»Keiner von beiden spricht es aus, aber sie wissen, dass ihre Freundschaft nicht normal ist. Würde man sie erwischen, gäbe es Gerüchte. Obwohl sie sich nur still umarmen« (S. 15).
Nicht nur das Cover von »Cinema Love« ist düster, auch Stimmung in der Geschichte um Old Second & Shun-Er ist düster, drückend und melancholisch, doch hier und da schimmern die Figuren wie die Leuchtreklame des Kinos auf dem Cover.
In der chinesischen Provinz Fuzhou gibt es einen Ort, an dem Old Second und Shun-Er ihre verbotene Liebe ausleben können. In einem heruntergekommenen Arbeiterkino treffen sich homosexuelle Männer, um während der Kinovorführungen intim miteinander zu werden. Hier hat ihre Liebe und die Sehnsucht einen Platz. Außerhalb des Kinos leben Old Second und Shun-Er ein bürgerliches Leben, beide sind mit Frauen verheiratet und führen anständige Leben, wie es um das Jahr 1985 gesellschaftlich erwartet wird. Als Yan Hua, die Ehefrau von Shun-Er, ihren Mann in flagranti mit einem Mann erwischt trifft sie eine Folgenschwere Entscheidung, die auch Auswirkungen auf Old Second und seine Ehefrau Bao Mei hat. Die beiden verlassen ihre Heimat Mawei und wollen in New York den amerikanischen Traum leben…
Eindringlich beschreibt der Autor Jiaming Tang die Geschichte rund um Old Second und Shun-Er. Auch die Ehefrauen Yan Hua und Bao Mei spielen in diesem Roman eine tragende Rolle. Die Homosexualität der Männer wird von beiden Seiten beleuchtet.
Auf der einen Seite geht der Autor darauf ein, was es für die Männer bedeudeut einen Safer Space wie das Arbeiterkino nutzen können und diesen Treffpunkt zu verlieren. Auf der anderen Seite beinhaltet der Roman auch die Einstellung der Frauen, die mit der verbotenen Liebe ihrer Männer konfrontiert werden. Nebenbei spielen noch duzend Nebencharaktere eine wichtige Rolle und insgesamt bewirken die Entscheidungen einzelner Figuren auch häufig eine Veränderung für das gesamte soziale Gefüge. Diese Auswirkungen bauen eine enorme Spannung auf. Die Lebensverhältnisse der Figuren sind prekär, Armut ihr ständiger Begleiter und das Leben in China Town hart. Hinzu kommen queerfeindliche und rassistische Auseinandersetzungen.
»Warum nicht ins Arbeiterkino gehen und sich Erleichterung verschaffen? Ihm [Old Second] ist aber auch klar, dass die Männer sich trotzdem gern ihre Last von der Seele geredet hätten« (S. 51).
Der Schreibstil von Jiaming Tang ist rough und lyrisch. Die Figuren leben in einer Welt, die in lebhafte Beschreibungen eingebettet ist. So lässt sich der Roman mit allen Sinnen verfolgen, da an vielen Stellen auch Gerüche und der Geschmäcker beschrieben sind. Die Stimmung ist von Beginn an düster und ändert sich nur kurzzeitig zu hoffnungsvoll. Momente des Glücks erleben die Protagonist:innen nur selten. Insgesamt begleiten wir die Figuren mehrere Jahrzehnte – die Geschichte startet in Mawei, ungefähr 1985 und endet im heutigen New York.
»Cinema Love« ist ein intensives Debüt über Liebe, Queerness, Identitätsfindung und Migration (China/USA), welches ich uneingeschränkt empfehlen möchte. Falls Jiaming Tang mit weiteren Büchern nachlegt, dann ist dieses Buch sicher nicht mein letztes von diesem talentierten Autor gewesen.
»Wir waren nicht mehr Mutter und Tochter, sondern auf einmal wie Gefährtinnen, die eine nicht jünger als die andere, auf Augenhöhe« (S. 45).
Linn führt ein selbstbestimmtes Leben in Berlin. Direkt nach dem Abitur verlässt die junge Frau das familiäre Nest und zieht nach Schweden, um dort in Schwedisch Lappland beim Aufforsten zu helfen. Anschließend reist sie nach Rumänien und arbeitet dort im Waldbau. Sie geht zurück nach Deutschland und studiert. Erst in Freiburg, dann nach Edinburgh. Nach einem erfolgreich abgeschlossenem Bachelor geht Linn zurück nach Schweden und macht in Lund ihren Master. Inzwischen ist Linn Mitte 20 und arbeitet seit einem halben Jahr für eine Beratungsfirma, die sich mit der Förderung und Finanzierung von Umweltprojekten befasst. Während einer Tagung für diese Firma erleidet Linn einen Schwächeanfall. Sie kommt aufgrund des Bewusstseinsverlusts in ein Krankenhaus und erholt sich anschließend für einige Zeit bei ihrer Mutter Annett. Anett ist Ende 40 und arbeitet als Bibliothekarin. Sie wohnt alleine in dem Haus, in dem Linn aufgewachsen ist. Aufgezogen wurde Linn alleine von ihrer Mutter, da ihr Vater Johan starb, als Linn noch ein Kind ist. Auch heute noch ist der Verlust von Ehemann Johan ein harter Schicksalsschlag für Annett.
