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Alexandros
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Erde

Bewertungen

Insgesamt 26 Bewertungen
Bewertung vom 21.04.2024
Mutternichts
Vescoli, Christine

Mutternichts


ausgezeichnet

Ein Buch wie eine Melodie

Dieses kleine Buch ist eine sprachliche Offenbarung. Jedem einzelnen Wort merkt man an, dass es nicht zufällig gesetzt ist. Eine melancholische Sprachmelodie zieht sich durch alle Zeilen, Absätze, Seiten bis zum letzten Punkt.

Worum geht es? Im Grunde um nichts. Um das im Titel genannte "Mutternichts". Das Unausgesprochene, Ungesagte der toten Mutter der Autorin Christine Vescoli, an der sie sich nun abarbeitet, zu ergründen versucht, worin wohl die Seele, das Leiden im Leben der Mutter bestand.

Zum Ende ihres Lebens gab es immer mehr dieser schweigenden Momente, nach denen die Mutter dann doch einen Satz oder nur ein Versatzstück sagte, das die Tochter aufhorchen ließ. Ließ sie etwas durchblicken? Wollte sie doch endlich etwas sagen von dem, was ihr auf der Brust drückte? Wollte sie, dass die Tochter endlich einmal fragte? Wie war das damals für dich, als du weggeschickt wurdest? Weshalb hast du laut Gedichte rezitiert, wenn du allein warst? Was hat dir die Arbeit als Kind, als Dirn am fremden Hof bedeutet? Weg von der eigenen Familie zu sein? Scheinbar nicht gewollt zu sein?

Doch im Leben haben Mutter und Tochter nie so gesprochen. Nun ist es zu spät, und Christine Vescoli versucht mit diesem Buch - ja, was eigentlich? Für mich beschreibt sie ihre Mutter mit ganz viel zärtlicher Liebe, fragt sie, versucht selbst zu antworten und setzt ihr somit nicht unbedingt ein Denkmal, entreißt sie jedoch den Klauen des Vergessens. Und das ist wohl das schönste Geschenk, das sie ihr machen kann.

Fazit: Am außen schmucklosen Buch könnte man leicht vorbeigehen. Doch im Inneren entfaltet sich eine sprachliche Wucht, die von viel Liebe zeugt. Ein wunderbares Buch.

Bewertung vom 02.04.2024
Die Spiele
Schmidt, Stephan

Die Spiele


gut

Zu viele Sprünge; kaum Spannung

Für die Lektüre dieses Buches habe ich etwas länger benötigt als gewöhnlich, und sogar während des Lesens habe ich nicht so ganz verstanden warum. Am Schreibstil lag es jedenfalls nicht. Der liest sich flüssig, ist zuweilen humorvoll, aber auch politisch interessant und kenntnisreich, also durchaus anspruchsvoll. Das mag ich allerdings. Auch kein Problem hatte ich mit den leicht launenhaften Beschreibungen der deutschen Politiker im Regierungsflieger nach China. Wenn Frau Merkel immer nur als "Kanzlerin" bezeichnet wird, der Regierungssprecher Seibert jedoch seinen Namen hat, kann man das als inkonsequent bezeichnen. Sollte Herr Seehofer das Buch lesen, würde ich mich darüber hinaus nicht wundern, wenn er sich abschätzig darüber äußert oder den Autor Stephan Schmidt sogar vor Gericht zerrt. Nein, das Geschriebene selbst, diese Episoden im großen Ganzen haben mich gut unterhalten.

Was mich störte waren zwei Dinge, die bei einem Buch von etwa 400 Seiten jedoch nicht unerheblich sind: Zum einen gibt es einfach zu viele Sprünge, sowohl zeitlich als auch örtlich. Da muss man sich schon einiges merken, um die kleinen Hinweise, die fünfzig Seiten später weitergesponnen werden, richtig verknüpfen zu können. Zum anderen geht es äußerst schleppend voran. Im Grunde begrenzt sich die erzählte Zeit auf wenige Tage, knapp drei vor dem Mord bis knapp drei nach dem Mord. Der Protagonist Thomas Gärtner (ist er überhaupt der Protagonist oder ist es nicht doch Sascha Daniels oder Lena Hechfellner oder ein ganz anderer?) taucht am Anfang hauptsächlich auf, danach verliert sich seine Spur weitgehend. So wie sich die Spannung im Verlauf der Lektüre weitestgehend auflöst. Irgendwann will man einfach nur am Ende ankommen und wissen, wer nun der Mörder war - obwohl zumindest ich das schon recht früh wusste.

