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Herbstrose

Bewertungen

Insgesamt 224 Bewertungen
Bewertung vom 19.12.2021
Molloy, Aimee

Das Therapiezimmer


sehr gut

Alles ist anders, nichts ist wie es scheint …
Psychotherapeut Sam Statler fühlt sich als Glückspilz. Er ist frisch verheiratet und mit seiner jungen Frau Annie von New York zurück in seinen Heimatort gezogen, um in der Nähe seiner dementen Mutter zu sein. Sie fanden sofort ein hübsches Haus und Sam konnte sich seine neuen Praxisräume ganz nach seinen Wünschen einrichten. Die Praxis läuft gut und es sind hauptsächlich weibliche Klienten, die Sam ihre geheimsten Gedanken und Wünsche anvertrauen. Was aber keiner ahnt ist, dass man durch einen Luftschacht in den oberen Räumen diese Gespräche mithören kann. Es ist zwar nicht die feine Art, aber was tut man nicht alles aus Langeweile? Als eines Tages eine junge Französin Sam ihre Avancen macht, kann er nicht widerstehen und verabredet sich mit ihr. Es ist ein stürmischer Abend als er die Praxis verlässt - und nicht mehr gesehen wurde …
Die Autorin dieses Thrillers, Aimee Molloy, ist in den USA bereits als Sachbuchautorin sehr erfolgreich und stand mit ihrem ersten Thriller „Die Mutter“ monatelang auf der Bestsellerliste der New-York-Times. Sie ist verheiratet und lebt mit Mann und zwei Töchtern in West-Massachusetts.
„Das Therapiezimmer“ ist ein Psychothriller über Besessenheit, heimliche Begierde, Wahn und Trugbilder. Die Autorin spielt mit Vorurteilen und Denkweisen des Lesers und stellt diese gekonnt auf den Kopf. Zu Anfang passiert nicht viel und doch merkt man, bedingt durch den mitreißenden Schreibstil Molloys, die hintergründige Spannung, die mit Beginn des II. Teils an ihrem vorläufigen Höhepunkt angelangt ist. Jetzt endlich versteht man die Geschichte, die bis dato recht verworren wirkte. Mit Sams Verschwinden bekommt die Story eine ganz andere Richtung und auch der Blickwinkel ändert sich. Die Autorin hat es geschafft, den Leser in die Irre zu führen und auf eine falsche Fährte zu locken. Zwar sinkt die Dramatik zunächst etwas ab, doch durch weitere, geschickt eingebaute Kniffe bleibt sie dennoch bis zum Schluss erhalten.
Fazit: Ein unblutiger, spannender Psychothriller mit unvorhersehbaren Wendungen.

