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carola1475

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Insgesamt 209 Bewertungen
Bewertung vom 10.10.2022
Eschbach, Andreas

Freiheitsgeld


gut

Enttäuschende Umsetzung eines spannenden Themas

In „Freiheitsgeld“ beschreibt Andreas Eschbach das Leben im Jahr 2064. Seit 30 Jahren gibt es das Freiheitsgeld und niemand ist gezwungen, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Im Gegenteil, Roboter erledigen einen Großteil der Arbeit. Eschbach überrascht mit einfallsreichen Ideen und Gedankenspielen zur gar nicht mal so fernen Zukunft, aber die Umsetzung in der Handlung gefällt mir nicht, ich finde sie eher enttäuschend. Es dauert fast 200 Seiten, bis die im Klappentext angesprochenen Toten eine Rolle spielen und Ermittlungen aufgenommen werden. Auch die Entstehungsgeschichte und Begleitumstände des Freiheitsgeldes werden erst dann ausführlich geschildert. Vorher wird der Alltag in „Ruhrstadt“ hauptsächlich aus Sicht dreier Paare/Familien geschildert, deren Figurenzeichnung flach bleibt, die aber als Typen die verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten an die Lebensumstände aufzeigen. Es gibt Menschen, die trotz einer immens hohen Steuerlast arbeiten, angestellt oder sogar selbständig, und es gibt andere, die in den Tag hinein leben oder legal Drogen konsumieren. Letztendlich ist die Gesellschaft zu einem Stillstand gekommen, es fehlen Ziele und Herausforderungen.

Manche Ideen zum Leben in der Zukunft werden nur ganz kurz erwähnt, auch schon mal mit nur einem einzigen Satz, da hätte ich mir mehr Ausarbeitung und Informationen gewünscht, während andere Details die Handlung überhaupt nicht weiterbringen und eher überflüssig sind, hier hat mich die Gewichtung sehr irritiert.
Der Weg zur Auflösung war etwas holperig und einigen Zufällen zu verdanken, die Auflösung selbst kam dann überraschend schnell. Zuerst fand ich sie enttäuschend, aber ich muss zugeben, sie ist im Rahmen der Geschichte logisch und realistisch.
Eschbachs Schreibstil ist klar und einfach, gut verständlich und wie immer angenehm zu lesen. Das Cover des Buchs kann sicherlich unterschiedlich interpretiert werden, für mich steht es für die Digitalisierung, die bei „Freiheitsgeld“ eine grundlegende Rolle spielt.

Ich vergebe 3 von 5 Sternen, da meiner Meinung nach viel Potential des Buchs verschenkt wurde. Zum ersten Mal hat ein Buch von Andreas Eschbach mich nicht überzeugt.

Bewertung vom 01.10.2022
Sigurdardóttir, Yrsa

SCHNEE


ausgezeichnet

Toll komponierter Thriller mit Spannung und Gruselfaktor

Eine kleine Gruppe Hauptstädter wird seit einer Woche vermisst, die zu viert oder zu fünft, und größtenteils unerfahren, zu einer Wanderung in einem unwirtlichen isländischen Naturschutzgebiet aufgebrochen ist. Die Auffindesituation einer ersten Toten gibt dem Rettungsteam – und dem Leser - Rätsel auf. Die entstehende Spannung bleibt bis zum Ende des Romans erhalten.

Es gibt zwei Zeitebenen und drei Handlungsstränge und damit auch drei Protagonisten, aus deren Perspektive die Geschichte abwechselnd erzählt wird. Erst gegen Ende des Thrillers wird klar, wie der dritte, im wahrsten Sinne geheimnisvolle Handlungsstrang mit den anderen beiden zusammenhängt.

Yrsa Sigurdardóttirs Schreibstil ist fesselnd, wortgewandt und eindrücklich. Bildhaft und Gänsehaut erzeugend beschreibt sie die weiße, eintönige, eiskalte Winterlandschaft genauso wie die wechselnde Gefühlslage der Figuren, von Vorfreude und Erleichterung bis Angst, Erschöpfung und Verzweiflung. Wie verändern sich Menschen und ihre Wahrnehmungen, wenn sie auf sich selbst zurückgeworfen sind und den Kräften der Natur gegenüber stehen? Alle Charaktere sind glaubhaft und authentisch beschrieben, besonders die Protagonisten haben mich berührt.

