Benutzer
Benutzername: 
mimitatis_buecherkiste
Wohnort: 
Krefeld

Bewertungen

Insgesamt 731 Bewertungen
Bewertung vom 31.01.2025
Davies, Carys

Ein klarer Tag


ausgezeichnet

Der verarmte schottische Pfarrer John Ferguson reist 1843 auf eine kleine Insel im Nordmeer, um den letzten Bewohner des Eilands dazu zu überreden, diese zu verlassen. Der Gutsbesitzer möchte die Insel mit Schafen bevölkern und will den Einsiedler dafür von dort verjagen. Auf der Insel angekommen, stürzt John Ferguson, er verletzt sich lebensgefährlich, wird von Ivar gefunden und gesund gepflegt. Es entsteht eine Freundschaft zwischen den ungleichen Männern, die nicht einmal eine gemeinsame Sprache haben. Indessen reist Johns Frau Mary diesem nach, weil sie davon überzeugt ist, dass ihr Mann seiner Aufgabe nicht gewachsen ist.

»In der Mitte des achtzehnten und bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hinein wurden ganze Dorfgemeinschaften gewaltsam von Grundbesitzern vertrieben, die durch erzwungene und systematische Enteignung mehr Platz für Ackerbau, Rinderzucht und später vor allem für Schafe schaffen wollten.« (Seite 215)

Die Autorin verbindet hier einige historische Fakten und webt diese in ihre Geschichte ein, so wie ich es am liebsten mag. Die Lossagung von einem Drittel der Pfarrer von der Schottischen Kirche im Jahr 1843 verbindet sie mit dem mittellosen John Ferguson, die Vertreibung einer ganzen Bevölkerungsschicht mit dem auf der Insel alleine lebenden Ivar und dazu zwingt sie beide Männer dazu, miteinander in einer Sprache zu kommunizieren, die mittlerweile ausgestorben ist.

Die laufende Erzählung wurde unterbrochen durch Rückblenden, die das Leben von John und Mary beleuchteten, Ereignisse aus dem Leben von Ivar erfuhr ich nebenher. Das langsame Herantasten der beiden Männer genoss ich, verstand Johns Ängste und konnte die Sorgen, aber auch die hoffnungsvollen Gedanken von Ivar ganz gut nachvollziehen. Mich überraschte es, welche Wendung die Geschichte nahm, wie sich behutsam und vorsichtig eine Richtung herauskristallisierte, die mich berührte und fast schon seufzen ließ. Ein kleiner Nervenkitzel und ein furchtsamer Moment folgte, um in einem Finale zu münden, das mich zufrieden stellte. Lesenswert!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2025
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1


ausgezeichnet

Ein dreizehnjähriger Junge wird in Malmö erschossen, er wird Opfer eines Drive-in-Shootings, war zur falschen Zeit am falschen Ort. Der frisch verwitwete Kommissar Jon Nordh wird mit dem Fall betraut, zur Seite wird ihm die nordschwedische Ermittlerin Svea Karhuu gestellt, die in Stockholm in Ungnade gefallen ist und strafversetzt wurde. Das ungleiche Duo ermittelt im Gangmilieu, aber irgendwie passen die einzelnen Teile nicht zusammen. Da geschieht ein weiterer Mord und wirbelt jede Theorie erneut durcheinander.

»Kurz flammte eine nahezu perverse Hoffnung auf. Vielleicht war dieser Fall, so tragisch und sinnlos der Tod dieses Kindes auch war, für ihn nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch eine Chance, in sein altes Leben als Kriminalkommissar zurückzufinden. Oder in das, was von seinem alten Leben noch übrig geblieben war.« (Seite 33)