Bewertung vom 18.12.2021
Engel, Henrike

Ein Leben für die Freiheit der Frauen / Die Hafenärztin Bd.1


sehr gut

Im Hamburger Hafen …
Sie wird von Scotland Yard gesucht und musste aus London flüchten, jetzt ist Anne wieder zurück in Hamburg, der Stadt in der sie ihre Kindheit verbracht hatte, und nennt sich nun Dr. Anne Fitzpatrick. Hier hat sie endlich Gelegenheit ihren Traum, benachteiligten Frauen zu helfen und sich für deren Rechte einzusetzen, zu verwirklichen. Zur Eröffnung ihres Frauenhauses im Hamburger Hafenviertel erscheint auch Helene, eine 18jährige Pastorentochter, die ihre Unterstützung und Mithilfe anbieten möchte. Das Projekt scheint zu scheitern, als nacheinander zwei Frauenleichen im Hafen entdeckt werden und Kommissar Berthold Rheydt mit der Aufklärung der Morde beauftragt wird. Er stellt fest, dass die Toten Kontakt mit der neuen Frauenbewegung hatten und warnt Anne und Helene vor weiteren Aktivitäten. Doch die beiden Frauen versuchen unbeirrt, den Täter zu entlarven – und begeben sich so in größte Gefahr …
Die Autorin dieses Buches, Henrike Engel, geboren 1962 in Duisburg, führt ein Leben zwischen Berlin und München und ist mit beiden Städten eng verbunden – doch ihre Liebe gehört Hamburg, wohin sie auch den Schauplatz der Buchserie um die Ärztin Anne Fitzpatrick, einer mutigen Frau Anfang des 20. Jahrhunderts, verlegt hat.
Ein spannender Kriminalfall und eine interessante Studie über Hamburg, den Hafen und die Bewohner im frühen 20. Jahrhundert – so lässt sich der Roman „Die Hafenärztin“ kurz zusammenfassen. Der Schreibstil ist dabei sehr flüssig, lässt sich gut lesen und schafft es, den Leser sofort in die damalige Zeit zu versetzen. Die Charaktere der drei Protagonisten sind zwar sehr unterschiedlich, ergänzen sich in der Geschichte jedoch ausgezeichnet. Da ist die Ärztin Anne, die aus London fliehen musste und sich nun in Hamburg für unterdrückte und vernachlässigte Frauen einsetzt - die junge Pastorentochter Helene, die ihren Weg im Leben noch finden muss - und nicht zuletzt Kommissar Berthold Rheydt, dem das Schicksal schon übel mitgespielt hat und der inständig hofft, durch eine Beförderung sein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden. Etwas störend empfand ich allerdings, dass zum Schluss einiges recht vage und ungeklärt bleibt, so dass, um mehr zu erfahren, der Leser wohl zum Folgeband greifen sollte.
Fazit: Ein historisch interessanter Roman und ein spannender Kriminalfall – kurzweilig und unterhaltsam zu lesen.

Bewertung vom 01.12.2021
Heiland, Julie

Diana / Ikonen ihrer Zeit Bd.5


gut

Wer kennt schon ihre wahren Gefühle?
Diana Spencer war 17 Jahre alt, als sie bei einem Polospiel den britischen Thronfolger Prinz Charles kennen lernte. Drei Jahre später, am 29. Juli 1981, war sie am Ziel ihrer Träume - sie heiratete in der Londoner St Paul’s Cathedral ihren Märchenprinzen und wurde zur Königlichen Hoheit. Die Ehe stand von Anfang an unter keinem guten Stern, Prinz Charles empfand immer noch sehr viel für seine Jugendliebe Camilla und Diana fühlte sich nie wohl in der königlichen Familie mit ihrem strengen Protokoll. Dies änderte sich auch nach der Geburt ihrer beiden Söhne William und Harry nicht. Mehr und mehr litt Diana unter Depressionen und ihre Bulimie verstärkte sich zusehends. Bald begann Lady Di, wie sie von aller Welt genannt wurde, ihre eigenen Wege zu gehen und sich der Wohltätigkeit zu widmen. An Charles rächte sie sich, indem sie sich ihrerseits einen Liebhaber nahm und in einem Interview der BBC ihre Eheprobleme offenbarte. Je mehr die Ehe zerbrach, desto mehr wurde sie von der Öffentlichkeit geliebt – bald war sie die Königin der Herzen …
Die Autorin Julie Heiland wurde 1991 in der Nähe von München geboren. Sie studierte Journalistik und machte eine Rhetorik- und Schauspielausbildung. Unter verschiedenen Pseudonymen (Julie Hilgenberg, Lea Thannbach) veröffentlichte sie mehrere Romane. Sie lebt in der Nähe von München.
24 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht der Ullstein-Verlag im Rahmen der Serie „Ikonen ihrer Zeit“ den Roman „Diana – Königin der Herzen“. Dass es sich dabei um einen Roman, der auf einem Gerüst aus Tatsachen aufgebaut ist, handelt, erklärt die Autorin Julie Heiland am Ende des Buches. Gespräche zwischen den Beteiligten sowie ihre geschilderten Gefühle sind frei erfunden, könnten jedoch so ähnlich gewesen sein. Wir verfolgen die Ereignisse aus Sicht Dianas, sodass man das Geschehen sehr einseitig empfinden muss. Gewiss hatte sie es in ihrer Ehe und mit der königlichen Familie nicht leicht, doch das müsste ihr bereits vor der Hochzeit schon klar gewesen sein. Sie alleine als die Leidende und die Betrogene darzustellen, trifft meiner Meinung nach nicht ganz die Tatsachen. Wenn man das Buch jedoch einfach nur als unterhaltenden Roman betrachtet, lässt es sich wunderbar lesen – für die Biographie von Lady Di, die auch heute noch als Medienikone und meistfotografierte Frau der Welt gilt, sind andere Bücher zuständig.
Fazit: Ein gut und flüssig geschriebener Roman mit hohem Unterhaltungswert.

