Benutzer
Benutzername: 
Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 1172 Bewertungen
Bewertung vom 30.11.2025
Sakulowski, Rolf

Die Atompriester


ausgezeichnet

Der junge Elias trifft in einem Berliner Café eine jungen Frau, die ihn fasziniert. Man kommt ins Gespräch und weil Elias ohnehin über einen Job- und Ortswechsel nachdenkt, nimmt er ihr Angebot an, für eine NGO, die sich zur Aufgabe gemacht hat, nachfolgende Generationen vor dem heutigen Atommüll zu warnen. Noch weiß Elias nicht, dass er in die Fänge einer sektenähnlichen Gemeinschaft gerät, die ihr eigenes Süppchen kocht.

Er folgt der Frau in ein Kloster in den Pyrenäen, wird zum Atompriester geweiht und widmet sich in der Bibliothek der ihm übertragenen Aufgaben. Als er eines Nachts eine Entdeckung macht, beginnt er an der Redlichkeit des Ordens zu zweifeln. Er beginnt eigene Nachforschungen und kommt einem gefährlichen Geheimnis auf die Spur.

Meine Meinung:

Das Thema Atomkraft und Endlagerstätten für Atommüll bietet ein breites Feld an Verschwörungstheorien, weil sich weder Staaten noch Betreiber von Kernkraftwerken in die Karten schauen lassen. Die ungeklärte Frage, wie und wo Atommüll gelagert werden soll bzw. kann, wird die Menschheit noch länger beschäftigen. Fässer mit radioaktiven Material einfach in die Meere zu kippen, wie in der Vergangenheit leider oft üblich, ist, wie man weiß, nicht der Weisheit letzter Schluss.

Autor Rolf Sakulowski hat hier einen fesselnden geschrieben, in dem sich langsame Stellen und rasante abwechseln. Hauptcharakter Elias ist sympathisch und glaubhaft beschrieben. Manchmal wirkt er in seinem Glauben an seine „Mission“ ein wenig naiv.

Üblicherweise bin ich ja kein großer Fan von Verschwörungstheorien, aber bei den Machenschaften der Atom-Lobby, wo es um sehr viel Geld und Macht geht, bin ich schon versucht, das Schlechteste anzunehmen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Thriller, der mit einem für mich nicht unerwarteten Ende aufwartet, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 30.11.2025
Archan, Isabella

Die MörderMitzi und der eiskalte Tod


sehr gut

Die Berghütte, die bei strahlendem Sonnenschein und glitzerndem Schnee das Cover ziert, ist für die Protagonisten hier nur ein Wunschtraum ...

Worum geht’s?

Maria Konstanze Schlager, besser bekannt unter jenem Spitznamen, den man ihr, der Überlebenden einer Brandkatastrophe, schon in der Schule übergestülpt hat, nämlich Mörder-Mitzi, gönnt sich ein achttägige Auszeit unter der Anleitung ihres ehemaligen Therapeuten Dr. Rannacher. Die bunt zusammengewürfelte Schar trifft auf der tief verschneiten Tannenzapfen-Hütte, die auf rund 1700 Meter Seehöhe liegt, mit einem grandiosen Ausblick auf den Dachstein, aber ohne Strom oder ähnlichen Annehmlichkeiten der Zivilisation, ein.

Es kommt, wie es kommen muss, Mitzi stolpert über eine Leiche. Ein Mann steckt in einem Schneemann. Rannacher kommt zu dem Schluss, den anderen Teilnehmern nichts von diesem makabren Fund zu erzählen. Wenig später gibt es im Mädelszimmer eine (weitere) Tote. Nanne, die nervige Influencerin, liegt tot im Stockbett.

Ein Sturm und ein Defekt im Notfallhandy verhindern die Kontaktaufnahme mit der Außenwelt. Die Mitglieder der Gruppe sind einander ohnehin nicht grün, weshalb sie sich gegenseitig belauern: Wer ist der Täter oder die Täterin? Und wer wird das nächste Opfer sein?

