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MelB
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Eppelheim

Bewertungen

Insgesamt 169 Bewertungen
Bewertung vom 02.09.2024
Meller, Marc

Das Smartphone


sehr gut

In "Das Smartphone" geht es um eine junge Studentin, Paula, die ein gebrauchtes Smartphone kauft und ihr altes dafür in Zahlung gibt. Noch am selben Abend wird sie von dem Verkäufer des Smartphones kontaktiert, der ihr eröffnet, dass auf ihrem alten Smartphone eine seltsame Spyware installiert war. Als sie ihn am nächsten Tag aufsucht, um die Sache zu klären, ist er brutal ermordet worden und Paulas Leben wird kompliziert...

Der Thriller hat ein gutes Erzähltempo und die Protagonisten sind plausibel und treffend geschildert. Der Handlungsstrang ist streckenweise wirklich sehr schnell und hat einige überraschende Wendungen.
Paula ist eine sympathische, moderne Protagonistin, mit der ich sehr mitgefühlt habe. Die anderen Charaktere waren plastisch genug geschildert, dass ich auch hier Sympathien und Antipathien aufbauen konnte.
Trotz einiger am Schluss nicht ganz aufgelöster Handlungsstränge und zum Teil etwas zu oft wiederholten Informationen, habe ich das Buch gern und schnell gelesen und war auch mit dem Schluss zufrieden.

Die Warnung vor dem, was mit KI machbar ist oder sein könnte, ist auf jeden Fall keine allzu entfernte Zukunftsmusik und ein brandaktuelles Thema.
Gut verpackt in einem spannenden und lesbaren Thriller mit nicht allzu viel Tiefgang kann ich "Das Smartphone" auf jeden Fall weiter empfehlen.

Bewertung vom 29.08.2024
Andeck, Mara

It's me oder Wie mein Leben plötzlich glitzerte


sehr gut

It´s Me oder Wie mein Leben plötzlich glitzerte ist ein wirklich wunderschön geschriebenes Jugendbuch, das vermutlich vor allem Mädchen im Alter von Gwinny begeistern wird.
In Tagebuchform geschrieben wird der Text oft aufgelockert durch „handgeschriebene“ Stellen, Chatverläufe und kleinen Graphiken.
Gwinny trifft zu Beginn ihres Tagebuchs einen süßen Jungen, Noam, der sich ihr als männliche Fee vorstellt und in den nächsten 7 Wochen je eine Aufgabe stellt. Welche Aufgaben das sind und wie sie Gwinnys Leben und ihre Weltsicht verändern, das liest sich wirklich zauberhaft.
Gwinny ist eine sehr sympathische Protagonistin, ein typischer Teenager im besten Sinn und ihr Leben wird plausibel und warmherzig geschildert.

Ich kann das Buch wärmstens empfehlen – auch an Mütter von Teenagern, wie ich eine bin. Ich musste mehrmals schmunzeln und habe die Lektüre wirklich sehr genossen.

Bewertung vom 28.08.2024
Blum, Susann

Monoloco


schlecht

Monoloco handelt von einer jungen Frau, die mit ihrer Ehe unglücklich ist und auch mit sich und ihrem Leben. Sie trifft im Zug auf dem Weg zur Arbeit auf Aron (ja, er schreibt sich mit nur einem A) und ist (Klischee-Alarm) begeistert von seinen eisblauen Augen. Die "Beziehung" der beiden entwickelt sich sehr langsam, da Maylin, so heißt die Protagonistin, sich selbst sehr im Weg steht und auf nervige Art und Weise alle typischen Zweifel einer Frau, die ihrem Mann untreu werden möchte, durchlebt. Dies ist dann aber leider nicht das Thema des Buches (wobei ich denke, wäre es das Thema gewesen, wäre es nicht wesentlich besser geworden...).