Bewertung vom 27.10.2021
Lecoat, Jenny

Die Übersetzerin


sehr gut

Durchhalten und Überleben!
1940. Um als Jüdin der drohenden Deportation durch die Nazis zu entgehen, floh Hedwig (Hedy) Bercu von Wien auf die britische Kanalinsel Jersey. Hier fühlt sie sich zunächst in Sicherheit, bis auch hier die deutschen Truppen einfallen und die Insel besetzen. Für die Bevölkerung beginnt jetzt ein Kampf ums Überleben. Da Hedy fließend Englisch und Deutsch spricht und niemand sie als Jüdin erkennt, gelingt es ihr einen Job als Übersetzerin bei den Deutschen zu bekommen. Dort lernt sie auch den Wehrmachtsoffizier Kurt Neumann kennen, als er ihr in einer Notlage behilflich ist. Kurt fühlt sich sofort zu ihr hingezogen, und auch Hedy fasst bald Vertrauen zu ihm. Sie kommen sich näher, finden zueinander, und es gelingt ihnen lange Zeit, ihre Liebe geheim zu halten. Eine große Hilfe ist ihnen dabei Dorothy, eine Einheimische die sich als gute Freundin erweist. Doch dann entdecken die Nazis Hedys wahre Identität und sie soll deportiert werden. Kurt versucht alles um das zu verhindern – und wieder ist es Dorothy, die sich als wahre Freundin erweist. Alle drei sind nun in größter Gefahr …
„Die Übersetzerin“ (Hedy’s War) ist der erste Roman der britischen Autorin Jenny Lecoat, die etwa 15 Jahre nach der deutschen Besetzung auf Jersey geboren wurde. Ihre Eltern wuchsen während der Okkupation dort auf und beide Familien waren aktiv im Widerstand eingebunden. Im Alter von 18 Jahren ging Jenny Lecoat nach England, wo sie ein Schauspielstudium absolvierte und in London in diversen Berufen arbeitete, bevor sie 1994 Fernsehautorin wurde.
Wie im Vorwort des Buches zu lesen ist, beruht die Geschichte auf einer wahren Begebenheit. Hedys Überlebenskampf und die Rolle, die dabei ein deutscher Offizier spielte, bilden die Grundlage für diesen fiktiven Roman. Die junge Jüdin Hedwig Bercu gab es wirklich, die Namen einiger anderer Beteiligter wurden geändert.
Der Autorin ist es wunderbar gelungen, historische Tatsachen, fesselnde Ereignisse und eine bewegende Liebesgeschichte in einen außergewöhnlich interessanten Roman zu packen. Besonders beeindrucken die Schilderung der Insel und ihrer Bewohner und die Entbehrungen, die sie während der Besatzungszeit erleiden mussten. Essen und Brennmaterial waren Mangelware, da die Nazis alles für sich beanspruchten. Die Personen und ihre Aktionen wirken sehr authentisch, auch wenn man nicht immer mit ihren Handlungsweisen einverstanden sein kann. Etwas klischeehaft empfand ich den Umstand, dass damals alle Deutschen böse und schlecht gewesen sein sollen, einzig Kurt Neumann war ein Guter und kämpfte im Verborgenen gegen sein Land und seine Kameraden. Die Figur der Hedy konnte mich nicht ganz überzeugen, da sie sich in diesen Zeiten der Not selbst bei guten Freunden doch recht überheblich benahm. Meine absolute Lieblingsfigur war Dorothy, die sich im Laufe der Jahre vom naiven Mädchen zur starken Frau und zuverlässigen Freundin entwickelt hat. Im angehängten Epilog erfährt man, was das Leben für die drei Protagonisten nach 1946 noch bereit gehalten hat.
Fazit: Ein bemerkenswerter Roman um Liebe, Menschlichkeit und Hoffnung in einer unmenschlichen Zeit, den ich gerne weiter empfehle.