Eine neue Reihe, zwei Ermittler, die problembeladen, voller Altgepäck daherkommen und nicht so recht zusammenpassen, sowie ein Mord im sozialen Brennpunkt, kann das funktionieren, obwohl es nichts wirklich neues ist? Es kann und es hat, soviel kann ich vorab verraten. Zwei faszinierende Ermittelnde, jeder von ihnen mit Geheimnissen, die in ihrer oder einer Person in ihrer unmittelbaren Umgebung liegen. Kontinuierlich werden Einzelheiten verraten, aber auch beharrlich Dinge verschwiegen und vor meinem Zugriff versteckt. Dazu der sehr komplexe und verzwickte Fall, der viel Raum für Vermutungen bietet, aber lange braucht, um geknackt zu werden. Dies alles ergibt einen großartigen Reihenauftakt, der mich ungeduldig die Fortsetzung erwarten lässt, die noch dieses Jahr erscheint. Ich freue mich darauf!

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.01.2025
Solla, Gianni

Bei Licht ist alles zerbrechlich


ausgezeichnet

Davide ist der Sohn des Schweinehirten in dem kleinen Dorf Tora e Piccilli, eine Schule besuchen darf er nicht. Teresa hingegen geht in die Schule und arbeitet nachmittags in der Seilerei ihres Vaters, wo Davide sie manchmal besucht. Der Traum davon, eines Tages das Dorf zu verlassen, schafft ein Band zwischen ihnen. Im Jahre 1942 ändert sich etwas, als Nicolas in beider Leben tritt, ein jüdischer Junge, der mit seinem Vater und weiteren Juden aus Neapel zwangsumsiedelt wird. Der folgende Sommer bringt die drei zusammen, aber als der Krieg auch das kleine Dorf erreicht, geht die Freundschaft in die Brüche. Erst viele Jahre später gibt es ein Wiedersehen.

»Wir wussten nicht, dass wir wie Motten waren, die sich zu nah ans Feuer wagten: Angezogen vom strahlenden Licht, enden sie mit versengten Flügeln in diesem letzten Tanz, bei dem die Freude die Angst überwiegt.« (Seite 109)

Davide als Ich-Erzähler war sperrig, dadurch aber authentisch und mir als Leser nah. Sein ungebrochener Wille, lesen und schreiben zu lernen, zollte mir Respekt ab, unter widrigsten Umständen und gegen den Willen des Vaters ging er unbeirrbar seinen Weg. Die Freundschaft mit einem jüdischen Jungen, obwohl der eigene Vater ein Faschist ist, war der erste Schritt auf dem steinigen Weg, den ich zusammen mit ihm gehen durfte und anfangs war ich mir noch nicht sicher, wo uns dieser hinführen wird.

»Später sollte mir klar werden, dass Nicolas ein dunkles, sogar ihm selbst unbekanntes Wesen besaß und dass all meine Versuche, es zu begreifen, nur eine für mich fassbare Vereinfachung waren. Nicolas beherrschte die Macht nicht, die er besaß, er wurde von ihr beherrscht.« (Seite 43)

Gianni Solla hat ein wunderbares Buch geschrieben über eine dunkle Zeit der Geschichte, ohne dass diese im Vordergrund steht, aber dennoch das Leben aller Beteiligten maßgeblich beeinflusst. Mich hat es durchgehend gut unterhalten, lediglich im Mittelteil gab es ein kurzes Stück, wo meine Aufmerksamkeit ein bisschen nachgelassen hat, danach ging es aber gewohnt spannend und in eine überraschende Richtung weiter, sodass das kleine Stück überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Ich hätte mir nicht vorstellen können, welches Ende diese außergewöhnliche Erzählung nimmt, bin mit dem Ausgang jedoch mehr als zufrieden, weil er so stimmig war. Eine Leseempfehlung gibt es dafür von mir.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.01.2025
Strobel, Arno;Bott, Ingo

Gegenspieler


weniger gut

Ein bekannter Anwalt wird tot aufgefunden, Karl Müller, einer der Partner der Düsseldorfer Starkanzlei Müller & Mahler, soll sich umgebracht haben. Die Kanzlei beauftragt den Fallanalytiker und Privatermittler Max Bischoff damit, herauszufinden, wer Müller umgebracht hat, denn an einen Suizid glaubt dort, anders als es die Polizei tut, niemand. Als eine weitere Person stirbt, wird Ernst Mahler verhaftet, dem man plötzlich beide Todesfälle zur Last legt. Pirlo übernimmt dessen Verteidigung und muss damit mit Max Bischoff zusammenarbeiten, was sich als schwierig herausstellt, da die Chemie zwischen den Männern einfach nicht stimmt.

