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Miro76
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Österreich

Bewertungen

Insgesamt 136 Bewertungen
Bewertung vom 15.09.2024
Die Frauen von Maine
Sullivan, J. Courtney

Die Frauen von Maine


ausgezeichnet

Jane ist in prekären Verhältnissen aufgewachsen. Ihre Mutter ist Alkoholikerin und schafft es nicht einer geregelten Arbeit nachzugehen. Um vor den wechselnden Bettgefährten ihrer Mutter zu fliehen, verschanzt sich Jane häufig im lila Haus an der Klippe, das seit Jahren leer steht und einen besonderen Sog auf Jane ausübt.

Jane ist intelligent und belesen und so ist es kein Wunder, dass sie mit Stipendium studiert und schließlich ihren Traumjob in der Schlesinger-Bibliothek in Harvard ergattert. Sie dokumentiert dort Frauengeschichten. Privat lernt sie David kennen und lieben und führt ein beschauliches Leben. Nur der Kinderwunsch ihres Mannes beunruhigt sie.

Doch hinter den Kulissen steht es leider ganz anders um Jane und als dann auch noch ihre Mutter stirbt, eskaliert alles. Nach und nach erfahren wir, dass auch Jane dem Alkohol verfallen ist und nach dem Tod der Mutter verliert sie die Kontrolle. Ihr Leben bricht zusammen. Sie verliert ihren Job und ihren Mann aufgrund eines unverzeihlichen Fehlers.

Zurück in Awadapquit versucht sie ihr Leben wieder in Griff zu bekommen. Immer noch glaubt sie, das allein schaffen zu können, doch auch diesen Fehler wird sie schließlich korrigieren.

Sie beginnt rund um das Haus an der Klippe zu forschen. Die neue Besitzerin fühlt sich von Geistern heimgesucht und möchte mehr über die Umstände erfahren. So lernen wir Eliza kennen, die bei den Shakern - eine Untergruppierung der Quäker - aufgewachsen war und mit Hannah und deren Kindern dort lebt. Und wir erfahren viel über die Native Americans, denn die Stelle an den Klippen war ein heiliger Ort für sie. Das Haus wird zum Anker einer vielstimmigen Geschichte, in der Frauen zu Protagonistinnen werden. Sie alle mussten Leid erdulden, sich Widrigkeiten stellen und sich ihren Weg erkämpfen. Die vielen Nebengeschichten sind gut recherchiert und toll ausgearbeitet. Das macht das Buch zu einem spannenden Beitrag über die Geschichte Maines. Es ist lehrreich, ohne dabei belehrend zu sein.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und die Frauen von Maine sind mir ans Herz gewachsen. J. Courtney Sullivan hat mehrere Porträts quer durch die Geschichte zum einem Roman verbunden und lässt die verschiedensten Stimmen zu Wort kommen.

Eine bereichernde Lektüre!

Bewertung vom 15.09.2024
Verlassene Nester
Hempel, Patricia

Verlassene Nester


sehr gut

Pilly ist 13 Jahre alt, lebt allein mit ihrem Vater und bemüht sich sehr, sich mit Katja anzufreunden. Die ist das Alphaltier in der Schule. An ihrer Seite wird man nicht gemobbt.

Doch da ist auch noch Bine, die Katja für sich allein haben will und quertreibt, wo immer das möglich ist. Eine gleichberechtigte Freundschaft ist es nicht, die sich da zwischen den drei Mädchen entspinnt.

Es ist eine verwirrende Zeit, in der Pilly erwachsen werden muss und ihre abwesende Mutter und ihr trinkender Vater machen es ihr nicht gerade leichter. Doch sie hat ihre Tanten, die zumindest teilweise versuchen, die Mutter zu ersetzen und Frau Klinge nimmt sich ihrer an, als Ersatz-Oma.