Fazit: Bei guten Krimis finde ich es schade, wenn das Buch zu Ende ist; bei "Das Spiel" war ich froh, als es vorbei war. Gut geschrieben, aber leider kein wirkungsvoller Spannungsbogen.

Bewertung vom 25.02.2024
Nachbarn
Oliver, Diane

Nachbarn


sehr gut

Streiflichter auf schwarze Biografien in den 1960er Jahren

Die Sammlung von fünfzehn Erzählungen von Diane Oliver mit einem Nachwort von Tayari Jones, ins Deutsche übertragen von Brigitte Jakoleit und Volker Oldenburg habe ich mit viel Vorfreude zur Hand genommen und gelesen. Und bin danach zwar durchaus angetan, doch nicht wirklich begeistert. Viel an meinem Urteil liegt an den überbordenden Vorschusslorbeeren sowie an der Biographie bzw. dem Schicksal der Autorin, die bereits mit 22 Jahren bei einem Motorradunfall starb. Ebenso am selbstkasteienden Nachwort von Jones, die sich selbst dafür herabwürdigt, vor der Beschäftigung mit den Geschichten in "Nachbarn" nie etwas von Diane Oliver gehört oder gelesen zu haben. Still mochte ich ihr zugerufen haben: Man kann schließlich nicht jeden kennen. Auch nicht, wenn man Literatur studiert hat. Das kann ich aus Erfahrung sagen.

Die Erzählungen selbst kommen nun nie mit dem erhobenen Zeigefinger. Sie sind facettenreich und mit scharfem Blick daher. Sie werfen Schlaglichter auf das Leben schwarzer Menschen in den USA der 1960er Jahre, als die sogenannte "Rassen"trennung im Zuge der kurzen Präsidentschaft John F. Kennedys gerade juristisch abgeschafft, in den Köpfen der Menschen aller Hautfarben jedoch noch immer präsent war. Das sogenannte N-Wort verwendet Diane Oliver selbst, in einer merkwürdigen Mischung aus Schimpfwort und Selbstbeschreibung. In der Buchausgabe von "Nachbarn" ist das Wort im Original erhalten; in der deutschen Übersetzung wird es ausgesternt.

Ich halte es für schwierig, auf diese Art und jede andere "sensible" oder "behutsame" Sprachanpassung den Leser quasi zu entmüdigen, ihn als Kind zu behandeln, der entweder geschützt oder belehrt werden soll. Aus meiner Sicht zerstört das die Authentizität der Texte, in denen nicht mehr die Lebenswirklichkeit der Zeit dargestellt wird, in denen sie entstanden sind.

Inhaltlich sind die fümfzehn Geschichten äußerst facettenreich an Stil und Thematik. Das Buch liest sich auch wie das Ausprobieren einer jungen Autorin an unterschiedlichen Stimmen und Rhythmen. Als sie starb, hatte sie ihre eigenen Klang noch nicht gefunden. So konnte ich mich zumindest nicht nur auf den Inhalt konzentrieren, sondern musste jedes mal aufs Neue in die Sprachmelodie hineinfinden. Das war durchaus spannend. Allerdings erscheint der Band so eher wie ein Sammelband von unterschiedlichen Autoren als das Werk aus nur einer Feder.

Was allen Erzählungen jedoch gemein ist, ist die noch immer vorherrschende Segregation zwischen Weiß und Schwarz. Es wird nicht miteinander gesprochen; Schwarze sondern sich lieber von Weißen ab und erschießen sie, als auf Angebote einzugehen oder auch nur mit ihnen zu reden. Das liest sich teilweise verstörend, zeugt allerdings von den Erfahrungen vieler Menschen zu dieser Zeit.

Und ist es heute anders? Auch heute noch werden Menschen grundlos erschossen, nur weil sie zu nahe ans eigene Haus kommen. Es wird nicht miteinander geredet, denn der andere könnte ja etwas im Schilde führen. Es erschreckt, wie wenig sich in sechzig Jahren auf US-amerikanischen Straßen und in Häusern geändert hat. Die Segregation ist längst wieder in den Köpfen angekommen, wenn sie überhaupt je verschwunden war. Unter dem Gesichtspunkt sind die hier vorgestellten Texte der Autorin äußerst modern.