Der überwiegend humorbefreite und geniale Analyst Professor Max Bischoff und der vorrangig mit seinen Haaren beschäftigte Staranwalt Dr. Anton Pirlo in einem Buch, kann das gutgehen? Dazu ein ganz klares Jein, oder wie Pirlo sagen würde: Manche sagen so, manche sagen so. Aber der Reihe nach. Wirtschaft und Politik funktionieren für mich persönlich in Büchern nur dann, wenn die Geschichte außergewöhnlich und vor allem spannend ist. Im vorliegenden Fall jedoch hatte ich das Gefühl, einen Roman zu lesen, in dem zwei erwachsene Männer um eine Frau buhlen. Ihnen und auch fast allen anderen Männern im Buch fällt an Frauen zudem zuerst deren Schönheit auf, der Rest ist dabei zweitrangig. Das war mir dann doch zu klischeehaft und hätte nur funktionieren können, wenn der Fall selbst spektakulär gewesen wäre, diesen hatte ich zwischendurch aber tatsächlich fast vergessen. Es brauchte fast das halbe Buch, bis es in Richtung Ermittlungen ging, dies aber sehr gemächlich, als hätte man alle Zeit der Welt, obwohl es eigentlich fünf vor zwölf war.

Der Fall war kompliziert und letztendlich habe ich die Auflösung nicht verstanden, wenn ich ehrlich sein soll. Der Weg dahin war holprig und voller unwichtiger Episoden, mehr ein Drama als Krimi, so würde ich es zusammenfassen. Bedauerlicherweise eine Enttäuschung auf ganzer Linie, sodass ich einer Fortsetzung nicht entgegen fiebern werde. Schade, denn die Kombination klang interessant, aber die Umsetzung ist leider nicht gelungen. Demnächst bitte lieber getrennte Ermittlungen, dann passt es besser.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.01.2025
Insolia, Mattia

Brennende Himmel


sehr gut

Teresa macht mit ihren Eltern Urlaub in Camporotondo, es ist ein heißer Sommer im Jahre 2000. Das sechzehnjährige Mädchen verliebt sich das erste Mal, als sie dem zwei Jahre älteren Riccardo begegnet, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Im Winter 2019 überredet Riccardo seinen achtzehnjährigen Sohn Niccolò zu einer Fahrt nach Camporotondo, dahin, wo damals alles begann. Dort will er Niccolò erzählen, was geschah, als er und Teresa aufeinander trafen, in jenem schicksalhaften Sommer des Jahres 2000 in Sizilien.

»Niccolò wusste nicht genau, was geschehen war, doch hatte er, als er größer wurde, irgendwann aufgehört, Fragen zu stellen, und das Ereignis als eins der kleinen, abgeschmackten Geheimnisse seiner Eltern eingestuft. Aber eins war sicher: Worum es sich auch immer handelte, Teresa war noch nicht darüber hinweg.« (Seite 25)

Zu Beginn des Buches gibt es eine Warnung und den Hinweis darauf, dass der Text explizite Schilderungen sexualisierter Gewalt sowie psychischer und physischer Gewalt in der Familie enthält, möchte ich gerne voranstellen. Ergänzend weise ich darauf hin, dass der Text beleidigende Schimpfwörter und diskriminierende Aussagen beinhaltet und auch eine Menge Zigaretten, Alkohol sowie weitere Drogen darin vorkommen. Tatsächlich ist es aber vorrangig die unflätige Sprache, die mich wiederholt gestört hat, obwohl ich natürlich verstehe, dass diese ein Mittel zum Zweck war. Das hat mir einfach ein klein bisschen den Gesamteindruck verhagelt, wenn ich das mal ganz dezent sagen darf. Dies ist der einzige Kritikpunkt, den ich zum vorliegenden Buch habe.

