Benutzer
Benutzername: 
Blümchen
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 194 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2021
Goldammer, Frank

Verlorene Engel / Max Heller Bd.6


ausgezeichnet

Clever konstruierter Kriminalfall im historischen Kontext

Der 6. Fall für Max Heller in der noch jungen DDR hat es sowohl kriminalistisch als auch persönlich in sich für den gestandenen Oberkommissar. Wir schreiben das Jahr 1956 und der Staatsdienst ist geprägt von Observation. Sei es das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder die russischen Geheimdienste – es ist an der Tagesordnung, dass Max Heller sich mit Bespitzelung auseinandersetzen muss. Ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits kann das bei Ermittlungen durchaus hilfreich sein, andererseits weiß man nie, ob man nicht selbst permanent beobachtet wird.

Schwierige Rahmenbedingungen also auch diesmal wieder, als Max Heller und seine Kollegen versuchen, einen Vergewaltiger zu stellen, der in Dresden sein Unwesen treibt und schon diverse Frauen in seine Gewalt gebracht hatte. Doch bisher überlebten zumindest alle die Angriffe. Als Ende Oktober jedoch eine junge Frau tot aufgefunden wird, geraten die Ermittler unter Druck und müssen schnell Ergebnisse liefern…

Max und seine Kollegen tun ihr Möglichstes, um den Täter dingfest zu machen. Doch sie scheinen immer irgendwie hinterher zu hinken, und der Fall entwickelt sich so gar nicht in Richtung Aufklärung…

Dazu kommt, dass Max auch privat Sorgen hat. Seine Adoptivtochter Anni wird immer schweigsamer, entzweit sich mit ihrer besten Freundin und hinterfragt ihre Herkunft. Jahrelang haben Max und seine Frau Karin überlegt, wann wohl der beste Zeitpunkt ist, mit Anni darüber zu sprechen, dass sie nicht ihre biologischen Eltern sind. Doch Anni scheint etwas zu ahnen und die beiden Adoptiveltern fühlen sich mit der Situation überfordert, zumal Max gerade so gar nicht den Kopf dafür frei hat.

Wie immer in seinen Romanen ist es Frank Goldammer gelungen, ein sehr authentisches Bild vom Leben im früheren Dresden, diesmal in den 1950er Jahren, zu zeichnen. Auch wenn die politischen Verstrickungen diesmal weniger Raum einnehmen und der Kriminalfall deutlich dominiert, ist es auch diesmal wieder ein Vergnügen, Max Heller durch seine (und auch meine) Stadt zu begleiten, seine Gedanken zu lesen, seine Sorgen mitzuerleben und – natürlich – mit ihm auf Mörderjagd zu gehen.

Der Kriminalfall hat es diesmal wirklich in sich und ist – wie ich finde – unheimlich clever konstruiert. Bis auf die letzten Seiten ergeben sich immer neue Wendungen. Ich hatte ziemlich früh einen Verdacht bezüglich des Vergewaltigers, fand ihn zwischenzeitlich bestätigt und machte daher den Fehler, nur darauf zu warten, dass er endlich enttarnt wird. Doch kurz vor Ende stellte sich heraus, dass mich mein Gefühl getrogen hatte und auch mein Verdacht Nr. 2 stellte sich schließlich als Irrtum heraus. Nee, also Kriminalkommissarin wäre dann wohl doch keine Alternative zu meinem Verwaltungsjob ;)

Fazit:

Auch dieser 6. Fall war wieder spannend bis zum Schluss und bot viel Raum zum Miträtseln und „Mitermitteln“. Ich bin vom Gesamtpaket Krimi + historischer Roman komplett überzeugt und sehe mit einer Träne im Knopfloch dem September entgegen, wenn Max in seinem letzten Fall („Feind des Volkes“) ermitteln wird. Ich hoffe jetzt schon sehr, dass Frank Goldammers Computer bereits voll ist mit neuen Manuskripten und Ideen!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2021
Stern, Anne

Der Himmel über der Stadt / Fräulein Gold Bd.3


sehr gut

Huldas Weg geht weiter

Also mit Hulda Gold würde ich ja gerne mal einen Kaffee trinken gehen im Berlin der 1920er Jahre. Im Café Winter sitzen, die Damen mit ihrem Bubikopf und den nur noch knielangen Kleidern beobachten, mir von Hulda ihren Alltag in der Frauenklink schildern lassen… sie ist wirklich eine Hauptfigur, die man sich als Freundin wünscht.

Umso spannender ist es auch, ihren Weg zu verfolgen, zu sehen, wie sie sich weiterentwickelt, wie sie ihre beruflichen Ambitionen, aber auch ihre private Situation hinterfragt. In diesem Teil der Reihe hat Hulda nämlich gleich zwei Baustellen: zum einen beginnt sie ihre neue Stelle als Hebamme in der Frauenklinik und hat damit zu kämpfen, dass sie nur noch für „Vor- und Nacharbeiten“ zuständig ist. Die Begleitung der Geburt ist dem diensthabenden Arzt vorbehalten, und da es sich um ein Lehrkrankenhaus handelt, stehen immer noch diverse Studenten um die Gebärende herum und fachsimpeln. Ein Zustand, der für Hulda mehr als gewöhnungsbedürftig ist, nachdem sie jahrelang als freie Hebamme gearbeitet hat. Mit ihrem Detailwissen kommt sie nach und nach einigen Ungereimtheiten auf die Spur, die im Krankenhaus vor sich gehen.

