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YukBook
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München

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Insgesamt 313 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2025
Faber, Michel

Hör zu!


sehr gut

Michel Faber gibt in seinem Buch keine Empfehlungen, welche Musik wir hören sollten. Er lässt uns vielmehr verstehen, warum wir hören, wie wir hören. Die Bandbreite an Themen reicht von Musiktherapie und Akustik über Kleider und Styling bis hin zu Streaming-Algorithmen und Schallplattennostalgie.

Sehr amüsant fand ich den Einblick in den Musikmarkt für Neugeborene und seine Beobachtungen in seiner Heimatstadt Folkestone, wo in einem hippen Café „Miniature Music Makers“ an die Musik herangeführt werden. Der Autor lässt auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus Hirnforschung, Soziologie und Psychologie einfließen. Was sein Buch ausmacht, ist aber vor allem die Art und Weise, wie er sein bisheriges Leben unter dem Aspekt der Musik bilanziert und mit zahlreichen Gesprächen, die er mit Musikern verschiedener Genres geführt hat, kombiniert. Manches ging mir etwas zu sehr ins Detail, könnte aber für eingefleischte Musikfans erhellend sein.

Nach der Lektüre versteht man besser, warum Menschen von einem Musikstück zu Tränen gerührt werden und andere nicht. Zuspruch werden auch diejenigen finden, die sich nur schwer von ihrer Albensammlung trennen können. Ein Buch, das dazu anregt, genauer hinzuhören und darauf zu achten, was die Musik mit uns macht.

Bewertung vom 15.06.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Der Maler M.C. Escher ist bekannt für sein Spiel mit optischen Täuschungen. Hände, die sich gegenseitig zeichnen oder unendliche Treppen, die endlos im Kreis abwärtsführen … Was für eine originelle Idee, dieses Konzept auf eine Geschichte anzuwenden. Wolfgang Haas macht dies in diesem Roman konsequent und verblüffend.

Dabei ist die Ausgangssituation trivial: Die Hauptfigur Franz Escher wartet auf einen Elektriker, der eine defekte Steckdose reparieren soll. Er ist Trauerredner mit einem Faible für Puzzles und Mafiaromane und vertreibt sich die Zeit mit einem Buch über den ehemaligen Mafioso Elio Russo, der ein Zeugenschutzprogramm durchläuft. Auch Elio liest ein Buch, das er von einem deutschen Zellengenossen bekommen hat, und darin geht es um jenen Franz Escher, der auf einen Elektriker wartet.

Wechselnde Perspektiven und mehrere Erzählstränge sind nichts Besonderes, doch wie nahtlos dies in diesem Buch passiert, hat mich erstaunt. Ich wurde richtig in den Sog beider Handlungen hineingezogen, die der Autor mit viel Sprachwitz, Ironie und eigensinnigen Figuren bereichert und ineinander spiegeln lässt. Seine Spielereien mit Fremdsprachen und Dialekten und sein Ideenreichtum machen Lust, mehr von dem Autor zu lesen.

Bewertung vom 11.06.2025
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Der Romantitel ist wörtlich zu verstehen. Im Jahr 1973 wird in der Donegal Bay ein Säugling in einem Fass an Land gespült. Zunächst macht das Findelkind unter den Dorfbewohnern die Runde, bis es bei der Familie Bonnar eine neue Heimat findet und Brendan getauft wird - sehr zum Unmut vom leiblichen Sohn Declan, da die ganze Aufmerksamkeit besonders des Vaters nun seinem neuen Bruder gilt.

Um Brendan und sein außergewöhnliches Auftauchen rankt sich bald ein Mysterium, zumal er über besondere Fähigkeiten verfügt. Das Ganze wird durch einen allwissenden Wir-Erzähler verstärkt, der sich ganz unerwartet zu Wort meldet, wenn er Traditionen oder Beobachtungen im Dorfalltag beschreibt und kommentiert.