Nachdem mich das Debüt des Autors mit dem Titel „Die Hungrigen“ seinerzeit mehr als begeistert hat, war meine Erwartungshaltung riesig, was sein neues Werk angeht. Bereits das erste Kapitel konnte mich überraschen, weil die Richtung, die dieses vorgab, unerwartet kam. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, war aber danach umso gespannter darauf, zu erfahren, wie es zu dieser dramatischen Situation kommen konnte. Und Mattia Insolia enttäuschte mich nicht, er präsentierte mir ein Leben, das noch unschuldig war, bis Gefühle hochkochten und tragische Umstände dazu führten, dass nichts mehr so blieb, wie es einmal gewesen ist. Der Weg war hier das Ziel, dennoch erwischte mich die Auflösung kalt. Letztendlich sah ich rückwirkend vieles aus einem anderen Blickwinkel, was nicht weniger verstörend wirkte. Großartig!

7 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.01.2025
Sulzer, Alain Claude

Fast wie ein Bruder


sehr gut

Wie Brüder sind sie aufgewachsen, Tür an Tür wohnten die Familien zusammen, private Tragödien überstand diese Freundschaft, bis ein Tabubruch einen Riss verursacht hat und ein Umzug die räumliche Trennung. Jahrelang pflegten sie sporadisch den Kontakt, bis eine Krankheit zur Annäherung führte, dies aber zu spät, denn eine Heilung gab es damals nicht. Ein rätselhaftes Ereignis verhilft dem einstigen Freund zum Ruhm, posthum bekommt er die Anerkennung, die er zeitlebens gesucht hat, und der Überlebende fragt sich, warum er nicht schon früher den Wert dieser außergewöhnlichen Freundschaft erkannt hat und das Genie, das dahintersteckt.

»Frank schien sich in Tiefen zu bewegen, die mich vielleicht verschlungen hätten. Er sprach nicht darüber. Ich beneidete ihn so wenig darum, wie ich ihn bedauerte. Wir kannten uns viel zu lange, um dem anderen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als nötig war. Auch so verständigten wir uns mühelos. Wir waren noch immer wie Brüder.« (Seite 23)

Der Ich-Erzähler schildert seine Kindheit, vorrangig seine Freundschaft mit Frank. Er erinnert sich an gravierende Ereignisse, die dazu geführt haben, dass beide im Erwachsenenalter sich auseinandergelebt haben, der eine hier, der andere dort. Erst eine lebensbedrohliche Krankheit führt sie wieder zusammen und trennt sie kurz darauf, diesmal endgültig. Erst da realisiert der Mann, was er hatte und was er verlor. Trotzdem dauert es fast dreißig Jahre, bis ein bestimmtes Ereignis ihm endgültig vor Augen führt, wofür er blind gewesen ist.

Diese Erzählung war leise, zurückhaltend und dennoch erfolgte die Sezierung der vergangenen Zeiten klar, präzise und schonungslos ehrlich. Da blieb kein Raum für falsche Gefühle, der Protagonist gab Fehler und Versäumnisse zu, suchte die Schuld nicht bei anderen und blieb bewundernswert ehrlich. Das hat mir gefallen, auch wenn für mich zuletzt viele Fragen offen geblieben sind, was gewollt war und wahrscheinlich gut, denn so blieb viel Raum für Interpretationen und Diskussionen, die sich daraus ergeben. Lesenswert!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.01.2025
Jean-Claude, Bauer;Fréderic, Brrémaud