Zufällig treffen sich Arons Männer- und Maylins Frauenclique dann in der Bar Monoloco und die 9 (!) Personen funktionieren als Gruppe sehr gut. Nach dem Treffen in der Bar verschwindet auf einmal Aron und die Gruppe wird ein "Abenteuer" erleben, soweit der Klappentext.
Also, ein Abenteuer ist es nicht, es ist eine absolut seltsame Storyline, die mich streckenweise entweder gelangweilt hat, weil einiges vorhersehbar war. An anderen Stellen habe ich sehr schlimme Fremdscham Momente durchlitten - vor allem, wenn Maylin ihre seltsamen pseudophilosophischen kleinen Texte schreibt und diese dann auch noch mit einem Titel versieht, der das Ganze noch schlimmer macht. Und ich wurde wütend, weil ich Gewaltszenen in Büchern durchaus kritisch sehe, wenn es sich nicht um Thriller handelt, die das natürlich erwarten lassen. Wenn eine junge Frau einen Mann so zusammenschlägt, dass er seine Beine nicht mehr spürt, ist das für mich absolut problematisch beim Lesen und ich lehne solche Textstellen total ab, wenn sie nicht für die Geschichte notwendig sind (waren sie nicht!).
Zudem gibt es eine furchtbar schlecht geschriebene Sex-Szene, bei der ich immerhin lachen konnte. Wer schreibt denn ernsthaft noch "seine Männlichkeit", wenn er das männliche Geschlechtsteil meint?!
Die Protagonisten bleiben alle blass und langweilig, auch wenn sich die Autorin wirklich bemüht, sie alle besonders wirken zu lassen und ihre Gespräche als tiefgründig beschreibt. Ich denke, es wäre besser gewesen, wenn sie die Anzahl der Gruppenteilnehmer verringert hätte - bei gerade mal 200 Seiten 9 Personen so zu beschreiben, dass man Nähe entwickelt, ist auch recht ambitioniert - und in meinen Augen krachend gescheitert.
Wenn dann noch für alle Pizza bestellt wird und es sich liest, als habe sie die Karte eines Pizzadienstes abgeschrieben, wird es unfreiwillig komisch beim Lesen und ist nur ein Beispiel dafür, warum ich das Buch echt nicht ernst nehmen konnte.

Im Nachwort erwähnt die Autorin die Motivation für das Thema des Buches, nämlich, dass sie von einem "Heiler" erfolgreich behandelt wurde. Mich freut das sehr für sie, wenn sie ihre Krankheit dadurch (oder den Glauben daran?) tatsächlich überwunden haben sollte, aber ein Internet Post mit stimmungsvollen Bildern und einer Danksagung an den Heiler hätte es doch auch getan.

Das Buch jedenfalls ist meiner Meinung nach total überflüssig und ich kann es absolut nicht empfehlen. Leider.

Eins der Lowlights meines Lesejahres...

Bewertung vom 26.08.2024
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


ausgezeichnet

Gleich als erstes - was für ein tolles Buch! Unbedingt lesen!!!!

Im Außenseiter Studium Mathematik treffen der fast 17jöhrige hochbegabte und leicht autistische Oscar und die chaotische, kümmernde und charismatische 53jährige Moni, Großmutter von 3 Enkeln, die 3 Jobs ausübt, um über die Runden zu kommen, aufeinander.

Immer aus Oscars Sicht geschrieben erleben wir, wie die beiden zu so etwas wie Freunden zusammenwachsen, das Studium durchstehen und einander und ihre Familien kennen lernen.

Der sehr sachlich-analytische Oscar bekommt durch Alina Bronskys Schreibstil eine so wundervolle Stimme verliehen, dass ich mich beim Aufschlagen des Buches immer richtig darauf gefreut habe und oft, sehr oft, richtig laut gelacht habe. Ich bin in der Geschichte versunken und emotional mit gegangen, die Protagonisten waren so lebendig wie das nur möglich ist bei einem Buch und werden mich noch lange im Herzen begleiten, da bin ich sicher.

Die Geschichte ist so schön und lustig wie auch tiefgründig und berührend und die Stil wirklich ein besonderer. Ich liebe das Buch uneingeschränkt und habe es mitsamt des phantastischen Schlusses genossen!

Eine sowas von eindeutige Leseempfehlung, Must-Read und absolutes Highlight 2024!