Bewertung vom 21.10.2021
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eine Familie zerbricht …
Weil sie ihrer Familie ein angenehmeres Leben und ihren Kindern eine bessere Schulbildung ermöglichen will, verlässt Daniela heimlich ihr Zuhause in Rumänien. Sie fährt nach Mailand, um dort als Pflegerin alte Menschen in ihrer letzten Lebenszeit zu versorgen. Doch die Arbeit ist anstrengend und zehrt an der Gesundheit, und das Heimweh nach der Familie ist groß. Auch die Kinder leiden unter der Trennung, denn die abendlichen Telefongespräche und gelegentlichen Geschenke können die Mutter nicht ersetzen. Erst als daheim ein Unfall geschieht, kommt Daniela zurück …
Der 1978 in Mailand geborene Marco Balzano ist derzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Neben dem Schreiben von Romanen, für die er bereits einige Preise gewann, arbeitet er als Lehrer für Literatur an einem Mailänder Gymnasium. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.
Wer von uns kennt nicht mindestens eine Familie die eine ausländische Pflegekraft beschäftigt, damit Oma oder Opa weiter zu Hause gepflegt werden können und nicht ins Heim müssen – aber wer denkt schon an die daheimgebliebenen Familienmitglieder dieser meist aus östlichen Ländern stammenden Frauen? Die Pflegekräfte arbeiten größtenteils bis zur Erschöpfung, werden auch oft ausgenutzt und müssen Tag und Nacht für ihre Pfleglinge bereit sein, während ihre Kinder in der fernen Heimat ohne ihre Mütter zurechtkommen müssen.
Balzano schreibt hier über die Verhältnisse in Italien, speziell in Mailand, und teilt das Buch in drei Teile auf, in denen je einer der Protagonisten als Ich-Erzähler zu Wort kommt. Zunächst erfahren wir, wie sehr der anfangs 12-jährige Manuel unter der Trennung von seiner Mutter leidet, wie seine Gefühle zwischen Sehnsucht und Erbitterung schwanken. Im zweiten Teil berichtet Mutter Daniela über ihre Motive die Familie heimlich zu verlassen und nach Mailand als Altenpflegerin zu gehen – und über die kräftezehrende Arbeit, die sie an den Rand körperlicher Erschöpfung bringt. Durch tägliche Telefonate versucht sie den Kontakt zu ihren Kindern aufrecht zu halten, doch bald hat man sich nichts mehr zu sagen. Im dritten Teil sind wir bei Angelica, der acht Jahre älteren Schwester Manuels, die mit ihrer plötzlich auftretenden Rolle als Hausfrau und als Mutterersatz neben ihren schulischen Verpflichtungen völlig überfordert ist. Sie ist zwar einerseits dankbar, dass ihr durch die Arbeit der Mutter ein Studium ermöglicht wird, andererseits jedoch wird sie oft von Hassgefühlen und Verbitterung überwältigt. Dann passiert ein schwerer Unfall und Mutter Daniela kommt nach Rumänien zurück. Wird das an den Gefühlen der Beteiligten etwas ändern?
Der Schreibstil des Romans ist dem Geschehen sehr gut angepasst. Klar und sachlich, dennoch sehr eindringlich und empathisch, schildert der Autor die Gefühle der Betroffenen und geht auch auf die psychischen und sozialen Folgen dieser besonderen Umstände ein. Bemerkenswert ist besonders das Nachwort des Autors, das m.E. jedoch besser an den Anfang des Buches, zur Einführung in das Geschehen, gepasst hätte.
Fazit: Ein außergewöhnlicher und einfühlsamer Roman, den ich sehr gerne weiter empfehle!