Klaus Barbie


ausgezeichnet

Die vorliegende Graphic Novel beleuchtet das Leben und die fürchterlichen Taten von Nikolaus Barbie (Spitzname: Klaus), einem am 25. Oktober 1913 geborenen SS-Mann, genannt »Der Schlächter von Lyon«. Barbie hat es nach dem Krieg geschafft, unterzutauchen und im Gegensatz zu seinen unzähligen Opfern jahrzehntelang ein nahezu unbehelligtes Leben zu führen, bis er im Jahr 1983 nach einer gescheiterten Entführung letztendlich doch noch durch die bolivianische Regierung ausgeliefert worden ist. Im Mai 1987 begann in Frankreich ein aufsehenerregender Prozess gegen den Kriegsverbrecher.

»Der Prozess gegen Klaus Barbie ist der erste Prozess, der in Frankreich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt wird. Und da es nicht nur darum geht, einen Mann, sondern ein ganzes System zu verurteilen, wird das Verfahren vollständig gefilmt und von mehr als 600 Journalisten aus der ganzen Welt beobachtet. Dieser Prozess wird in die Geschichte eingehen.« (Seite 91)

Als Klaus Barbie der Prozess gemacht wurde, war ich noch zu jung, um richtig erfassen zu können, um was es geht. Natürlich war ich thematisch in der Lage, zu verstehen, was ihm zur Last gelegt wurde, allerdings habe ich der Gerichtsverhandlung damals noch nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken können, sodass ich umso erfreuter war, als ich die Graphic Novel entdeckte, da mir der doch eher ungewöhnliche Name bis heute im Gedächtnis geblieben ist.

Die Aufteilung der Graphic Novel in verschiedene Bereiche war klug gewählt, allerdings ergab sich dadurch auch das Problem, dass gerade zu Beginn ein klein wenig der rote Faden fehlte, weil es etwas chaotisch wurde wegen der vielen Zeitsprünge. Dazu kommt, dass es schwierig ist, besonders die politischen Verwicklungen auf so wenigen Seiten wiederzugeben, sodass ich manchmal das Gefühl hatte, nicht folgen zu können. Die zeitliche Zuordnung wird aber in einem Dossier mit der Überschrift »Klaus Barbie - Ein Kind des Fanatismus« von Jean-Olivier Viout, dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt von Lyon beim Prozess, sehr gut abgebildet, sodass sich ein ziemlich genaues Bild ergab.

Insgesamt eine phantastisch gezeichnete Graphic Novel, die mich, insbesondere was die Zeugenaussagen angeht, emotional sehr berührt hat. Wer sich intensiv mit der Person Klaus Barbie beschäftigen möchte, dem würde ich zusätzlich zu einem ausführlichen Sachbuch raten, wer aber, wie ich, seinen Horizont erweitern und sich informieren möchte, wer dies war und was es mit dem spektakulären Prozess auf sich hat, dem lege ich diesen Comic für Erwachsene ans Herz.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.01.2025
Engberg, Katrine

Aschezeichen / Liv Jensen Bd.2


ausgezeichnet

Ein Familienvater wird ermordet, während er mit seinen Kindern in Jütland auf einer Insel zelten ist. Die vierzehnjährige Shirin findet ihn tot im Zelt, flieht und versteckt sich bei einem Verwandten, während der Bruder verschwunden bleibt. Der Leiter der Mordkommission bittet die Privatdetektivin Liv Jensen um Unterstützung, die sich mit vollem Einsatz in die Ermittlungen stürzt. Diese führen sie dreißig Jahre in die Vergangenheit, zurück in ein Flüchtlingslager, in dem das iranisch-dänische Mordopfer seinerzeit auf die Bewilligung seines Asylantrags gewartet hat.