Die Wohnsituation ist für Mutter und Tochter ungewohnt. Während Linn immer ein Plan im Leben hatte, fühlt sie sich jetzt perspektivlos und fällt in ein Loch. Ein Loch in dem sich Mutter Annett wohl schon seit Jahren befindet. Ihre Erzählungen wirken, als ob sie in einer dauerhaften Warteschleife festsitzt. Annetts Leben zieht an ihr vorbei, während sie sich nur zu gerne im Schlafzimmer versteckt – die Vorhänge zuzieht und sich auf ihr Bett legt. Allein in Annetts Gedanken passiert das Leben und hält viel bereit, doch es scheint, als bleibt es bei diesen Gedanken.
»Ich schämte mich, im Bett zu liegen, hinter zugezogenen Vorhängen an einem hellen, sonnigen Tag« (S.46).
Stellenanzeigen als Bibliothekarin in New York verfolgt sie nur, um in farbenfrohe Luftschlösser abtauchen zu können. Für Annett scheint sie Zeit stehen geblieben zu sein, immer wieder spricht sie mit Johan in Gedanken. Erkennt, dass sie sich selbst antwortet, will sich vor sich selbst rechtfertigen.
Linn hat ihren Arbeitgeber während ihrem Vortrag auf der Tagung a den Pranger gestellt, da sie herausgefunden hat, dass dort Greenwashing im großen Stil betrieben wird. Daraufhin kündigt Linn, in ihrer Position als vermeintliche Nestbeschmutzerin. Ihre Werte und Interessen lassen sich nicht mit wirtschaftlichen Zielen vereinbaren.
Doch von all dem ahnt Annett zu Beginn des Buches noch nichts. Stück für Stück nähern sich Mutter und Tochter in »Halbinsel« an.
Das Buch ist aus Sicht von Mutter Annett geschrieben und doch fühle ich mich beiden Frauen äußerst nah. Linn aufgrund ihrer Werte und ihrer Freiheitsliebe und Annett begeistert mich mit ihren Erzählungen über Mutterschaft. Kristine Bilkau erzählt mit einer enormen Feinfühligkeit und geht sehr behutsam mit ihren Figuren um. »Halbinsel« ist ein warmer und sanfter Roman. Tagesaktuelle Themen werden mit äußerster Genauigkeit seziert und literarisch einzigartig aufbereitet.
Kristine Bilkau hat mit »Halbinsel« einen starken Generationenroman geschrieben, der ganz ohne Kapitel auskommt. Klare Leseempfehlung für die besondere Erzählkunst, die die Autorin uns schenkt.
»Büro spielen ist easy, wenn man weiß, wie. Arbeit ist einfach nur eine Rolle, die man spielen muss. Ich beherrsche diese Rolle perfekt« (S. 13).
Na, heute schon motiviert an die Arbeit gedacht? Ja, gut! Nein? Dann geht’s dir wie Marisa. Sie lebt und arbeitet in Madrid. Ihr Job in einer Madrider Werbeagentur fühlt sich für die Protagonistin allerdings an wie ein Spiel und das Game »Büro spielen« hat Marisa über die Jahre nahezu perfektioniert. Unmotiviert schleppt sie sich Tag für Tag zur Arbeit. Sie bedient vor Ort das soziale Skript und schleppt sich anschließend wieder nach Hause. Freudlos zieht ihr Leben an ihr vorbei. Anstatt über ihre Situation zu reflektieren komaglotzt sich Marisa mit YouTube-Videos zu und konsumiert Beruhigungstabletten wie Gummibärchen. Der Gipfel ist das bevorstehende Teambuilding Wochenende. Während das Büro für Marisa nur der Eingangsbereich zur Hölle ist, ist ein Wochenende mit ihren Arbeitskolleg:innen die schlimmste Hölle auf Erden, die Marisa sich vorstellen kann. Doch Marisa sorgt vor und will ihre Fassade durch diverse Drogen aufrecht erhalten.
Für mich ist der Titel des Buches leider Programm. »Geht so« soll bitterböse und witzig sein, ist es stellenweise auch, aber die unreflektierte Einnahme von Beruhigungstabletten wird in dem Buch krass verharmlost und sowas fuckt mich extrem ab. Da hilft auch keine Marisa, die einfach alles hasst und mich mit ihrer erlernten Hilflosigkeit in den Wahnsinn treibt. Was mich am meisten schockt sind die fehlenden Konsequenzen. Marisa überschreitet eine Grenze nach der anderen und kommt mit allem durch.
