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Batyr
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Ahrensburg

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Insgesamt 107 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2025
Berkel, Christian

Sputnik


gut

Vita navigatio

Die Autofiktion mit dem Moment der Zeugung zu beginnen, ist ja nicht unoriginell, zuletzt begegneten wir diesem Kunstgriff bei Tristam Shandy. Doch zu diesen Höhen der Erzählkunst vermag Christian Berkel sich nicht aufzuschwingen.

Was der Leser präsentiert bekommt, ist die in der Rückschau verklärte Nostalgie der Swinging Sixties, zuzüglich die politische Zuspitzung der Studentenrevolution und das Abdriften in den Terrorismus, die sattsam bekannten Ingredienzen von sex and drugs and Rock n Roll, ergänzt durch die zugegebenermaßen verstörenden biographischen Details der Elterngeneration. Es ist aber mehr als abstoßend, wenn der mittlerweile selbst gealterte Erzähler immer noch mit dem alten Hochmut, der typischen Selbstgerechtigkeit auf diese irregeleitete Generation herabblickt. Entlarvend die Episoden des letzten Drittels, in dem die verblasene Intellektualität der zeitgenössischen Theaterboheme ausgiebig zu Wort kommt.

Wenn es im Gefolge eines zweifelhaften psychologisch motivierten Probenprocedere beim Protagonisten zu einem Rebirthing-Erlebnis kommt, erfolgt damit eine unübersehbare Verknüpfung mit der Eingangspassage. Etwas prätentiös, wenn auch gut gemacht.

Insgesamt eine wenig befriedigende Lektüre, gedanklich eher unergiebig, emotional arm.

Bewertung vom 27.05.2025
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


weniger gut

Prätentiös und verblasen
Wie es aussieht, hat sich der Autor mächtig an seinem Stoff verhoben.

Zunächst nimmt die 13jährige Heldin ja den Leser für sich ein, erscheint sie doch sensibel und vorlaut, selbstbewusst und verängstigt, unsicher und auftrumpfend - kurz, sie bedient alle Facetten eines pubertierenden Teenagers.

Doch sehr bald beginnt die Masche des Autors nervtötend zu werden: allzu viele Pirouetten dreht er, nicht nur die junge Hauptfigur, auch Mutter und Vater und im folgenden das gesamte Personal werden vollkommen überzogen dargestellt, mutieren umso nachdrücklicher zu bloßen Karikaturen, wo der Autor offenbar das Besondere, Erlesene vor Augen hatte. Wild ein paar Titel von klassischen Musikstücken in die Runde zu werfen, macht einen Text noch nicht zum Musikroman. Um die Wirkweise von Musik darzustellen, gelangt er nicht über die sprachliche Prägnanz von Poesiealbumsprüchen hinaus. Eine steile These zu einer Komponistenbiographie ad nauseam zu variieren, beweist nicht unbedingt tiefen musikologischen Tiefblick.

Kurz: nach meinem Urteil ist dieser Roman prätentiös, verblasen, verquast!

Bewertung vom 18.05.2025
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


sehr gut

Lauter Loser

Großartig! In einem Wortschwall, einer Sprachkaskade, einer Beschreibungsexplosion lässt der Autor vor uns ein Bild Amerikas erstehen, das nichts mit den Hochglanzbildern vom Big Apple oder Hollywood oder dem staatstragenden Washington gemein hat.

Dann endlich erscheint der Protagonist dieses Romans, unspektakulär als ‚der Junge‘ tituliert, und der Leser weiß: das ist Amerika!

Und wenn sich dann die Handlung entfaltet, dann repräsentiert das gesamte Personal zunächst die Nachtseite der USA: abhängig von Drogen und Medikamenten, beherrscht von fixen Ideen, gefangen in einer eigenen Scheinwelt, geleitet vom Betrug der Umwelt und vom Selbstbetrug - kurz, ein Panoptikum von Losern.

Und doch transportiert dieser Höllentanz die Botschaft tiefster Humanität: beginnend mit der alten Frau aus Litauen, die den jungen aus Vietnam stammenden Hai vom Selbstmord abhält, zeigen alle Figuren aus der tiefsten sozialen Schicht der Einwanderer, der unqualifizierten Arbeitskräfte ein Höchstmaß an Zusammenhalt, wahrer Solidarität, menschlicher Einsicht in die Nöte des anderen, dass selbst in diesem Pandämonium dem Leser der Eindruck von Hoffnung geschenkt wird.