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um den zweiten Teil der Reihe mit der Privatermittlerin Liv Jensen, deren Auftakt mit dem Titel »Glutspur: Die Wurzeln des Schmerzes« mich vor längerer Zeit außerordentlich beeindruckt hat. Um dem aktuellen Fall folgen zu können, sind keine Vorkenntnisse erforderlich, um die Verwicklungen der drei im Vordergrund stehenden Personen zu verstehen ist es allerdings von Vorteil, die Reihenfolge einzuhalten und mit dem ersten Band zu beginnen. Dieses Buch ist nicht ganz so undurchschaubar aufgebaut wie der Vorgänger, was vorrangig daran liegt, dass die erwähnten Figuren und ihre Beziehung zueinander mir bereits bekannt waren, wobei sich viele Einzelheiten erst aus dem Kontext ergaben, da mir über ein Jahr später nicht mehr alles Wichtige im Gedächtnis geblieben ist. Dennoch hatte ich keinerlei Probleme damit, der Geschichte folgen zu können.

Ein komplexer Fall, Ereignisse, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, eine fremde Kultur, interessante Beteiligte sowie drei Hauptpersonen, die allesamt ihr eigenes Päckchen zu tragen haben; wieder einmal konnte mich die Autorin in eine Welt entführen, die mir unzählige spannende Stunden beschert hat. Einige Wendungen führten mich auf falsche Fährten, den Ausgang hätte ich mir dennoch nicht einmal annähernd so vorgestellt. Wie bereits im ersten Buch wurde der Kriminalfall restlos aufgeklärt, das Privatleben der drei Figuren allerdings bietet erneut viel Stoff für eine weitere Folge. Ich freue mich darauf!

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.01.2025
Aubert, Marie

Eigentlich bin ich nicht so


ausgezeichnet

Die Konfirmation von Linnea steht an, ein Fest wird geplant, die gesamte Verwandtschaft wurde eingeladen. Linneas Vater Bård will sofort danach ein neues Leben anfangen, das er bereits heimlich plant. Hanne, seine Schwester, kommt extra aus Oslo angeflogen, mit ihrer neuen Figur kennt sie noch niemand und auch sie fühlt sich noch nicht richtig wohl in ihrer Haut. Und Linnea selbst ist gar nicht bei der Sache, ihre Freundin ghostet sie, das ist ihr wichtiger, als das bevorstehende Fest. Wie das so im Leben ist, kommt es erstens anders und zweitens als man denkt.

»Ich höre mich normal an, rede, wie ich immer rede, und während wir gemeinsam lächeln, kommt es mir kurz so vor, als wäre alles wie früher. Sie merkt mir nichts an, hat keinen Verdacht geschöpft. Das erkenne ich an ihrem Lächeln, sie fühlt sich so sicher, mein Hals schnürt sich zusammen.« (Seite 11)

Ein Wochenende lang durfte ich die Familie begleiten, hörte sie erzählen und erklären, beschwichtigen und relativieren. Ich sah zu, wie Bård balancierte, zerrissen zwischen seiner Familie und dem möglichen neuen Leben, das er sich ausgemalt hat. Besser soll es werden, nicht mehr so chaotisch, er hat sich alles ganz genau vorgestellt. Hanne wiederum ist endlich schlank, zumindest nach außen hin. Im Inneren sieht es dagegen anders aus, ihre Ängste und Sorgen quälen sie. Linnea ist ein typischer Teenager, erlebt eine Tragödie und dramatisiert, wie das in dem Alter üblich ist. Ergänzt wurde das Quartett durch Nils, den Vater von Bård und Hanne, den jedes seiner Kinder ein bisschen anders sieht.