Meine Meinung:

Mitzi kann es natürlich nicht lassen, sich Gedanken über Motiv, Tat und Täter zu machen und Fragen zu stellen. Das kommt naturgemäß nicht sehr gut an. Aber, was soll man sonst auf einer eingeschneiten Hütte machen?

Da die Mitzi diesmal ohne ihre beste Freundin und Polizistin Agnes unterwegs ist, hält sie gedanklich Zwiesprache mit ihr. Sie stellt Thesen auf, an denen wir Leser teilhaben und unsere eigenen Überlegungen anstellen dürfen. Ich habe recht schnell eine mögliche Spur zur Auflösung gefunden, die sich letztlich bestätigt hat. Doch bis es soweit ist, schickt uns Autorin Isabella Archen noch ein bisschen in die Irre.

Der bekannt humorvolle Schreibstil der Autorin sorgt auch diesmal für ein Schmunzeln. Für diejenigen, die mit dem österreichischen Idiom nicht so ganz auf Du stehen, gibt es im Anhang ein Glossar.

Traurig ist die Vorgeschichte, wie Mitzi zu ihrem Spitznamen gekommen ist.


Fazit:

Gerne gebe ich diesem 6. Band der Reihe, der als Locked-Room-Krimi angelegt ist, 4 Sterne.

Bewertung vom 30.11.2025
Weiß, Sabine

Die Chemie des Verbrechens - Die Fährte (eBook, ePUB)


sehr gut

Dieser Krimi ist Auftakt zu einer neuen Reihe, rund um die DNA-Forensikerin Dr. May Barven, die zunächst beim LKA als Expertin für DNA-Analysen gearbeitet hat und sich nun, nach einem Jura-Studium, als Strafverteidigerin selbstständig gemacht hat. Doch ohne Aufsehen erregenden Fall ist May Barven zwischen Haushalt, Kindererziehung und ihrem Mann sowie der winzigen Kanzlei im Homeoffice hin und her gerissen. Schon denkt sie daran, ihre Kanzlei wieder zu schließen, als sie von einem DNA-Treffer in einer Ahenforschungsdatenbank hört, der zu einem 18 Jahre alten Cold Case führt. Ist der Mörder der brutal erstochenen Ute endlich entlarvt?

Während ausgerechnet Ruben Rickleff, der Eigentümer dieser Datenbank als mutmaßlicher Täter verdächtigt wird, weiß May Barven, dass eine Anklage, die ausschließlich auf einer DNA-Analyse beruht, juristisch nicht haltbar ist. Trotzdem wird Ruben in Untersuchungshaft genommen. Gemeinsam mit Tarek, einem Privatdetektiv und Freund Rubens versucht May Barven, die Unschuld der Verdächtigen zu beweisen.

Schritt für Schritt zerpflückt May die Aussagekraft der DNA-Analyse, die von einem Schal Utes stammt, der 18 Jahre lang auf dem Dachboden ihrer Eltern nicht sehr sachgemäß aufbewahrt worden ist. Wird es gelingen, die Unschuld von Ruben Rickleff zu beweisen?

Meine Meinung:

Ich kenne Sabine Weiss‘ Bücher schon seit vielen Jahren, sei es die historischen Romane oder sei es ihre Krimis um Liv Lammers, daher musste ich diesen Reihenauftakt unbedingt lesen.

Ich finde die Perspektive der Verteidigung sehr interessant. Üblicherweise endet ja ein Krimi mit der Festnahme des Täters, was danach bis zu einer Verurteilung oder einem Freispruch passiert, erfahren die Leser nur, wenn sie sich mit Justiz-Krimis beschäftigen.