Bewertung vom 09.08.2024
Zischke, Vera

Ava liebt noch


ausgezeichnet

"Ava liebt noch" hat mich bereits beim Lesen des Klappentextes gecatcht, ich bin etwa so alt wie Ava zu Beginn der Geschichte und habe ebenfalls 3 Kinder - daher habe ich mich Ava direkt sehr nahe gefühlt.
Die Ausgangslage des Romans ist: Ava ist in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter unglücklich und gelangweilt, so weit, so "normal" und ich habe ihr sogar die Begründung abgekauft, warum sie zu Beginn der Geschichte erklärt, wie sie Vollzeithausfrau geworden ist, etwas, was heute eigentlich nicht mehr oft vorkommt. Die Situationen, die geschildert werden, waren alle sehr, sehr realistisch, die Autorin weiß auf jeden Fall, wovon sie schreibt - und ich habe gelesen, sie ist ebenfalls 3fache Mutter. Zu Beginn der Geschichte fühlt sich Ava plötzlich zu einem deutlich jüngeren Mann hingezogen - und nach kurzer Zeit ist klar, er fühlt sich ebenfalls von ihr angezogen. Ich hatte Angst, dass das Buch sich so entwickeln würde, wie ich das sonst bei dieser Art Plot oft fühle - dass mir die Protagonistin unsympathisch wird und ich ihre Entscheidungen und ihr Gejammer nicht mehr ertragen kann. Meistens jammern die "untreuen" Frauen in Büchern unfassbar viel und ich langweile mich beim Lesen schnell und denke, dein Problem ist einfach keins.
Nicht so bei "Ava liebt noch". Die Geschichte von Ava und Kieran wird einfühlsam und realistisch beschrieben und kommt - das muss ich echt hervorheben und richtig feiern! - komplett ohne peinliche Klischees aus. An einigen Stellen wechselt die Perspektive - und die Autorin traut der Leserin zu, selbst zu wissen, aus wessen Sicht jetzt geschrieben wird, Kierans oder Avas, ohne Überschriften zu setzen, wie es in den YA/NA Büchern mittlerweile stark verbreitet ist. Beide schreiben in Ich-Form und NIE, wirklich NIE ist es kitschig oder übertrieben, wie und was sie schreiben. Ich kann gar nicht genug betonen, wie begeistert ich davon bin! Natürlich hebt Ava die Attraktivität Kierans sehr hervor und hat mit Komplexen zu kämpfen, da ihr Körper nun einmal der einer 3fachen Mutter in ihren 40er Jahren ist. Wie es vermutlich realistisch ist, wird aus Kierans Sicht das gar nicht thematisiert - und er sagt ihr so wundervolle Dinge, wie, dass er nicht auf ältere Frauen an sich steht, sondern eben auf sie.
Auch die Entscheidungen der beiden Protagonisten jeweils sind zu jeder Zeit nachvollziehbar und kommen ebenfalls komplett ohne Dramatik aus.
Ava entscheidet sich manchmal so, wie ich es nicht tun würde, aber ich bin trotzdem immer mit gegangen und habe mit gefühlt. Auch wenn sie retrospektiv Entscheidungen in Frage stellt, gehe ich mit und kann total nachvollziehen, wie sie sich fühlt.
Die Autorin schafft es, dass ich einen kritischen Blick auf die Personen behalte, aber die Geschichte mich absolut in den Bann zieht. Leise und ruhige Töne sind klar im Vordergrund und selbst Schicksalsschläge kommen ohne Dramatik aus. Die Zeitspanne der Geschichte ist wirklich sehr gut gewählt und auch die Zeitsprünge immer nachvollziehbar. Auch wenn die Nebenfiguren sich weiter entwickeln und ebenfalls unfassbar einfühlsam geschildert werden und ich auch mit ihnen mit fühlen kann, stehen Ava und Kieran im Mittelpunkt dieser besonderen Geschichte. Es ist ihre Geschichte und ich liebe das!

Ich will nichts von der Handlung spoilern natürlich - nur so viel, an manchen Stellen habe ich wirklich weinen müssen und ich war die ganze Zeit in der Geschichte drin.
Trotz Urlaubsvorbereitungen und wenig Zeit habe ich das Buch in jeder freien Minute in die Hand genommen und super schnell gelesen. Und - das sage ich selten - dieses Buch werde ich mit Sicherheit nochmal lesen!
Für mich ist "Ava liebt noch" auf jeden Fall eins meiner absoluten Highlights 2024!