Wir lesen die Geschichte in wechselnden Perspektiven und das macht den ersten Teil sehr anstrengend. Es gibt keine stringente Handlung und es werden sehr viele Leute aus dem Dorf vorgestellt. Als Leser*in fühlt man sich da leicht überfordert, denn es ist nicht einfach den Überblick zu behalten. Im zweiten Teil wird das zwar besser, aber überladen bleibt der Text trotzdem irgendwie, denn es werden unglaublich viele Themen angerissen.

Ich denke, die Autorin wollte ein umfassendes Bild der Gesellschaft und des Lebens unmittelbar nach der Wende schaffen. Das ist ihr auch sehr gut gelungen. Wir lesen hier einen atmosphärisch sehr interessanten Roman. Man spürt die Verlorenheit der Menschen, deren Perspektiven abgeschafft wurden und die nicht wissen, wie es weitergehen soll. Sie sehen sich dem Ausverkauf ihres Dorfes gegenüber und wurden nie gefragt, was sie sich eigentlich wünschen. Die Fabrik wurde zugesperrt, Arbeit gibt es kaum oder nur in der Ferne. Viele sind abgewandert und was wird aus denen, die zurückbleiben?

Die Autorin widmet sich außerdem den Themen Bespitzelung, Fremdenhass, Vandalismus und vor allem den Auswirkungen des kapitalistischen Systems, das akkurat implementiert wurde. Leider schafft es die Autorin nicht, diese Flut an Themen ausreichend auszuführen und so fühlte ich mich am Ende etwas betrogen. Viele Fäden verlieren sich im Nichts. Es stört mich prinzipiell nicht, wenn das Ende offen bleibt, aber hier ist die Flut an losen Fäden einfach zu groß. Die Geschichte wirkt dadurch etwas zerfasert.

Dennoch habe ich mich für vier Sterne entschieden, weil die Autorin ein glaubhaftes Bild der frühen 90er Jahre in der ehemaligen DDR mit all ihren Wirrungen zeichnet. Dieser Roman hat mich ordentlich zum Nachdenken angeregt und heftige Diskussionen angestossen. Daher empfehle ich dieses Buch trotzdem!

Bewertung vom 08.09.2024
Die Abschaffung des Todes
Eschbach, Andreas

Die Abschaffung des Todes


sehr gut

James Windover ist am Zenit seiner Karriere. Er bringt seine eigenen Zeitung genau nach seinen Vorstellungen heraus. Eine Zeitung die berichtet, aber nicht bewertet. Und seine Zielgruppe ist speziell. Nur wer wirklich zu den Reichsten zählt, kann sich für ein Abo bewerben und nur wenn alle andern Abonnenten zustimmen, darf diese Person für eine Million Euro im Jahr die Windover News beziehen.

Um so objektiv zu berichten braucht die Zeitung Spezialisten aller Art zur Recherche. Wer, wenn nicht das Team von James Windover soll also das Rätsel entschlüsseln, dass im Silicon Valley präsentiert wurde: ein weiteres "Manhattan Project", das sich zum Ziel setzt in 10 Jahren den Tod abzuschaffen.

In der ersten Hälfte des Buches steht James Windover im Zentrum der Geschichte und seine Biografie. Dass sein Vater im Sterben liegt, als er von dem Projekt erfährt, soll wohl seine anfängliche Begeisterung dafür anfachen. Fast hätte James seine eigenen Prinzipen über Bord geworfen, aber da er ein selbstbewusstes Team um sich gescharrt hat, findet sich immer rechtzeitig jemand, der ihn wieder auf den richtigen Weg bringt. So stellt er sich einer Recherche, deren Ausgang er sich eigentlich anders wünscht und entdeckt eine spannende Geschichte.

Erst da beginnt der Thriller und James findet sich in einer wilden Verfolgungsjagd quer durch Europa, die einem James Bond in nichts nachsteht. Das Ende kommt dann ein bisschen anders als erwartet, aber nicht unrealistisch. Das hat mir dann erstaunlich gut gefallen. Und für James natürlich wieder untermauert mit einem Erlebnis aus der eigenen Biografie.