Fazit: Geschichten, die das Leben abbilden und einen Blick werfen, den es aus der Zeit der 1960er Jahre wohl selten gibt: eine schwarze junge Frau beschreibt Lebensfacetten kurz nach Abschaffung der Segregation in den USA. Eine facettenreiche Sammlung, allerdings ohne eigene Stimme. Zudem fokussiert sich die Außenwirkung zu sehr auf die tragische Biographie Diane Olivers.

Bewertung vom 24.09.2023
One Second to Love / Breaking Waves Bd.1
Moninger, Kristina

One Second to Love / Breaking Waves Bd.1


sehr gut

Eigentlich gar nicht mein Fall, aber...

Die Reihe "Breaking Waves" von Kristina Moninger, von der hier der erste Band "One Second To Love" vorliegt, ist im Grunde gar nicht mein Fall. Junger Erwachsenenroman, aber die primäre Zielgruppe sind junge Frauen. Es geht vordergründig um Beziehungen, die große Liebe in Vergangenheit und Gegenwart und die dazugehörenden Verstrickungen. Dazu ein wenig Spannung durch die verschwundene Freundin, deren Verschwinden Avery nun aufklären will.

Obwohl das inhaltlich so gar nicht mein Fall ist, hat mich die Gestaltung davon überzeugt, hier mal eine Ausnahme zu machen. Habe also direkt alle vier Bände der Reihe vorbestellt. Das Coverbild, eins von vier Puzzleteilen zum Gesamtbild, wenn die Reihe im kommenden Frühjahr abgeschlossen ist, der farbige Buchschnitt, auf dem sich das Coverbild fortsetzt, die Innenumschläge, auf denen die Insel Harbour Bridge zur besseren Orientierung für den Leser skizziert ist sowie der Bildeinleger, der als Lesezeichen verwendet werden kann - all das ergibt ein wirklich rundes Bild. Ganz dickes Daumen-hoch an die Gestaltung und die Marketingabteilung.

Inhaltlich möchte ich nicht so viel verraten. Nur soviel: Es ist natürlich keine Spitzenliteratur. Leichte Unterhaltung trifft es ganz gut, locker zu lesen, obwohl ich bei den Interaktionen und Dialogen schon manchmal mit den Augen rollen musste. Aber es sind eben junge Erwachsene. Die probieren sich aus, sind zuweilen etwas stur und emotional sprunghaft.

Fazit: Was mit Josie passiert ist, werden wir wahrscheinlich erst im vierten Band der Reihe erfahren. Der Stil ist jugendlich sprunghaft. Doch komplett sehen die Bücher später richtig gut im Bücherregal aus!

Bewertung vom 24.09.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


ausgezeichnet

Tasmanien ruht im Auge des Sturms unserer Zeit

Auf den ersten Blick plätschert das Buch leise und sanft vor sich hin. Paolo Giordano erzählt ruhig, in einer Sprache, die hineinzieht ins Geschehen, ohne handgreiflich zu werden.

Doch bereits das Cover suggeriert die Brüchigkeit des Lebens, die Lücken, die sich auftun, wenn das eigene Dasein eben nicht nach Plan verläuft und man sich erneut auf die Suche begeben muss.

Alles beginnt damit, dass Paolos Frau ihm mit Anfang Vierzig ihre Entscheidung mitteilt, alle Versuche, doch noch ein Kind mit ihm zu bekommen, einstellen will. Mutter, Vater, Kind - das war bisher ihre Idee vom gemeinsamen Glück gewesen. Ein Kind für die eigene Zukunft. Doch wenn das Kind unmöglich ist, gibt es dann überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft?

Diese Frage schwebt im Roman über den weiteren Worten, über den Reisen, die Paolo unternimmt. Er will seinen Freund unterstützen, dessen Ehe gerade zerbrochen ist - trotz Kind - und um dessen Umgangsrecht sich der Freund nun vor Gericht bemühen muss.

Mal beiläufig, mal zentriert stolpert Paolo über die großen Fragen und Hürden der Gegenwart: islamistischer Terror, Klimawandel, Kriege, zwischenmenschliche Sprachlosigkeit. Das mag viel erscheinen, ist jedoch wohl dosiert und regt zum Nachdenken an statt zur Überforderung.

Fazit: Tasmanien ist ein interessanter Report über die Gegenwart, die mich gewiss lange nicht loslassen wird. Er ermutigt, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, anstatt sich immer weiter zurückzuziehen. Große Lesefreude!