Bewertung vom 08.08.2024
Uderzo, Albert;Goscinny, René

Idefix und die Unbeugsamen - Der große Taubenschlag


ausgezeichnet

Das Erstlesebuch Idefix und die Unbeugsamen ist passend zur gleichnamigen Serie und Buchreihe. Die Charaktere werden den Lesenden also bekannt sein, was immer von Vorteil ist bei Erstlesern. Der Text ist lustig und gut geschrieben, die Bilder passen gut dazu und sind die aus der Serie, vermute ich. Die Serie selbst habe ich nicht gesehen, aber ich kenne Idefix aus den Asterix und Obelix Comics und er sieht optisch angepasst so aus, wie ich ihn kenne.
Die Handlung ist nett und unterhaltsam geschildert, Anspielungen auf die Römerzeit wie wir sie aus Asterix und Obelix kennen, gibt es zum Glück auch, nicht nur in den Namen der Protagonisten. Die Protagonisten sind alles Tiere, das ist für die Zielgruppe auf jeden Fall passend und süß umgesetzt.
Mir persönlich gefiel am besten, dass Idefix an Höhenangst leidet - das tue ich nämlich auch. :-)
Ich würde das Buch empfehlen für einen Erstleser, der schon etwas weiter ist. Man muss auf jeden Fall alle Buchstaben bereits besprochen haben und die Text zu Bild Aufteilung ist doch sehr textlastig. Also auf keinen Fall 1. Klasse, eher Ende der 2. / Anfang der 3. Klasse.
Ein schönes Buch zum Schenken oder Belohnen in der Schulzeit!

Bewertung vom 03.08.2024
Aichner, Bernhard

Yoko / Die Rache Bd.1


ausgezeichnet

Yoko, die Namensgeberin und Protagonistin des Romans, ist eine wirklich erstaunliche Frau. Sie muss eines der schlimmsten Dinge erleiden, die einer Frau angetan werden kann, sie verliert die Person, die sie am meisten auf der Welt liebt - doch sie gibt nicht auf, sondern steckt all ihre Energie in ihre Rache. 
Ich habe den Roman wirklich atemlos verschlungen und bin voll und ganz begeistert. 
Schon das Cover ist ein echter Hingucker und wunderschön. Der Stil ist klar und sachlich, die Dialoge werden stets mit Spiegelstrichen dargestellt - was mir besonders an den Stellen gefiel, an denen sie Stille oder Nicht-Antworten verdeutlicht haben. Die einzelnen Charaktere sind alle gut gezeichnet und obwohl das Thema und die Peiniger Yokos durchaus die Gefahr beinhalten, rassistisch zu werden (es geht um die chinesische Triage, also Mafia), passiert das niemals. Die Stränge finden alle perfekt zusammen. Yokos Vergangenheit ist einer der Schlüssel zu ihrem durchaus ungewöhnlichen und heftigen Verhalten - und natürlich ist Selbstjustiz ein problematisches Thema! Aber ich habe absolut mit ihr gefühlt und alle Überraschungen des Plots haben mich wirklich überrascht bis hin zu einem absolut phantastischen und schlüssigen Ende. 
Eine klare und eindeutige Leseempfehlung! 

Bewertung vom 30.07.2024
Del Buono, Zora

Seinetwegen


gut

Seinetwegen ist ein besonderer Roman, autofiktional und mit einer berührenden Geschichte. Die Autorin macht sich mit 60 Jahren auf die Suche nach dem Mann, der den Unfalltod ihres Vaters,als sie erst 8 Monate alt war, zu verantworten hat. Sie hat ihren Vater zeit ihres Lebens nicht gekannt und nun ist ihre Mutter dement und nicht mehr in der Lage, ihre Fragen, die sie sich niemals getraut hat zu stellen, zu beantworten.
So weit hat mich die Geschichte gereizt - leider ist die Umsetzung für mich nicht so ausgefallen, dass ich sagen kann, dass mir das Buch richtig gut gefällt. Zu viele Anekdoten und Stränge werden angerissen, zu wenig kann ich mit der Ich-Erzählerin mitfühlen, da sie selbst für mein Empfinden streckenweise zu distanziert wirkt.
Das Ende und der letzte Abschnitt des Buches waren besser als der Anfang, aber das reichte nicht aus, um mich so richtig zu überzeugen.
Natürlich ist das immer sehr subjektiv und daher gebe ich eine eingeschränkte Leseempfehlung ab. Der Stil der Autorin ist wirklich gut und das Buch auch optisch schön gestaltet. Nebenbei wird viel Interessantes vermittelt, was mir komplett neu war, und das ist etwas, was ich immer an Lektüre schätze!