Dass uns Sabine Weiss am Geschehen der Vergangenheit teilhaben lässt, aber nicht alle Karten aufdeckt. macht den Krimi besonders spannend. Allerdings wirkt, für mich persönlich, so manche Information aus der Gegenwartshandlung zu detailverliebt. Besonders dem Familienleben Mays wird sehr viel Raum geschenkt. Dass ihr kleiner Sohn mit einem Mädchen aus dem Kindergarten Knatsch hat, bringt die Handlung nicht wirklich weiter. Mir ist schon klar, dass hier die Mehrfachbelastung der engagierten Juristin gezeigt werden soll. Und im ersten Band einer Reihe müssen die Charaktere, die bleiben, ein wenig ausführlicher beschrieben werden. Ich denke Tarek wird auch weiter eine Rolle spielen, nach dem er sich mit May zusammengerauft hat. Und wer weiß, vielleicht holt sich Ruben Mays Expertise für sein DNA-Labor.

Sabine Weiss beherrscht ihr Handwerk! Zum Beispiel hat mich das eigenartige Verhalten von Rubens Vater Ferdinand auf den Holzweg geführt, allerdings hat er auch Dreck am Stecken.

Geschickt flicht die Autorin ihr Wissen über die DNA-Analysen in die Handlung ein. So erfahren wir Leser doch einiges Neues. Auch mit den Grenzen der DNA als Beweise werden angesprochen. Schmunzeln musste ich über die Vergleich mit den diversen CSI-Staffeln.

Fazit:

Ein gelungener Auftakt einer neuen Krimi-Reihe, dem ich gerne 4 Sterne gebe.

Bewertung vom 30.11.2025
Dunlap, A. Rae

Wer die Toten stört (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

James Willoughby, ein junger verarmter Adeliger, will sich seinen Traum, Arzt zu werden, erfüllen und stürzt sich im Jahr 1828 im schottischen Edinburgh voller Begeisterung, aber mit einer entsetzlichen Naivität, in das Studium.

Eiegtnlich hat er wenig Vorstellung, was ihn erwartet. Zum einem wird theoretischer Unterricht geboten und zum anderen müssen praktische Kenntnisse an echten Leichen in privaten Anatomieschulen erworben werden. Doch die kosten extra Geld. Geld, das James nicht hat. Ein Studienkollege bietet einen Ausweg und wenig später gerät James in die Untiefen des Leichenhandels. Zunächst werden nur vor kurzem Bestattete aus den Friedhöfen der Stadt entwendet.

Als die Nachfrage nach frischen Leichen das Angebot übersteigt und eine neue Gruppe von Leichenräubern mitmischt, die auch nicht davor zurückschreckt, Menschen zu ermorden, wird es für James gefährlich.

Meine Meinung:

Hintergrund dieses historischen Krimis ist die Tatsache, dass es für die anatomischen Studien zu wenig Leichen gegeben hat. Damals durften nur die Körper hingerichteter Verbrecher für Sektionen verwendet werden. Man behilft sich unter stillschweigender Duldung der Anatomen damit, die Körper frisch bestatteter Menschen zu stehlen. Leichenraub wird damals lediglich als Vergehen bewertet.

Die Autorin hat rund um die wahre Geschichte der Leichenräuber William Burke und William Hare, die in den Jahren 1827 und 1828 insgesamt 16 Morde begangen haben, um die frischen Leichen an den Anatomen Robert Knox zu verkaufen. Die im Krimi beschriebene Mary Patterson sowie Darf Jamie sind ebenfalls reale Opfer von Burke und Hare.

Dieser Krimi ist recht authentisch beschrieben, zeigt er doch die Lebenswirklichkeiten der damaligen Gesellschaft auf. So erwartet die Familie von James, dem jüngsten Sohn, dass er die Schulden, die der verstorbene Vater hinterlassen hat, dadurch begleicht, dass er eine Stelle als Kaufmann antritt. Die anderen Familienmitglieder wie Bruder und Schwester frönen ihrem üblichen Lebensstil. James will aber unbedingt Arzt werden. Allerdings geht er die Sache mit einer Naivität an, die schon wirklich peinlich und schier unglaublich wirkt. Doch im Laufe der Geschichte entwickelt er sich von einem schüchternen Außenseiter zu einem tatkräftigen jungen Mann.