Mich interessierte vor allem, wie der Eindringling die Dynamik in der Familie verändert und mit dem eifersüchtigen Declan in einem Haushalt aufwächst, der immer mehr in Geldnot gerät, weil die Fischerei nichts einbringt. Der Autor lenkt jedoch den Fokus stärker auf ein anderes Geschwisterpaar, nämlich Christine und ihre Schwester Phyllis, die beide unter den veränderten Verhältnissen eine bemerkenswerte Entwicklung durchmachen.

Man bekommt in diesem Roman einen guten Eindruck vom harten Leben irischer Fischer. Schade fand ich, dass die Geschichte oft von der titelgebenden Figur abschweift und wenig über ihre Gedankenwelt preisgibt.

Bewertung vom 01.06.2025
Freytag, Anne

Blaues Wunder


sehr gut

Drei Ehepaare und ein Sohn auf einer Superyacht – das schreit nach einem Kammerspiel mit wachsender Anspannung. Genau das erwartet uns in diesem Roman. Walter Bronstein, Chef einer Privatbank, hat zwei seiner engsten Mitarbeiter und ihre Ehefrauen zu einem Geschäftsausflug zu den Philippinen eingeladen. Über die Gründe werden die Gäste genauso wie die Leser lange im Unklaren gelassen. Stattdessen werden geheimnisvolle Andeutungen gestreut, was die Spannung erhöht. Erzählt wird aus der Sicht der drei Ehefrauen Nora, Franziska und Rachel. Dabei sind sie doch nur schmückendes Beiwerk, die ihren erfolgreichen Männern den Rücken frei halten. Oder nicht?

In ihren Ehen mögen sie wenig zu sagen haben, doch in dieser Geschichte lässt die Autorin sie einzeln zu Wort kommen. Abwechselnd kommentieren sie das Verhalten ihrer angeberischen, besitzergreifenden Männer und reflektieren über ihr vergangenes (Ehe-)Leben. Der Kontrast zwischen ihren hasserfüllten Gedanken und ihrem Schauspiel, das sie beim gemeinsamen Essen inszenieren, könnte nicht größer sein. Ihre aufgestaute Wut, ihren Sarkasmus und das Brodeln hinter der Fassade bringt Sandra Voss durch ihre Lesart sehr gut zum Ausdruck. Mit ihrer schonungslosen Erzählweise und messerscharfen Sprache knüpft Anne Freytag nahtlos an ihren Vorgängerroman an.

Bewertung vom 28.05.2025
Behm, Martina

Hier draußen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Martina Behm schafft in ihrem Roman so markante Charaktere, dass man gleich nach Fehrdorf fahren und sie persönlich kennenlernen möchte. Doch der Reihe nach: Ingo, einer der Dorfbewohner, fährt eines Abends eine weiße Hirschkuh an. Einem Aberglauben zufolge bringt das großes Unglück. Das geht seiner Frau Lara nicht mehr aus dem Kopf, doch sie hat noch ganz andere Probleme: Ihr Traum, nach dem Umzug von Hamburg aufs Land in einer harmonischen Dorfgemeinschaft zu leben und mehr Zeit mit ihrem Mann zu verbringen, ist zerplatzt. Als Start-up Unternehmer steht Ingo unter enormem Druck, ist gestresst von der Pendelei und nimmt sich kaum Zeit für die vierköpfige Familie.

Unglücklich ist auch Tove, die sich nicht mehr länger von ihrem Mann herumkommandieren und schikanieren lassen will. Die Autorin nimmt sich Zeit, um sowohl die Zugezogenen als auch Alteingesessenen teils in Rückblenden Stück für Stück aufzubauen und ihre Leben facettenreich auszubreiten. Es gibt herrlich komische Szenen wie der Ausbruch einer Rinderherde, dann wieder tragische Momente, wenn die mentale und körperliche Gesundheit der hart arbeitenden Landwirte und ihre Existenz auf dem Spiel steht. Der Sprecherin gelingt es, diesen Szenen und Dialogen ihre Stimme und den Tonfall nuancenreich anzupassen.

Martina Behm beschreibt mit feinem Humor, einfühlsam und kenntnisreich die Herausforderungen in der modernen Landwirtschaft und in zwischenmenschlichen Beziehungen. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land ist das echte „Zusammenleben“ statt nebeneinander zu funktionieren nicht immer leicht, aber unbedingt erstrebenswert.