Zum anderen ist ihre Beziehung zu dem Kriminalkommissar Karl North immer noch nicht in geregelte Bahnen gekommen und Hulda sehnt sich einerseits nach einer stabileren Beziehung, andererseits weiß sie nicht, ob Karl der richtige dafür ist. Als sie in der Klinik einen der Assistenzärzte näher kennenlernt, wird sie in ein ziemliches Gefühlschaos gestürzt.

Diese beiden Handlungsstränge tragen den Roman und wie schon in den Vorgänger-Bänden, versteht es Anne Stern, die Leser*innen mitten hinein zu ziehen in die Geschichte. Sie schreibt detailliert und bildet die Gefühlswelt ihrer Figuren so ab, dass man sich ganz nah fühlt.

Aus meiner Sicht aber blieb dadurch die Handlung und das Tempo des Romans ein wenig auf der Strecke. Der im ersten Drittel angedeutete Kriminalfall (Achtung – könnte jetzt ein kleiner Spoiler sein!) spielt letztlich leider nur eine sehr untergeordnete Rolle und wird zum Schluss recht unspektakulär aufgelöst. Dabei hatte ich mich doch wieder auf eine gemeinsame Ermittlung von Karl und Hulda gefreut! Aber diesmal gibt es keine beruflichen Berührungspunkte. Huldas Weg führt eben scheinbar in eine andere Richtung…

Auch die Nebenhandlung um Bert hätte ich mir ein wenig intensiver gewünscht. Nach einigen sehr interessanten Szenen, die viel Spannung versprechen, wird sie erst am Ende des Buches wieder aufgegriffen und auf wenigen Seiten zu einem Ende geführt - auch das fand ich ein wenig schade.

Und so bin ich diesmal ein klitzekleines bisschen enttäuscht (aber nur, weil ich die beiden vorigen Romane so überwältigend gut fand!).

Huldas dritter Einsatz ist und bleibt ein toller Roman, den man aufgrund ihres neuen Lebensabschnitts in der Klinik auch gut ohne Vorkenntnis der beiden anderen Bücher lesen kann. Und wie bereits geschildert punktet insbesondere Anne Sterns wunderbare bildhafte Erzählweise. Leseempfehlung!

P.S. Es wird auch noch einen 4. Band mit Hulda geben – im Herbst erscheint „Die Stunde der Frauen“!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.04.2021
Georg, Miriam

Elbstürme / Eine hanseatische Familiensaga Bd.2


ausgezeichnet

Das harte Leben im Hamburg der Jahrhundertwende

Nach „Elbleuchten“ ist nun „Elbstürme“ der zweite Teil der historischen Hamburg-Saga um die gut situierte Reederstochter Lily und den Hafenarbeiter Jo.

Ausgangssituation in diesem zweiten Teil, der 3 Jahre nach Ende des ersten Teils spielt, ist zum einen Lilys unglückliche Ehe in England (sie hatte ihren Jugendfreund Henry geheiratet, als sie von Jo schwanger war und ist mit Henry nach England gegangen) und die Alkoholsucht von Jo, der nach Lilys Weggang mehr und mehr versucht hatte, seinen Kummer zu ertränken. Darüber hinaus ist er in krumme Geschäfte rund um den Opiumhandel verwickelt, um zusätzliches Geld zu verdienen. Mit diesem Geld hält er die Menschen, die ihm nahestehen, über Wasser.

Als Lilys Vater gesundheitliche Probleme hat und Lily mit ihrem Ehemann daraufhin wieder zurück nach Hamburg kommt, ist ein Treffen von Jo und Lily fast vorprogrammiert – sucht doch Lily nach wie vor die Nähe zu ihren alten Freundinnen, die als Frauenrechtlerinnen harte Kämpfe ausfechten und auch Jo mit einzubinden versuchen. Als Lily und Jo sich dann tatsächlich wieder begegnen, müssen sie sich entscheiden, ob sie erneut für ihre Liebe kämpfen wollen…

Auch dieser Fortsetzungsband bietet wieder eine rasante Handlung vor dem Hintergrund der Standesunterschiede in Hamburg um 1890. Gerade die Darstellung der Lebensbedingungen hat mich in dieser Saga fasziniert (und auch erschreckt). Die Autorin zeichnet ein Bild, das die Armut und die unhygienischen Bedingungen sehr deutlich zeigt und nimmt in vielen Szenen kein Blatt vor den Mund. Die Schilderungen wirken zum Teil recht hart, sind aber vor allem eines: authentisch. Ich denke, dass hier sehr realistisch wiedergegeben wird, was sich in den armen Stadtbezirken abspielte. Heutzutage können wir uns das kaum noch vorstellen, damals war es aber einfach so. Umso mehr vielleicht auch ein Anreiz, zu reflektieren, welchen Luxus wir heutzutage in unserem Leben genießen.