Von Beginn an ist die Geschichte rätselhaft und entwickelt eine Faszination, die mich bis zum Ende nicht losgelassen hat. Einmal mit dem Buch angefangen, habe ich bis zum frühen Morgen gelesen, weil ich mich nicht losreißen konnte und wollte. Ich habe schon andere Bücher der Autorin sehr gern gelesen, „Schnee“ ist für mich ein neues Highlight, das mich bestens unterhalten hat.

Die eindrucksvolle Beschreibung des schneebedeckten Naturschutzgebiets scheint im Gegensatz zum schwarzen Cover zu stehen, das nur Autorenname und Titel in abgestuftem Weiß zeigt, dennoch passt das dunkle Cover zur atmosphärisch gelungen dargestellten Stimmung der Geschichte und sein Minimalismus zur optischen Eintönigkeit des alles verhüllenden Schnees.

Bewertung vom 24.09.2022
Tschischwitz, Heiko von

Die Welt kippt


sehr gut

Aktuell, spannend und sehr informativ

Das rote Cover steht gleichermaßen für Hitze und Warnung, es ist ein Hingucker und passt zum Buch.
Heiko von Tschischwitz hat einen spannenden, in der nahen Zukunft spielenden Roman um die Klimakatastrophe und einen möglichen Lösungsweg geschrieben, der den Leser (fast) um die ganze Welt mitnimmt. Es gibt verschiedene Perspektiven, wobei besonders die chinesische Sicht überrascht, ist sie doch unter mehreren Aspekten ganz anders als wir das im Westen kennen.
Neben vielen gut recherchierten und verständlich beschriebenen technischen Details und Zusammenhängen thematisiert der Autor in den Diskussionen seiner Protagonisten die Unterschiede zwischen Chinas Kultur und langfristig angelegter Politik einerseits und den eher kurzfristigen Planungen westlicher Demokratien und ihrem bremsenden Redebedarf andererseits. Das hat mich beeindruckt und überzeugt, umso mehr, da von Tschischwitz nicht wertet oder verurteilt. Und auch sonst zeigt er auf, wie vielschichtig die Probleme im Kampf gegen die Klimakatastrophe sind.
Die Charaktere des Romans erscheinen im jeweiligen Zusammenhang glaubhaft, wenn auch ohne Tiefe. Berührt hat mich nur die Klimaaktivistin Tessa, die zu einer tragischen Figur wird. Die Liebesbeziehung fand ich überflüssig.
Der Spannungsbogen bleibt bis zum Schluss erhalten, wobei ich mir gewünscht hätte, dass Chinas Vorhaben etwas eher genauer benannt worden wäre, statt bis kurz vor dem Ende unklar zu bleiben.
Heiko von Tschischwitz ist seit Jahrzehnten erfolgreich im Bereich Klimaschutz und erneuerbare Energien tätig und hat sein Wissen gelungen in seinem Roman umgesetzt und sein klarer und lebendiger Schreibstil macht Spaß. Ich habe Neues gelernt, Bedenkenswertes mitgenommen und wurde gut unterhalten.

Bewertung vom 29.08.2022
Kolosowa, Wlada

Der Hausmann


ausgezeichnet

Ein außergewöhnlich aufgebauter Roman über das Leben in der Großstadt, der aktuelle Probleme aufgreift und dennoch Spaß macht

Genau so bunt wie das Cover ist auch der neue Roman von Wlada Kolosowa. Tims Ich-Erzählung wechselt sich ab mit Messenger-Chats, einem Blog, einem Deutsch-Lern-Tagebuch und einer Graphic Novel über den Klimawandel, eindrucksvoll illustriert von Raúl Soria. Diese verschiedenen Erzählarten sind klar und gelungen voneinander abgegrenzt, machen Spaß und ergeben zusammen ein rundes Bild der Protagonisten und ihrer nicht einfachen Lebenssituation.
Tim und Thea sind durch Gentrifizierung aus ihrer vorigen Wohnung verdrängt worden und leben nun in einem vernachlässigten Haus in Berlin-Neukölln mit Nachbarn unterschiedlicher Herkunft und Generationen. Thea geht arbeiten und Tim kümmert sich um den Haushalt und seine Graphic Novel. Er freundet sich mit Maxim an, der aus der Ostukraine geflüchtet ist und hilft ihm beim Deutschlernen, und er richtet der alten Nachbarin Dagmar das Internet ein.

