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YukBook
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München

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Insgesamt 307 Bewertungen
Bewertung vom 17.05.2025
Falk, Stephan;Fink, Anne

Glücksorte in Ligurien


ausgezeichnet

Um mich auf einen Urlaubsort einzustimmen, lese ich neben Reiseführern am liebsten Romane, die dort spielen, oder Bücher wie „Glücksorte in … “. Nach Elsass ist Ligurien mein zweites Buch dieser Reihe. Schon nach dem ersten Tipp, die Hafenbucht von Camogli, fühlte ich mich in die verträumte ligurische Küstenregien hineinkatapultiert.

Ich habe mir schon viele Orte notiert, die kulinarische, visuelle und künstlerische Genüsse versprechen. Man lernt neben Glücksorten auch interessante Traditionen kennen wie das Weihnachtstauchen in dem Fischerdorf Tellaro oder das Festa dell‘Amaretto in Sassello, bekannt für den Mandellikör und die Amarettini. Für mich eine schöne Art, mich mit einer Region vertraut zu machen, zumal die Texte nicht nur informativ, sondern auch sprachlich ein Genuss sind. Manche Orte wie das Dorf Pantasina oder eine felsige Badebucht in Framura sind anscheinend schwerer zu erreichen, belohnen aber mit einem einzigartigen Ausblick.

Mal sehen, ob wir auch einen Abstecher zu einer außergewöhnliche Bücherei in Torriglia oder zu den Panchine letterarie – Bänke in Form eines aufgefächerten Buches – in Arenzano machen können. Nach der Lektüre ist die Vorfreude auf den Urlaub auf jeden Fall noch größer!

Bewertung vom 07.05.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Was mich an diesem Roman gereizt hat, waren nicht nur die vielen positiven Rezensionen, sondern auch der Schauplatz. Die Geschichte spielt in einem Ferienlager, das der reichen Familie Van Laar gehört, und beginnt damit, dass ausgerechnet die 13-jährige Tochter Barbara spurlos verschwindet. Das reißt alte Wunden auf, denn vor 14 Jahren verschwand ihr Bruder Baer auf ähnlich mysteriöse Weise.

Mindestens genauso spannend wie die Ermittlungen, die die junge Polizistin Judyta übernimmt, sind die vielfältigen Charaktere aus unterschiedlichen Schichten und ihre Verflechtungen. Sowohl im Alltag auf dem Sommercamp als auch in Rückblicken kommt man den Figuren sehr nahe, zum Beispiel Alice, Barbaras Mutter, die orientierungslos wirkt und sich stets ihrem patriarchalischen Mann unterordnet; oder die Betreuerin Louise, die sich verantwortlich für Barbaras Verschwinden fühlt und ihrem zwielichtigen reichen Verlobten die Treue hält.

Die Autorin beschreibt das gefährliche Naturreservat sehr atmosphärisch, deckt soziale Ungleichheit und Machtmissbrauch auf und schickt uns mehrmals auf die falsche Fährte. Für mich ist das Buch weniger ein Krimi als vielmehr ein raffiniert komponierter, gesellschaftskritischer Roman mit einem überraschenden Ende.

Bewertung vom 10.04.2025
Baldini, Laura

Die Pädagogin der glücklichen Kinder / Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Bd.23


ausgezeichnet

Die Romanbiografie ist in den 1930er Jahren in Wien angesiedelt – eine aufregende Zeit, in der die Stadt zum Magnet für Wissenschaftler und Künstler wurde und neue Erkenntnisse die Medizin und Psychologie revolutionierten.

Auch Emmi Pikler, die Kinderärztin werden will, zieht es dorthin, weil sie als Jüdin nicht in Budapest Medizin studieren kann. In Wien wohnt sie bei ihrer Tante und beschäftigt sich während ihres Studiums und der Facharztausbildung immer intensiver mit der freien Bewegungsentwicklung von Kindern.

