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Miro76
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Österreich

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Insgesamt 189 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2023
Schwab, V. E.

Gallant


sehr gut

Olivia Prior lebt in einem Waisenhaus und ist ziemlich einsam da. Sie kann nicht sprechen und die anderen Mädchen meiden sie, weil sie irgendwie anders ist. Aber sie sieht Wesen, die sie Guhle nennt. Diese Wesen sehen zwar irgendwie zombieartig aus, wollen ihr anscheinend aber nicht Böses. Sie können sie auch nicht berühren und wenn sie sie direkt anschaut, verschwinden sie. Sie darf sie immer nur aus den Augenwinkeln betrachten.

Außerdem hat sie das Tagebuch ihrer Mutter, das gegen Ende hin leider immer kryptischer wird und sie vor etwas warnt, das Gallant heißt. Olivia hat keine Ahnung, was das bedeuten soll.

Doch alles ändert sich, als ein Brief eines Onkels eintrifft, der sie einlädt, auf sein Anwesen zu kommen. Sie wird Hals über Kopf in ein Auto verfrachtet, um die Reise anzutreten. Die Gouvernanten scheinen froh zu sein, sich des Mädchens entledigen zu können. Es ist bereits Abend, als sie an einem Herrenhaus ankommt, das seine Tore nur widerwillig öffnet. Olivia wird als Prior erkannt, aber erwünscht scheint sie nicht zu sein. Der Onkel ist bereits verstorben und ihr Cousin ist äußerst ablehnend. Nur die beiden Hausangestellten scheinen sich zu freuen, dass Olivia nach Hause kommt.

So ist es an Olivia herauszufinden, was an diesem geheimnisvollen Ort vorgeht, warum ihre Mutter sie von dort Fernhalten wollte und wie sie es schaffen kann, nicht wieder vertrieben zu werden, denn sie fühlt sich eindeutig in Gallant zuhause.

V. E. Schwab hat einen sehr atmosphärischen und düsteren Roman geschaffen. Bereits im Waisenhaus herrscht eine lebensfeindliche Stimmung. Alles ist grau in grau und die wenigen Farben die den Alltag durchdringen, werden von Olivia hervorgehoben und gewürdigt. Mal ist es ein kleines Blümchen, das ihre Aufmerksamkeit erregt, mal das Orange einer gestohlenen Mandarine. Die Autorin beschreibt die Szenerie sehr bildlich und man kann sich das triste Leben da gut vorstellen.

Auch die Ankunft in Gallant ist ziemlich mysteriös. Es wird von Anfang an Spannung aufgebaut um das Geheimnis, das im Dunkeln zu lauern scheint. Der Spannungsbogen ist enorm und die düstere Atmosphäre hat mich beim Lesen komplett in ihren Bann gezogen. Ich konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen, was den großen Showdown am Ende angeht, doch damit hat mich die Autorin leider enttäuscht. Der Schluß wird viel zu schnell abgehandelt und besticht dann nicht gerade mit Kreativität. Dadurch lässt mich das Buch etwas enttäuscht zurück.

Da mir die Lektüre aber großen Spaß bereitet hat und ich den Roman sehr stimmungsvoll und stilistisch ansprechend wahrgenommen habe, vergebe ich dennoch 4 Sterne.

Bewertung vom 20.03.2023
Jebens, Franziska

Immer am Meer entlang


gut

Josi träumt seit ihrem zehnten Lebensjahr davon, mit einem Bulli durch Europa zu reisen - immer am Meer entlang. In ihrem Zimmer hängt eine Europakarte in der viele Pins stecken. Im Laufe der Jahre haben sich eine Menge Reiseziele ergeben, alle penibel recherchiert. Als sie mit dreißig startet, hat sie eine perfekt organisierte Route vor sich.

Paul ist nicht gut drauf. Sein Herz wurde übelst gebrochen und im Job fühlt er sich auch nicht wohl. Er ist ein traniger Typ, der er eigentlich nie sein wollte. Zufällig stolpert er in einen Vortrag von zwei Aussteigern, die mit ihrem Landy unterwegs sind und ist sofort Feuer und Flamme für die Idee. Er kauft sich einen gebrauchten Toyota Land Cruiser - ein Buschtaxi, baut innerhalb von drei Wochen den Innenraum um und startet direkt.

Gegensätzlicher könnten die Zwei nicht sein, doch wie wir alle wissen, ziehen sich Gegensätze an.