Miriam Georg schreibt federleicht und trotzdem spannend, sie versteht es, ihre Leser*innen zu fesseln und bis zur letzten Seite in Atem zu halten. Leider kann ich über das Ende kaum etwas schreiben, ohne zu spoilern, deshalb nur soviel: es hat mich absolut überrascht, und das gelingt bei mir als Vielleser historischer Familiensagas selten! Den Grund für das von ihr gewählte Ende erläutert sie im Nachwort und ich fand es beeindruckend, dass sie hier einen sehr eigenen Weg gegangen ist.

Nach den vielen Verwicklungen und dem umfangreichen Buch erschien mir das Ende dann aber irgendwie ein wenig schnell abgehandelt, für mein Empfinden fügte es sich – einfach vom Umfang der Beschreibungen her – nicht so ganz rund ein in das Buch. Es ging zum Schluss erst sehr hoch her und dann irgendwie ziemlich schnell. Aber das ist ein persönliches Empfinden – vielleicht hätte ich einfach noch länger an der Seite dieser vielen wunderbaren Charaktere bleiben wollen ;)

Ich kann diesen Roman bzw. insgesamt diese zweibändige Saga jedem empfehlen, der ein authentisches Bild vom Leben im damaligen Hamburg bekommen möchte – sowohl die Seite der gutsituierten Bürger als auch die der armen Bevölkerungsschichten wird hier mit Liebe zum Detail dargestellt. Es ist ein Porträt dieser Zeit, das man mit Spannung verfolgt und das wirklich mitreißend erzählt ist!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.04.2021
Benedict, Marie

Lady Churchill / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.2


sehr gut

Es heißt ja immer, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau stehe. Bei den Churchills traf das offenbar tatsächlich zu. Auch wenn Clementine Churchill, geborene Hozier, durchaus selbst mit den Anforderungen gehadert hat, die das Amt ihres Mannes und die Erziehung der Kinder mit sich brachte, so war sie eine der eher wenigen Frauen, die sich aktiv einbrachten und nicht nur schmückendes Beiwerk an der Seite ihres Ehegatten waren.

 

Bereits 1908, als Winston und sie heiraten, merkt Clementine, dass er von ihr nicht erwartet, das Heimchen am Herd zu geben, sondern ihn zu unterstützen und – was damals sehr ungewöhnlich war – ihn auch in politischen Fragen zu beraten. Winston ist ein Visionär, der sich nicht weniger auf die Fahnen geschrieben hat, als in die Geschichtsbücher einzugehen als großer Politiker. Deshalb erwartet er, dass seine Frau ihn dabei bedingungslos unterstützt.

 

Und das kommt ihrem Wesen zupass, denn Clementine ist eine tatkräftige Frau, die sich weder scheut ihre Meinung zu vertreten noch, mit den Waffen einer Frau zu agieren, um ihre Ziele zu erreichen.

 

Marie Benedict schreibt über Clementine Churchill aus der Ich-Perspektive. Damit sind die Leser*innen sehr nah dran an der Person und ihren Gedanken. Das ist bei einer Biografie grundsätzlich ein kluger Schachzug, allerdings war Clementine eine Art „Naturgewalt“, die sich nicht über mangelndes Selbstbewusstsein beklagen konnte – und so gerieten mir manche Gedanken, die sie in diesem Buch äußert, etwas zu selbstgefällig. Ich bekam den Eindruck, dass Clementine von sich glaubt, die einzige zu sein, die Winston Churchill auf der politischen Bühne in die richtige Richtung lenken kann und dass seine Karriere allein ihr Verdienst ist.

 

Sicherlich, Churchill scheint kein einfacher Charakter gewesen zu sein und erwartete das gleiche Arbeitspensum, das er sich auferlegte, auch von anderen. Da konnten nicht viele mithalten. Selbst Clementine bemerkt, dass sie sich ab und zu Auszeiten gönnen muss, um den Anforderungen gerecht werden zu können und baut diese dann auch konsequent in ihr Leben ein. Dennoch erschien sie mir in vielen Situationen etwas hochmütig und ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Frau hätte mögen können, wenn ich ihr tatsächlich einmal begegnet wäre. Ich ziehe meinen Hut vor der Leistung, die sie im Hintergrund des politischen Gefüges erbracht hat, wie sie unermüdlich für die Karriere ihres Mannes gekämpft hat – aber sie wird mir leider nicht als sympathisch in Erinnerung bleiben.