Die Recherche zu diesem Buch war bestimmt aufwendig, denn der Autor musste sich mit Neuroanatomie, Neuropsychologie, Genetik und Nanotechnik auseinandersetzen. Das wollte er dann wohl auch unbedingt in seinem Buch unterbringen. Die erläuternden Anteile der Geschichte finde ich etwas zu ausufernd und hätten mich das Buch fast abbrechen lassen. Die ersten 200 Seiten fand ich streckenweise schon sehr langatmig. Es dauert ein bisschen, bis diese Geschichte Fahrt aufnimmt. Dann wird sie allerdings sehr spannend und ich konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Daher habe ich mich dann doch für 4 Sterne entschieden. Durchhalten lohnt sich hier definitiv!

Bewertung vom 29.08.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


ausgezeichnet

Es sind die 90er Jahre, als die Sache mit Rachel passierte und die Leben von einigen Menschen veränderte. Rachel ist gerade mit ihrem neuen besten Freund James in ihre erste WG gezogen. Irland ist von der Wirtschaftskrise gebeutelt und in Rachel und James sind immer knapp bei Kasse. Doch sie genießen ihre gemeinsame Zeit und ihre Freundschaft.

Rachel steht auf ihren Literaturprofessor und schafft es, eine Lesung zur Erscheinung seines Buches zu organisieren. Da möchte sie ihm Näherkommen. Doch da kommt alles komplett anders als erwartet und Rachel wird notgedrungen zur Geheimnisträgerin, bis die ganze Sache eskaliert.

Rachel und James sind ziemlich dick miteinander. Fast könnte man meinen, sie können gegenseitig Gedanken lesen. Da bleibt kaum mehr Platz für einen Lover. Als James Carey in Rachels Leben tritt, trifft sie die Liebe zwar mit voller Wucht, aber sie sagt ihm auch gleich, sie hat schon einen James; sie kann ihn nur Carey nennen. Die Prioritäten werden nicht verschwiegen, auch wenn Rachel später sagt, sie hätte das nie so gemeint.

Und wie das Leben so spielt, trennen sich die Wegen von James und Rachel doch irgendwann, denn James kann ein Angebot nicht ausschlagen und Rachel muss nun allein ihren Weg gehen. Doch das gehört zum Erwachsenwerden einfach dazu.

Mir hat diese Freundschaft sehr gut gefallen. Die beiden geben sich Halt, wenn Not herrscht und lassen sich die Freiheit zur Entwicklung. Ihre Gespräche sind durchwegs humorvoll und mit gefällt, wie sie ihr Leben einfach leben. Sie sind jung, nicht alle Entscheidungen müssen vernünftig sein. Sie machen Fehler, lernen daraus und entwickeln sich weiter. Somit haben wir es hier mit einem Comnig-of-Age Roman zu tun mit einem besonderen Fokus auf eine Freundschaft fürs Leben.

Das Buch liest sich leicht, die Geschichte kennt zwar manche Träne, kommt aber ingesamt recht locker daher. Mir hat das Buch rundherum gut gefallen, Rachel und James sind mir sehr sympathisch und mir gefällt, was aus ihnen geworden ist. Schlußendlich hatten beide Glück im Leben, auch wenn es zwischendurch manchmal anders ausgesehen. Aber so ist eben das Leben.

Bewertung vom 29.08.2024
Scandor
Poznanski, Ursula

Scandor


sehr gut

Scandor ist ein völlig neuartiger Lügendetektor, dem wirklich nichts entgeht. Um ihn zu testen, veranstaltet die Firma einen Wettbewerb, dem sich 100 Teilnehmer*innen stellen. Wer lügt, fliegt raus und wer übrig bleibt, wird mit 5 Millionen Euro belohnt.