Josi und Paul legen einen holprigen Start hin. Ihre erste Begegnung läuft nicht ganz so ab, wie es beide gerne gehabt hätten. Aber ein kleiner Funke ist übergesprungen und nach einem weiteren zufälligen Treffen, werden Telefonnummern ausgetauscht. Wie alles weitergeht, können sich die meisten wahrscheinlich eh schon denken.

Die Autorin hat nicht gespart an Klischees, was diese Romanze angeht und phasenweise fand ich das Verwirrspiel zwischen den beiden sehr mühsam. Auch die Sprache besticht nicht gerade mit Originalität. Die Sätze könnten einfacher nicht sein und so liest sich das Buch recht schnell weg. Dennoch hat mich diese Geschichte gut unterhalten, denn sie betört mit traumhafter Kulisse. Die Schauplätze sind interessant gewählt, abseits der üblichen Touristenpfade und wecken Erinnerungen an meine eigenen Reisen in Europa. Kulinarisch hat das Buch auch einiges zu bieten. Paul ist ganz nebenbei ein hervorragender Koch!

Dieses Buch stellt keine literarischen Ansprüche, aber wer nette Unterhaltung für Zwischendurch oder für heiße Urlaubstage sucht, ist mit diesem Roadtrip gut beraten, sollte aber nicht zu hohe Ansprüche daran stellen. Außerdem eignet sich das Buch für stressige Zeiten. Wenn der Kopf schon raucht vom Tagesgeschäft - so geht es mir gerade - kann damit gut abschalten. Daher vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 14.03.2023
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Ellis flieht die Tage und arbeitet nur mehr in der Nachtschicht, seit seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Nur sein junger Kollege versteht es, den Einzelgänger manchmal aus seinem Schneckenhaus zu locken. Vielleicht erinnert er Ellis an seine eigene Jugend.

Erst ein weiterer Autounfall bringt Veränderung und holt Ellis aus der Stagnation der Trauer. Sein eingegipster Arm zwingt ihn zu einer längeren Pause und somit auch dazu, sich mit seinen Erinnerungen zu konfrontieren.

So erfahren wir von Ellis Jugend, seiner schöngeistigen Mutter, die in ihrem Arbeiterhaushalt alles andere als glücklich war und sich dem Vater gerade ausreichend widersetzte. Und wir lesen von Ellis bestem Freund Michael, der seine Eltern früh verloren hat und nun ebenfalls in Oxford bei seiner Oma aufwächst. Die beiden träumen vom Licht der Provence, wo Van Gogh die Sonnenblumen gemalt hat. Ein Bild als Zeichen der Freundschaft und Dankbarkeit, das das Leben der Mutter für immer verändert hatte.

"Lichte Tage" ist eine feinfühlige Geschichte über stürmische Liebe, feste Freundschaftsbande und große Verluste. Tod und Trauer prägen diese Lebensgeschichten und geben dem Roman eine gewisse Schwere, die durch die leichtfüssige Sprache gut ausgeglichen wird. Ich habe dieses Buch ausgesprochen gerne gelesen, mit den beiden Jungs mitgelitten und mich an ihren schönen Zeiten erfreut. Die Autorin konnte mich mit diesem Roman berühren und begeistern und am liebsten würde ich jetzt auch aufbrechen in den Süden Frankreichs!

Bewertung vom 12.03.2023
Stuart, Douglas

Young Mungo (eBook, ePUB)


sehr gut

Der 15jährige Mungo wird zu einem Angeltrip verpflichtet, denn es soll ein Mann aus ihm gemacht werden. Seine betrunkene Mutter hat das eingefädelt. Sie schickt ihn mit zwei Typen mit, die nicht besonders vertrauenswürdig wirken. Mungo wirkt, als würde er abgeführt werden, als er seiner Mutter einen traurigen Blick zurück zuwirft. Doch sie wendet sich bereits dem nächsten Glas zu.

Mungo wächst im Glasgower East End auf. Eine Gegend, die geprägt ist von Bandenkriegen zwischen Protestanten und Katholiken. Armut und Gewalt erinnern an Belfast der 70er Jahre. Die Menschen ertränken ihren Kummer in Alkohol und vergessen dabei auf ihre Kinder.

Mungo ist feinfühlig und künstlerisch veranlagt und er liebt seine Mutter immer noch. So oft kann sie ihn gar nicht vernachlässigen und verlassen. Mangos großer Bruder Hamish ist ein gefürchteter Bandenführer und zwingt Mungo immer wieder an seine Seite. Doch seine Schwester Jodie kümmert sich um ihn.