Das Leben in der Großstadt wird von Wlada Kolosowa sehr aufmerksam beobachtet und dargestellt, sie schreibt bildhaft und eindrücklich, mit feinem Humor, überrascht mit unerwarteten Details, die sensibilisieren und nachdenklich machen. Die Charaktere sind authentisch und berühren, Thea reibt sich in einem Start-up auf, Dagmar ist einsam, kann von ihrer Rente allein nicht leben und hat Vorurteile Ausländern gegenüber und Maxim ist orientierungslos und nicht nur von den Behörden allein gelassen. Wie im Klappentext treffend beschrieben, werden viele Probleme nicht nur des Großstadtlebens, sondern unserer Gegenwart angesprochen und das auf unterhaltsame, lebendige, auch augenzwinkernde Art und Weise, die das Buch zu einem ganz besonderen Lesevergnügen macht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2022
Turner, A. K.

Wer mit den Toten spricht / Raven & Flyte ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Blick in die Vergangenheit

Das ungewöhnliche, auch haptisch ansprechende Cover ist ähnlich dem ersten Band gestaltet und gefällt mir wieder gut mit seinen organischen Formen und dem roten Tropfen.
Zu Beginn ist Sektionsassistentin Cassie, eine junge Frau mit Gothic Look, Piercings und Tattoos, bei der Arbeit und sofort beeindruckt mich wieder ihre besondere Beziehung zu Toten, die Behutsamkeit und Sorgfalt mit den Leichen und Empathie mit den Angehörigen, genau so habe ich sie schon im ersten Band „Tote schweigen nie“ kennengelernt. Doch diesmal muss sich Cassie auch mit ihrer eigenen, unbewältigten Trauer auseinandersetzen, seit sie von ihrer Großmutter erfahren hat, dass ihre Eltern nicht bei einem Verkehrsunfall gestorben sind, sondern ihr Vater ihre Mutter getötet und 17 Jahre im Gefängnis gesessen hat. Cassie versucht, Antworten auf ihre Fragen zu finden, wobei ihr wieder die spröde Polizistin DS Phyllida Flyte zur Seite steht.
Auch Leser:innen, die erst mit diesen Buch in die Reihe einsteigen, werden sich zurecht finden, da immer wieder mal Informationen aus dem ersten Band eingestreut werden.

A. K. Turners Schreibstil ist flüssig, angenehm zu lesen, sie schreibt bildhaft und lebendig und ist ihren Protagonisten sehr zugewandt, sie haben Tiefe und berühren. Die Charaktere sind auch psychologisch glaubwürdig gezeichnet und bis hin zu den Nebenfiguren authentisch dargestellt. Die Arbeit in der Leichenhalle und die medizinischen Hintergründe sind gut recherchiert, genau und sachlich beschrieben.

Der Krimi entwickelt sich zu einer spannenden und fesselnden Geschichte mit komplexem Hintergrund, mit Wendungen und Überraschungen. Gefallen hat mir auch das Lokalkolorit der atmosphärische Beschreibung Camdens im nördlichen London.
Erzählt wird wechselnd aus Cassies Perspektive - locker, intelligent, analytisch, intuitiv und achtsam und auch aus DS Flytes Sicht – hier machen nicht nur die polizeilichen Ermittlungen Fortschritte, auch die Figur der Phyllida Flyte wird greifbarer und das Verhältnis der beiden Frauen zueinander wird vertrauensvoller, so dass Phyllida Cassie auch ihr eigenes unverarbeitetes Trauma offenbart.

Mich hat „Wer mit den Toten spricht“ bestens unterhalten und ich kann das Buch uneingeschränkt jedem Krimi-Leser mit einem Interesse für unkonventionelle Figuren und für Rechtsmedizin empfehlen.