Das Erzähltempo war für mich genau richtig. Es gibt immer wieder kleine Zeitsprünge, so dass man in gestraffter Form die wichtigen Stationen in ihrer Ausbildung, im Beruf und Privatleben miterlebt. Mit welcher Leidenschaft und Überzeugung Emmi Pikler die neuen Wege der natürlichen, kindgerechten Entwicklung verfolgt und ihre Ideen tatkräftig umsetzt, hat mich sehr beeindruckt – und das alles trotz eines schweren Schicksalsschlags, Kritik und Spott von Gegnern und Lebensgefahr durch die Machtergreifung der Nazis. Nachdem ich schon einiges über das Montessori-Konzept gelesen habe, war es für mich umso interessanter, eine weitere bedeutende Pädagogin in diesem lehrreichen und kurzweiligen Roman kennenzulernen.

Bewertung vom 05.04.2025
Bilkau, Kristine

Halbinsel


ausgezeichnet

Der Schauplatz spielt in den Romanen von Kristine Bilkau eine wichtige Rolle, so auch diesmal, wie der Titel verrät. Die 25-jährige Linn, die für ein Aufforstungsprojekt arbeitet, bricht bei einem Vortrag auf einer Umwelttagung zusammen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie eine Weile bei ihrer Mutter Annett auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer verbringt, um wieder auf die Beine zu kommen. Problematisch wird es erst, als Linn jeglichen Antrieb verliert und sich dauerhaft bei ihr einnistet. Annett erkennt ihre Tochter, die voller Tatendrang und Idealismus in die Welt gezogen ist, nicht wieder.

Die Autorin hat ein sehr passendes Setting gewählt, um die Komplexität einer Mutter-Tochter-Beziehung in all ihren Facetten einzufangen. Erzählt wird aus der Perspektive der Mutter, doch ich konnte mich in beide Generationen hineinfühlen: auf der einen Seite Annett, die versucht hat, ihre Tochter bestmöglich für die Welt auszurüsten, aber auch zu beschützen, voller Fürsorge und Hoffnung; auf der anderen Seite Linn, die angesichts des Betrugs am Klimaschutz und permanenten Leistungsdrucks in eine Sinnkrise fällt. Beide haben den plötzlichen Tod des Vaters noch nicht verarbeitet. Wie die beiden während eines Sommers sich und ihre Heimat neu kennenlernen, erzählt Kristine Bilkau wie schon in ihren vergangenen Romanen subtil, eindringlich und berührend. Es freut mich, dass sie für ihren hervorragenden Roman den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat.

Bewertung vom 20.03.2025
Köller, Katharina

Wild wuchern


ausgezeichnet

Dieser Roman packt einen schon auf den ersten Seiten. Die Ich-Erzählerin Marie kämpft sich unter widrigen Bedingungen einen Berghang hoch. Sie sucht Zuflucht bei ihrer Cousine Johanna, die allein auf einer Tiroler Berghütte lebt. Man will dringend wissen, wovor sie wegrennt und wie Johanna auf den unerwarteten Gast reagieren wird.

Schließlich hatten beide keinen Kontakt mehr, seitdem sie als Kinder einige Sommer gemeinsam auf der Alm verbracht haben. Die verwöhnte Wienerin und die Eremitin finden jedoch nur schwer zueinander – wie auch, wenn Johanna lieber in Gesellschaft von Eulen, Mäusen und Schlangen ist statt von Menschen. So sind die Szenen, in denen sich die beiden bei kräftezehrenden Arbeiten anschweigen, aufgeladen durch Unausgesprochenes und Unverständnis gegenüber der Anderen.

Ich finde es dramaturgisch sehr gelungen, wie die Autorin den Heldinnen eine Bühne bietet, um den von ihren Müttern künstlich auferlegten Wettbewerb zwischen ihnen zu verarbeiten, Geheimnisse zu lüften und sich wieder anzunähern. Dabei kommt auch die Situationskomik nicht zu kurz. Sowohl die um Anerkennung bemühte Marie als auch die autarke Johanna und ihre gegensätzlichen Lebensentwürfe regen dazu an, das Verständnis von „Normalität“ zu hinterfragen.