Als Mungo einen katholischen Jungen kennenlernt, ändert sich alles. In brutaler Zärtlichkeit, denn sie kennen es nicht anders, nähern sich die beiden an und Mungo beginnt eine Zukunft für sich zu erahnen. Wäre da nicht Hamish, der für die Kämpfe lebt und Mungo Härte und Gewaltbereitschaft einprügeln will.

Auch der Angeltrip entwickelt sich für Mungo in einen entsetzlichen Albtraum, der ihm alles abverlangt. Er wird nie wieder der sensible Junge werden, der er vor diesem Wochenende war. Die beiden Typen haben tatsächlich einen Mann aus ihm gemacht, aber nicht ganz freiwillig. Mungo kehrt als Erwachsener wieder, aber wie sich seine Zukunft entwickeln wird, können wir uns nur vorstellen. Das Ende bleibt offen. Optimist*innen sehen einen Hoffnungsschimmer, alle anderen sehen nur die Tragik dieser Jugend in einer gewaltgeprägten Welt.

Douglas Stuart schreibt schonungslos brutal. Die Verrohung der Menschen, durch die Gewalt auf den Straßen, Alkohol und Drogen erstickt fast jedes Aufblitzen von Empathie und Mitgefühl. Das Buch ist nicht einfach zu ertragen, doch Mungos Resilienz ist ebenfalls nicht zu verachten. Er sucht sich seine Lichtblicke und das macht ihn so liebenswert und hält mich als Leserin bei der Stange. Dennoch kann ich nicht volle fünf Sterne vergeben, denn Mungos Geschichte war mir fast zu heftig!

Bewertung vom 20.02.2023
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


sehr gut

Julia war Krankenschwester, weil es ein typischer Beruf für Frauen aus dem Dorf war. Aber sie war es auch ein bisschen aus Leidenschaft und hat sich immer sehr bemüht um ihre Patient*innen. Ein dummer Fehler am Ende einer langen und aufreibenden Schicht hat ihr Beruf und Gesundheit gekostet. Jetzt versucht sie sich von schwerem Asthma zu erholen und zieht wieder in ihr Heimatdorf, denn in der Betriebswohnung kann sie nicht bleiben.

Sie muss sich völlig neu orientieren als plötzlich Arbeitslose.

Doch zuhause erwartet sie nicht die liebevolle Mutter, die sie umsorgen soll. Zuhause erwartet sie ein leicht verwahrloster Vater, der ihr gesteht, dass die Mutter schon eine Weile in Italien logiert. Nach einer jahrelang aufopfernden Ehe hat sie sich entschlossen sich einen Traum zu erfüllen. Jetzt lebt sie im Süden Italiens und führt dort ein Restaurant mit Sergio.

Der Vater erwartet natürlich jetzt von seiner Tochter umsorgt zu werden. Doch die will sich so nicht einspannen lassen.

Birgit Birnbacher wirft mit diesem Buch einen mikroskopischen Blick auf das Dorfleben; auf die typischen Probleme, wenn die Arbeitsplätze verloren gehen, die Nahversorger fehlen und der Dorfwirt selbst sein bester Kunde wird. Spannend ist auch der Umgang mit Fremden, die natürlich erst mal sehr schräg beäugt werden. Anderssein ist im Dorf eben nicht immer einfach.

Julia lässt sich nicht einsperren und geht ihren Weg trotz Widrigkeiten und Zweifel. Damit überzeugt Birnbacher! Einzig einige Seiten mehr hätte der Roman meines Erachtens vertragen. Das Ende kommt dann doch recht abrupt und lässt einige Fragen offen.

Bewertung vom 13.02.2023
Pleschko, Romina

Offene Gewässer


ausgezeichnet

Elfi ist ungefähr dreizehn Jahre alt, als sie bei ihrer Großmutter in Liebstatt amSee landet. Was genau passiert ist, das sie ins Kinderheim in Stuttgart gebracht hat, erfahren wir nicht in dieser Geschichte, aber die Großmutter hat sie dort nicht zurückgelassen.

Die Beziehung zwischen Großmutter und Enkelin ist geprägt von etwas eigenwilligen Weisheiten, die Elfi ihr Leben lang begleiten, wird aber später schwer getrübt, durch die Tatsache, dass sie ihrer Enkelin verheimlicht hatte, in regem Briefkontakt mit der Mutter zu stehen.

