann kritisch und versuche mich zu entschuldigen, was mir nicht leichtfällt. Vor allem aber, ich versuche mich zu verändern, versuche mich zu bessern. Denn Mama ist nun mal Mama!

Von daher falle auch ich in diese Erwartungen an weibliches Handeln und reagiere dementsprechend. Doch dieses Buch versucht genau diese altbekannten Betrachtungen weiblichen Tuns zu hinterfragen. Nachdenklich zu machen. Die Möglichkeit zur Chrysalis, ein Insekt im Zustand der Verpuppung, ein Übergang zu etwas Anderem, näher zu betrachten. Denn Verletzungen haben wir doch alle, was also tun zur Verbesserung der eigenen Situation. Ähnlich reagieren. Sich vollkommen rausnehmen. Kann nicht jeder, können die wenigsten. Was auch gut so ist. Denn wenn dies alle tun, gerät unsere Gesellschaft ins Wanken. Was in dem Buch in der Menge der Nachahmer kurz betrachtet wird und auch in einer gewissen Angst vor dem Tun dieser Menschen. Aber man muss dies ja auch nicht so vollkommen durchziehen, ein Überdenken des eigenen Tuns reicht hier völlig und eine Bereitschaft zur Veränderung in den eigens für sich gesetzten Rahmen. So dass es guttut und man gestärkt aus dieser Aktion rausgeht.

Was auch etwas Gutes hätte, am Ende würde die Erde sich freuen! Sie wäre ihren größten Aggressor endlich los!

Denn die Frage, die in diesem Buch zu kurz kommt, ist folgende, warum ist man denn gezwungen sich rauszunehmen und kann man nicht an den triggernden Faktoren etwas verändern, kann nicht unsere patriarchale Welt endlich verschwinden und die ewige Ungleichheit gleich mit?!?!

„Chrysalis“ von Anna Metcalfe ist ein sehr gutes Buch, dem nur die kühl verfasste Art, den letzten Stern nimmt. Denn dieses Kühle dringt nicht so sehr zu mir durch. Die Thematik ist aber wunderbar gewählt. Das Buch hat Spannung und ich kann es allen nur wärmstens ans Herz legen. Auch wenn ich denke, dass dieses Buch polarisiert. Lest es selbst und schaut was Anna Metcalfe hier mit euch macht.

Bewertung vom 14.07.2024
Die Schönheit der Rosalind Bone
McCarthy, Alex

Die Schönheit der Rosalind Bone


ausgezeichnet

Wahrheiten?!?!

Dieses Buch hier kam genau zur richtigen Zeit zu mir. Ich habe dringend eine richtig gute Geschichte gebraucht. Und zack, da tauchte „Die Schönheit der Rosalind Bone“ auf meinem Reader auf und ich dachte, klingt gut. Tja und dieses Buch klingt nicht nur vom Plot her gut, nein, dieses Buch ist im Gesamtpaket einfach der Hammer. Nun ist dieses Buch nicht vollkommen so der Burner durch seinen Überraschungseffekt, nein, einiges vom Tun ist der Leserschaft schon früh klar, anderes wieder kommt so nach und nach zum Vorschein. So dass immer ein Spannungsfeld da ist. Dieses Buch ist der Hammer, weil es so menschelt.

Alex McCarthy lässt die Leserschaft auf eine Reise nach Wales gehen, in das verschlafene Nest Cwmddu / Cwmcysgod. Herrlich diese walisisch/keltischen Namen. Das sind garantiert wunderschön klingende Sprachen, dazu fand ich die Ausspracheerklärungen im Buch übrigens sehr gut, sehr erhellend und absolut interessant. Wahrscheinlich aber auch schwer zu lernende Sprachen.

Nun gut, zurück zum Buch, zur Handlung. Alex McCarthy blickt in ihrem Buch in die enge und erdrückende Welt eines Dorfes. Sie blickt auf die Beurteilungen der Menschen, auf das Denken, was diese Menschen übereinander haben. Sie blickt auf die Größe und die zerstörerische Kraft, die in so einer Beurteilung/Verurteilung liegt. Sie blickt auf die Folgen. Und sie blickt auf dieses Heiliggetue. Man selbst ist unschuldig und gut, während die Anderen oder manche Anderen direkt der Hölle entsprungen sind. Dabei gibt es dieses strikte Schwarz-Weiß-Denken ja nicht und jeder Mensch hat beide Anteile in sich. Was dieses Buch ebenso zeigt. Gerade in diesen Bewertungen und Verurteilungen zeigt man ja das eigene negative Denken. Aber nicht in der Welt der Oberheiligen. Klarer Fall. Ebenso zeigt dieses Buch, dass es selbst in einer Welt, wo vermeintlich jeder jeden in- und auswendig kennt, viele unkenntliche Stellen in den Seelen der Anderen gibt. Was gleichzeitig dieses Denken über diese enge Welt in Frage stellt, denn manches will der Mensch sehen und manches eben nicht. Denn dieses Böse macht ja nicht der nette Nachbar, dieses Böse zelebrieren die Anderen, die Unbekannten, die Fremden, die Ungeliebten, die Unverstandenen. Und wenn man dann meint, dass es dieses Gefüge nur in diesen engen Dörfern gibt, nun denn, Augen auf ihr Lieben. Dieses Denken ist ungemein menschlich und dieses Denken gibt es auch in der größten Stadt. Jeder Kriminalkommissar wird dies bestätigen. Denn diese enge Welt gibt es in jeder menschlichen Gruppierung, ob dies nun die Freundesgruppen oder die Nachbarschaft oder das Kollegium ist.