Das klingt ja ganz interessant, dachte Philipp, dem eine Eintrittskarte in Form einer Münze zugespielt wurde.

Doch ganz so einfach wird es nicht, denn auch die Teilnehmer*innen verpflichten sich einen Einsatz zu setzen. Sie müssen sich ihrer allergrößten Angst stellen, wenn sie rausfliegen. Quasi um die Motivation zu erhöhen. Für Philipp, der unter ausgeprägter Thalassophobie leidet, heißt das unter einem Steg durchzutauchen, wo fast ein Schulkollege ertrunken wäre. Dabei sträuben sich ihm schon die Haare, wenn er sich nur in eine Badewanne legen muss.

Auch Tessa hat einen heftigen Einsatz. Sie muss ein Jahr lang die Assistentin ihres verhassten Onkels sein, dem sie die Münze gestohlen hat.

Eröffnet wird der Wettbewerb mit einer Gala, wo sich Tessa und Philipp kennenlernen. Der letzte Abend, um noch mal kräftig zu lügen, bevor der Countdown startet. Leider kann man sich nicht zuhause einigeln, um so lange wie möglich durchzuhalten, denn wenn man das macht, bekommt man einen Auftrag vom Spiel. Also heißt es, jedes Wort abwägen und prüfen auf den Wahrheitsgehalt. Das ist ein sehr spannender Aspekt dieses Romans, denn da wird einem erst klar, wie oft man nicht die Wahrheit sagt. Als einfaches Beispiel fand ich das Bestellen im Lokal spannend, denn man bestellt nicht immer das was man wirklich möchte. Philipp hätte eigentlich gerne ein Bier gehabt, verkneift sich das aber, weil er nüchtern bleiben will. Somit darf er nicht mit "ich möchte" bestellen. Das sind die Kleinigkeiten, die den Alltag wahnsinnig anstrengend machen, nicht unbedingt die großen Gespräche.

Und dann steckt natürlich etwas mehr hinter diesem ganzen Szenario. Als Leser*innen erkennen wir das schnell, nur wissen wir lange nicht, was das sein könnte. Kleine Ungereimtheiten fallen auf und beginnen sich zu häufen. Die Zweifel nehmen dann auch bei Tessa und Philipp zu, die eine Weile als Team agieren und sich dann im letzen Showdown gegenüberstehen. Doch da erfahren wir auch das große Ganze und ich finde auch die Geschichte hinter dem Plot sehr spannend.

Das Buch liest sich locker flockig, wie es bei einem Jugendbuch sein soll. Es gibt Spannung, etwas Mystery, Liebe und Rache. Herz, was willst du mehr! Mich hat das Buch hervorragend unterhalten!

Bewertung vom 20.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Reza ist 10 Jahre alt, als seine Eltern mit ihm aus dem Iran fliehen. Sie stranden in Bochum, in einer Hochhaussiedlung, die vor Armut strotzt und nach Eintopf riecht. Wo Gewalt auf den Straßen zum Alltag gehört und "Eigentumsdelikte eine Lebenseinstellung" sind.

Rezas Eltern stecken fest im Kulturschock. Ihre Abschlüsse werden nicht anerkannt und so bleibt dem Vater das Taxi fahren und stundenweise Arbeit in einem Kiosk. Die Mutter versucht es nochmal mit dem Soziologiestudium, das ihr nicht angerechnet wurde. Nur Reza weiß nicht wirklich wohin mit sich. Er hängt auf der Straße ab und macht sich die Gewalt zu eigen. Seine Wut wird immer größer. Wut auf ein Leben dazwischen, wo sich eine Tür geschlossen hat, die andere aber niemals richtig aufgeht. Wut auf ein Umfeld, dass an keine Zukunft glaubt und Wut auf einen Vater der trotz allem an seinem Stolz festhält.