Elfi fügt sich leidlich ins Dorfleben, tritt dem Schwimmverein bei und geht in die katholische Mädchenschule, bis sie ihren Rauswurf provoziert, um ihrem zukünftigen Ehemann näher zu kommen. Sie engagiert sich nicht besonders, weder in der Schule, noch bei sportlichen Wettbewerben und kommt immer irgendwie durch damit.

Sie erzählt ihre Geschichte mit einer gehörigen Portion Selbstironie und so bringt mich die Autorin ständig zum schmunzeln beim Lesen. Der Coming-of-Age Teil des Buches ist wirklich lustig! Der zweite Teil ist anfangs etwas sperriger zu lesen, doch wenn man sich neu eingefunden hat, liest sich ihre Geschichte als Erwachsene auch gut. Elfi ist zurück in Liebstatt, mittlerweile geschieden und aus welchen Gründen auch immer relativ gut situiert. Dadurch wird sie natürlich beäugt im Dorf. Um nicht zu viele Feinde oder Neider zu generieren, zahlt sie immer wieder mal die Zeche in der Dorfkonditorei.

Doch die Gemeinde rückt ihr sehr auf den Pelz. Sie sollte ihr Haus am See verkaufen, um dem zu bauenden Hotel mehr Platz zu machen. Regelrecht rausdrängen möchten sie sie. Doch Elfi wehrt sich. Sie war schon immer streitbar. Auch ein Grund, warum sie sich nie so richtig ins Dorfleben eingebracht hat.

Mit "Offene Gewässer" hat Romina Pleschko einen ansprechenden zweiten Roman vorgelegt. Sprachlich streckenweise etwas sperrig trieft der Roman von Wortwitz und Ironie. Ein Buch für alle, die dem schwarzen Humor etwas abgewinnen können. Aber auch ein Buch für Landkinder, die sich in den Dorfstrukturen selbst entdecken können. Vom mir gibt es eine klare Leseempfehlung! Ich fand es anspruchsvoll und amüsant!

Bewertung vom 12.02.2023
Pearse, Sarah

Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1


sehr gut

Die Autorin schreibt hier nicht lange um den heißen Brei. Wir steigen direkt ein in eine gruselige Szene. Das ehemalige Sanatorium ist ein richtiges Horrorhaus mit seinen Lungenapparaten, Masken und dem Verfall der Jahre. Der Angriff auf den Architekt erfolgt prompt und eröffnet eine Menge fragen.

Jahre später ist das Hotel gebaut und niemand denkt mehr an den verschwunden Mann zu Baubeginn. Elin Warner reist in die Schweizer Berge, um die Verlobung ihres Bruders zu feiern, den sie seit Jahren nicht gesehen hat. Elin hat einige Tragödien im Gepäck, deren Verarbeitung sie hindert, ihrer Arbeit nachzugehen und in ihrer Beziehung den nächsten Schritt zu tun.

Bereits die Anreise gestaltet sich schwierig für sie. Sie kämpft mit Platzangst in der Seilbahn und mit genereller Todesangst bei der Anfahrt auf der Bergstraße, welche die einzige Möglichkeit bietet, dieses spezielle Hotel zu erreichen. Ihr Lebensgefährte Will bemüht sich rührend und doch schafft sie es nicht, sich ihm gänzlich zu öffnen. Zu vieles in ihrer Lebensgeschichte hält sie noch vor ihm geheim, das ihr Handeln durchsetzt.

Als die Morde beginnen, sind sie schnell von der Zivilisation abgeschnitten. Die meisten Gäste konnten noch evakuiert werden, aber der letzte Bus konnte nicht mehr starten, da die Lawine die Straße bereits verschüttet hatte. Das fast leere Hotel wird zu einem Spielplatz für einen Mörder, dessen Motive komplett im Unklaren liegen. Erst scheint es, dass die Morde mit dem Gebäude zusammenhängen, doch gleichzeitig wirkt alles auch sehr persönlich.

Elin wird als Ermittlerin vor Ort eingesetzt, da die Polizei nicht zum Hotel durchdringen kann. Immer wieder trägt sie Teile des Puzzles zusammen, begibt sich dabei aber auch regelmäßig in Gefahr. Manche ihrer Entscheidungen, konnte ich nicht ganz nachvollziehen und die wiederholte Betonung ihrer Unzuverlässlichkeit begann mich immer mehr zu stören. Ständig wurde betont, wie ihre Geschichte sie beeinflusst, oder wie sie einen Gedanken gerade nicht zu fassen bekommt. Ihre Irrtümer waren ganz klar ihrer Vergangenheit geschuldet und das ist der Autorin auch gut gelungen, darauf hätte nicht ständig hingewiesen werden müssen.