Mir hat das Wochenende mit den Ich-Erzählern viel Spaß gemacht, gerne hätte ich mehr Zeit mit ihnen verbracht. Ein wenig habe ich das Gefühl, beim Fest dabeigesessen zu haben. Aufregend war es und lustig, ein wenig peinlich wurde es zwischendurch auch. Eine typische normale Familie halt, der ganz normale Wahnsinn. Lesenswert!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2025
Mannion, Una

Sag mir, was ich bin


ausgezeichnet

Deena Garvey hat ihren gewalttätigen Lebensgefährten Lucas verlassen und wohnt mit der gemeinsamen Tochter Ruby bei ihrer Schwester Nessa. Das ehemalige Paar teilt sich das Sorgerecht für die vierjährige Ruby. Eines Morgens bricht Deena zur Arbeit auf, kommt dort aber nie an, sondern verschwindet spurlos. Lucas behauptet, das ganze Wochenende mit Ruby und seiner Mutter verbracht zu haben, die diese Aussage bestätigt. Nessa ist überzeugt davon, dass Lucas Deena etwas angetan hat, beweisen kann sie dies aber nicht. Lucas zieht mit Ruby zurück ins Vermont zu seiner Mutter und unterbindet den Kontakt zu Deenas Familie. In der ländlichen Umgebung lernt Ruby zu überleben, ihr vergangenes Leben verschwindet allmählich aus ihrem Gedächtnis, bis ihr eines Tages ein Foto ihrer Mutter in die Hände fällt und sie zu hinterfragen beginnt, was Lukas ihr erzählt.

»Deena biss sich auf die Unterlippe. Nessa sah ihr an, dass sie mit den Tränen kämpfte. Ich sehe mich selbst als Schatten, wie ich mich durch alles bewege, was in meinem Leben vor diesem Abend passiert ist, aber ich sehe auch, wie das alles zerläuft, wie mich ein anderes Element verschluckt, mich quasi chemisch zersetzt, mich verbrennt.« (Seite 89)

Mit dem Ende fängt es an, aber ein Abschluss ist es trotzdem nicht. Unsortiert und zeitlich versetzt wird die Geschichte erzählt und trifft mich wahrscheinlich deswegen immer wieder mitten ins Herz. Durch die Zeitsprünge wird eine ungemeine Spannung erzeugt, die mich fast atemlos durch die Seiten trägt, denn unausgesprochen bleibt, was passiert ist, aber das, was zwischen den Zeilen steht, wirkt dadurch mit einer ungeheuren Wucht, die mich fast niederdrückt und an manchen Stellen verzweifeln lässt.

»Ich erinnere mich, wie ich dich das erste Mal mit Ruby im Arm gesehen habe, und wenn ich daran denke, erinnere ich mich, dass ich zwei Menschen betrauere.« (Seite 153)

Mal folge ich Ruby, man begleite ich Nessa, die Gefahr läuft, an dem Verlust ihrer Schwester und ihrer Nichte zugrunde zu gehen. Ihre Verzweiflung, ihre Trauer sowie ihr Schmerz sind bodenlos, mit ihr zusammen fühle ich Angst, Wut und Enttäuschung, verliere den Halt, wenn es erneut abwärts geht. Auch Rubys Leben verläuft nicht wunschlos glücklich, Lucas lügt, manipuliert und herrscht. Nach außen hin eine sorgenfreie Kindheit, in Wahrheit eher ein goldener Käfig, der Ruby zu zerstören droht.

Leise und unaufhaltsam nähert sich das Finale, ich halte zwischendurch wiederholt den Atem an. Irgendwann wurde aus dem Roman ein Krimi, unterbrochen von einer Tragödie mit True Crime-Elementen, oder zumindest nah dran. Mochte ich das erste Buch der Autorin mit dem Titel »Licht zwischen den Bäumen«, so bin ich hier fast euphorisch, so einen großen Sprung hat sie getan. Für mich ein Meisterwerk im Genre, das mich begeistert. Nicht ohne Grund steht das Buch auf der Krimibestenliste 2024, die 17 Literaturkritiker und Krimispezialisten für Deutschlandfunk Kultur ermittelt haben, auf Platz fünf von zehn. Ich schließe mich diesem Urteil mit Freude an.

20 von 20 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.