Bewertung vom 04.09.2023
Das Licht zwischen den Schatten
Beck, Michaela

Das Licht zwischen den Schatten


ausgezeichnet

Der gro0e deutsch-deutsche Roman

Mit seinen knapp 850 Seiten hat man an "Das Licht zwischen den Schatten" von Michaela Beck vergleichsweise lange zu lesen. Dafür lohnt es sich aber auch. Mich hat die "deutsche Familiengeschichte", so die nähere Bezeichnung des Romans, jedenfalls von der ersten Seite an gepackt.

Drei Zeiten des 20. Jahrhunderts werden anhand von drei Menschen beschrieben. Bereits der Untertitel deutet natürlich darauf hin, dass die drei Protagonisten zusammengehören. Wie bei einer Kriminalgeschichte erhält der Leser immer wieder kleine Hinweise, die er selbständig miteinder verknüpfen kann.

Zur Aufteilung des umfangreichen Werks gehört darüber hinaus die Fünfteilung. Fünf große Kapitel stehen unter jeweils einem größeren Thema, das häppchenweise einem vorgestellten Gedicht entnommen wird. Die Überthemen sind hier Liebe und Beziehung. Man verliebt sich, es folgt kein Happy-end, man muss flüchten und trifft sich schließlich wieder. Im Prinzip ein klassisches Thema - so alt wie die Menschheit.

Doch von Michaela Beck glänzend umgesetzt und ins Deutschland des vergangenen Jahrhunderts übersetzt. Teil 1 beginnt mit Konrad im Jahr 1919, Brigitte 1950 und André 1976. Der Roman endet 1989. Dazwischen werden die Charaktere erwachsen. Sie müssen sich in den jeweils herrschenden Systemen zurechtfinden und sich entscheiden, ob sie mitmachen, protestieren, dagegen agieren oder weglaufen. Neben der Liebe bestimmt mehr und mehr die jeweilige Herkunft der drei ihr Leben. Woher komme ich? ist die alles entscheidende Frage. Und was mache ich daraus?

Der Roman beginnt kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als sich auch das Deutsche Reich fragt: Wer bin ich eigentlich? Das Erstarken des Nationalsozialismus wird anhand weniger Schicksale beleuchtet, ebenso wie die Nachkriegszeit in beiden deutschen Ländern, der kalte Krieg, deutsche Verbindungen zu Südamerika, der Sport in der DDR, der Linksextremismus in der BRD, der Kalte Krieg. All das ist kenntnisreich und authentisch geschildert. Kein Satz ist hier zuviel.

Fazit: "Das Licht zwischen den Schatten" ist für mich das beste Buch dieses Jahres und endlich der deutsch-deutsche Roman, der bisher fehlte. Dieses Buch sollte jeder gelesen haben.

Bewertung vom 21.08.2023
Mattanza
Fabiano, Germana

Mattanza


ausgezeichnet

Eine Frau steht ihren Mann

"Mattanza" von Germana Fabiano hat mich begeistert. Der schmale Band von gerade einmal 183 Seiten ist an Sprache so reich wie ein 500-Seiten-Roman. Dabei trägt er eine zweifache Melancholie mit sich, die allerdings nicht betroffen macht, sondern eher einnimmt für eine dörfliche Inselgemeinschaft, deren Schicksal über fünf Jahrzehnte der Leser im Zeitraffer begleitet.

Die einzelnen Kapitel sind mit Jahreszahlen betitelt; wir tauchen im Jahr 1960 in die Erzählung ein. Ein Mädchen wird geboren, das eigentlich ein Junge werden sollte, denn es war die letzte Chance, die jahrhundertealte Tradition fortzusetzen. Auf der kleinen italienischen Insel Katria ist der Raìs derjenige, der für den Fortbestand der Dorfgemeinschaft sorgt. Der Raìs ist für den Thunfischfang zuständig. Er bestimmt, wann der richtige Zeitpunkt ist, um die Mattanza zu beginnen, wie der jährliche große Fang genannt wird. Der amtierende Raìs ist jedoch ein alter Mann, und das Amt wird in seiner Familie vererbt. Bisher gibt es nur weibliche Nachkommen, und mit der Geburt des jüngsten Mädchens ist guter Rat teuer. Bisher hatte es immer nur männliche Raìs gegeben. Doch um der Tradition willen - nun eben das erste Mädchen.