Dennoch hat mir die Geschichte gut gefallen. Die düstere Atmosphäre des Hotels hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Ich hatte wirklich absolut keine Ahnung, wer hier Täter ist und bin Elin bei jedem Verdacht gefolgt. Die Aufarbeitung ist schlüssig, die persönliche Geschichte der Ermittlerin ist ebenfalls spannend und bleibt nicht in der Luft hängen. Mich hat Sarah Pearse mit ihrem Thriller überzeugt und hervorragend unterhalten. Einen Stern ziehe ich wegen dieser eigenartigen Hinweise auf Unzuverlässlichkeit ab. Ansonsten war es eine rundherum spannende Reise in die Schweizer Alpen!

Bewertung vom 28.01.2023
Köhlmeier, Michael

Frankie


gut

Frank Thaler ist ein ruhiger und selbständiger Junge. Er lebt mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung, kocht an den Tagen, an denen sie lange arbeiten muss und hält sich auch ganz gut in der Schule. Zu seinem Vater hat er keinen Kontakt, doch er scheint ihn auch nicht zu vermissen.

Bis sie eines Tages den Großvater in Stein abholen. Achtzehn Jahre hat er im Gefängnis verbracht, für ein Verbrechen, dass Frank nicht bekannt ist. Und irgendwie traut er sich auch nicht den Großvater zu fragen.

Dieser übt eine ganz eigene Anziehungskraft auf den Jungen aus und obwohl der Großvater ihn unter Druck setzt, gewalttätig ist und generell übellaunig, zieht es den Jungen immer wieder zu ihm hin. Die männliche Bezugsperson scheint also doch zu fehlen und so hängt es sich aus mir unverständlichen Gründen an die Fersen dieses kriminellen Großvaters, der seine Vergangenheit längst nicht hinter sich gelassen hat.

Ein gestohlenes Auto und eine Waffe kommen ins Spiel und wenn eine Waffe auftaucht, muss sie auch abgefeuert werden. So lautet zumindest ein Bühnengrundsatz und dem scheint sich der Autor zu verpflichten. Was hier weiter passiert kann ich leider nicht verraten. Das müsst ihr Leser*innen schon selbst herausfinden.

Mir hat sich die Entwicklung des Jungen nicht erschlossen. Es erscheint mir einfach nicht stimmig. Vielleicht habe ich den Roman auch ganz einfach nicht verstanden.

Sprachlich gibt es nichts zu meckern. Michael Köhlmeier schreibt gewohnt pointiert. Deshalb braucht diese Geschichte auch nicht mehr Seiten. Nur gefällt mir ganz einfach nicht, was sie meiner Meinung nach aussagt. Ohne zu viel zu verraten, kann darauf leider nicht näher eingegangen werden. Alle die dadurch neugierig geworden sind, sollten das Buch unbedingt lesen, denn es ist sprachlich top, liest sich flott und ist dabei auch spannend. Und viele bleiben nicht so ratlos zurück, wie ich.

Bewertung vom 15.01.2023
Arenz, Ewald

Die Liebe an miesen Tagen


sehr gut

Clara ist seit dem Tod ihres Mannes Single und hat jetzt auch noch ihren Job verloren. Da beschließt sie, das Wochenendhaus auf dem Land zu verkaufen. Als sie auf die potentiellen Käufer wartet, stolpert ihr auf der Terrasse Elias vor die Füsse und die beiden liefern sich sogleich einen humorvollen Schlagabtausch.

Elias ist Schauspieler und seit zwei Jahren mit Vera liiert. In diese Beziehung ist er irgendwie reingestolpert und hat es nicht geschafft, sie zu beenden, obwohl ihm bewusst ist, dass er Vera nicht liebt.

Es kommt, wie es kommen muss. Elias und Clara werden ein Paar. Sie genießen einen stürmischen Anfang voller Verliebtheit, aber auch voller Ironie und Humor, wie es ihrer beider Charaktere entspricht. Sie passen zusammen wie die Faust aufs Auge. Alles ist einfach nur wunderbar, bis...

Diese erste Hälfte des Buches liest sich einfach nur schön. Diese Liebesgeschichte ist erfrischend herzerwärmend und dabei überhaupt nicht kitschig. Die Gespräche der beiden sind wirklich lustig. Ich mag ihren schwarzen Humor.