Geschickt verknüpft die Autorin die historischen Fakten mit Fiktion. Dabei gelingt es ihr, die Lebensumstände der unterschiedlichen Protagonisten sehr gut darzustellen. Selbst der trockene britische Humor findet seinen Platz.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Krimi, der uns in das Medizinstudium im 19. Jahrhundert entführt, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 30.11.2025
Raulff, Ulrich

Wie es euch gefällt (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Titel dieses Sachbuchs, das sich mit Konsum und Geschmack beschäftigt, stammt, wie die geneigte Leserschaft unschwer erkennen kann, aus William Shakespeares Bühnenstück „Wie es euch gefällt“.

Auf 480 Seiten versucht uns Ulrich Raulff zu erklären, was guter Geschmack eigentlich sein könnte. Leider formuliert er die Methoden, einen solchen zu erkennen, erst auf S. 378

"Wer eine Geschichte des Geschmacks schreiben will, muss sich entscheiden. Zwei Wege tun sich vor ihm auf".

Hier musste ich schmunzeln, denn trotz dieser These, entweder ästhetische Theorien, oder materielle Quellen: Bildbänden, Interior Designs, Kochbüchern, Kostümgeschichten u.ä. zu benutzen, entschließt er sich selbst für ein sowohl als auch. Mir gefällt die Mischung, die man als „Bestes aus zwei Welten“ sehen kann, durchaus.

In den drei großen Kapiteln

Making Taste
Kaufhaus des Westens
Durchsichtige Dinge

sammelt er Beispiele und Argumente für seine Thesen.

Eine zentrale Rolle bei seinen Betrachtungen spielt der Film „Frühstück bei Tiffany“ aus dem Jahr 1961 mit Audrey Hepburn als Holly Golightly.

Meine Meinung:

Autor Ulrich Raulff glänzt in diesem Buch mit weitgespannten Detailwissen, das seine Leserschaft an manchen Stellen beinahe erschlägt. Der Schreibstil ist elegant und wird durch einige geistreiche Bonmots ergänzt. Nicht immer ist das Buch leicht zu lesen. Manche Gedanken muss man ein wenig sacken lassen und gegebenenfalls anderswo nachlesen.

Zahlreiche Fotos untermauern Ulrich Raulffs Hypothesen

Fazit:

Nach der Lektüre dieses interessanten Sachbuch ist eines gewiss: Über Geschmack lässt sich weiterhin trefflich streiten. Von mir gibt es 4 Sterne.

Bewertung vom 21.11.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Die Gefahr ist sicherer als die Sicherheit!“

Zu Autor Florian Illies habe ich, ebenso wie zur Familie Mann ein zwiespältiges Verhältnis. Der Besuch der Buch Wien, bei der ich Florian Illies bei einem Interview zu seinem neusten Buch erleben durfte, hat mich dazu bewogen, mich sowohl mit ihm selbst, als auch mit der Familie Mann nochmals zu beschäftigen.

Florian Illies lässt in diesem, seinem neusten Buch die Monate Februar bis September 1933, die für die Familie Mann (und Tausende andere) weitreichende Folgen haben wird, Revue passieren. Er lässt uns einen Anteil haben am Leben der Familie Mann, das in diesen Monaten zu einem Leben in absoluter Fassungs- und Hilflosigkeit erstarrt. Dabei verabsäumt er nicht, darzustellen, wie sich - vor allem Thomas Mann - in einer Blase von Egozentrik und Selbstgefälligkeit befindet, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Wie ein Herrscher gebietet er seinen Kindern Erika und Golo, Manuskripte, Briefe, Geld sowie zahlreiche Wertgegenstände aus der Münchener Villa nach Sanary-sur-Mer, wo sie aktuell leben, zu schaffen. Beide bemühen sich, stets auch in Gefahr zu sein von der Gestapo verhaftet zu werden, doch der Dank oder wenigstens eine Anerkennung ihrer Leistungen seitens des Vaters bleibt aus.