Bewertung vom 29.07.2024
Paasilinna, Arto

Vorstandssitzung im Paradies


ausgezeichnet

Für mich war Vorstandssitzung im Paradies, eine Neuauflage des 1974 erschienen Romans, mein erstes Buch von Arto Paasilinna – und es wird definitiv nicht mein einziges von diesem Autoren sein!
Sein Schreibstil ist wirklich besonders und ich habe mich beim Lesen des schmalen Bandes wirklich die ganze Zeit durch sehr amüsiert.
Durch die skurrile Geschichte führt ein finnischer Journalist in Ich-Form. Er war an Bord eines englischen Flugzeuges, das von der UNO gechartert war und unterwegs Richtung Australien. Von den 50 Passagieren überleben 48 den Flugzeugabsturz mitten im Ozean irgendwo in der Nähe von Melanesien und retten sich auf eine Insel.
Wie die Gruppe, die aus finnischen Waldarbeitern, schwedischen Hebammen und der englischen Crew des Flugzeugs besteht, sich auf dieser Insel schlägt, was sie erleben und wie sie dann letztlich „gerettet“ werden, liest sich so trocken und lakonisch und ist so voller teilweise absurder Ideen – ich kann nur sagen, selten habe ich mich so gut unterhalten gefühlt!
Auf den etwas mehr als 170 Seiten werden viele Themen behandelt, die auch heute noch nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Sprache und Stil sind wirklich zeitlos und sehr gut lesbar.
Die Robinsonade hat mich auch durchaus manchmal nachdenklich werden lassen – und ich weiß nicht, wie ich gefühlt hätte in einer ähnlichen Situation und ob ich gerne wieder zurück in die „Zivilisation“ kehren wollen würde…
Eine sehr klare Leseempfehlung für alle, die gerne auch mal absurde und skurrile Literatur lesen, sich gerade jetzt auf eine Insel träumen wollen und sich einen sehr amüsanten Lese-Tag verschaffen wollen, den bekommt man mit Vorstandssitzung im Paradies auf jeden Fall!
Und – das Buch eignet sich auch sehr gut, um es ins Handgepäck ins Flugzeug mitzunehmen. In diesem Fall sollte man allerdings den Anfang mit dem Flugzeugabsturz vielleicht erst später lesen 😉, dieser ist wirklich einmalig beschrieben und könnte einem Menschen mit leichter Flugangst Panik machen…