Einzige Einschränkung dieses positiven Urteils: die Botschaft dieses Romans wäre noch eindrücklicher, hätte der Autor die Handlung straffer komponiert und damit gewisse Längen vermieden. Gewichtiger aber die Kritik am Übersetzerteam, das gelegentlich durch sprachliche Nachlässigkeiten die großartige Wirkung dieses Romans schmälert.

Bewertung vom 28.04.2025
Valla, Kristin

Ein Raum zum Schreiben


weniger gut

Motivation oder Legitimierung?

Kristin Valla strapaziert die Geduld ihre Leser über alle Maßen. Anfangs ist man ja noch durchaus bereit, ihren Überlegungen zu folgen: unversehens ist aus der Schriftstellerin eine Ehefrau und Mutter geworden, die ihre eigenen Bedürfnisse stets hintan stellt. Damit dürfte sie kein Einzelfall darstellen. Bemerkenswert allerdings, dass sie ganz ehrlich zugibt, dass es ihr vornehmlich um das Selbstverständnis als Autorin geht, weniger um die Tätigkeit des Schreibens an sich. Damit ist der vorherrschende Tonfall dieses Buches gesetzt: mürrisch, nörgelnd, um sich selbst kreiselnd.

Das probate Heilmittel für diesen unerquicklichen Zustand als Nicht-Mehr-Schriftstellerin ist schnell gefunden: ‚A Room of One‘s own‘, wie von Virginia Woolf vorgegeben, muss her. Die zahlreichen Beispiele unterschiedlich bekannter Autorinnen bieten anregenden Lesestoff - offenbar folgten viele Frauen dieser Maxime, dass eine schöpferische Tätigkeit definitiv eine konsequente räumliche Trennung von der Außenwelt erfordert.

Doch den Hauptteil dieses Buches bildet Vallas eigenes Projekt, ihre Suche nach einem geeigneten Objekt und seine Umgestaltung gemäß der individuellen Anforderungen und Vorstellungen. Und hier präsentiert sich eine Persönlichkeit, deren herausragende Eigenschaften ein stupender Egoismus, Ziellosigkeit, Hilflosigkeit sind. Endlos werden dem Leser die von Frustration dominierten Ergüsse zugemutet, wie am anderen Ende Europas eine Immobilie entdeckt, erworben und mit vollkommen ungeeigneten Maßnahmen renoviert wird.

Am Ende dieses ermüdenden Textes steht die wenig überraschende Erkenntnis, dass Kreativität und Produktivität weitgehend unabhängig sich vollziehen davon, ob der vorgeblich ideale Raum als unabdingbare Voraussetzung zur Verfügung steht.

Bewertung vom 28.04.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

Zwei Leben gespiegelt

Diese Romanlektüre bietet alles, was Literatur für den Leser zu einem zentralen Interesse werden lässt: Schauplätze und Lebensformen, die weitgehend unbekannt sind; überzeugende Charaktere; Schicksale, die fesseln und ergreifen.

Neu dürfte für die meisten Leser die Lebensweise der kanadischen Indianer sein, die Jahr für Jahr südwärts über die Grenze ziehen, um einer untergeordneten Arbeit nachzugehen. Die Geschichte verknüpft die Lebenspfade aller Mitglieder einer indigenen Familie, die durch eine ganze Reihe von traumatischen Begebenheiten in ihrer Entwicklung geprägt werden.

Zwei Geschwister werden auf ihrem Lebensweg pointiert gegenübergestellt: Joe, der sich persönlich für die Katastrophen verantwortlich fühlt und als Konsequenz eine fundamentale Wut entwickelt, die ihn über lange Zeit aus seinem Familienzusammenhalt herauslöst; Norma, die tief in ihrem Innern ahnt, dass ihre Existenz nicht wirklich ist, was sie zu sein scheint, und mit bedenklicher äußerer Passivität reagiert.

Mit großer Sensibilität versteht es die Autorin, die Tragödie plastisch erstehen zu lassen, ohne jemals ins Kitschige oder allzu Gefühlvolle abzugleiten, so der zwangsläufigen Entwicklung der Ereignisse die Wucht einer antiken Tragödie verleihend.

Allein die gelegentlich ungelenke Sprache der Übersetzung zieht manchmal eine gewisse Kritik auf sich, die den vergeblichen Wunsch weckt, der Verlag hätte dem Text eine kritische Endredaktion angedeihen lassen.