Obwohl die Familie Mann ihr Schicksal mit Dutzenden anderer Literaten wie Eva Herrmann, Aldous Huxley, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig usw. teilt, scheint Thomas Mann vor allem persönlich beleidigt zu sein. Er, der Literaturnobelpreisträger von 1929 wird einfach ausgebürgert und mit Verhaftung bedroht! Manns Empörung ist deutlich spürbar, gleichzeitig verschließt er, im Gegensatz zu seinem Bruder Heinrich seine Augen vor den politischen Umwälzungen in Deutschland. Dies führt letztendlich zu einem Konflikt zwischen Thomas Mann und seinem Sohn Klaus, für dessen Empfinden Thomas nicht eindeutig genug Stellung gegen das NS-Reich bezieht.

Geschickt zeigt uns Autor Florian Illies wie die Mitglieder der Familie Mann mit dem Gefühl der Entwurzelung umgeht. Dazu zitiert er aus zahlreichen Briefen und Tagebüchern, anhand derer er die Charaktere der Familienmitglieder beschreibt. Das schließt unter anderem die Drogensucht von Klaus mit ein. Ehrlich gesagt ist mir nach wie vor kein Familienmitglied so richtig sympathisch, am ehesten Katja Mann, geborene Pringsheim, die im Hintergrund die Fäden in der Hand hält.

Das Buch ist keine durchgehende Biografie der Familie Mann. Eine solche würde wohl den Rahmen sprengen. Das Buch ist eine mehrmonatige Momentaufnahme, die manchmal kühl beobachtend und durchaus ironisch ist. Immer wieder sorgen Aussprüche von Thomas Mann bei mir für Kopfschütteln, wenn er sich beinahe weinerlich um seinem zurückgelassenen Besitz sorgt und die verlorene Bequemlichkeit beklagt. Schmunzeln musste ich bei der Vorstellung, Thomas und Heinrich Mann gehen hanseatisch, sommerlich gekleidet am Stand von Sanary spazieren - weißer Dreiteiler bei 30 Grad im Schatten.

Sehr gut gefällt mir der Abschnitt „danach“, in dem die weiteren Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder gut und prägnant zusammengefasst sind. So wird Thomas Mann später in Zürich alle seine Bücherkisten und (fast) all seine geliebten Dinge wiederfinden. Nur seine Heimat, die hat er verloren.

„Wir sind eine erlauchte Versammlung - aber einen Knacks hat jeder.“ schreibt Thomas Mann in seinem Tagebuch.

Dem ist wohl wenig hinzuzufügen.

Fazit:

Ich bin nach wie vor kein großer Fan der Familie Mann, doch diese unterhaltsame Lektüre hat sie mir ein wenig zugänglicher gemacht. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 16.11.2025