Obwohl sie das Meer von klein auf nicht wirklich mag, fügt sich Nora, der künftige Raìs, in ihre Rolle. Doch von Beginn an wird sie ins Dorfleben nicht wie ein normales Kind integriert. Sie ist etwas besonderes, und das wird ihr jeden Tag gespiegelt. Als junge Frau und sehr junger Raìs spielt sie gewissermaßen zwei Rollen. Sie ist hin- und hergerissen. Und was vor Jahrzehnten noch eine abgeschiedene Insel war, von der kaum jemand wusste, entwickelt sich bald zum Touristenmagnet und zu einem Ort, der plötzlich zum Mittelpunkt zwischen Hierseits und Jenseits wird.

Fazit: Eine großartige, tiefsinnige, melancholische Erzählung. Um Rollenerwartungen, Rollenverständnis und Rollenzuschreibungen. Um Tradition, Wandel und Moderne. Sehr zu empfehlen.

Bewertung vom 21.08.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Haiku als Schlüssel zum Erfolg

Optisch stelle ich mir den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi als eine Art jüngeren japanischen Columbo vor. Der Zweite Weltkrieg ist gerade ein Jahr vorbei, als der Protagonist, der selbst im Krieg kämpfen musste, Anfang 30 ist und sich auf dem Weg zur Insel Gokumon befindet. Ebenso wie Columbo fährt sich Kindaichi ständig mit der Hand durch sein ungebändigtes Haar und sein sonstiges Äußeres, dazu der etwas schusselige Eindruck, lassen nicht unbedingt darauf schließen, dass wir es hier mit einem berühmten Detektiv zu tun haben.

"Mord auf der Insel Gokumon" ist sein zweiter Fall. Auf den ersten, "Die rätselhaften Honjin-Morde", wird zweimal im Roman direkt verwiesen. Überhaupt wendet sich Autor Seishi Yokomizo mehrere Male direkt an den Leser, was einerseits etwas konspiratives hat, andererseits Distanz zum Geschriebenen schafft. Das Beschriebene macht so den Eindruck, als würde das Erlebte wirklich gerade stattfinden, als hätte der Autor keinen Wissensvorsprung. Man kann also miträtseln; der Täter ist - das als Unterschied zu Columbo - zu Beginn der Geschichte noch unbekannt.

Detektiv Kindaichi begibt sich also auf die Insel Gokumon, um den letzten Wunsch seines Freundes Chimata Kito zu erfüllen. Er soll dessen drei Schwestern retten, deren Ermordung er prophezeiht. Viel mehr soll über den Inhalt des Kriminalromans nicht verraten werden.

Die knapp 330 Seiten lassen sich schnell lesen. Trotz des beträchtlichen Alters des Textes ist der Stil gefällig und ansprechend. Die handelnden Personen gehen sehr höflich miteinander um, so wie man es von einem japanischen Text erwarten kann. Neben grotesken Morden bietet der Roman viele witzige Momente, skurrile Charaktere und interessante Haiku, die schließlich zur Lösung des Falls beitragen.

Fazit: "Mord auf der Insel Gokumon" von Seishi Yokomizo ist ein kurzweiliger Kriminalroman mit Witz und historischem Einblick. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 20.08.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


gut

Leichte Strandlektüre, aber...

Bei der Bewertung dieser kurzen Erzählung (Roman würde ich das nicht nennen) bin ich etwas hin und her gerissen. Denn zum einen liest sie sich wirklich gut; andererseits ist genau das auch das Problem.

Zunächst das einfache zum Buch: die harten Fakten Die 222 Seiten inklusive Danksagung sind ansonsten in drei Teile geteilt. Der Autor fährt nach Sylt, um dort ein verlängertes Wochenende mit seinen Großeltern zu verbringen. Konsequenterweise erzählen die drei Abschnitte von Ereignissen der drei Tage, inklusive diversen Rückschauen und Innenbetrachtungen des Autors. Ansonsten ist das Buch eher klein, die Schrift vergleichsweise groß, so dass sogar ich als Langsamleser das Buch innerhalb von drei Tagen gelesen hatte.

Doch nun zum Inhalt: Da Max Richard Leßmann mit 31 Jahren noch nicht so alt ist und neben etwas Musik, einem Gedichtband und einem Podcast noch nicht viel geleistet hat, kann man die "Sylter Welle" kaum als Autobiographie bezeichnen. Vom inhaltlichen Umfang her erinnert es eher noch an die "Drei Tage" von Thomas Bernhard, obwohl der Stil Leßmanns selbstverständlich nicht an die Tiefe und geschliffene Sprache Bernhards heranreicht.