Bewertung vom 16.03.2025
Wildner, Maxine

Bis unsre Seelen Sterne sind. Rilke und Lou Andreas-Salomé


weniger gut

Was für eine Enttäuschung
Keine Erweiterung des Erkenntnishorizonts
Die Autorin betreibt mit ihrem Roman ‚Bis unsre Seelen Sterne sind‘ einen veritablen Etikettenschwindel. Der Leser, der doch mit einiger Wahrscheinlichkeit an tieferen Erkenntnissen über die intellektuell aufrührende Zeit der Jahrhundertwende interessiert ist, wird mit einem wilden Mix unterschiedlichster Ingredienzen konfrontiert. Da gesellen sich angelesene Wikipedia-Realien zu gestelzten seitenlangen Dialogen; Beziehungen werden referiert auf genüsslich ausgebreitetem Klatsch- und Tratsch-Niveau; der Anspruch auf literarischen Gestaltungswillen reduziert sich auf inhaltlich kaum gerechtfertigte Zeitsprünge; ausgedehnte Anleihen bei Briefen und Tagebüchern vermitteln psychologische Einblicke, die doch eigentlich Aufgabe der Romanautorin gewesen wären. Die beiden Hauptfiguren, Rilke und Lou, erscheinen verkürzt zu Karikaturen in psychologischer Verzerrung, es kann nicht ausreichen, aus Rilke einen hypertrophierten Egomanen zu machen, Lou Andreas-Salomé pauschal abzuhandeln als Mittelding zwischen verständnisvoller Mutterfigur und männermordender Megäre. Als Fazit der Lektüre lässt sich nur konstatieren: Was für eine Enttäuschung!

Bewertung vom 25.02.2025
Gregor, Susanne

Halbe Leben


sehr gut

Zwei Leben
Gregors Roman ist völlig auf einem Kontrast aufgebaut: hie finanzielle Unabhängigkeit, Souveränität und Erfolg im Beruf, eine stabile Familienstruktur, da die Tristesse im ehemals sozialistischen Plattenbau, ein eher bescheidenes Einkommen, ein gefährdetes familiäres Umfeld. Umso auffälliger, dass die beiden Hauptfiguren im gleichen Alter sind, beide achtunddreißig Jahre alt.
Was inzwischen in Westeuropa ein Modell ist, um den Anforderungen in Beruf und Familie gerecht zu werden - die Beschäftigung osteuropäischer Frauen, um die, neudeutsch gesprochen, care-Arbeit zu leisten - wird gelegentlich auch zum literarischen Sujet.

Gregor gelingt es vorzüglich, das sich wandelnde Bewusstsein der beiden Protagonistinnen minutiös darzustellen. Die berufstätige Arbeitgeberin kann sich durch das Delegieren der erdrückenden Familienpflichten ganz auf ihre Karriere konzentrieren, die über Gebühr beanspruchte Pflegekraft verliert zunehmend die Kontrolle über ihr mentales Bewusstsein wie auch über eigenes Leben.

Als allzu willig, übermäßig bemüht, alle Anforderungen zu erfüllen, erscheint Paulina, während Klara als völlig blind gezeichnet wird, unfähig und unwillig, Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Das ist vielleicht die einzige Schwäche dieses die Problematik exakt herausarbeitenden Romans: allzu sehr fokussiert er sich auf die Polarität der Positionen, lässt zu wenig Zwischentöne zu.

Bewertung vom 11.02.2025
Blake, Katherine

Not your Darling


gut

Als Tiger gesprungen …
Der Beginn des Romans weckte recht hohe Erwartungen, erinnerte die Chuzpe der Heldin doch an Thackereys ‚Jahrmarkt der Eitelkeiten‘. Ein enormes Erzähltempo, eine pointierte Charakterzeichnung mit dem Witz und der Gewissenlosigkeit der Loretta - das alles versprach spritzige Unterhaltung.
Doch allzu bald tauchen Defizite auf und schmälern das Lesevergnügen. Der überstürzt geehelichte Mann ist nurmehr eine Karikatur, wie aus dem Baukasten seine stereotypen Eigenschaften zusammengesetzt, und seine nicht existente Loyalität gegenüber seiner frisch angetrauten Loretta vervollständigt nur das Bild eines totalen Un-Sympaths. Die Hollywood-Orgie, erster Station auf Lorettas Reise der Bewährung, lässt kein Klischee aus, und verwundert reibt sich der Leser die Augen: wohin ist Lorettas Unerschrockenheit entschwunden, bedarf sie doch der Rettungsbemühungen des männlichen Kontrastmodells, der sich schon bald, niemand wundert sich, als Mr Right entpuppt. Etliche Verzögerungen und Missverständnisse sorgen dafür, dass sich die Handlung arg in die Länge zieht. Das weibliche Personal teilt sich sauber in treue Freundinnen und üble Neiderinnen und Konkurrentinnen auf, und der Slalom der Heldin zum Ziel umfassenden Erfolgs endet erst nach allzu vielen Seiten. Angesichts des vielversprechenden Anfangs lässt sich nur konstatieren: Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet!