Bewertung vom 24.05.2025
Maiwald, Stefan

Mein Leben am Strand


ausgezeichnet

Dieses Buch hätte ich gern letztes Jahr um die Zeit gelesen. Dann hätte ich sicher während unseres Urlaubs rund um Trieste einen Abstecher zum Strand von Grado gemacht. Damals habe ich nur die Altstadt gesehen, doch nach der Lektüre kann ich mir lebhaft vorstellen, wie es am Meeresufer zugeht.

Der Autor ist zu beneiden. Seit über 20 Jahren lebt er mit seiner Familie in Grado, verbringt so viel Zeit wie möglich am Strand und gibt uns in seinem feinen Büchlein einen Blick hinter die Kulissen. Als Leser hat man das seltene Vergnügen, eine ganze Saison an ein- und demselben Strand zu erleben. Das beginnt mit den Vorbereitungen wie dem Recruiting für die Strandverwaltung und der offiziellen Saisoneröffnung. Wir lernen Stammgäste und Restaurantbesitzer, Strandabschnittsmanager und Rettungsschwimmer kennen, die den Betrieb am Laufen halten – jeder auf seine individuelle Art.

Stefan Maiwald lässt uns an ihren hitzigen Diskussionen, an seinen amüsanten Beobachtungen und persönlichen Glücksmomenten teilhaben. Seine Liebe zum Meer und zur mediterranen Lebensart ist in jeder Zeile zu spüren. Auch die wunderschöne Gestaltung des Buches mit Illustrationen und Literaturtipps machen Lust auf einen ausgedehnten Strandurlaub an der Adria.

Bewertung vom 17.05.2025
Falk, Stephan;Fink, Anne

Glücksorte in Ligurien


ausgezeichnet

Um mich auf einen Urlaubsort einzustimmen, lese ich neben Reiseführern am liebsten Romane, die dort spielen, oder Bücher wie „Glücksorte in … “. Nach Elsass ist Ligurien mein zweites Buch dieser Reihe. Schon nach dem ersten Tipp, die Hafenbucht von Camogli, fühlte ich mich in die verträumte ligurische Küstenregien hineinkatapultiert.

Ich habe mir schon viele Orte notiert, die kulinarische, visuelle und künstlerische Genüsse versprechen. Man lernt neben Glücksorten auch interessante Traditionen kennen wie das Weihnachtstauchen in dem Fischerdorf Tellaro oder das Festa dell‘Amaretto in Sassello, bekannt für den Mandellikör und die Amarettini. Für mich eine schöne Art, mich mit einer Region vertraut zu machen, zumal die Texte nicht nur informativ, sondern auch sprachlich ein Genuss sind. Manche Orte wie das Dorf Pantasina oder eine felsige Badebucht in Framura sind anscheinend schwerer zu erreichen, belohnen aber mit einem einzigartigen Ausblick.

Mal sehen, ob wir auch einen Abstecher zu einer außergewöhnliche Bücherei in Torriglia oder zu den Panchine letterarie – Bänke in Form eines aufgefächerten Buches – in Arenzano machen können. Nach der Lektüre ist die Vorfreude auf den Urlaub auf jeden Fall noch größer!

Bewertung vom 07.05.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Was mich an diesem Roman gereizt hat, waren nicht nur die vielen positiven Rezensionen, sondern auch der Schauplatz. Die Geschichte spielt in einem Ferienlager, das der reichen Familie Van Laar gehört, und beginnt damit, dass ausgerechnet die 13-jährige Tochter Barbara spurlos verschwindet. Das reißt alte Wunden auf, denn vor 14 Jahren verschwand ihr Bruder Baer auf ähnlich mysteriöse Weise.