Bewertung vom 12.10.2021
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Ost und West – zwei Welten
Als Buchhändler Kaspar Wettner abends nach Hause kommt, findet er seine Frau Birgit tot in der Badewanne. Unfall oder Selbstmord? Kaspar weiß es nicht, er weiß nur, dass seine Frau Alkoholikerin war, verschlossen und in sich gekehrt, und er sie trotzdem sehr geliebt hat. Erst nach Wochen kann er sich dazu überwinden, ihren Schreibtisch zu öffnen und ihre Unterlagen zu sichten. Dabei findet er das Manuskript eines Buches, ihres Buches, ihre Lebens- und Leidensgeschichte zu der Zeit in der DDR, bevor Kaspar ihr zur Flucht nach Westberlin verhalf und sie dort heiratete. Was er darin erfährt erschüttert ihn zutiefst. Als er Birgit kennen und lieben lernte war sie bereits schwanger von Leo Weise, einem verheirateten Parteigenossen, und gebar kurz vor ihrer Flucht ein Mädchen, das sie Svenja nannte. Hebamme war ihre Freundin Paula, die das Kind seinem Vater Leo und dessen Frau übergab. Während der ganzen Zeit ihrer Ehe mit Kaspar sehnte sich Birgit nach ihrer Tochter, brachte aber nie den Mut auf, nach ihr zu suchen. Sie vermutete in ihr eine kraftvolle, lebensfrohe, glückliche junge Frau – in Wirklichkeit war Svenja auf die schiefe Bahn geraten und drogen- und alkoholabhängig. Inzwischen muss sie über vierzig Jahre alt sein und Kaspar beschließt, sie zu suchen. Sein Weg führt ihn in den Osten Deutschlands wo er auf Menschen trifft, die in Birgits früherem Leben eine bedeutende Rolle gespielt haben. Im Dorf einer völkischen Gemeinschaft trifft er auf Svenjas 15jährige Tochter Sigrun, die er sofort als seine Enkelin ansieht. An ihr will er das Vermächtnis seiner Frau vollenden, doch ihre beiden Welten sind grundverschieden …
Der Autor Bernhard Schlink wurde 1944 in Bielefeld geboren, wuchs in Heidelberg auf, studierte in Heidelberg und Berlin Jura, promovierte 1975 in Heidelberg zum Dr. jur. und habilitierte in Freiburg/Brsg. zum Professor für Öffentliches Recht. Er lehrte an den Universitäten in Bonn, Frankfurt/Main und Berlin und war von 1987 bis 2006 Richter am Verfassungsgerichtshof. Seinen Erfolg als Schriftsteller hatte er ab 1987 - inzwischen veröffentlichte er einige Sachbücher und vierzehn Romane, für die er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt. Heute lebt Schlink in New York und Berlin.
Hauptsächlich zwei Figuren dominieren in diesem Roman. Da ist der schon ältere Buchhändler Kaspar, der den Verlust seiner Frau damit bewältigt, dass er deren uneheliche Tochter Svenja in den Ferien bei sich aufnimmt und dem Mädchen, das bisher in einer völkischen Dorfgemeinschaft aufgewachsen ist, alles bietet, was Berlin zu bieten hat. Das geht jedoch nicht ohne Konflikte ab. Ein großes Lob gebührt dem Autor, der es großartig versteht, die einzelnen Charaktere mit all ihren Stärken und Schwächen zu beschreiben. Der Leser wird überschüttet mit einer Flut von Emotionen. Man schwankt zwischen Ärger und Mitgefühl und ist oft wütend über die Borniertheit und den Unverstand mancher Zeitgenossen. Der Schreibstil ist dabei von einer gekonnt sachlichen Nüchternheit, klar, präzise und schnörkellos, wie man ihn auch bisher von Schlinks Romanen kennt.
Fazit: Eine Geschichte die berührt, nachdenklich stimmt und zu Diskussionen anregt. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 07.10.2021
Lambert, Pauline