Bewertung vom 16.03.2025
Magee, Audrey

Die Kolonie


ausgezeichnet

Der Londoner Maler Lloyd verbringt einen Sommer im Jahr 1979 auf einer abgelegenen irischen Insel, um sich von der Natur inspirieren zu lassen und ein besonderes Kunstwerk zu schaffen. Das klingt zunächst unverfänglich, wären da nicht die Rahmenbedingungen. Sein Auftreten bringt Unruhe in die Gastfamilie mit mehreren Generationen, die eine unterschiedliche Einstellung zur Traditionserhaltung haben. Als sich dann noch der französische Linguist Masson, der sich mit dem Aussterben der irischen Sprache beschäftigt, als weiterer Gast einquartiert, spitzen sich die Feindseligkeiten zu.

Mit entlarvender Ironie beschreibt die Autorin, wie zwei Eindringlinge Besitzansprüche auf der Insel stellen, um ihre persönliche Mission zu erfüllen. Koloniale Muster spiegeln sich nicht nur in ihrer Eitelkeit und Überheblichkeit wider, sondern auch in ihrem Umgang mit dem 15-jährigen James, der durch Lloyd sein malerisches Talent entdeckt und auf eine Zukunft außerhalb der Insel hofft. Welche Wendung die scheinbar gegenseitig bereichernde Beziehung nimmt, ließ mich sprachlos zurück.

Audrey Magee beherrscht nicht nur psychologische, sondern auch erzählerische Raffinessen. Der fließende Übergang von der dritten in die erste Person und die sprachliche Anpassung erlauben uns, in die Gedanken und Erinnerungen der verschiedenen Figuren einzutauchen und ihren Antrieb und ihre Träume zu begreifen. Auf dem Festland spitzt sich derweil der Nordirlandkonflikt zu und ist durch aktuelle Meldungen über grausame Attentate, die den Kapiteln vorangehen, ständig präsent. Ein meisterhafter Roman, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Bewertung vom 12.03.2025
Lawhon, Ariel

Der gefrorene Fluss


ausgezeichnet

Der Roman war in mehrfacher Hinsicht ein großer Gewinn. Ich bekam nicht nur Einblick in den Alltag einer Hebamme und Heilerin, sondern lernte auch eine reale Heldin aus dem späten 18. Jahrhundert kennen: Martha Ballard aus Maine.

Ein Todesfall in der Kleinstadt Hallowell, bei dem Martha überzeugt ist, dass es sich um Mord handelt und eigene Ermittlungen aufnimmt, bildet den Spannungsbogen. Durch ihre täglichen Aufzeichnungen von Geburten, Todesfällen und Verbrechen kennt sie viele Geheimnisse, unter anderem die Vergewaltigung einer Frau vor vier Monaten, die ungesühnt geblieben ist.

In einer Zeit, in der Frauen der Macht und Willkür von Männern ausgeliefert sind, kommen Hebammen wie Martha Ballard eine umso wichtigere Bedeutung zu. Martha versteht, was Schwangere durchmachen müssen, hört ihnen zu und setzt sich besonders für verzweifelte Frauen ein, die auf sich allein gestellt sind. Was Martha aber besonders auszeichnet, ist ihr Mut, sich gegen das Patriarchat zu behaupten und die Stimme zu erheben, um Unrecht zu verhindern.

Auch sprachlich überzeugt der Roman. Der eisige Winter, die düstere Atmosphäre und die bedrohliche Gewalt lassen einen erschaudern und stehen im starken Kontrast zu der Wärme und dem Zusammenhalt, der in Marthas Familie herrscht, auch dank dem liebevollen Ehemann Ephraim. Dabei blickt auch sie auf eine leidvolle Vergangenheit zurück.

Bewertung vom 15.02.2025
Eden, Elena

Der Garten im Licht


ausgezeichnet

Möchte man an diesen tristen Wintertagen nicht in den Süden flüchten, zum Beispiel an die Côte d’Azur? An diesen Schauplatz führt uns dieser Roman von Elena Eden. Die Hauptfigur Alina hat den schönen Auftrag, die exotischen Gärten dort für ein renommiertes Magazin zu fotografieren.