Bewertung vom 13.08.2022
Redondo, Dolores

Todesspiel. Die Nordseite des Herzens


ausgezeichnet

Eine außergewöhnliche Ermittlerin mit Talent und Intuition

Ein Serienmörder tötet ganze Familien, indem er sich das nach Naturkatastrophen herrschende Chaos zunutze macht. Nur durch einen Zufall wird sein Morden entdeckt. Die spanische Polizistin Amaia Salazar, in den USA aufgewachsen und ausgebildet, besucht gerade ein FBI-Seminar und wird in die Ermittlungen eingebunden.
Das FBI will den Mörder in New Orleans erwarten, dort droht der nächste große Hurrikan.

Es gibt zwei gleichermaßen spannende, eindringlich und bildhaft erzählte Handlungs- und Zeitebenen. Neben den Ermittlungen zum Serienmörder wird auch Amaias furchtbare Kindheit beschrieben, die sie geprägt hat.

Amaia erkennt Verborgenes in Menschen und auch bei Vorgängen, sie ist eine äußerst talentierte Ermittlerin mit Intuition und großer Kombinationsfähigkeit. Sie ist selbstbewusst und kann arrogant erscheinen, dadurch eckt sie leicht an. Als Figur in der Geschichte hat sie mich am meisten fasziniert.
Auch die anderen Protagonisten sind glaubwürdig und selbst Nebenfiguren erscheinen mir als interessante, individuelle Charaktere, die mich berühren.

Die Geschichte ist sehr komplex aufgebaut und auch Voodoo und der Aberglaube der Cajun und des Baskenlandes spielen eine Rolle. Durch die Bedeutung, die allem damit zusammenhängende hier von den Cajun beigemessen wird und durch die Parallelen zur Mythologie ihrer Heimat beginnt Amaia in Louisiana, sich mit ihrem kindheitsbedingten Trauma auseinanderzusetzen.

Todesspiel ist ein Prequel der bereits veröffentlichten Bücher um Amaia Salazar und spielt 2005, zum großen Teil in New Orleans, als die Stadt vom Hurrikan Katrina getroffen wird. Atmosphärisch dicht und zweifellos realitätsnah wird die Naturkatastrophe mitsamt ihren Auswirkungen von Dolores Redondo beschrieben, auch die Stadt und das benachbarte Sumpfgebiet werden durch den anschaulichen und fesselnden Schreibstil für den Leser lebendig.

Das Cover zeigt wohl einen der Bäume im Bajou und ist düster und geheimnisvoll und der Gitter-Effekt, den die langgezogenen Buchstaben des Titels erzeugen, passt dazu, es gefällt mir.

Abgesehen von der spannenden Geschichte bin ich davon beeindruckt, wie Dolores Redondo ihre Recherchen zum Hurrikan Katrina und zum Stand der Verhaltensforschung des FBI in ihrem Buch verarbeitet hat.

Ich empfehle „Todesspiel – Die Nordseite des Herzens“ jedem Leser von Thrillern, der für ungewöhnliche, auch okkulte Aspekte offen ist. Mich hat das Buch sehr gut unterhalten und ich vergebe 4,5 Sterne.

Bewertung vom 13.08.2022
Bott, Ingo

Falsche Zeugen / Strafverteidiger Pirlo Bd.2


ausgezeichnet

Pirlo, Mahler und die Große Freiheit

Im zweiten Band um die Strafverteidiger Dr. Pirlo und seine Partnerin Sophie Mahler geht es um den getöteten Anführer einer Nazi-Rockergang und den mordverdächtigen Spross einer albanischen Clanfamilie. Eigentlich hatten die beiden Gruppierungen bisher mehr oder weniger friedlich in Düsseldorf koexistiert. Es gibt keine Zeugen der Tat und die Indizien sprechen gegen den jungen Clanangehörigen. Die Ermittlungen von Pirlo und Sophie gestalten sich äußerst schwierig und bringen die beiden wiederholt in gefährliche Situationen.