Das Haus der Düfte


sehr gut

Von Parfümdynastien und Familienfehden …
Anouk ist vierzehn Jahre alt als sie nach Paris kommt, wo ihre Mutter eine Apotheke geerbt hat. Gleich bei ihrer Ankunft riecht sie einen Duft, den sie nie mehr in ihrem Leben vergessen wird und sie in ihrem Wunsch bestärkt, Parfümeurin zu werden und eigene Duftkreationen zu entwickeln. Doch es ist nicht leicht, in den 50er Jahren eine Lehrstelle zu bekommen, da das Parfümgeschäft in der Hand einiger weniger Familien ist – und für eine Parfümschule fehlt ihr das Geld. Da kommt Anouk ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Durch einen Angestellten der Apotheke lernt sie ein Mitglied des Hauses Girard kennen, der sie mitnimmt in die Hauptstadt der Parfümherstellung, nach Grasse. Rasch erkennt die Familie ihre Begabung und ihr Talent Gefühle in Düfte zu verwandeln, genau wie einst Florence Girard, die mit ihrem Können vor über fünfzig Jahren den Erfolg der Dynastie begründete. Sie ermöglichen Anouk eine Ausbildung und bald schon entwickelt sie eigene Kompositionen. Doch dann gerät sie unversehens zwischen die Fronten einer alten Familienfehde zwischen den Girards und deren einstiger Lieferanten, der Familie Bonnet, Lavendelanbauern und Hersteller ausgezeichneter Destillate …
Pauline Lambert ist das Pseudonym der Autorin, die mit ihrem Lebensgefährten in der Nähe von Köln lebt. Für diesen Roman waren intensive Recherchen über die Historie der Parfümherstellung nötig und ausgedehnte Reisen an die heutigen Orte des Geschehens. Es entstand ein umfassender Einblick in die Welt der Düfte und des Luxus und gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Stadt Grasse und die Côte d’Azur.
„Das Haus der Düfte“ ist eine interessante und lehrreiche Geschichte - nicht nur für Liebhaber guter Düfte, sondern auch für alle Leser, die Familiengeschichten über mehrere Generationen bevorzugen. Man erfährt vieles über die Herstellung von Parfüm, über die meist verwendeten Essenzen und über Erfolg und weltweite Verbreitung eines Duftes. Man liest von befreundeten Familien die zu erbitterten Rivalen und Feinden wurden und von Neid und Missgunst innerhalb der Branche. Liebe und Trennung, Freude und Schmerz, Eifersucht und Intrigen sind einige menschliche Aspekte, die das Geschehen sehr emotional machen. Der Schreibstil ist dabei gut und liest sich, trotz einiger Erklärungen und Fachbegriffe, leicht und flüssig. Man fühlt sich wohl in Grasse, zwischen Rosen- und Lavendelfelder und spürt förmlich die leichte Brise, die vom Meer her weht. Insgesamt ein Roman voller Sinnenfreude, der sehr gut unterhält und bei dem man gerne ab und zu an einem guten Duft schnuppert.
Fazit: Gute Unterhaltung!