Bewegte Zeiten. 1945-2015


sehr gut

In diesem Buch, das von Danielle Spera, der früheren ORF-Journalistin und ehemaligen Direktorin des Jüdischen Museums in Wien, im Amalthea-Verlag herausgegeben worden ist, kommen zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort. Darunter finden sich namhafte Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstler sowie Politikerinnen und Politiker. Sie alle lassen persönliche Eindrücke und/oder Erlebnisse der Jahrzehnte zwischen 1945 und 2025 Revue passieren, um die prägenden Phasen der österreichischen Nachkriegsgeschichte mit gebotenen Abstand neu zu betrachten.
Auffällig ist, dass vorrangig die Geschichte Niederösterreichs und damit zusammenhängend jene von Wien präsentiert wird. Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von Niederösterreich hat für dieses Buch das Vorwort geschrieben. Ja natürlich ist die Besatzung von Niederösterreich durch sowjetische Truppen sowie die Demontage der meisten Maschinen und Fabriksausrüstungen als Reparationszahlung für die weitere Verarmung der ohnehin schon wenig begüterten Bevölkerung verantwortlich. Doch stehen auch die anderen Bundesländer ebenso unter Fremdverwaltung, Wien gleich vierfach. Da wäre doch ein Blick in die anderen Bundesländer opportun gewesen. Aber wer weiß, vielleicht ist das in einem anderen Buch ja ohnehin angedacht.
Allen damaligen Unkenrufen zum Trotz, ist es erstaunlich, wie sich der Osten von Österreich über die Jahrzehnte zum Positiven hin entwickelt hat, auch wenn es da und dort ein wenig im Gebälk geknirscht hat. Eine weitere Zäsur ist der Fall des Eisernen Vorhangs, der vor allem den Grenzgebieten durchaus Vorteile gebracht hat, auch wenn das nicht immer (auch von der Politik) so gesehen wird.
Hier darf ich Erwin Pröll, den früheren Landeshauptmann von Niederösterreich zitieren:
„Die Menschen sind klüger, als die Politiker annehmen.“
Der Beitritt zu Europäischen Union ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte (Nieder)Österreichs. Nicht jede Vorgabe aus Brüssel oder Straßburg ist per se abzulehnen. Manches, das als bürokratische EU-Monster verteufelt wird, ist durchaus hausgemacht.
Zum Abschluss kommen junge Menschen zu Wort, die zuversichtlich in die Zukunft schauen. Davon bräuchten wir mehr.
Meine Meinung:
Wer, sich so wie ich, ständig mit der Geschichte Österreichs beschäftigt wird durch dieses Buch nicht allzu viel Neues erfahren. Doch auch Altbekanntes aus dem Mund von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu lesen, kann durchaus interessant sein. Das Buch eignet sich sehr gut als Geschenk. Auch für jene Personen, die sich „nur“ einen schnellen Überblick über die letzten 80 Jahre verschaffen wollen. Vielleicht wird ja dadurch das Interesse geweckt, tiefer in die Geschichte einzusteigen.
Zahlreiche Fotos ergänzen die Texte und Interviews, die Herausgeberin Danielle Spera geführt hat.
Fazit:
Diesem Buch, das 80 Jahre der Geschichte (Nieder)Österreichs im oft sehr persönlichen Schnelldurchlauf darstellt, gebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 16.11.2025
Céspedes, Alba de

Was vor uns liegt (eBook, ePUB)


sehr gut

Auf dieses Buch, das kurz nach seiner Erstveröffentlichung verboten worden ist, lange ungelesen, nun neu übersetzt und neu aufgelegt worden ist, war ich ziemlich neugierig.

Alba de Céspedes (1911-1997) beschreibt darin das Leben acht junger Frauen, die 1934 im faschistischen Italien studieren.

Anna, Silvia, Emanuela, Milly, Xenia, Augusta, Vantina und Vinca - sie wohnen in Rom, im Grimaldi-Konvikt, das nach wie vor von Nonnen geführt wird, spartanische Ausstattung, zahlreiche Ge- und Verbote sowie das tägliche Licht-aus um 22 Uhr. Zunächst sind sie einander fremd, entdecken Gemeinsamkeiten und werden so etwas wie Freundinnen.

Die jungen Frauen sehnen sich nach einem Leben voller Selbstbestimmung und Freiheit, abseits der familiären Strukturen, was zu jener Zeit kaum erreichbar scheint. Trotz ähnlicher Wünsche und Träume verbirgt die eine oder andere ein streng gehütetes Geheimnis. .

Hat das Leben nach dem Studium mehr zu bieten als die drei K (Kirche, Kinder, Küche)? Oder müssen sich die Frauen den gesellschaftlichen Konventionen wieder unterordnen? Aus den Gesprächen, die sie führen geht schon hervor, dass die eine oder andere fürchtet, dass die lieb gewonnene Freiheit wieder beschnitten wird:

„Wer könnte vergessen, schon einmal selbst über sich bestimmt zu haben?“ (S. 93)

Obwohl außerhalb der Konviktmauern der Faschismus tobt, wirken die Studentinnen auf mich davon seltsam unberührt. Okay, Vinca und Luis sprechen über die drohende Gefahr eines Bürgerkriegs in Spanien.

Nach und nach werden Geheimnisse gelüftet und die eine oder andere verlässt das Konvikt, nicht immer ganz freiwillig, so wie Emanuela, die an das Institut als eine eigene kleine Welt mit eigenen Gesetzen und Tribunalen zurückdenkt.