 

Ein wenig schade fand ich, dass das Buch mit dem Ende des 2. Weltkriegs relativ abrupt endet. Natürlich, es war der größte Verdienst von Winston und Clementine, diesen Frieden maßgeblich mitgestaltet und damit quasi die Welt gerettet zu haben. Es setzt auch grundsätzlich damit einen schönen Schlusspunkt unter den größten und anstrengendsten Kampf, den die beiden in der politischen Karriere Churchills ausfechten mussten. Dennoch hätte mich interessiert, wie ihr Leben danach weiter verlaufen ist – denn immerhin lebte sie danach noch mehr als 30 Jahre und ihr Mann noch 20. Leider findet sich dazu noch nicht einmal eine Erwähnung im Nachwort.

 

Insgesamt finde ich, dass dieses Buch einen wichtigen Beitrag leistet, um die Weltgeschichte differenzierter zu betrachten und auch die Menschen im Hintergrund großer Namen wahrzunehmen – denn in der Regel ist der Erfolg eines Einzelnen aufgebaut auf ein Netzwerk vieler, die ihn oder sie unterstützen. So auch bei den Churchills, die es zudem auch geschafft haben, durch alle Stürme des Lebens hindurch immer ein liebendes Paar zu bleiben. Ich möchte dieses Buch allen ans Herz legen, die sich für die Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts interessieren.

Bewertung vom 07.04.2021
Abel, Susanne

Stay away from Gretchen / Gretchen Bd.1


ausgezeichnet

Unsere Großeltern - die heimlichen Helden

Als ich dieses Buch gelesen habe, kam mir an vielen Stellen der Gedanke: Was sind wir heutzutage eigentlich für Schlappschwänze? Wir werden panisch, weil aufgrund einer weltweiten Pandemiesituation das Klopapier knapp werden könnte und meckern, wenn wir zuhause bleiben müssen und uns unsere 80qm-Wohnung zu eng wird – trotz Fußbodenheizung und angenehmen 24 Grad im Badezimmer. Unser Tisch ist jeden Morgen, Mittag, Abend gedeckt, wir schlafen satt ein und wachen in unserem eigenen weichen Federbett auf. Wir leben in einer globalen Pandemie und haben keinen Schimmer, wie verdammt gut es uns geht.

„Stay away from Gretchen“ beschreibt die Lebenswirklichkeit unserer Großeltern- bzw. Urgroßeltern-Generation. Eine Kindheit im Krieg, mit Bombenalarm, Hunger und Kälte. Eine Flucht aus der vertrauten Heimat, bei minus 20 Grad und mit einem Planwagen, den man selbst ziehen musste. Wieder quälender Hunger. Russische Soldaten, die Frauen beiseite zerrten und ihnen unvorstellbare Dinge antaten. Und wenn man das alles irgendwie überlebt hatte - ein Neuanfang in der Fremde, zu fünft in einer kleinen Holzhütte, weiterhin rationierte Lebensmittel, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel waren. Ein blühender Schwarzmarkt, und jeden Tag der schmale Grat zwischen satt werden und ins Gefängnis kommen.

Die wenige Hilfe, die der ostpreußischen Flüchtlingsfamilie um Greta Schönaich im Heidelberg des Jahres 1946/47 zuteil wird, kommt von dem jungen amerikanischen GI Robert „Bobby“ Cooper. Robert handelt einfach nur menschlich – und weiß als Afroamerikaner selbst, wie sich Ausgrenzung und Verachtung anfühlt.

Es dauert nicht lange, bis sich zarte Bande zwischen dem musikalischen GI und der burschikosen Greta entwickeln – gekrönt im Jahre 1949 von der gemeinsamen Tochter Marie. Als Bobby in die USA reist, um alle Formalitäten für die Hochzeit vorzubereiten, bricht der Kontakt plötzlich ab. Greta steht allein da mit ihrem kleinen Mischlingskind, wird geschnitten, beschimpft und muss letztlich sogar ihr geliebtes Mariele hergeben.

Verwunden hat diese Frau ihre vielen Kriegs- und Nachkriegstraumata nicht. Ihr viel später geborener Sohn Tom kennt sie nur als strenge und nicht besonders liebevolle Mutter, die viel Zeit in Kliniken verbrachte und immer wieder depressive Phasen hatte. Erst als sie an Alzheimer-Demenz erkrankt, kommen die Dinge aus ihrer Vergangenheit, über die sie nie geredet hat, zum Vorschein und Tom lernt seine Mutter zum ersten Mal wirklich kennen. Auch wenn er für mich bis zum Schluss eine recht unsympathische Figur blieb, aber diesen Gegensatz brauchte das Buch.

Die Demenzerkrankung wird von der Autorin einerseits sehr deutlich, andererseits auch behutsam geschildert – so ambivalent, wie sie sich auch im wahren Leben darstellt. Mit Potential für großartige Lacher und mit Momenten, in denen man einfach nur heulen könnte. Man merkt, dass hier eigene Erfahrungen mit der Erkrankung eines Angehörigen eingeflossen sind.