Bewertung vom 25.09.2021
Harmel, Kristin

Das Buch der verschollenen Namen


ausgezeichnet

Zuletzt stirbt die Hoffnung …
Während ihr Vater abgeführt wurde, entgingen durch einen glücklichen Umstand die Jüdin Eva Traube und ihre Mutter im Juli 1942 in Paris der Verhaftung durch die Nazis. Mit gefälschten Papieren gelang ihnen die Flucht in den Süden nach Aurignon, in den freien Teil Frankreichs. Dort schließt sich die junge Frau einer Gruppe an, die Kinder von verschleppten oder ermordeten Juden über die Schweizer Grenze in Sicherheit bringt. Jetzt im Jahr 2005 ist Eva Abrams 86 Jahre alt, als sie zufällig in der New York Times einen Bericht entdeckt, in dem ein Bibliothekar aus Berlin den Besitzer eines alten Buches sucht. Eva erkennt sofort ihr „Buch der verschollenen Namen“ aus der Zeit in Frankreich, das verschlüsselt viele Geheimnisse enthält und aus dem sie ein letztes Rätsel zu erfahren hofft. Die alte Dame entschließt sich nach Berlin zu fliegen und den Mann persönlich aufzusuchen …
Die us-amerikanische Bestsellerautorin und Journalistin Kristin Harmel wurde 1979 in Newton/Massachusetts geboren. Ihren Abschluss in Journalismus machte sie an der University of Florida und arbeitete danach mit den Magazinen „People“ und „Glamour“ zusammen. Sie schrieb bereits einige beachtenswerte Romane, die auch in Deutschland auf den Bestsellerlisten erschienen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn in Orlande/Florida.
„Das Buch der verschollenen Namen“ ist ein beeindruckender Roman mit einem wunderbaren Schreibstil. Die Gräueltaten werden teils mit brutaler Offenheit geschildert, während die Arbeit der Resistance mit den verlassenen Kindern sehr warmherzig und mit großem Einfühlungsvermögen beschrieben wird. Wie auf dem Buchrücken zu lesen ist, wurde die Autorin von einer wahren Begebenheit zu dieser Geschichte inspiriert, die sie in zwei Zeitebenen erzählt. Zunächst befinden wir uns im Hier und Jetzt, um dann in Evas Erinnerungen einzutauchen. Wir erleben mit ihr die grausame Zeit der Judenverfolgung und der deutschen Besatzung in Frankreich während der Zeit des Dritten Reichs und erfahren von erschütternden Einzelschicksalen todesmutiger Widerstandskämpfer. Einer von ihnen ist Rèmy, in den sie sich nach anfänglichem Misstrauen verliebt und eng mit ihm zusammenarbeitet. Neben der täglichen Gefahr des Entdecktwerdens muss sich Eva auch mit selbstsüchtigen Vorwürfen ihrer Mutter auseinandersetzen, die sich vernachlässigt fühlt, für Evas Arbeit kein Verständnis zeigt und Katholiken wie Rèmy regelrecht verabscheut.
Fazit: Ein bemerkenswertes Buch, erschütternd und doch voller Hoffnung. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 21.08.2021
Schulman, Alex

Die Überlebenden


ausgezeichnet

Die Vergangenheit hinterlässt Spuren – eine Reise durch die Zeit …

Nach dem Willen ihrer verstorbenen Mutter begeben sich die drei Brüder Benjamin, Nils und Pierre zusammen mit ihrer Urne auf eine gemeinsame Fahrt zum Sommerhaus der Familie, um dort am See ihre Asche zu verstreuen. Früher, als sie noch Kinder waren, verbrachte die Familie jeden Sommer dort. Nun werden die Erinnerungen wieder wach an die unzähligen Stunden, die sie sich selbst überlassen waren, während sich ihre Eltern lieber zurückzogen und dem Alkohol frönten. Es war eine schöne, aber auch eine schmerzvolle Zeit mit vielen körperlichen und seelischen Verletzungen, die sie bis heute, Jahrzehnte später, noch nicht verarbeitet haben. Inzwischen haben sie sich auseinander gelebt, versuchen jedoch, auf der langen Fahrt zu dritt in einem Auto, die alte Gemeinsamkeit und Vertrautheit wieder aufleben zu lassen …

„Die Überlebenden“ ist der erste Roman des schwedischen Autors Alex Schulman, der 1976 in Hemmesdynge geboren wurde. Er studierte Film-, Literaturwissenschaft und Philosophie. Bevor ihm mit diesem Roman (der wochenlang auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste stand und bisher in 31 Ländern erschienen ist) sein Durchbruch gelang, schrieb er bereits einige autobiografische Geschichten über seine Familie. Alex Schulman ist in dritter Ehe mit Amanda Schulman verheiratet, hat zwei Töchter und mit ihr einen gemeinsamen Sohn.

Zunächst fällt die außergewöhnliche Erzählweise auf, an die man sich möglichst rasch gewöhnen sollte, um die Dramatik der Geschichte vollständig erfassen zu können. Erzählt wird in zwei Zeitebenen: Zunächst befinden wir uns mit den drei Brüdern und der Urne der Mutter im Hier und Jetzt beim Sommerhaus am See und begeben uns jeweils im 2-Stunden-Takt zurück bis zum Auffinden des Briefes mit dem letzten Willens der Mutter und dem Beginn der Fahrt. Dazwischen tauchen parallel Erinnerungen und Erlebnisse der Jungen auf, die von frühester Kindheit chronologisch bis ins Heute reichen, um am Schluss dann stimmig mit dem Anfang zu verschmelzen. Der Kreis schließt sich.