Bewertung vom 26.07.2024
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


ausgezeichnet

Der Protagonist Ben Oppenheimer ist Ende 40, lebt in Zürich mit seiner Familie im Nestmodell, seine Noch-Ehefrau Marina und er wohnen abwechselnd in der gemeinsamen Wohnung mit den Kindern. Er hat eine jüngere ebenfalls von ihrem Partner getrennt lebende Freundin, Julia, mit 4 jährigem Sohn. Seine Karriere als Schriftsteller und Drehbuchautor stockt schon länger und ihn plagen Rückenschmerzen und Geldsorgen (so steht es auch im Klappentext). Zudem befürchtet er den Ausbruch des 3. Weltkriegs, eine Sorge, die Marina teilt. Sie reisen daher mit den schulpflichtigen (!) Kindern in einer Nacht-und Nebel-Aktion nach Brasilien, um sich vor dem sicherlich bald ausbrechenden Krieg in Sicherheit zu bringen. Die Geschichte ist ausschließlich aus Bens Sicht geschildert, was für mich manchmal schwer erträglich war, denn Ben ist definitiv kein "Held" oder Sympathieträger. Träge, passiv, ohne Empathie, antriebslos, unorganisiert, unordentlich, vollkommen auf sich bezogen und voller Komplexe regt er mich streckenweise richtig auf und besonders seine Interaktionen mit den Frauen in seinem Leben sind für mich als Frau echt schwer erträglich gewesen. Mehrmals dachte ich, was ist los mit dir? Reiß dich zusammen und TU ENDLICH mal was, statt immer nur andere Menschen für dich entscheiden zu lassen. Auch seine Einstellung zur Sexualität ist wirklich fragwürdig und ich musste sehr lachen, als Marina ihm an einer Stelle vorwirft, mit ihm sei es wirklich am allerschlechtesten von allen im Bett.
Der Autor schafft es aber, bei mir dennoch Empathie für Ben zu wecken und das liegt daran, wie er geschickt die Gedanken Bens mit seinen Handlungen oder auch Nicht-Handlungen verknüpft. So erinnert sich Ben an seine Kindheit, in der er, immerhin einziges Kind seiner Eltern, von seinen Eltern nur am Rande wahrgenommen wurde und nie nach seinen Gefühlen, Freunden usw gefragt wurde. Er vermutet, dass seine Ex-Frau gerne mehr Aufmerksamkeit von ihm hätte und nimmt Anlauf, ihr eine persönliche Frage zu stellen. Und als sie ihn erwartungsvoll und gespannt anschaut, fragt er - wie sie sein neues Drehbuch findet! Solche Stellen findet man einige im Roman und auch, wenn es eigentlich traurig ist, wie wenig Ben versteht und wie unfähig er sich anstellt - die Lektüre macht das auf jeden Fall sehr unterhaltsam!
Ich würde sagen, Ben ist ein absolut ehrlicher Anti-Held. Er reflektiert durchaus, dass er im Grunde ein Loser ist und sich mitnehmen lässt, statt selbst zu handeln. Sei es, wenn seine Agentin ihm Themen vorgibt, über die er schreiben soll und seine eigenen Ideen abbügelt, sei es, wenn seine Ex-Frau ihn und die Kinder einpackt und sich auf den Weg zum Flughafen macht oder - eine sehr starke Szene! - der Moment, als sein Sohn in Brasilien im Hotelzimmer eine Vogelspinne sieht und Ben als Familienvater sich als Retter sehen möchte, dann aber am Ende alleine auf dem Bett sitzt und zittert, während seine Familie die Spinne beobachtet und eine Hotelmitarbeiterin das Tier mit Insektizid tötet. Auch bei seiner Freundin Julia ist er definitiv der Passive und zu ihrem Sohn, der ihn ablehnt, versucht er nicht mal, eine Beziehung aufzubauen. Sein bester Freund ist derzeit in stationärer Therapie wegen einer Angststörung. Wenn die beiden sich unterhalten, fühlt Ben sich verstanden, wenn er auch immer mal wieder argwöhnt, dass sich verstanden fühlen von einem traumatisierten Angststörungspatienten vielleicht nicht wirklich gut ist. Zu seinen Eltern hat er noch immer keine echte Bindung - er schafft es lange nicht, seinem Vater von der Trennung von Marina und seiner neuen Freundin zu erzählen und seine Mutter ignoriert ihn am Telefon.
Ben fühlt sich irgendwie als Jude, lebt es aber nicht und hat auch seine Kinder nicht mal ansatzweise im jüdischen Glauben erzogen, obwohl seine Frau ebenfalls Jüdin ist. Im "Exil" gibt es dann eine skurrile Szene, in der er mit seinem Sohn in einer Synagoge die Toilette aufsucht und sich schämt, dass sein Sohn nicht beschnitten ist. Auch hier - er erwähnt, dass Marina und er sich bewusst gegen die Beschneidung entschieden haben, aber jetzt zweifelt er wieder daran.

Es gibt so viele gute Stellen in dem Roman, die ich jetzt nicht erwähnen möchte, um nicht zu spoilern. Man muss das wirklich er"lesen", ehrlich, es ist ein Genuss! An vielen Stellen dachte ich daran, wie Ben am Anfang der Geschichte darüber sinniert, dass er keine Komödien schreiben kann, weil ihm die Protagonisten immer Leid tun und er nicht erträgt, wie sie sich lächerlich machen. Und genau das macht der Autor des Romans mit Ben!
Der Schreibstil des Autoren, das muss ich unbedingt hervorstreichen, hat mir wirklich sehr, sehr gut gefallen. Die Sprache ist niveauvoll und sehr gut lesbar und der Aufbau des Textes insgesamt sehr gut gemacht bis hin zu einem für mich sehr guten Ende! Uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die gerne niveauvolle zeitgenössische Literatur lesen und eine wirklich perfekte Sommerlektüre schon allein aufgrund der Szenen in Brasilien, finde ich.