Gut gefallen hat mir auch, wie der Autor seine Figuren mit der dementen Mutter umgehen lässt. Das ist kein einfaches Thema und es wird hier auch nicht auf die leichte Schulter genommen. Clara und ihr Bruder geben sich wirklich Mühe, der Mutter gerecht zu werden und sie würdevoll in ihrer Verwirrtheit leben zu lassen.

Doch dann geht alles schief. Clara und Elias verlieren das Vertrauen in ihre Liebe, leben unglücklich getrennt und das Drama beginnt. Was dann passiert, darf hier natürlich nicht verraten werden. Aber mir war das alles etwas zu viel. Da beginnt die Glaubwürdigkeit zu bröckeln und für meinen Geschmack nimmt dieses Drama der Geschichte etwas von ihrer Tiefe. Die großen Gefühle hat das bei mir nämlich nicht geweckt.

Dennoch habe ich das Buch gerne gelesen. Ich liebe den Humor in dieser Geschichte und mag die poetische Sprache des Autors. Die erste Hälfte des Buches habe ich regelrecht verschlungen. Einen Stern muss ich leider abziehen, denn die überbordende Tragödie empfand ich einfach als "zu viel"!

Bewertung vom 29.12.2022
Ware, Ruth

Das College


ausgezeichnet

Hannah hat es tatsächlich nach Oxford geschafft. Voll Aufregung bezieht sie ihr Zimmer am College und trifft dort auf die bildhübsche April. Rasch schließen die Mädchen Freundschaft und gemeinsam mit Will, Ryan, Hugh und Emily bilden sie eine eingeschworene Clique.

Doch ganz unbeschwert sind diese Freundschaften nicht. April spielt gerne Streiche und kennt dabei keine moralischen Grenzen. Doch mit Geld lässt sich alles immer wieder richten.

Nach der Dernière von Aprils Stück feiern die Freunde in der Collegebar. Als April vom Umziehen nicht zurückkommt, will Hannah nach ihr sehen. Ihr Freund Hugh begleitet sie, denn Hannah geht nachts nicht gerne allein. Hat sie doch einige eigenartige Begegnungen mit dem Portier John Neville hinter sich. Hugh wartet draußen, als Hannah den schrecklichen Fund macht. Ihr Freundin April liegt tot im Wohnzimmer und besagter Hausmeister hatte kurz zuvor das Wohnheim verlassen. Die Beweise scheinen stichfest, nur ein Motiv wurde nie gefunden.

Zehn Jahre später arbeitet Hannah als Buchhändlerin. Sie erwartet ihr ersten Kind und hat sich halbwegs in ihrem Alltag eingefunden. Trotzdem denkt sie noch fast jeden Tag an ihre Freundin und meint sie immer wieder auf der Straße zu sehen. Als John Neville im Gefängnis stirbt, hat sie Angst, dass die Verfolgung durch die Medien wieder losgeht. Doch Hannah merkt auch, dass sie sich dem Ganzen langsam stellen muss. Sie kann nicht weiter weglaufen und beginnt, wie so viele, an der Schuld des Mannes zu zweifeln.

In wechselnden Kapiteln lernen wir Hannah als Jugendliche und als Erwachsene kennen. Die ersten Kapitel vor dem Mord lesen sich wie ein klassischer Collegeroman. Es geht um Freundschaften, die geschlossen werden, erste Lieben und die großen Aufregung um die Prüfungen. Oxford ist spektakulär! Manche Veranstaltungen erinnern an Hogwarts, wenn die Student*innen in ihren Talaren unterwegs sind.

Doch die "Danach" Kapitel erinnern uns immer wieder daran, dass diese gute Zeit nicht weilen wird und Hannah einen Schock fürs Leben erleidet. Im "Danach" lernen wir eine Hannah kennen, die langsam wieder stärker wird. Die beginnt nachzuforschen, Fakten zu sammeln und ihr eigenes Bild zu verändern. Als Leserin habe ich es mit wechselnden Verdächtigen zu tun. Mir ist es nicht gelungen, den tatsächlichen Mörder ausfindig zu machen, doch als sich der Vorhang lichtet, ist alles ganz klar!

Mich hat das Buch hervorragend unterhalten. Es war mein erstes von Ruth Ware, wird aber bestimmt nicht das letzte sein. Aufbau und Stil fand ich ansprechend, es liest sich flüssig und lässt sich schwer aus der Hand legen. Ich kann mir vorstellen, demnächst wieder zu einem Buch der Autorin zu greifen, wenn ich Lust auf etwas Thrill verspüre.