Erzählt wird die Geschichte aus dem Gesichtspunkt von Benjamin, dem mittleren und besonnensten der Brüder. Er war es auch, der meist vermittelnd zwischen Pierre, dem jüngsten und aufbrausenden, und Nils, dem ältesten und eigenbrötlerischen, eingriff. Und dann war da noch Molly, die kleine Hündin und Liebling der Mutter, um die sich hauptsächlich Benjamin kümmerte. Bis das Unglück geschah, konnten die Kinder noch um die Liebe und Zuneigung der Eltern buhlen, danach zerbrach die Familie und nichts war mehr wie zuvor. Was ist passiert?

Dem Sog dieser Geschichte kann man sich nicht entziehen. Die Sprache ist klar, präzise und schnörkellos und die gewählte Ausdrucksweise des Autors vermittelt ein gutes Bild der Landschaft am See. Die einzelnen Charaktere sind greifbar in ihrer Realität und ihre Beziehungen untereinander durchaus nachvollziehbar. Die exakte Beschreibung einiger erschütternder Szenen vermittelt ein tief emotionales Leseerlebnis, der aufwühlende Schluss erklärt das Geschehen, lässt aber den Leser nachdenklich und bestürzt zurück.

Fazit: Kein Roman der Wohlbefinden auslöst, sondern eine Geschichte voller Emotionen, die traurig und bestürzt macht, und die das Gelesene noch lange nachklingen lässt.

Bewertung vom 17.08.2021
Gyasi, Yaa

Ein erhabenes Königreich


gut

Glaube vs. Wissenschaft
Um sich von ihren ghanaischen Wurzeln frei zu machen hat Gifty Neurowissenschaft studiert und ist nun in der Lage, Mäuse in ihrem Tun und Handeln zu beeinflussen – bei Menschen klappt das leider nicht. Als ihre Mutter mit einer schweren Depression bei ihr einzieht, auf nichts mehr reagiert und sich einfach nur ins Bett legt, ist Gifty ratlos. Wie konnte es nur so weit kommen? Beim Pendeln zwischen ihrer Wohnung und ihrer Arbeit im Labor versucht sie sich zu erinnern. Gedanken kommen und gehen, Erinnerungen an ihren Vater werden wach, der von Heimweh geplagt die Familie irgendwann verlies und nach Ghana zurück ging, an ihren toten Bruder, der als Jugendlicher durch Drogen sein Leben verlor, und an die vielen sonntäglichen Gottesdienste, die sie mit ihrer strenggläubigen Mutter besuchen musste. Kann der unerschütterliche Glaube an Gott, den die Mutter immer hatte, diese ins Leben zurück holen oder soll Gifty doch mehr der Neurowissenschaft vertrauen?
Ausdrucksstark, feinfühlig und völlig unsentimental lässt die Autorin ihre Protagonistin erzählen. So erfährt man nach und nach mehr über Giftys Leben, ihre Herkunft und ihre Familie. Ein besonderes Verhältnis scheint sie zu ihrer Mutter zu haben, von der sie strenggläubig erzogen wurde. Als Kind machte es ihr noch Spaß, in der Kirche zu knien und stundenlang zu beten, später jedoch hinterfragte sie das alles und wurde, wohl durch das abschreckende Vorbild ihrer Mutter, zur Atheistin, während ihre Mutter noch immer fest in ihrem Glauben verwurzelt blieb.
Ein weiterer Schwerpunkt des Romans ist Rassismus bzw. die Integration in den USA und das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Gifty fühlt sich überhaupt nicht als ghanaisch, während ihre Mutter die Heimat nie vergessen konnte und ihr Vater aus Heimweh gar zurück ging. Das Thema Drogensucht wird ebenfalls erwähnt. Jedoch werden all diese schwerwiegenden Probleme nicht ausführlich behandelt, sondern die Autorin schweift immer wieder ab zur Ehe der Eltern, zu Giftys Liebschaften, zu Krankheiten und Depressionen der Mutter. Nach einem abrupten Ende und einigen Seiten aus dem späteren Leben der Protagonistin musste ich mich leider fragen, was die Autorin uns mit diesem Roman eigentlich sagen will.