Einige Passsagen wirken ziemlich modern und auch ein wenig distanziert, was auch an der neuen Übersetzung durch Esther Hansen liegen könnte.

Schmunzeln musste ich, wenn die jungen Frauen den Nonnen frech entgegentreten.

Der Titel ist gut gewählt, denn 1934 weiß noch niemand, was die Zukunft bereit hält und welche Träume zerplatzen.

Nicht ganz klar ist für mich, wie viel Persönliches in diesen Roman eingeflossen ist. Die Autorin hat mit 15 (!) Jahren
einen italienischen Adeligen geheiratet. Der gemeinsame Sohn kommt zwei Jahre später zur Welt. Später wird sie als Widerstandskämpferin zwei Mal verhaftet werden.

Fazit:

Ein interessanter Roman, dem ich gerne 4 Sterne gebe.

Bewertung vom 11.11.2025
Marschall, Anja

Der Tote an der Alster


ausgezeichnet

Schwarze Schatten der Vergangenheit - dunkle Wolken für die Zukunft
In seinem 6. Fall wird Kommissar Hauke Sötje von seiner Vergangenheit als Kapitän eines Schiffes, das durch Sabotage versenkt worden ist, eingeholt, seine Familie wird entführt und er soll, - quasi als Sühne - einen Mord begehen. Erst dann würde seine Familie frei gelassen werden. Doch stimmt das? Und was soll das bringen, wenn er, Sötje, dann als Mörder gejagt und hingerichtet würde? Oder soll die Jagd nach Hauke Sötje von einer größeren Verschwörung ablenken?

Doch von Beginn an: In der Suite des Grandhotel „Vier Jahreszeiten“ liegt ein Toter. Die Ermittlungen sind angesichts des bekannten Hotels heikel, weshalb Hotelbesitzer Haerlin und die Polizei den Fall so schnell wie unauffällig abschließen wollen und einen Raubmord annehmen. Doch Sötje erkennt in dem, als Strumpffabrikanten Oppenheimer im Meldebuch eingetragenen Mann, seinen ärgsten Widersacher: den kaiserlichen Spion Graf von Lahn.

Obwohl er vom Fall abgezogen wird, ermittelt er auf eigene Faust weiter und weiß noch nicht, dass er es mit einem schier übermächtigen Gegner zu tun hat.

Im Stadthaus, dem Sitz der Kriminalpolizei, hat Hauke Sötje zahlreiche Gegner, weil er durch seine unorthodoxen Ermittlungen zwar eine hohe Aufklärungsrate hat, es aber doch immer wieder an Teamgeist mangeln lässt. Immer mehr Kollegen wenden sich von ihm ab, allen voran Kommissar Kleiner. Nur Kriminalrat Roscher und ein, zwei Mitarbeiter sind auf seiner Seite. Die anderen würde ihn lieber heute als morgen aus der Kriminalpolizei entfernen. Als dann noch sein Geheimnis rund um den Schiffsuntergang und dessen Folgen im Stadthaus publik wird, gerät auch Roscher unter Zugzwang.

Meine Meinung:

Puh, was für eine Geschichte!

Anja Marschall ist es wieder gelungen, mich völlig in das Jahr 1907 eintauchen zu lassen. Plötzlich war die letzte Seite da! Was für ein gemeiner Cliffhanger! Das kann doch nicht das Ende von Hauke Sötje sein?

Es ist immer wieder spannend zu lesen, wie damals ermittelt worden ist. Gerade einmal die Daktyloskopie sowie eine Zettelkartei mit Fotos von Verhafteten stehen als technische Hilfsmittel zur Verfügung. Geständnisse, die zur Strafverfolgung bei Gericht nötig sind, werden durch Schläge und Drohungen den mutmaßlichen Verbrechern abgepresst.

Wie immer, sind den einzelnen Kapiteln Ausschnitte aus den örtlichen Tageszeitungen vorangestellt.