Bewertung vom 21.01.2025
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


weniger gut

Reichlich dünn!
Da lebt ein Autor von seinem Ruhm! Das gewählte Sujet ist zugegebenermaßen bestechend: G.W. Pabst, einer der herausragenden Regisseure aus der Weimarer Zeit, die doch wahrhaftig brillante Leistungen im Bereich der Filmkunst aufzuweisen hat, wird in den Blick genommen.

Nach frustrierenden Erfahrungen in Amerika kehrt Pabst zurück, um Familienangelegenheiten zu ordnen, und wird vom Naziregime vereinnahmt. So weit, so gut. Was dann jedoch enttäuscht, ist die frappierende Konturlosigkeit der Hauptfigur. Wenig prägnant gestaltet, schleust der Autor seinen blass bleibenden Helden durch alle Fährnisse der historischen Entwicklung. Unerträglich das penetrante name-dropping, das Authentizität vorgaukelt. Stattdessen sind manche Szenen von einer ärgerlichen Plattheit, die in unstatthafter Weise verharmlost, wie etwa die Darstellung des Literaturkränzchens.

Selten die Textpassagen, die beweisen, was diesem Autor an Gestaltungskraft zu Gebote stände, würde er nur genügend Sorgfalt und Kreativität aufbieten. So ist das Kapitel, das die Bahnreise nach Österreich aus der Perspektive des kleinen Sohnes erzählt, beklemmend und sprachlich beeindruckend. Überhaupt ist es allerdings als erzählerische Verlegenheit anzusehen, wenn unvermittelt vorgenommene Perspektivwechsel notwendig werden, um den Erzählfluss aufrecht zu erhalten.

Andere durchaus originelle Ideen, so etwa die Flucht aus Prag so darzustellen, als handele es sich um die meisterliche filmische Umsetzung durch den genialen Regisseur, sind endlos ausgewalzt und verlieren dadurch ihre ursprüngliche Eindringlichkeit.

Insgesamt erweist es sich, dass für die enorme Länge dieses Romans von 470 Seiten Kehlmanns gestalterische Kraft nicht ausreicht. Die Längen, die sprachlichen Unzulänglichkeiten, die Profillosigkeit der Personen lassen die Lektüre zu einer Enttäuschung werden!

Bewertung vom 19.01.2025
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


sehr gut

Mittelschicht
Von der ersten Zeile an blinkt das Alarmsignal: Mittelschicht! Die berufliche Tätigkeit der Protagonistin, ja, der meisten Personen dieses Romans, die gesuchten Vornamen des gesamten Personals, die überkandidelten Präferenzen und mentalen Strukturen wecken beim Lesen sämtliche Fluchtinstinkte: diese ganze Lebenskonstellation scheint prädestiniert, ein einem Knall zu enden.
Doch genau das erweist sich als Finte! Alle Handlungselemente hätten eigentlich das Potential, zu dramatischen Verwicklungen zu führen - aber nix da! Die beiden Hauptfiguren, Elena, die beruflich ‚irgendwas in der Kunstszene‘ macht, und Eve, die je nach Bedarf das bezahlte Kindermädchen, dann wieder die vertraute Freundin verkörpert, sind charakterlich vollkommen unterschiedlich. Während Eve mit leicht chaotischen Männergeschichten und wenig saturierter wirtschaftlicher Lage sich durchs Leben laviert, dabei aber einen Draht zu Elenas Kindern hat, ist eben diese wiederum gänzlich ausgelastet, sich orientierungslos durch das Labyrinth der vielfältigen Beziehungen zu den diversen Figuren der im Hintergrund agierenden Kunstszene, ihrem ihr mittlerweile entfremdeten Ehemann und den überraschend sich im Ferienhaus einquartierenden Fremden zu tasten. Die Belange der Kinder beschäftigen die Mutter gedanklich, ohne dass sie echtes menschliches Engagement zeigt. Der kleine hypersensible Rinus, seine mit massiven Pubertätsproblemen kämpfende Schwester Linn und deren äußerlich frühreife Freundin Noemi, an der der Leser jedoch deutliche Symptome von Wohlstandsverwahrlosung registriert, erscheinen abgegrenzt in einer unzugänglichen Blase.
Verblüffende Erkenntnis der Lektüre: kein Ereignis, keine emotionale Erschütterung vermag diese doch so auf ihre Empfindsamkeit pochende Elena wirklich aufrütteln - nach dem Ende der drei Wochen im August bleibt es vollkommen offen, ob diese Frau auch nur einen Hauch von Erkenntnis hinzugewonnen hat!