Alex McCarthy lässt in „Die Schönheit der Rosalind Bone“ auf diese menschlichen Empfindungen, auf diese menschlichen Eigenschaften blicken und begeistert mich damit ungemein. Und damit ist dem Goya-Verlag ein erneuter großer Wurf gelungen, das Augenmerk der Leserschaft sollte meiner Meinung nach mal mehr auf diesen kleinen Verlag gerichtet sein. Ich habe in letzter Zeit so einiges von Goya gelesen, was mich begeistert hat, wenn ich da an „Der große Nordwesten“, Das Summen“ oder „Nach einem Traum“ denke. Auch „Die Schönheit der Rosalind Bone“ reiht sich hier hervorragend mit ein und ich kann alle diese Bücher nur wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 14.07.2024
Memoria
Beck, Zoë

Memoria


sehr gut

Rückschau in einer destruktiven Zeit
„Memoria“ ist mein erstes Buch von Zoë Beck, wird aber sicher nicht mein letztes Buch sein, denn diese Verbindung von Thriller und Dystopie hat mir sehr gut gefallen. Es hat mich nur noch nicht vollkommen angezündet, wie ich es immer nenne, dieses Gefühl bei einem sehr guten Buch, wenn dich diese Geschichte nicht mehr loslässt, wenn du nicht aufhören kannst zu lesen, egal, ob du früh raus musst oder was auch immer noch zu tun ist. Das hat „Memoria“ nicht geschafft, aber ich war wirklich kurz davor. Denn „Memoria“ hat ein sehr hohes Spannungslevel, nur die Hauptfigur Harriet erreicht mich nicht vollkommen, sie bringt mich nicht zum Zünden, was aber kein Manko ist. Denn dieses Brennen in mir ist letztlich nur noch eine gewisse Krönung.

Die junge Frau Harriet lebt in einem etwas düster und dystopisch gezeichneten Land, einem Land, welches sich verändert hat. Eine Veränderung, die nachdenklich und auch wütend macht. Denn diese Veränderung ist nachvollziehbar und dieses ewige Wegschauen aus dieser bescheuerten Gier heraus macht wütend, besonders wenn diese reaktionären Kräfte durch ihre Polemik genau diese Menschen beeinflussen, die später in dieser düsteren Zukunft am meisten betroffen sein werden. Aber hier wird munter nach einem Sündenbock gesucht, dieser wird natürlich auch gefunden und dann wird lustvoll auf diesen vermeintlichen Schuldigen herumgehackt. Kommt mir übrigens sehr bekannt vor, hatten wir alles schon mal, war überhaupt nicht gut. Hat die Deutschen in der Welt nicht gut dastehen lassen. Wie sie auch jetzt wieder nicht gut dastehen. Wieso nur?!

Aber zurück zum Buch, Harriet lebt in eben dieser neuen Welt, schlägt sich mehr oder minder gut durch und überlebt halt. Sie rettet eine Frau vor einem Feuer und diese Aktion bringt Harriets Welt noch mehr durcheinander. Denn es kommen immer mehr Träume und Sequenzen aus einem anderen Leben in ihren Träumen und Tagträumen vor. Dies verunsichert Harriet, ihr wurde erzählt, dass eine Operation an ihrer Hand sie von ihrer Karriere zu einer sehr bekannten Konzertpianistin trennte. Doch war das wirklich so? Die Rettung der Frau wird zu einem Triggerpunkt für Harriet und sie versucht der Vergangenheit nachzuspüren. Eine absolut spannende Geschichte entsteht vor den Augen der Leserschaft, eine Geschichte, der wirklich nur noch ein kleines Quäntchen zum letzten fünften Stern fehlt.

Zoë Beck ist eine Entdeckung für mich, ihr Schreibstil begeistert mich und besonders hat mich diese dystopische Welt fasziniert, passt genau so eine Geschichte doch hervorragend in diese Zeit. Nun muss man nur noch hoffen, dass dieses Buch sehr viele Leser findet und zum Nachdenken anregt.

Krimis und Thriller erreichen vielleicht noch mehr Menschen als diese literarischen Kunstwerke, die ich sonst so konsumiere. Aber Zoë Beck wird man in meinem Tun wiederfinden, gekauft sind die Bücher schon, jetzt brauche ich nur noch die Lesezeit. Und das wird das Schwierige.