Kahni beschreibt die Situation der Einwanderer in den 90er Jahren sehr eindringlich und schonungslos. Wir sehen klar, dass sich hier kaum Chancen eröffnen, dass es eine gute Portion Glück braucht, um dem Druck der Straße zu entkommen. Auch Reza wäre fast auf die schiefe Bahn geraten. Er hatte das nötige Quentchen Glück und wohl doch auch ausreichend Verstand. Doch immer wieder lesen wir in Nebensätzen, was aus den Menschen seiner Umgebung wurde. Der eine Freund sitzt im Knast, der andere hatte Kugeln in der Brust nach einem missglückten Raubüberfall. Und so ganz nebenbei erfahren wir auch, dass aus Reza schließlich ein Schriftsteller wird. Genau wie sein Vater.

Zuhause wird er sich wohl nie in Deutschland fühlen, aber die Sprache hat er sich zu eigen gemacht.

Stilistisch ist das Buch wahrlich großartig. Der Autor findet Metaphern, die so pointiert sind, dass sie wie Speerspitzen unser behütetes Weltbild aufbrechen. Er hält der Gesellschaft den Spiegel vor und will damit aufmerksam machen, dass hier Menschen leben, die mehr wollen als dankbar für den Frieden zu sein.

Dieses Buch hat mich regelrecht vom Hocker gehauen. Von der ersten Seite an konnte mich der Autor fesseln. Ich liebe seine Sprache, die mal fast poetisch, mal straßenhart daherkommt. Und ich mag Rezas Geschichte, die mich ein ums andere Mal überraschen konnte. Sie hat meinen Blick wieder ein Stückchen weiter geöffnet für die Hürden mit denen Menschen mit Migrationshintergrund zu kämpfen haben.

Bewertung vom 18.08.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


ausgezeichnet

Oscar sitzt endlich in seiner ersten Vorlesung für sein Mathematik Studium. Er ist zwar grade mal 17 Jahre alt, hat aber schon sein Abi in der Tasche und ist regulär zugelassen. Er scheint eine Inselbegabung zu haben und die Zahlen geben ihm Sicherheit, denn der Alltag überfordert ihn manchmal ziemlich. Er hat eine autistische Persönlichkeit, die ihn meistens zwingt die Wahrheit zu sagen, auch wenn das gerade nicht passend ist.

Da quetscht sich Moni zu ihm auf die Bank. Er ist sich ziemlich sicher, dass sie sich verlaufen hat, denn sie kann ja wohl nur die Putzfrau sein. Sie ist ziemlich bunt angezogen und sehr alt, über 50, und wohl kaum intelligent genug für diese Studium. Spätestens nach den ersten Ausleseprüfungen wird sie wohl mit dem Großteil der Studierenden wieder weg sein.

Gezwungenermaßen bildet er mit ihr eine Arbeitsgruppe für die Hausübungen und verbringt schnell auch die Mittagspausen mit ihr, denn alle anderen Kommilitonen überfordern ihn sowieso und außerdem bringt sie immer ein leckeres Pausenbrot. Seine speziellen Nahrungsrichtlinien wirft er mit Moni rasch über Bord.

Doch auch Moni birgt eine Überraschung. Schnell erkennen wir als Leser*innen, wie die Autorin mit den Klischees spielt, denn Moni ist wesentlich klüger als sie vorzugeben scheint. Ihre prekäre Situation lässt sie zwar nicht zur Höchstform auflaufen, aber sie zeigt rasch ihr Potential.

So treffen zwei Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten und fordern sich gegenseitig ihre Grenzen auszuweiten und über ihre Tellerränder zu blicken. Wie üblich zeichnet Alina Bronsky ihre Figuren mit ausgesprochener Liebenswürdigkeit, auch wenn klar ist, dass sie nicht immer leicht zu ertragen sind. Sie haben ihre Ecken und Kanten, werden dafür aber nie verurteilt.

Besonders gut gefallen hat mir außerdem, dass das Buch aus Oscars Sicht der Welt erzählt wird, die doch manchmal etwas anders anmutet, als Durchschnittsbürger die Welt beurteilen. Das ist meistens ganz amüsant und manchmal auch etwas anstrengend, denn seine Sicht ist häufig sehr urteilend. Gleichzeitig hat man das Gefühl alles mit einem Augenzwinkern erzählt zu bekommen.

Mir hat dieser Ausflug in die Welt der Mathematik ausgesprochen gut gefallen. Die Charaktere der zwei Protagonisten sind wirklich spannend gezeichnet! Nur leider war diese Geschichte viel zu kurz! Ich wäre gerne noch ein paar Seiten länger an Oscar's und Moni's Seite geblieben.

Bewertung vom 16.08.2024
Ich komme nicht zurück
Khayat, Rasha

Ich komme nicht zurück


ausgezeichnet

Hanna, Zeyna und Cem waren beste Freunde. Sie sind in prekären Verhältnissen aufgewachsen in einer Vorstadt im Ruhrpott. Hanna und Zeyna teilen das Schicksal keine Mütter zu haben und Zeyna und Cem, beide Migranten zu sein. Aber zu dritt sind sie unschlagbar, halten zusammen und geben sich gegenseitig Rückendeckung.

Doch das Leben kommt ihnen irgendwie dazwischen. Zeyna reist durch die Welt als Fotoreporterin und Hanna folgt ihrem Freund in eine Stadt, die sie nicht haben will. Cem geht seinen Weg ganz ruhig und bedacht und bleibt immer da. Er wird zum Bollwerk zwischen den beiden Mädchen, die immer wieder mal in Streit geraten und sich immer wieder schnell versöhnen. Bis es zum ganz großen Clash kommt.

Als Hanna wieder in ihrem Heimatort lebt, weil es ihrer Großmutter sehr schlecht geht, beginnt sie Zeyna ständig zu sehen. Die Vergangenheit wird überpräsent und verfolgt sie an die ungewöhnlichsten Orte. All die ungesagten Worte nehmen ihre Gedankenwelt gefangen und lassen Hanna nicht mehr los. Nach dem Tod der Großmutter vereinsamt sie in deren alter Wohnung und ihr ganzes Leben dreht sich nur noch um die Vergangenheit und den Verlust der besten Freundin. Diese Kluft scheint unüberwindbar. Das Leben hat dieser Freundschaft zu übel mitgespielt.

Hanna trauert dieser Freundschaft nach und vergisst dabei ihr eigenes Leben weiterzuleben. Sie kann die ungesagten Worte nicht tragen. Sie halten sie in der Vergangenheit fest. Zeyna scheint alles abgeschüttelt zu haben. Ihr Leben geht weiter und weist in die Zukunft und das rät sie schlussendlich auch ihrer Freundin.

Ein schönes Buch über den Umgang mit Tragödien und über Freundschaften die bleiben oder gehen.

Eine Leseempfehlung für alle es auch mal etwas poetischer mögen!

Bewertung vom 08.08.2024
Wir treffen uns im nächsten Kapitel
Bickers, Tessa

Wir treffen uns im nächsten Kapitel


sehr gut

Erin versucht in ihrem Leben aufzuräumen, kündigt ihren Job, der ihr keine Freude bereitet und mistet radikal ihre Wohnung aus. Viele ihrer Bücher bringt sie in einen offenen Bücherschrank. Wenige Tage später entdeckt sie entsetzt, dass eines ihrer absoluten Lieblingsbücher mit der letzten Karte ihrer besten Freundin ebenfalls da gelandet ist.

In der Hoffnung ihr Lieblingsbuch mit ihren Randnotizen wiederzubekommen geht sie in den nächsten Tagen regelmäßig zum Schrank und wie ein Wunder steht das Buch plötzlich wieder da und auch die Karte ist noch drin. Hocherfreut schlägt sie es auf und entdeckt, dass ihre Notizen ergänzt wurden. Außerdem findet sich am Ende des Buches die Frage: "Treffen wir uns in Große Erwartungen?"