Stay away from Gretchen hat mich durch alle möglichen Emotionen gehen lassen – nicht nur, weil ich miterlebt habe, wie auch mein Großvater in seiner Demenzerkrankung und seiner Wirklichkeit plötzlich wieder Gefangener in einem Steinbruch in Sibirien war. Es ist ein wunderbares Buch, das aufmerksam macht darauf, wie viel wir der Kriegsgeneration verdanken und wie viel Unrecht diese Generation mit Stolz und Biss überstanden hat. Es lehrt uns – gerade in der jetzigen Zeit – unsere Situation kritisch zu hinterfragen und vielleicht wieder in die richtige Relation zu bringen. Es ist ein ganz, ganz wichtiges Buch, das lange nachklingt!

Bewertung vom 03.04.2021
Rosenthal, Rena

Frühlingsträume / Die Hofgärtnerin Bd.1


ausgezeichnet

Eine Frau steht ihren Mann

Mit Marleene die Welt des Gartenbaus zu erkunden, heißt eintauchen in eine spannende historische Epoche und mitfühlen mit einer jungen Frau auf der Suche nach Selbstbestimmung.

Marleene war schon immer fasziniert von Pflanzen – eine Liebe, die ihr verstorbener Vater in ihr geweckt hat. Ganz besonders verbindet sie Flieder mit ihrem Vater, denn gemeinsam mit ihm hat sie als Kind eine neue Sorte gezüchtet. Weil es ihr großer Traum ist, bewirbt sie sich unermüdlich um eine Lehrstelle als Gärtnerin – unter anderem in der Hofgärtnerei in Oldenburg, wo ihr Vater einst gearbeitet hat. Doch sie wird mehrmals abgelehnt, mit der Begründung, dass sie eine Frau sei und Frauen dem Gärtnerberuf doch weder körperlich noch intellektuell gewachsen seien.

Um ihren Traum dennoch weiterverfolgen zu können, sieht sie keine andere Möglichkeit, als sich in den jungen „Marten“ zu verwandeln – und siehe da, sie wird als Lehrling in der Hofgärtnerei eingestellt. Das Versteckspiel wird jedoch zunehmend schwierig, denn gefangen zwischen zwei Welten fällt es Marleene immer schwerer, ihre Rolle überzeugend zu spielen. Besonders, als sie im zweitgeborenen Sohn des Hofgärtners einen Seelenverwandten entdeckt…

Rena Rosenthal hat hier einen sowohl thematisch als auch vom Umfang her sehr üppigen historischen Roman vorgelegt. Auf stolzen 670 Seiten folgt man Marleene bzw. Marten durch das Jahr 1891. Der Untertitel „Frühlingsträume“ sollte dabei nicht zu ernst genommen werden, denn das Buch umfasst eine ganze Gärtnersaison und nicht nur den Frühling.

Marleene ist – wie für solche historischen Romane typisch - eine fortschrittlich denkende, intelligente Frauenfigur, mit der man sympathisiert. Ihr Weg vom verhuschten Zimmermädchen zum selbstbewussten Gärtnerlehrling wird anschaulich geschildert und man fühlt von der ersten Minute mit ihr mit. Ich habe sie und die Nebenfiguren unheimlich gern begleitet und mir kamen die 670 Seiten überhaupt nicht wie ein „Wälzer“ vor – auch wenn ich der Meinung bin, dass man an der ein oder anderen Stelle schon noch ein wenig hätte straffen können.

Aber mit der Länge des Buches hat die Autorin auch genug Raum für viele Wandlungen, Intrigen und Verflechtungen, die sich zum Ende hin so gekonnt verdichten, dass ich ihr dafür großen Respekt zollen muss. Auf der anderen Seite haben sich für mich ab und zu Fragen ergeben bzw. Handlungen, die mir nicht ganz logisch erschienen. Zum Beispiel versteckt Marleene täglich ihre Frauenkleidung kurz vor Erreichen der Gärtnerei, indem sie sie in einen Fliederbusch wirft. Ja, regnet es denn in Oldenburg nie? Als Versteck für Kleidung – zumal die weniger gut situierten Leute ja kaum Wechselkleidung besaßen – erschien mir das recht unbedacht und vor allem kaum auf die Dauer praktikabel, wenn sie nicht des Öfteren abends in völlig durchnässte Kleider steigen will, die in ihrer kargen Stube wohl kaum bis zu nächsten Morgen trocknen würden. Und eine Plastiktüte wird sie ja kaum dabeigehabt haben…  Das beispielsweise kam mir komisch vor und an solchen Sachen bin ich beim Lesen ab und zu ein wenig „hängengeblieben“.

Davon aber abgesehen kann man in diesem Roman wirklich schwelgen und wer sich für Natur und Pflanzen interessiert, kann mit diesem Buch richtig abtauchen in das historische Gärtnerhandwerk. Die Autorin beschreibt das teilweise sehr beschwerliche Gärtnern ausführlich und – so im Nachwort zu lesen – auch sehr fundiert. Wer sich zudem für das gesellschaftliche Leben des späten 19. Jahrhunderts interessiert, bekommt hier ein schillerndes und umfassendes Porträt geboten. Leseempfehlung für Fans der „Gärtnerinnen“-Serie von Martina Sahler und alle, die üppige historische Romane lieben!