Ihr Antrieb ist allerdings nicht nur beruflicher Art. Sie möchte mehr über ihren Großvater und Kunsthistoriker Antoine de Montaigne herausfinden, der über Monet und den Impressionismus geforscht hat. Ihre Mutter schweigt sich aus – aus gutem Grund, wie wir später erfahren. Der Leser ist meist auf dem gleichen Wissensstand wie Alina. Während sie mit der Hilfe einer Historikerin nach und nach ein Familiengeheimnis lüftet, werden wir parallel in die tragische Liebesgeschichte ihrer Großeltern, die sich 1956 in Berlin kennenlernten, hineingezogen.

In diesem bewegenden Familienroman konnte ich mich wunderbar durch die malerischen Kulissen treiben lassen und viele interessante Hintergründe über die Gartenkunst rund um Menton und die Kunstsammlerin Beatrice von Rothschild erfahren. Einige konkrete Reiseziele für meinen nächsten Frankreichurlaub stehen schon fest!

Bewertung vom 08.02.2025
Strout, Elizabeth

Tell Me Everything: Oprah's Book Club


ausgezeichnet

Die Figuren aus Elizabeth Strouts Romanen sind mir so ans Herz gewachsen, dass ich sehnsüchtig auf ein neues Buch von ihr gewartet habe. Diesmal steht Bob Burgess, ein Strafverteidiger und enger Freund von Lucy Barton, im Mittelpunkt. Während der Corona-Pandemie pflegten sie ausgedehnte Spaziergänge zu machen, was sie nun wöchentlich fortsetzen.

Die beiden haben eine besondere Gabe, nämlich anderen Menschen zuzuhören. Lucy kommt diese Fähigkeit auch beruflich zugute, denn von den Geschichten, die ihr die legendäre Strout-Figur Olive Knitteridge erzählt, kann sie sich als Schriftstellerin inspirieren lassen. Bei Bob liegt die Sache etwas anders. Er hört sich nicht nur die Probleme und Fehltritte seiner Mitmenschen an, sondern absorbiert sie förmlich und wird zum „sin-eater“.

Er übernimmt die Verteidigung eines Mordverdächtigen, doch diese Handlung ist eher ein Nebenschauplatz. Es geht vielmehr um die Geschichten, die die Figuren in diesem Roman miteinander austauschen oder selbst erleben und die Frage aufwerfen, was das Leben ausmacht. Es geht um Einsamkeit, Liebe, Schuld und was die Menschen verbindet. Mit welcher Intensität, Warmherzigkeit und Melancholie Elizabeth Strout von Schicksalen einfacher Menschen und kleinen, aber bedeutsamen Gesten erzählt, ist einfach fantastisch.

Bewertung vom 05.02.2025
Bleisch, Barbara

Mitte des Lebens


sehr gut

Es gibt wohl kaum eine Phase, die so zwiespältige Gefühle weckt und existenzielle Fragen aufwirft, wie die Lebensmitte. Die einen stürzen in eine Midlife-Crisis, andere fühlen sich in den besten Jahren ihres Lebens. Warum das so ist und welches Potenzial das Alter zwischen 40 und 65 birgt, ergründet Barbara Bleisch in ihrem Buch.

Spätestens in diesem Lebensabschnitt wird jedem bewusst, dass das Leben begrenzt ist. Die Autorin beschreibt typische Gefühle wie Freude und Stolz auf das Erreichte, Wehmut und Bedauern über gescheiterte Träume und die Unsicherheit, wie man mit der verbleibenden Lebenszeit sinnvoll umgehen soll. Diesen Part über unsere Endlichkeit empfand ich als etwas langgezogen. Interessanter wurde es für mich, als sie auf die gewonnene Freiheit und die Bedeutung von Entscheidungen einging.

„Sich verlieren und neu finden“ beschreibt sie den Prozess, in dem wir uns der Verwirrung der mittleren Jahre hingeben, alle Aspekte unseres Lebens genau durchleuchten und aus der Fülle der Erfahrungen und der erlangten Reife schöpfen können, um die uns wichtigen Dinge in den Fokus zu rücken. Ihre philosophische Auseinandersetzung ergänzt sie durch literarische Beispiele, Erkenntnisse von Sokrates, Wittgenstein oder Simone de Beauvoir und gibt uns Tipps mit auf den Weg, zum Beispiel das Staunen nicht zu verlernen. Ich hätte mir noch mehr Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen gewünscht.