Ich hoffe, bald einen weiteren Band mit Hauke Sötje lesen zu können. Denn so ein offenes Ende, lässt mein Kopfkino Hochschaubahn fahren.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Krimi 5 Sterne und warte mit Ungeduld auf den nächsten.

Bewertung vom 10.11.2025
Reinhardt, Angela Marina

Die Welt in Meran - Walzerblut (eBook, ePUB)


sehr gut

Dieser historische Roman, der im Jahr 1872 im Luftkurort Meran spielt, ist der der erste Band einer Reihe von Angela Marina Reinhardt. Meran ist nicht ganz so mondän wie Davos, dennoch geben sich reich und schön, und vor allem Adelige aus aller Welt hier ein Stell-dich-ein.

Zahlreiche Kurgäste werden von ihren heiratsfähigen Töchtern begleitet, um für sie eine vorteilhafte Ehe zu arrangieren, weshalb man mit großem Gepäck reist, um bestens gekleidet an den diversen Tanzveranstaltungen teilzunehmen. Sollte das eine oder andere Kleidungsstück doch nicht genügen, so kann man sich innerhalb weniger Wochen eines in den örtlichen Werkstätten eines anfertigen lassen. Womit der Bogen zu den elenden Arbeits- und Lebensbedingungen der örtlichen Bevölkerung gespannt ist, die in den Seiden- und Baumwollspinnereien ihr Dasein fristen müssen. Deren Tuberkulose wird nicht mit Trinkkuren und Spaziergängen behandelt.

Die wenigsten Kurgäste interessieren sich für die jungen Mädchen und Frauen im Gastgewerbe, in den Fabriken oder deren Lebensumstände. Eine Ausnahme ist unkonventionelle Helen, eine englisch-deutsche Adelige, die, wenn es nach der Mutter geht, hier in Meran einen Ehemann finden soll. Sie stolpert unversehens in das kurze Leben der jungen Anna, die im Hotel als Dienstmädchen schuftet und ein streng gehütete Geheimnis hütet. Damit ist Anna nicht die einzige. Auch der leicht aufbrausende Korse Jean de Benedetti, der auf Grund einer Kriegsverletzung mophinsüchtig ist und versucht, die Droge vom neuen Kurarzt aus Wien, dem Witwer Simon Hirsch, zu erhalten, ist bemüht seine Vergangenheit verbergen. Und dann haben wir noch den Erbgrafen Maximilian von Montalban um dessen Vermögen es doch nicht ganz so gut bestellt zu sein scheint, weshalb er selbst eine finanzkräftige Braut sucht.

Meine Meinung:

Die Autorin Angela Marina Reinhardt war mir bislang unbekannt.
Dieser historische Roman, der sehr gut recherchiert ist, hat mich nicht enttäuscht. Der Schreibstil ist flüssig, die Charaktere sind gut gezeichnet. Manchmal wird das eine oder andere Klischee bemüht. So wird der Korse als feurig, aufbrausend beschrieben und Helen als spleenig, wie man sich damals (?) Engländer eben vorstellt. Trotzdem wirken diese Zuschreibungen stimmig.

Auch die Beschreibung des Elends der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Spinnereien sind ziemlich authentisch. Gut gefallen hat mir der Exkurs in die Seidenmanufaktur. Kaum jemand kann sich (bis heute) vorstellen, wie viel Arbeit in der Produktion der Seidenfäden für die wertvollen Stoffe steckt. Das milde Klima in Meran begünstigt die Zucht des Maulbeerspinners vulgo Seidenraupe, der sich ausschließlich von den Blätter des Maulbeerbaumes (Morus Alba) ernährt.

Und natürlich dürfen die Stadt an der Passer sowie das (damalige) Lokalkolorit nicht fehlen. Damit sich die Leserinnen und Leser in der Stadt zurecht finden, ist ein Stadtplan von Meran abgedruckt.

Um in dieser illustren Gesellschaft den Überblick zu bewahren, gibt es im Anhang ein Personenverzeichnis.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Reihenauftakt, der auf eine Fortsetzung neugierig macht, 4 Sterne.