Bewertung vom 28.03.2021
Hinrichs, Anette

Nordlicht - Die Tote im Küstenfeuer / Boisen & Nyborg Bd.3 (MP3-Download)


ausgezeichnet

Tolle Atmosphäre, tolles Setting, toller Krimi!

Lange schon habe ich mich auf diesen dritten Teil der „Nordlicht“-Reihe von Anette Hinrichs gefreut. Auch die ersten beiden Teile habe ich als Hörbuch gehört und so wollte ich auch Teil 3 wieder mit den Ohren genießen.

Es ist ja gerne mal so, dass beim 3. Teil die Geschichte nicht mehr so spannend wirkt, dass man den Eindruck hat, die Stories werden behäbiger und dass man dem Fall einfach nicht mehr mit soviel Neugier folgt. Das alles war hier gar nicht der Fall.

Anette Hinrichs ist es auch diesmal wieder gelungen, einen Krimi mit einer wunderbaren Nordlicht-Atmosphäre zu schaffen. Die Ermittler Vibeke Boisen und Rasmus Nyborg sind einem mittlerweile ans Herz gewachsen und zu guten Bekannten geworden. Umso gespannter ist man, wie es mit ihnen beruflich und privat weitergeht. Diesmal steht insbesondere Rasmus‘ Privatleben neben dem Fall im Mittelpunkt, da er nach der Geburt seiner Tochter Ida überlegt, wieder nach Kopenhagen zurück zu gehen, um sie regelmäßiger sehen zu können.

Der Fall des ermordeten 16-jährigen Mädchens enthält auch diesmal wieder viel Konfliktpotential, denn vieles deutet auf ein familiäres Drama hin: die türkischstämmige Elin hatte einen heimlichen Freund und bereits ihre Unschuld verloren – das Wort „Ehrenmord“ geistert durch die Sondereinheit der deutsch-dänischen Ermittler.

Viel Wert wird in diesem Krimi darauf gelegt, dass Leser sich hineinversetzen können in die jeweilige Stimmung. Wenn Rasmus am Strand entlangwandert oder Vibeke in einer alten Ziegelei Spuren sucht, hat man sofort eindrucksvolle Bilder vor Augen.

Das liegt zum einen an dem lebendigen Schreibstil der Autorin, die ihre Schauplätze detailliert aber nicht ausufernd beschreibt. Zum anderen aber auch an der Sprecherin Vera Teltz, die ich sehr mag und deren etwas dunklere Stimme aus meiner Sicht für diese Krimis absolut perfekt ist. Dennoch kann sie variantenreich erzählen und gibt auch lakonischen Momenten den richtigen Touch.

Hier ergänzen sich Geschichte und Sprecherin richtig gut und heraus kommt ein Krimi, der mit nordischer Stimmung punktet, bis zum Ende durchweg spannend ist und von den gut ausgearbeiteten Figuren getragen wird. Kurzum: Tolle Atmosphäre, tolles Setting, toller Krimi!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.03.2021
Sommerfeld, Helene

Das Leben, ein ewiger Traum / Die Polizeiärztin Bd.1


ausgezeichnet

Spannendes Lesevergnügen in den verruchten 1920ern!

„Die Menschen haben ihren inneren Kompass verloren. Sie wissen nicht, in welche Richtung sie gehen sollen. Sie fragen sich nicht mehr, ob das, was sie tun, richtig oder falsch ist. Hinzu kommt der Hunger. Es geht letztlich nur darum, dass etwas Geld einbringt.“ reflektiert der junge Kommissar Kuno Mehring die Situation im Berlin des Jahres 1920 gegenüber der Polizeiärztin Magda Fuchs.

Magda ist entsetzt von den Zuständen in dem Berlin, das sie kennenlernt. Aber sie hat eine sehr noble Pension gefunden, die eine Arztgattin in den freistehenden Zimmern ihrer riesigen Wohnung betreibt. Ein Umstand, dessen Hintergründe Magda irritieren – aber im Laufe des Buches werden die Beweggründe offenbar.

Aber was Magda, die nach mehreren Schicksalsschlägen aus dem beschaulichen Hildesheim in den Moloch Berlin gekommen ist, in den Elendsvierteln der Stadt zu sehen bekommt, ist erbärmlich. Bettelnde Kinder, Menschen in Lumpen, nackte Füße bei Minusgraden. Schläge. Krankheiten. Tod. Magda ist sich nicht sicher, ob sie die Arbeit als Polizeiärztin wirklich weiterführen kann. Aber die Schicksale der Kinder, die sie in den Straßen der Stadt kennenlernt, rühren sie so sehr, dass sie Kampfgeist entwickelt. Und so mehreren Verbrechen auf die Spur kommt, die eigentlich nur folgerichtig die Situation in der Stadt porträtieren.