Mindestens genauso spannend wie die Ermittlungen, die die junge Polizistin Judyta übernimmt, sind die vielfältigen Charaktere aus unterschiedlichen Schichten und ihre Verflechtungen. Sowohl im Alltag auf dem Sommercamp als auch in Rückblicken kommt man den Figuren sehr nahe, zum Beispiel Alice, Barbaras Mutter, die orientierungslos wirkt und sich stets ihrem patriarchalischen Mann unterordnet; oder die Betreuerin Louise, die sich verantwortlich für Barbaras Verschwinden fühlt und ihrem zwielichtigen reichen Verlobten die Treue hält.

Die Autorin beschreibt das gefährliche Naturreservat sehr atmosphärisch, deckt soziale Ungleichheit und Machtmissbrauch auf und schickt uns mehrmals auf die falsche Fährte. Für mich ist das Buch weniger ein Krimi als vielmehr ein raffiniert komponierter, gesellschaftskritischer Roman mit einem überraschenden Ende.

Bewertung vom 10.04.2025
Baldini, Laura

Die Pädagogin der glücklichen Kinder / Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Bd.23


ausgezeichnet

Die Romanbiografie ist in den 1930er Jahren in Wien angesiedelt – eine aufregende Zeit, in der die Stadt zum Magnet für Wissenschaftler und Künstler wurde und neue Erkenntnisse die Medizin und Psychologie revolutionierten.

Auch Emmi Pikler, die Kinderärztin werden will, zieht es dorthin, weil sie als Jüdin nicht in Budapest Medizin studieren kann. In Wien wohnt sie bei ihrer Tante und beschäftigt sich während ihres Studiums und der Facharztausbildung immer intensiver mit der freien Bewegungsentwicklung von Kindern.

Das Erzähltempo war für mich genau richtig. Es gibt immer wieder kleine Zeitsprünge, so dass man in gestraffter Form die wichtigen Stationen in ihrer Ausbildung, im Beruf und Privatleben miterlebt. Mit welcher Leidenschaft und Überzeugung Emmi Pikler die neuen Wege der natürlichen, kindgerechten Entwicklung verfolgt und ihre Ideen tatkräftig umsetzt, hat mich sehr beeindruckt – und das alles trotz eines schweren Schicksalsschlags, Kritik und Spott von Gegnern und Lebensgefahr durch die Machtergreifung der Nazis. Nachdem ich schon einiges über das Montessori-Konzept gelesen habe, war es für mich umso interessanter, eine weitere bedeutende Pädagogin in diesem lehrreichen und kurzweiligen Roman kennenzulernen.

Bewertung vom 05.04.2025
Bilkau, Kristine

Halbinsel


ausgezeichnet

Der Schauplatz spielt in den Romanen von Kristine Bilkau eine wichtige Rolle, so auch diesmal, wie der Titel verrät. Die 25-jährige Linn, die für ein Aufforstungsprojekt arbeitet, bricht bei einem Vortrag auf einer Umwelttagung zusammen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie eine Weile bei ihrer Mutter Annett auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer verbringt, um wieder auf die Beine zu kommen. Problematisch wird es erst, als Linn jeglichen Antrieb verliert und sich dauerhaft bei ihr einnistet. Annett erkennt ihre Tochter, die voller Tatendrang und Idealismus in die Welt gezogen ist, nicht wieder.

Die Autorin hat ein sehr passendes Setting gewählt, um die Komplexität einer Mutter-Tochter-Beziehung in all ihren Facetten einzufangen. Erzählt wird aus der Perspektive der Mutter, doch ich konnte mich in beide Generationen hineinfühlen: auf der einen Seite Annett, die versucht hat, ihre Tochter bestmöglich für die Welt auszurüsten, aber auch zu beschützen, voller Fürsorge und Hoffnung; auf der anderen Seite Linn, die angesichts des Betrugs am Klimaschutz und permanenten Leistungsdrucks in eine Sinnkrise fällt. Beide haben den plötzlichen Tod des Vaters noch nicht verarbeitet. Wie die beiden während eines Sommers sich und ihre Heimat neu kennenlernen, erzählt Kristine Bilkau wie schon in ihren vergangenen Romanen subtil, eindringlich und berührend. Es freut mich, dass sie für ihren hervorragenden Roman den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat.