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TochterAlice
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Insgesamt 1461 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2019
Bukowski, Helene

Milchzähne


sehr gut

Wo rohe Kräfte sinnlos walten: dieser Spruch ging mir bei der Lektüre dieses Buches öfter durch den Kopf, denn Skalde und ihre Mutter Edith sind dort, wo sie leben, unerwünscht. Dabei ist Skalde dort geboren und ihr Vater war ein Einheimischer, dessen Tod aber in Zusammenhang mit ihrer Mutter gebracht wird.

Man lebt für sich und ist mehr oder weniger gezwungen, als Selbstversorger zu agieren. Geld gibt es offenbar nicht mehr, denn zusätzliche Produkte erhält man durch Tauschgeschäfte mit den anderen. Die Anderen - ich würde sie nicht als Nachbarn bezeichnen, da sie sich kaum wie solche verhalten. Kurt ist jemand, der Mutter und Tochter wohlgesonnen ist, ebenso die beiden Frauen Gösta und Len, aber selbst mit diesen ist der Umgang überaus reduziert.

Es scheint, als hätte eine ungeheure Erderwärmung stattgefunden, die bereits große Regionen unbewohnbar gemacht hat und auch hier ist die Hitze kaum noch zu ertragen. Das, was existiert, wollen die Menschen für sich bewahren, Neue werden mit Argwohn betrachtet. Und das ist noch das Wenigste. Oft genug kommunizieren die Menschen hier nicht im Guten, sondern über Drohungen. Die Gemeinschaft ist keine, da es fast kein Mit-, sondern ein Gegeneinander gibt.

Eines Tages trifft Skalde das Kind Meisis und nimmt es mit nach Hause - es gelingt ihr nur für kurze Zeit, das kleine Mädchen zu verstecken, dann entdecken die anderen sie und betrachten sie vor allem aufgrund ihrer roten Haare mit Argwohn und halten sie für unnormal. Am liebsten würden sie sie ausradieren - und das ist wörtlich zu nehmen.

Skalde geht auf einen Handel ein - wenn Meisis innerhalb von zwei Monaten die Milchzähne ausfallen, ist sie ein normales Kind und kann bleiben, ansonsten wird sie beseitigt.

Etwas Ursprüngliches, Archaisches liegt in dieser Geschichte, die geheimnisvoll bleibt, denn vieles wird lediglich angedeutet. Die Symbolik und die Verbindung zu Themen unserer Gesellschaft wie Ausgrenzung, Angst vor Neuem, Fremdenhass ist dennoch mehr als deutlich.

Helene Bukowski hat mit ihrem Debüt eine ganz besondere Art von Endzeitroman geschaffen. Ein beängstigendes Szenario mit einer Vision, die leider alles andere als unrealistisch ist. Ein Roman, dessen Lektüre Kraft und Mut erfordert. Wenn man sich heranwagt, kann es sich durchaus als Gewinn mit wegweisendem Inhalt entpuppen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.05.2019
Daly, Maureen

Siebzehnter Sommer


ausgezeichnet

Es ist ein ganz besonderes Gefühl, das die siebzehnjährige Angie durchdringt: das Gefühl, jung zu sein und eine ganz besondere Zeit zu durchleben. Genauer gesagt, einen ganz besonderen Sommer.

Sie hat gerade die Schule abgeschlossen und wird aufs College gehen - das ist durchaus etwas Besonderes. Denn dieser Roman ist 1942 entstanden, in einer Zeit, in der es nicht unbedingt üblich war, dass Mädchen studieren. Doch Angies Familie hat vier davon - vier Töchter, Angie ist die Dritte und ihnen allen soll eine gute Ausbildung zukommen, da sind die Eltern sich einig.

Doch das ist nicht das Besondere an diesem Sommer, obwohl Angie sich sehr auf College freut. Nein, was neu ist: Jack ist in ihr Leben getreten. Jack, den sie vorher nur vom Sehen kannte, ein toller Sportler und Mädchenschwarm. Ausgerechnet er interessiert sich für Angie ...und sie dann auch bald für ihn.

Rasch wird deutlich, wie behütet sie aufgewachsen ist - wie in einem Kokon. Immer noch haben die wohlmeinenden Eltern ein Auge auf sie - doch der Sommer mit Jack, der wird auch von ihnen respektiert, auch wenn sie manchmal etwas streng auftreten. Zurecht vertrauen sie ihrer Tochter.

Ein schönes Buch, das mich sofort an die Zeit denken ließ, als ich selbst siebzehn war - das ist zwar noch keine 77, aber doch immerhin schon fast vierzig Jahre her. Ich hatte damals keinen Jack, der kam viel später, aber das verheißungsvolle Gefühl des Jungseins, das habe auch ich verspürt und bei dieser Lektüre wurde es wieder geweckt.

Maureen Daly hat es geschafft, einen absolut zeitlosen Roman in Bezug auf das Empfinden, jung zu sein, zu schreiben. Natürlich tickten im Jahr 1942 die Uhren noch ganz schön anders und man wundert sich auch sehr über einige Vorgänge, die nicht mehr so ablaufen, aber die Stimmung ist geblieben. Und wird hoffentlich auch für immer so sein. Eine Art Verheißung, ein Versprechen.

Zudem pflegt die Autorin einen überaus erfrischenden und stellenweise ausgesprochen humorvollen Stil: so ist bspw. Angies ältere Schwester Margaret "mit einem jungen Mann aus Milwaukee verlobt, der wie ein riesiges Pandababy aussieht und sich auch so benimmt." (S. 36)

Wer sich wieder jung fühlen will oder jung sein und bleiben will, zumindest gefühlt, der sollte diesen Roman unbedingt lesen! Und es ist auch etwas für die Leser, die den nahenden Sommer etwas bewusster spüren wollen. Eine wahre Sommerlektüre eben!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.04.2019
Smith, Betty

Glück am Morgen


ausgezeichnet

Annie und Carl machen den Schritt zur Gründung einer eigenen Familie sehr früh, vielmehr sollte man sagen, in sehr jungen Jahren, Achtzehn und zwanzig sind sie, in den späten 1920er Jahren, in denen dieser Roman spielt, bedeutet das noch nicht einmal die Volljährigkeit.

Doch sie haben es sich reiflich überlegt und fällen diese Entscheidung voller Überzeugung, wenn auch gegen den Willen ihrer beider Eltern. Ihr erstes Ehejahr - um das es in diesem Roman geht - verbringen sie am College, in einer kleinen Stadt im mittleren Westen, wo Carl sein letztes Jahr des Jurastudiums absolviert - nun unter deutlich erschwerten Umständen, denn seine Eltern drehen ihm den Geldhahn zu und die von Annie, die quasi von zu Hause ausgebüxt ist, machen ihre Geldbörse gar nicht erst auf.

Doch wenn man überzeugt ist von seiner Entscheidung, dann schafft man alles: darauf vertrauen Annie und Carl, auch wenn sie beide - insbesondere Annie - noch reichlich naiv sind. Oder wahrscheinlicher: gerade deswegen!

Dies klingt nicht besonders spektakulär als Thema eines Romans, doch Sprache und Stil der Autorin machen ihn zu etwas Besonderem, Einzigartigen!

Betty Smith hat ihren Roman, der nun ins Deutsche übersetzt wurde, in den 1960er Jahren geschrieben, zurückblickend auf eine längst vergangene Zeit, nämlich ihre eigene Jugend. Ob sie da eigene Erfahrungen hineinbringt? Möglich wäre es, denn auch sie verbrachte einige Jahre mit ihrem Mann im College und studierte zwar nicht, besuchte aber wie Annie Kurse als Gasthörerin.

Das junge Paar muss sich so einigen Hindernissen stellen, die zunächst unüberbrückbar scheinen und machen die Erfahrung, dass Liebe allein nicht reicht, auch wenn diese - wenn sie wie bei ihnen auf beiden Seiten in Hülle und Fülle vorhanden ist - ausgesprochen hilfreich sein kann.

Ein warmherziges und rührendes Buch, in dem es für meinen Geschmack ein bisschen zu oft um Kostenkalkulationen ging, aber so ist es eben, wenn man jeden Cent zum Überleben braucht! Trotz dieser kleinen, subjektiv wahrgenommenen Störung empfand ich diesen Roman als absolut rund, habe ihn mit Begeisterung gelesen und war ganz traurig, als ich ihn ausgelesen hatte.

Ein wunderbares Geschenk für Menschen, mit denen man es gut meint, nicht zuletzt für heiratsfreudige Leseratten oder auch anlässlich runder Hochzeitstage!

Bewertung vom 29.04.2019
Glaser, Brigitte

Rheinblick


gut

Bonn als Zentrum der Politik und damit der Macht in der Bundesrepublik Deutschland: das ist ein mittlerweile vergangenes Kapitel und Bonn ist fast zu seiner einstigen Beschaulichkeit zurückgekehrt.

Doch in den Nachkriegsjahren und bis nach der Wende war es tatsächlich die politische Zentrale des Landes und als solche wird sie hier von Brigitte Glaser dargestellt: Wir schreiben das Jahr 1972 und Willi Brandt ist gerade als Kanzler bestätigt worden, was seine fortschrittliche Politik der vergangenen Jahre - er war bereits seit 1969 Kanzler - bestätigte.

Die Handlung des Romans spielt in den zwei Wochen ab der Wahl, in denen die Ereignisse einander jagen: mit Hilde Kessel, der Wirtin des "Rheinblick", der Logopädin Sonja und der Journalistin Lotti stehen drei Frauen im Fokus der Handlung, die in den Sog der damaligen politischen Ereignisse und auch Intrigen geraten.

Nachvollziehbar schildert die Autorin, wie die so unterschiedlichen Frauen; die mit beiden Beinen im Leben stehende Hilde, die mühsam versucht, die Nachwirkungen ihrer traumatischen Kriegserlebnisse aus dem Alltag herauszuhalten und die beiden jungen, nach dem Krieg geborenen Frauen auf vollkommen unterschiedliche Weise mit den politischen Ereignissen in Berührung kommen. Hilde führt seit langen Jahren den "Rheinblick", Treffpunkt der unterschiedlichsten politischen Player, die an Politik nicht sonderlich interessierte Sonja wird im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit vor eine ganz besondere Herausforderung gestellt und Lotti, die für eine süddeutsche Provinzzeitung tätig ist, tut fast alles, um ihren ersten großen Artikel platzieren zu können.

Ein wirklich interessanter Roman für mich, die ich mit Bonn - damals das politische Zentrum - von Kindesbeinen an vertraut bin und den Wandel der Stadt sozusagen hautnah miterlebt habe. Die Idee, verschiedenen Perspektiven "sprechen" zu lassen, ist wirklich gut, allerdings ist die Darstellung, vor allem, was das Personalgefüge anbelangt, etwas überladen. Zu viele Akteure, die in zu viele Ränke verwickelt sind, haben mich stellenweise verwirrt und beim Lesen aus dem Konzept gebracht. Ein Personalverzeichnis zu Beginn des Buches wäre hilfreich gewesen, die Konzentration auf weniger Charaktere und Ereignisse ebenfalls.

So hat mir das Buch nicht ganz so gut gefallen wie andere Bücher der Autorin, deren langjähriger Fan ich bin. Dennoch ist es wichtig, originell und lesenswert und ich lege es jedem auch nur halbwegs politisch und zeitgeschichtlich interessierten Leser ans Herz!

Bewertung vom 28.04.2019
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


ausgezeichnet

Mäxchen und seine Oma: Das sind nur zwei Akteure innerhalb dieses sonderbaren, dabei ausgesprochen intensiven Familiengefüges - aber die beiden wichtigsten. Denn Max, zunächst Kind, dann Teenager, erzählt diese absolut wahnwitzige Geschichte aus seiner Perspektive und seine Grossmutter ist diejenige, um die sich alles dreht und wendet. Und auch die, die alles bewegt. Da sorgt sie schon selbst für.

Wenn sie tatsächlich exisiteren würde und ich mich in ihrem Dunstkreis befände, würde ich sie möglicherweise manchmal hassen, aber ich lese wahnsinnig gern über sie: Max' Großmutter sprengt alle Dimensionen des Vorstellbaren. Und zwar in jeder Hinsicht! Denn so taktlos und übergriffig ihr Verhalten auch fast immer ist, sie verfügt ohne Zweifel über ein riesengroßes Herz. Auch wenn man das nicht immer merkt, nicht zuletzt, weil sie es nicht für jeden öffnet. Denn wo käme man dann wohl hin!

Doch in dem Moment, als ihre Familie zusammenzubrechen droht, vor allem, weil ihr Mann sich einer anderen zuwendet, geht sie ganz besondere Wege, um das Gefüge zusammenzuhalten und neu zu justieren. Gerade sie, die in anderen Situationen nicht alle in ihrer Familie halten konnte. Oder wollte.

Einmal mehr hat Alina Bronsky - nach dem wunderbaren "Baba Dunjas letzte Liebe" - einen kleinen Roman mit großem Inhalt geschaffen: wieder schreibt sie spritzig, tragikomisch, rührend, absurd, bewegend, liebevoll und stellenweise auch erschrecken und abstoßend - vor allem aber unglaublich originell. Und wenn es ein Museum für Romanhelden gäbe - jede einzelne ihrer Figuren wäre es wert, darin ausgestellt zu werden. Sie ist die einzige mir bekannte Autorin, die es vermag, mit wenigen Worten einen blumigen, ja wilden Stil zu kreieren und das ist eine Kunst, die man nicht lernen kann - sie ist tief in einem drin verwurzelt - so wie Max und seine Familie es in ihrer neuen Heimat Deutschland nie sein werden. Oder doch?

Man muss ein bisschen nachdenken, um im Handlungsverlauf die Fäden zusammenziehen zu können, denn man ist als Leser immer an Max' Seite, der längst nicht alles sofort begreift und dem noch viel weniger erzählt wird - und der auf der anderen Seite schon früh eine erschreckend wache Auffassungsgabe vorweisen kann, aber ohne wäre er in dieser Familie nicht weit gekommen!

Wenn in "Baba Dunja" Verwurzelung das zentrale Thema war, dann ist es hier Entwurzelung, Neubeginn, Selbstfindung - wählen sie eines davon oder auch alle zusammen. Ja, auch bei Alina Bronsky ist es nicht immer so eindeutig wie bei Baba Dunja, hier muss sich nicht nur Max nach der Auswanderung aus Russland neu orientieren, nein, auch der Leser muss für sich selbst zunächst einmal jeden Akteur und jedes Ereignis richtig platzieren und einordnen: Dann wird auf einmal alles sonnenklar und die Tragik wie auch der Humor können in ihrer Gesamtheit erst voll erfasst werden. Und man bekommt eine Ahnung davon, was der Begriff "russische Seele" so alles beinhalten kann.

Mal wieder ein ganz besonderer Roman von Alina Bronsky - wenn es ein Lied wäre, würde ich sagen, es hätte Folk-Elemente - oder kann man diesen Begriff auch auf Literatur verwenden? Auf Alina Bronsky passt er auf jeden Fall genau!

Wenn also - bspw. für eine Bahnfahrt - eine nicht allzu ausführliche, dabei aber genussintensive Lektüre gewünscht wird, dann ist dieses Büchlein aus meiner Sicht genau das Richtige - wie auch in Phasen leichter Trübsinnigkeit, in die kein platter Humor passen würde. Da ist die diesen Roman durchdringende Tragikomik genau das Richtige! Ein Roman, den ich nicht so schnell vergessen werde und der mich besonders berührt hat!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2019
Arndt, Martin von

Sojus


sehr gut

nen historischen Krimi, in dem der Ungarnaufstand von 1956 im Fokus steht, kannte ich bisher noch nicht. Die historische Reihe von Martin von Arnim mit den Figuren des Kommissars Eckart und des italienischstämmigen Amerikaners und Tausendsassas Vanuzzi im Mittelpunkt auch nicht, so dass dies für mich eine doppelte Premiere war.

Der ehemalige deutsche Kommissar Andreas Eckart steht altersmäßig in den 1950er Jahren definitiv eher am Ende als am Beginn einer möglichen beruflichen Karriere, die aber sowieso bereits vor Jahren gewaltsam endete, nämlich durch den Nationalsozialismus. Zu Beginn dieses Bandes wird er aus einer psychiatrischen Klinik in den Vereinigten Staaten befreit, unter anderem durch den bereits erwähnten Vanuzzi.

Der spürt ihn dann einige Jahre später in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland auf, wo er im beschaulichen Würzburg ein ruhiges Leben führt. Zu führen hoffte, muss man nun sagen, denn Vanuzzi, der als mehr oder weniger freiberuflicher Geheimagent mehreren Herren dient, ködert ihn zur Beteiligung an einem Auftrag in Budapest: ein Dossier mit brisanten Informationen soll geholt werden. Eckart will ablehnen, wird aber ge- und verlockt mit dem Versprechen, seinen Sohn, den er bisher nicht kannte und der im gerade stattfindenden Ungarn-Aufstand eine Rolle spielt, kennenzulernen.

In Budapest angekommen, erleben Eckart und Vanuzzi im Kreise von Widerstandskämpfern die Niederschlagung des Aufstands durch sowjetische Streitkräfte. Deutllich wird, dass man niemandem trauen kann - wie Eckart schmerzlich erfährt, nicht mal seinem eigenen Sohn, der unter dem Namen "Sojus" eine ganz spezielle Rolle innerhalb der Ereignisse spielt.

Ein mitreißender und kraftvoller, aktionsgeladener Krimi oder gar Thriller - aber nur für Leser, die bereit sind, tief in nicht ganz so bekannte historische Zusammenhänge einzutauchen.

Ich kannte die Reihe bisher nicht und muss sagen, dass man auch in den dritten Band ohne Vorkenntnisse ganz gut hineinkommt. Damit meine ich aber spezifische Vorkenntnisse zu dieser Reihe - ein wenig Ahnung von den Ereignissen der Weltgeschichte und speziell der Vorgeschichte des Ungarnaufstands sollte man schon haben, sonst versteht man diesbezüglich nur "Bahnhof".

So aber ist es eine eindringliche, dramatische Story, die neben dem Kriminalfall den Ungarnaufstand von 1956 beleuchtet, ein Ereignis, das wie viele andere Aufstände gegen die sowjetische Vormacht im 20. Jahrhundert bisher viel zu wenig bekannt ist als Teil der Europäischen Geschichte und auch beim Verständnis der gegenwärtigen Position Ungarns innerhalb der EU weiterhelfen kann. Der Autor Martin von Arndt kann nicht nur spannende Geschichten erzählen, sondern beleuchtet auch detailreich historische Gegebenheiten. Ein eindrucksvolles Werk, dessen Vorgänger ich mir zu Gemüte führen werde und auf dessen Nachfolger ich mich freue!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.04.2019
Hausmann, Romy

Liebes Kind


ausgezeichnet

Lena hat jahrelang mit ihrem Mann und ihren Kindern Hannah und Jonathan in einer fensterlosen Hütte im Wald gelebt - bis sie ihn umbringt und zusammen mit beiden Kinder fliehen kann. Und dann gibt es einen Unfall: Lenas Eltern, die sie seit 14 Jahren vemisst haben, kommen ins Krankenhaus und sehen, dass die Verletzte, die sich Lena nennt, gar nicht ihre Tochter ist. Doch dann kommt Hannah und ist Lena wie aus dem Gesicht geschnitten.

Was ist geschehen? Wie passen alle diese Puzzlesteine zusammen? Berichtet wird aus mehreren Perspektiven: aus der von Lena, von Hannah und Matthias, Lenas Vater.

Und bald wird deutlich, dass dies eine Geschichte ist, die uns sehr nahe geht, einfach, weil sie einerseits zwar weit hergeholt wirkt, andererseits jedoch uns alle treffen kann. Denn: das Unheil ist hier nicht abstrakt, nein, es schleicht sich mitten hinein in das Familienleben, nistet sich ein und ist latent noch immer vorhanden, auch wenn Frau und Kinder offenbar in Sicherheit sind. Wird Matthias seine Tochter wiedersehen? Werden Lena, Hannah und Jonathan jemals normal leben können? Was ist in diesem Zusammenhang überhaupt normal?

Heftig und erschütternd, dabei meisterhaft konstruiert ist der Thriller der jungen Autorin Romy Hausmann. Es geht nicht übermäßig blutig darin zu, nein, es ist ein Psychoterror der subtilen Art, der das gesamte Geschehen durchdringt und mir beim Lesen permant eine Gänsehaut bescherte. Faszinierend und absolut meisterhaft!

Bewertung vom 19.04.2019
Gortner, C. W.

Marlene und die Suche nach Liebe / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.8


ausgezeichnet

Kühle Leidenschaft: Diesen scheinbaren Widerspruch hat Marlene Dietrich gelebt, jedenfalls dem biographischen Roman C.W. Gortners zufolge. Der Autor lässt uns die Schauspielerin mit der besonderen Ausstrahlung auch als starke Frau erleben, als eine, die sich niemals die Butter vom Brot nehmen ließ, auch wenn es hart auf hart kam.

Und das kam nicht selten vor in ihrem Leben: durch den frühen Tod ihres Vaters in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, kam sie in den "Roaring Twenties" durch ein eher halbseidenes Milieu zum Film, wo sie schnell den Durchbruch schaffte.

Man könnte sagen, sie war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn sie war Berlinerin, und das bedeutete in den 1920ern, am Puls der Zeit zu leben. Jedenfalls, was die Kultur anging.

Wir lernen "die Dietrich" als Frau lernen, die sowohl Frauen als auch Männer liebte und mit ihrem Ehemann und Vater ihrer Tochter verheiratet blieb, obwohl seit Jahrzehnten getrennt lebend. Als eine tapfere Frau, die den Nazis schon früh die Stirn bot, auch wenn das nur in Teilen ihrer eigenen Familie gut ankam. Als schwierige Frau, die ihrer Zeit weit voraus war und als Frau mit einem riesengroßen Herzen. Kühl wirkte sie, doch ihre Leidenschaft blieb dennoch nicht im Verborgenen.

Ein wirklich spannender und unterhaltsamer biographischer Roman, den ich mit großem Genuss gelesen habe und gerne weiter empfehle.

Bewertung vom 15.04.2019
Deffner, Andreas

Made in Greece


gut

Griechischer Wein kommt in diesem Buch eher am Rande vor, auch wenn griechische Produkte im Zentrum stehen - statt dessen lernt der Leser Schnecken, Matratzen und (Künstler-)T-Shirts aus griechischer Herstellung kennen.

Und trifft auf ein paar griechische Originale wie bspw. den Krimiautor Petros Makaris. Darauf hatte ich mich als langjähriger Fan vor allem seines Ermittlers Kostas Charitos, seiner Frau Adriani und ihrer gemeinsamen Mahlzeiten besonders gefreut, aber abgesehen von einem durchaus attraktiven Rezept für gefüllte Tomaten Konstantinopeler Art sprang da nicht allzu viel heraus, will sagen: das meiste war mir bereits ein Begriff.

Ansonsten habe ich dann doch so einiges erfahren vor allem über Menschen und ihre Geschäftsideen in Griechenland, aber ich muss sagen: so richtig gepackt hat es mich nicht! Weil es an Atmosphäre fehlte, an einer wirklich warmherzigen und eindringlich-einfühlsamen Schilderung des gesamten Settings.

Ich fühlte mich also nicht so, als ob ich mit dem Autor des Buches, Andreas Deffner, durchs Land streichen würde, sondern quälte mich stellenweise richtig beim Lesen. Und das bei einem Buch über Griechenland, einem Land, in dem ich über ein Jahr gelebt und gearbeitet habe und das ich wirklich sehr verehre!

Ein Highlight waren einige der integrierten Rezepte, wobei mich weder Schnecken noch Lerchen (ja, tatsächlich sind die Vögel gemeint, nicht das gleichnamige Marzipangebäck aus Leipzig) und auch nicht das Wundermittel Aloe Vera hinter dem Herd. Aber endlich entdeckte ich ein tolles Rezept für Soutsoukakia, jene länglich geformten, köstlich gewürzten Hackfleischgebilde in Tomatensauce, die ich ganz gewisse nachkochen werde.

Kein schlechtes Buch, aber eben auch kein gutes - wer schon richtig, richtig viel weiß über Griechenland weiß und Unbekanntes erfahren will, für den ist das sicher was, sonst kann man aber auch getrost die Finger davon lassen.

Bewertung vom 13.04.2019
Hoffman, Jilliane

Nemesis / C.J. Townsend Bd.4


sehr gut

Lesefreudige Frauen sollten für die Lektüre dieses Thrillers starke Nerven mitbringen, denn zu ertragen, was hier im Verlauf der Handlung ihren Geschlechtsgenossinnen zustößt, ist fast unerträglich! Durch eine Partnerschaftsplattform im Internet angelockt von einem galanten Adonis, verwandelt dieser sich beim trauten Tete á Tete in eine Bestie, der die Frau zunächst stundenlang mißbraucht, dabei foltert und dann umbringt. Und das alles vor den Augen gut zahlender Zuschauer, die das genüsslich kommentieren und die DVD - zum wiederholten Betrachten zu Hause danach mit auf den Weg bekommen. Wie auf einem Familienfest! Ja, es ist wirklich unglaublich, was hier vor sich geht.

Doch Staatsanwältin CJ Townsend ist in ihrem mittlerweile vierten Fall den Männern auf der Spur - zumindest einigen. Sie ist nämlich nicht nur als Ermittlerin in diese Verbrechen involviert. Wird sie alle bekannten Fälle - dreizehn an der Zahl - auflösen können?

Zumindest kann so viel verraten werden, dass einige der Hinterbliebenen eine bittere Genugtuung erfahren - und andere das genaue Gegenteil.

Jiliane Hoffmann schreibt so eindringlich wie möglich, so brutal wie nötig. Allerdings sei nochmal gesagt, dass hier Notwendigkeit zur genauen Erläuterung von Gewaltausübung ausgesprochen hoch ist, es geht also nicht gerade sachte zu. Die Autorin begibt sich in die dunkelsten Gefilde menschlicher bzw. männlicher Begierden, wenn man das so nennen kann.

Auf der anderen Seite jedoch gibt sie durch diesen Thriller Frauen ihre Würde zurück - auf eine durchaus ungewöhnliche Art und Weise. Dadurch wird dieses Buch zu etwas ganz Besonderem, finde ich.

Ich kannte die Cupido-Reihe bisher nicht, hatte aber überhaupt kein Problem, beim vierten und letzten Band einzusteigen. Der Leser wird genau dort abgeholt, wo er jeweils steht. Lesenswert für Frauen und für diejenigen, denen die Geschicke der Frauen am Herzen liegen. Aber nur dann, wenn sie wirklich hart im Nehmen sind!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.