Die Frauen, die Magda bei ihrer Arbeit und ihren Recherchen kennenlernt, spiegeln die Facetten des einerseits glänzenden, andererseits elenden Berlin. Ina, die Fürsorgerin, die versucht, Kinder unterzubringen, wenn sich niemand mehr um sie kümmert. Die etwas zwielichtige Anwältin Ruth, die so selbstbewusst auftritt, als könne ihr die Welt nichts anhaben. Die verwöhnte Celia, die in einer reichen, aber völlig unglücklichen Ehe gefangen ist. Die junge Doris, die den Kopf voller Träume hat, und für eine Karriere beim Film alles geben würde. Und die toughe Reporterin Erika, bei der sich Magda fragt, ob sie wirklich so abgebrüht ist, wie sie immer tut.

All diese Frauen kämpfen in „Das Leben ein ewiger Traum“ um ihre Freiheit, ihre Träume und zum Teil um ihre Existenz. Wie nah in Berlin Licht und Schatten beieinanderliegen, arbeitet das Autorenpaar, das unter dem Pseudonym Helene Sommerfeld schreibt, eindrücklich heraus. Dabei ist ein mitreißender Roman entstanden, der den Leser mitnimmt in eine andere Welt. Anschaulich und mit großen Emotionen verfolgen die Leser*innen Magdas Weg in eine neue Zukunft – an ihrer Seite der junge Kommissar Kuno Mehring, der als einziger noch nicht vor den Problemen der Stadt resigniert zu haben scheint.

Mich hat dieser Roman begeistert, weil er vielschichtig über die Missstände, aber auch die Hoffnungen der Menschen nach dem 1. Weltkrieg berichtet. Weil er die Leser mitnimmt, statt ihnen nur einen Schauplatz zu präsentieren. Mittendrin fühlt man sich, wenn man mit Magda durch die Hinterhöfe geht, wenn man Ruth auf Vernissagen und Bälle begleitet und mit Doris das Nachtleben erkundet.

Unwillkürlich fiel mir die Reihe „Fräulein Gold“ ein, als ich diesen Roman las. Denn das Setting und die Handlung haben schon gewisse Parallelen. Und ich muss sagen – Magda Fuchs muss den Vergleich mit der vielgelobten Hulda Gold auf keinen Fall scheuen! Deshalb, Fans von Hulda, lernt unbedingt auch Magda kennen – ihr werdet sie lieben!

Bewertung vom 19.03.2021
Marly, Michelle

Romy und der Weg nach Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.16


ausgezeichnet

Zwischen Triumph und Tränen

Wie muss sich eine junge Frau fühlen, die ihre gesamte Teenagerzeit in einer Art Kokon verbracht hat? Den schweren Abnabelungsprozess der jungen Romy Schneider von ihren übergriffigen Eltern (d. h. ihrer Mutter Magda Schneider und ihrem Stiefvater, einem Geschäftsmann, der viele Bars und Restaurants betreibt), beschreibt Michelle Marly alias Micaela Jary in ihrer neuen Romanbiografie.


Wie sie im Nachwort schreibt, hat sie die Eltern von Romy tatsächlich kennengelernt, da ihre Eltern und Romys Eltern sich kannten. Als Kind war aber die Wahrnehmung sicherlich eine andere und so musste sie natürlich trotzdem viel recherchieren, um die Darstellung von Romy und ihren familiären Verhältnissen so authentisch wie möglich zu treffen.

Im Buch spürt man, wie Romy – im Roman 19 Jahre alt und auf dem Höhepunkt ihres Erfolges nach den Sissi-Filmen – von der Fürsorge, aber auch dem Karrieredenken ihrer Mutter und ihres Ziehvaters schier erdrückt wird. Während Romy versucht, sich von den ewig gleichen Rollenangeboten des „Wiener Mädels“ zu distanzieren und „ernsthaftere“ Rollen anzunehmen, drängt ihre Mutter zu den erfolgversprechenden Rollen der bewährten Schiene. Doch Romy fühlt sich dem Backfisch entwachsen und möchte selbstständiger werden.

Als sie bei einem Filmprojekt den unangepassten und anfangs unnahbaren Alain Delon kennenlernt, einen jungen unbekannten Schauspieler mit fragwürdigem Hintergrund, ist sie fasziniert und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Er macht sich anfangs über ihre „Bürgerlichkeit“ lustig und zeigt ihr eine ganz andere Welt - die der Künstler in Paris. Romy spürt, dass sie zu dieser Welt dazugehören will, doch ihre Eltern boykottieren das junge Glück. Romy, die sich immer in die Sicherheit ihrer Familie fallenlassen konnte und sehr harmoniebedürftig ist, wird zum ersten Mal mit ernsthaften Konflikten konfrontiert – weil sie ihren eigenen Weg gehen möchte.

Das, was in diesem Roman passiert, passiert im Grunde in jeder Familie früher oder später. Die Kinder nabeln sich von den Eltern ab. Bei Romy jedoch war dieser Prozess aufgrund der besonderen Umstände unheimlich schwierig und überfordert die junge Frau teilweise sehr. Daher klammert sie sich an Alain, von dem sie sich die Sicherheit erhofft, aus der sie sich bei ihren Eltern entzieht.