James hatte sich das Buch ausgesucht und war ziemlich begeistert von den Randnotizen. Endlich trifft er auf eine Person, die in uneingeschränkt zu verstehen scheint. Er hofft sehr drauf, dass die Kritzelqueen seiner Aufforderung folgt und sie ihre "Unterhaltung" fortsetzten.

Was die beiden nicht wissen, ist, dass sie eine gemeinsame Vergangenheit haben. Wir Leser*innen erfahren das relativ früh, denn wir lesen abwechselnd aus der Sicht von Erin und James und lernen so auch ihre Vergangenheit kennen, die beide sehr geprägt hat. Sie hatten es beide nicht leicht in ihrer Kindheit und Jugend. Beide haben ein spezielles Verhältnis zu ihren Eltern und die Beziehungen zu ihren Geschwistern werden ebenfalls thematisiert. So bekommt dieser Roman eine etwas tiefgründigere Dimension und wird zum Liebesroman mit Mehrwert.

Dennoch liest sich das Buch ganz locker. Die Geschichte ist fesselnd und die Bezüge zu den Klassikern, die sich die Beiden zum Lesen vorschlagen sind von großer Literaturliebe geprägt. Man bekommt direkt Lust darauf wieder zu Dickens oder Bronte zu greifen.

Alles in allem hat mich das Buch hervorragend unterhalten und ich habe es fast in einem Rutsch gelesen. Ein wunderbare Sommerlektüre!

Bewertung vom 23.07.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Pia und Jakob werden in die Schule gerufen. Es gab einen Vorfall mit ihrem kleinen Sohn Luca und einem Mädchen. Genaueres erfahren wir Leser*innen vorerst nicht, denn auch Luca schweigt zu dem Vorfall und verteidigt sich nicht.

Lucas Schweigen hält an, obwohl Pia insistiert und während ihr Zorn hochkocht und sie an ihrem Sohn, den sie doch innig liebt zu zweifeln beginnt, beginnt sie auch ihre Kindheit zu hinterfragen. Ihr Kindheitstrauma kommt wieder hoch und beschäftigt ihre Gedanken. Ihre Vergangenheit drängt in die Gegenwart und beginnt ihr Denken zu dominieren. Die Frage, was damals am See wirklich passiert ist, als ihre 4jährige Schwester ertrunken ist, lässt sich nicht mehr aus ihrem Kopf verbannen. Sie beginnt ihre ganze Kindheit aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und bewertet ebenso das Verhalten ihres Sohnes neu. Argwohn liegt in ihrem Blick auf ihn, denn sie scheint zu wissen, dass Kinder auch Monster sein können.

Zum Glück führt sie eine gute Ehe und ihr Mann gibt ihr halt in der Gegenwart.

Jessica Lind hinterfragt mit diesem Buch Mutterschaft ganz generell. Wie weit sollten Mütter Löwinnen sein, die ihre Kinder verteidigen? Wie viel Vertrauen bringen wir unseren Kindern entgegen und ab wann sollten wir an ihnen zweifeln.

Spannend ist ebenfalls der erwachsene Blick auf die Kindheit mit deren Prägungen. Sitzen wir fest in den Verhaltensmustern, die wir als Kinder erlernt haben oder können wir ihnen entwachsen und im Rückblick das Geschehene neu bewerten?

Die Autorin konnte mich mit diesem Buch komplett fesseln. Ihr Blick in diese Kleinfamilie mit all ihren Abgründen hat mir sehr gut gefallen. Ohne erhobenen Zeigefinger zeichnet sie ein mögliches Bild und zeigt realistische Zweifel einer Mutter auf, über die wohl eher selten gesprochen wird, denn sie entsprechen nicht dem idyllischen Familienideal, das wahrscheinlich eh nie wirklich existiert.