Es ist eben eine Familienbetrachtung. Die Großeltern sind norddeutsch herb, aber dennoch ein klein wenig liebevoll - der Großvater mehr noch als die Großmutter, die ich während der Lektüre nie wirklich zu fassen bekam. Der Großvater war weniger präsent, doch zu ihm hatte ich eher einen Draht.

In jedem Fall ist die Erzählung nett und humorvoll geschrieben, kokketiert mir aber zu sehr mit den Unzulänglichkeiten des Autors. Irgendwie ist er gegen alles allergisch, nichts schmeckt ihm, trotzdem scheint er alles zu essen. Sportlich ist er untalentiert. Er kann nichts, er macht nichts. Womit verdient der Mann eigentlich sein Geld?

Während der Lektüre der "Sylter Welle" habe ich gemerkt, dass ich mit autobiographischen Werken, die aber keine Autobiographie sein sollen oder können, nichts anfangen kann, weil mir die Nähe der Zeilen zum Autor zu stark ist. Ich frage mich dann ständig, weshalb er sich das antut, wenn es ihn anödet oder er mit vielen Dingen nicht klarkommt, weshalb er sich diese ekelhaften Apfelringe ständig in den Mund schiebt, obwohl sie ihm nicht schmecken.

Die letzte Szene mit dem Großvater fand ich am Ende doch noch gut. Weil sie eben nicht weinerlich rüberkam oder den Autor in eine selbstgewählte Opferrolle gesteckt hat. Schade, dass nicht das gesamte Buch auf diese Art geschrieben war. So hätte ich dann vielleicht auch verstanden, weshalb sich der Autor dieses jährliche Wochenende immer wieder angetan hat.

Fazit: Locker und flockig geschrieben - zum Weglesen gut geeignet. Für mich aber zu weinerlich und ohne Sinn geschrieben.

Bewertung vom 31.07.2023
Refugium / Stormland Bd.1
Lindqvist, John Ajvide

Refugium / Stormland Bd.1


weniger gut

Meta Millenium Abklatsch

Dieser Roman hat mich sehr enttäuscht, was möglicherweise auch an der Übersetzung liegt. Ich tue mich da immer ein wenig schwer, weil es ja nicht das Original ist, was man bewertet, sondern gewissermaßen die Interpretation in der Übersetzungssprache - hier Deutsch. Inhaltlich empfinde ich das Buch jedoch auch nicht als Thriller. Der Schreibstil grenzt mir über weite Strecken eher an einen unbedarften Jugendroman. Ein wirkliches Lesevergnügen wollte bei mir also nicht aufkommen.

Nun inhaltlich. Die Versuche um die Fortschreibung der Millennium-Reihe - ursprünglich von Stieg Larsson, der viel zu früh verstorben ist und uns nur eine Trilogie hinterlassen hat - habe ich nur am Rande verfolgt. Larsson hatte Notizen für wohl bis zu zehn Bände angefertigt, aus denen zunächst David Lagercrantz weitere drei Romane verfasst hat. Qualitativ waren die aber nicht gut, so dass ein weiterer Autor gesucht wurde.

Und hier kommt John Ajvide Lindqvist ins Spiel, der genau wie seine Protagonistin in "Refugium" einen "glänzenden Thriller" geschrieben hat, mit dem die neue Lektorin des Verlags jedoch nichts anfangen kann. Also tauscht sie einfach die Geschlechter von Mikael Blomqvist und Lisbeth Salander, gibt ihnen andere Namen, und schon hat Lindqvist a.k.a. Julia Malmros sein / ihr neues Thriller-Pärchen. Ansonsten ist alles gleich, nur viel schlechter geschrieben.

Ist das Buch nun aus gekränkter Eitelkeit geschrieben worden? Irgendwo habe ich gelesen, dass Lindqvists Bücher sonst richtig gut sind. Hier haben seine verletzten Gefühle wohl mitgeschrieben, was nie gut ist. Die übrigen zwei Bände der Trilogie werde ich nicht lesen.

Fazit: Schade, dass ein selbstverliebter Autor nicht loslassen kann. "Refugium" ist "Millennium" in schlecht. Leider kein Lesegenuss.