Romy möchte gern am Theater spielen statt in seichten Filmrollen und nimmt ein Angebot für ein Theaterstück in Paris an. Aber die Proben fordern sie bis aufs Äußerste, zumal das Stück nicht in ihrer Muttersprache aufgeführt wird. Ihr Weg zur Selbständigkeit ist schwierig, aber die Autorin zeigt, wie Romy mit kleinen Schritten ihren Weg geht, auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt – und das ist toll zu lesen.

Ich hätte zwar sehr gern auch noch mehr über ihr weiteres Leben erfahren (der Roman deckt nur 2 Jahre ihres Lebens ab), aber hier geht es wirklich mehr um ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben und nicht um eine komplette Biografie. Das sollten Leser*innen wissen, bevor sie zu diesem Buch greifen.

Auf jeden Fall lohnt es sich, in die Welt um 1960 einzutauchen und ein wenig den Glitzer der Sissi-Filme abzukratzen, um die wahre Romy zu entdecken! Dabei ist dieses Buch die beste Begleitung, die man sich vorstellen kann.

 

Bewertung vom 12.03.2021
Drews, Christine

Freiflug


gut

Die Geschichte der Emanzipation

Die 1970er Jahre in Westdeutschland. Nachdem Trümmer-frauen in den 1940er/1950er Jahren die junge Republik fast im Alleingang wieder aufgebaut haben, wurden sie vom alten Rollenbild eingeholt und landeten nach dem Wirtschaftswunder in den 1960er Jahren wieder hinter dem Herd. Trotz der aufkommenden „freieren“ Denkweise von Studenten und insbesondere Linksorientierten behaupten sich die alten Rollenklischees. Die Frau als fürsorgliche Ehefrau und Mutter. Eine „Karriere“ macht, wer einen möglichst gut verdienenden Mann heiratet und sich vielleicht sogar eine Zugehfrau leisten kann. Und dann sind da Rita Maiwald, eine junge Frau mit Pilotenlizenz, und Katharina Berner, eine Anwältin, die von ihren männlichen Kollegen ständigen Angriffen ausgesetzt ist und herabgewürdigt wird. Wie diese beiden Frauen sich gegen die gängigen Rollenbilder stellen und für die Frauenrechte kämpfen, darum geht es in diesem Buch.

Im Nachwort zu „Freiflug“ schreibt Christine Drews: „Mein Entschluss stand fest, einen Roman über diese Zeit zu schreiben…“ Und genau das ist es – ein Roman über diese Zeit, die 1970er Jahre, in denen so viel im Umbruch war. Was es nicht ist – und das sollten all jene wissen, die das Buch wegen des im Klappentext angekündigten Rechtsstreits um die erste deutsche Linienpilotin lesen möchten – ist ein Justizroman.

Der Klappentext verführt ein wenig dazu zu denken, dass es hier wirklich hauptsächlich um den Kampf von Rita Maiwald und ihrer Anwältin geht, den sie gegen die Lufthansa und ihre Hauptanteilseignerin, die Bundesrepublik Deutschland, führen, damit Rita ihren Traum verwirklichen und ein Flugzeug der Lufthansa führen kann. Ich selbst bin diesem Trugschluss aufgesessen. Vielleicht habe ich auch zu viel Grisham gelesen, aber ich hatte eher ein Justizdrama und keinen Frauen-/Familienroman erwartet.

Mir persönlich kam der Rechtsstreit, der ja Aufhänger für das Buch sein soll, viel zu kurz. Bis Seite 280 von 350 ist gerade mal eine Klageschrift eingereicht worden und der erstinstanzliche Prozess wird auf sage und schreibe 2 (!) Seiten beschrieben. Der Berufungsprozess nahm später immerhin 6 Seiten ein. Davon war ich aber etwas enttäuscht – ich hatte mir etwas anderes erhofft. Argumentationen, pointierte Dialoge im Gerichtssaal zwischen den Anwälten… das alles kam mir viel zu kurz. Im Nachwort schreibt die Autorin auch warum – die Prozessakten sind vernichtet und sie konnte allein mit der damaligen Medienberichterstattung arbeiten, um zu recherchieren. Völlig nachvollziehbar also, dass sie die Geschichte mit anderen Gewichtungen aufbauen musste, aber dennoch leider nicht das, was ich mir erhofft hatte.

Allerdings packt Christine Drews ansonsten wirklich gefühlt alle Probleme der 1970er Jahre in dieses Buch: aus Kriegszeiten nachwirkende Traumata und daraus resultierende zerrüttete Familien und Ehen, Drogenkonsum (für den die 70er ja verschrien sind) und seine Auswirkungen, das völlig veraltete Ehe- und Scheidungsrecht, Vergewaltigung in der Ehe, überholte Rollenbilder und –klischees sowie – natürlich – die obligatorische Liebesgeschichte. Und somit ist das Buch genau das geworden, was die Autorin beabsichtigt hat – ein umfassendes und lebendiges Bild dieser bewegten Zeit, das sich definitiv zu lesen lohnt. Nur eben kein Justizroman über Frauenrechte, wie ich ihn mir erhofft hatte. Daher von mir solide 3 Sterne.