Ingo Bott, selbst erfolgreicher Strafverteidiger mit eigener Kanzlei, ist wieder ein spannender und unterhaltsamer Justizkrimi gelungen, in dem er nicht nur die Vorgehensweise der Verteidigung und das Geschehen in der Hauptverhandlung authentisch beschreibt, sondern auch die Clanstrukturen glaubwürdig schildert. Die Figurenzeichnung aller Charaktere ist lebensnah und überzeugend, auch Pirlos Ambivalenz seiner eigenen Familie gegenüber und die daraus entstehenden inneren Konflikte finde ich gut und nachvollziehbar dargestellt. Und auch Sophie hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Familie. Der chaotische Pirlo und die gründliche Sophie Mahler arbeiten perfekt zusammen, sie ergänzen und mögen sich. Sophie ist in dieser Geschichte eine gleichberechtigte Kollegin, sie trägt zur Aufklärung des Falls sogar mehr bei als Pirlo.
Obwohl die Protagonisten dadurch sehr nah- und greifbar werden, haben mir in diesem zweiten Band die Überlegungen, Befindlichkeiten und Erlebnisse der Beiden auf privater Ebene etwas zu viel Raum eingenommen. Auch diese persönlichen Aspekte werden vom Autor dennoch einfühlsam und glaubhaft beschrieben.

Ingos Botts Schreibstil ist unverwechselbar mit vielen kurzen Sätzen, wiederkehrenden Pirlo-typischen Ausdrücken, temporeich, humorvoll und ironisch. Die Erzählperspektive wechselt zwischen Pirlo und Sophie. Auch Düsseldorfer Lokalkolorit kommt nicht zu kurz und macht wieder viel Spaß.

Ich vergebe 4,5 Sterne und freue mich jetzt schon auf den nächsten Band, der im Sommer 2023 erscheinen soll.

Bewertung vom 02.08.2022
Aurass, Dieter

Sandmann: Albtraumleben


ausgezeichnet

Spannender Krimi mit ungewöhnlicher Voraussetzung

Die Geschichte ist komplex und ungewöhnlich, es geht um Zeitreisen und Seelenwanderung und beide Themen hat Dieter Aurass beeindruckend durchdacht, glaubwürdig und äußerst unterhaltsam mit einer Krimihandlung kombiniert.
Das Cover mit den Splittern und den undeutlich und mehrfach dargestellten Personen passt hervorragend zum Buch.

Der Zeitreisende Sandmann erwacht im Körper des Kleinkriminellen Bogdan, der wegen Mordes an seiner Frau in Untersuchungshaft sitzt. Gedanken lügen nicht und so weiß der Sandmann, dass Bogdan unschuldig ist. Er will die Unschuld seines Wirts beweisen und den wahren Täter finden.

Das Vorhandensein zweier Seelen in einem Körper führt verständlicherweise zu Diskussionen, es gibt nicht nur gleichberechtigtes Nebeneinander, sondern auch mal Gewinner und Verlierer. „Interne“ Auseinandersetzungen, verwirrte Mitmenschen, Wirte in zeitlich unterschiedlichen Phasen der Koexistenz führen zu einem packenden Leseerlebnis, wozu auch die spannende Krimihandlung mit ihren Ermittlungen beiträgt. Dieter Aurass' Schreibstil ist flüssig und lebendig, mit augenzwinkerndem Humor, angenehm zu lesen.

Der Protagonist erzählt dem Leser rückblickend aus der Ich-Perspektive von seinem vergangenen, in Bogdans Körper verbrachten Jahr. Sandmann ist nach all seinen Seelenwanderungen recht abgeklärt und vermittelt seine Zweifel, Erkenntnisse und seine Einstellung authentisch und nachvollziehbar. In zwei Kapiteln wechselt die Erzähl-Perspektive – es gibt Personen, die Bogdan zur Seite stehen und ihm helfen. Es ist sehr unterhaltsam zu lesen, wie ungewöhnlich und herausfordernd das Zusammentreffen für alle Beteiligten ist.

Trotz dieser Komplexität ist die Geschichte in sich logisch und folgerichtig. Ich habe diesen spannenden und ungewöhnlichen Mystery-Krimi mit großem Vergnügen gelesen und empfehle ihn jedem Leser, der offen ist für Ideen abseits eingefahrener Pfade und Freude an Gedankenspielen hat.

Bewertung vom 27.07.2022
Schleif, Thorsten

Richter morden besser / Siggi Buckmann Bd.1


ausgezeichnet

Kein Grundsatz ohne Ausnahme
Richter Siggi Buckmann, glücklich getrennt lebend und Vater zweier erwachsener Töchter, hat seinen Idealismus lange hinter sich gelassen und macht inzwischen nur noch Dienst nach Vorschrift. Erst als der Tod eines ihm gut bekannten Junkies praktisch mit einem Schulterzucken abgetan und niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wird, ergreift er die Initiative und sorgt für Ermittlungen, die nicht folgenlos bleiben.
Thorsten Schleif ist Jurist und arbeitet selbst als Richter, er weiß, wovon er schreibt. Nach mehreren Sachbüchern zum Justizsystem ist „Richter morden besser“ sein Romandebüt. Sein Schreibstil ist lebendig, angenehm zu lesen, die Geschichte punktet mit Witz, Komik und schwarzem Humor. Meist erzählt der Protagonist aus der Ich-Perspektive und oft musste ich schmunzeln, wenn Siggi Buckmann seine spöttischen und ironischen Überlegungen anstellt und in Dialogen etwas ganz anderes sagt, als er gleichzeitig denkt.
Auch die Figurenzeichnung ist gelungen, manchmal reicht der von Siggi verpasste Spitzname, um eine Person deutlich vor Augen zu haben.
Die Hintergründe der Krimihandlung sind glaubhaft, Siggis Vorgehen ist nachvollziehbar, es bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, um seine Familie zu schützen. Der Autor gibt einen Einblick in das deutsche Rechtssystem und führt aus, woran es krankt, veranschaulicht den zweifellos herrschenden Klüngel und den Bürokratiewust mit einem Augenzwinkern und beschreibt realistisch auch die clevere Verteiler-Organisation von Drogenhändlern, dank der die Drahtzieher meist unbehelligt bleiben und „kleine Fische“ problemlos ersetzt werden können, wenn sie von der Polizei aus dem Verkehr gezogen werden.
Thorsten Schleif bringt seine Kritik an unserem Justizsystem geschickt und äußerst unterhaltsam in seinen lesenswerten Roman ein, sein Debüt ist gelungen. Ich habe das Buch mit Vergnügen gelesen und freue mich auf einen weiteren Band mit Siggi Buckmann, der am Ende des Romans angedeutet wird.

Bewertung vom 23.07.2022
Erler, Lukas

Das letzte Grab / Carla Winter Bd.1


ausgezeichnet

Spannend und überzeugend

Die Frankfurter Strafverteidigerin Carla Winter ist schockiert, als sie erfährt, dass ihr Ex-Mann Felix bei einem tödlichen Autounfall in der Türkei verbrannt ist. Am gleichen Tag findet sie ihr Haus durchsucht und verwüstet wieder und ihren One-Night-Stand ermordet. Wer hat da was gesucht und schreckt auch vor Mord nicht zurück und besteht eine Verbindung zu Felix Winter? Um Antworten auf diese Fragen zu finden und mehr über ihren geschiedenen Mann und sein Leben im Nahen Osten zu erfahren, aber auch, um ihrem Verfolger zu entkommen, reaktiviert Carla alte berufliche Beziehungen und reist in die Türkei.

Der spannende Krimi wird aus Carlas Perspektive erzählt und ist gleichzeitig action- und temporeiche Abenteuergeschichte und auch Politthriller. Das Cover passt zum Buch. Der Autor vermittelt interessante und wie mir scheint, gut recherchierte Einblicke in das lukrative internationale Geschäft mit dem Schmuggel antiker Raubkunst und den darin verstrickten Parteien. Es gelingt ihm auch, die Atmosphäre der uralten eindrucksvollen Stadt Mardin im Norden Mesopotamiens einzufangen, an anderer Stelle wird z. B. ein Duisburger Problemviertel authentisch angesprochen.

Lukas Erlers Schreibstil ist direkt und schnörkellos, kein Wort ist da zu viel. Er schreibt lebendig, auch humorvoll und bildhaft, so dass ich Setting und Personen immer vor Augen hatte. Alle Charaktere, vor allem auch die Nebenfiguren, sind glaubwürdig, ihr Verhalten überzeugend beschrieben, während mir die Protagonistin einen Tick zu tough dargestellt wird, zu cool, zu clever und zu schlagfertig. Dennoch würde ich mich freuen, Carla Winter bei einem weiteren ungewöhnlichen Fall wieder zu begleiten.

„Das letzte Grab“ hat mich bestens unterhalten und mit Thema und Umsetzung überzeugt, ich kann das Buch jedem Krimi-Leser uneingeschränkt empfehlen.

Ich vergebe 4,5 Sterne.