Mir fehlt in diesem Buch definitiv der fleischgewordene moralische Zeigefinger, der Marisa auf Spur bringt. Stellen an denen Marisa ernsthaft über sich nachdenkt sind rar gestreut, aber wenn ich sie dann finde, schimmern sie wie Diamanten in diesem Wirrwarr aus Grenzüberschreitungen und delinquenten Verhalten.
Ich bin bis zum Ende unschlüssig, welche Message die Autorin mir mit »Geht so« mitgegeben will. Marisa wächst nicht über sich hinaus, es findet keine Entwicklung statt. Nein, es wird alles von Seite zu Seite noch viel schlimmer. Am Ende regelt Karma, anstatt die Justiz. Die Ausweglosigkeit und die Bewältigungsstrategien frustrieren mich zunehmend, mir fehlt in dem Buch die helfende Hand, die wirklich eine Lösung darstellt. Marisa bleibt in ihrer persönlichen Hölle und träumt sich nur selten in ein mögliches Paradies.
Ich fand auch was schön: In dem Buch wird das Triptychon »Der Garten der Lüste« von Hieronymus Bosch aufgegriffen. Der Bezug zum Bild zieht sich wie ein roter Faden durch Marisas Erzählung und ihre Handlungen.
»Ich trage eine Sprache wie ein Verbrechen in mir und liebe sie doch, bei aller Schuld. Neben aus der Ukraine geflohenen Menschen stehe ich stumm wie ein Baumstumpf. Zumindest bis ich einige von ihnen ebenfalls Russisch sprechen höre« (S. 13).
Unter dem Namen »Магазин«, was übersetzt so viel wie Magasin bedeutet, eröffnet eine ukranisch-jüdisch-moldawische Familie ein Lädchen, in dem russische Spezialitäten verkauft werden. Zwischen all den bunten Köstlichkeiten liegt seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ein grauer Schleier. Während der Sohn des Ladenbesitzerpärchens die russische Sprache liebt, sie aber nur noch heimlich sprechen will, ist auch die Gesprächskultur zwischen Mutter und Sohn erschwert. Die Mutter hält zu Russland und somit zu Putin. Um die Mutter aus den Fängen der russischen TV-Propaganda zu holen, sieht sich ihr Sohn gezwungen nach Kyjiw zu reisen. Mit dem Flixbus macht er sich auf die Reise ins Kriegsgebiet.
Dmitrij Kapitelman offernbart mit seinem Buch eine harte Realität, doch die Sprache, die er dabei verwendet ist sanft und zärtlich. Seine Erinnerungen an die Kindheit rührend und die Erzählungen über die Erlebnisse in Kyjiw tragisch. »Russische Spezialitäten« ist ein bittersüßer Familienroman, der die harte Realität einfängt.
»Womöglich bietet Russisch mehr abwägende und gefühlvolle Worte, um Gnadenlosigkeit auszudrücken, als jede andere Sprache der Welt« (S. 59).
»Stets ein Ziel, eine Sehnsucht, eine Traum parat zu haben gehört zu meinen Lebenstipps, um die mich niemand bittet. Es ist nun aber wirklich so, dass Träume und Ziele einen durch viele blasse Tage tragen« (S. 121).
Im Alter von 39 Jahren macht sich Elisa auf den Weg zum Grab der Dichterin Mascha Kaléko. Währen der Zugreise beginnt Elisa der Dichterin ihr Leben anzuvertrauen. Im Buch »Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken« werden wir Zeug:innen dieser Lebenschronik, die gleichzeitig eine Liebeserklärung an Mascha Kaléko ist.
Das Leben von Elisa ist geprägt von vielen Haltestellen, dabei hat die Protagonistin nur ein Ziel: Ankommen und akzeptiert werden. Schon früh verliert sie ihren Halt im Leben. Im Kindesalter trennen sich die Eltern, Elisa kann nicht bei ihrer Mutter bleiben und kommt ins Heim, während sie eigentlich von einer warmen Stube in einem Reetdachhäuschen träumt. Die Hilfe und Unterstützung, die sie im Heim erhalten soll, fühlt sich nicht nach Hilfe an. Es gibt keine warmen Gesten und offene Arme, nach denen sich Elisa so sehr sehnt. Sie flüchtet aus dem Heim und schlägt sich auf den rauen Straßen Kölns, hauptsächlich an der Kölner Domplatte, durch. Hier findet sie im Punkmilieu Anschluss und verliebt sich, einmal, zweimal. Aus einem fast noch Kind wird eine jugendliche Frau. Elisa ist begeistert von Christiane F. und dem Buch »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«. Bücher waren schon immer ein warmer Zufluchtsort in Elisas Leben. Hier findet sie wenigstens etwas Geborgenheit und fühlt sich verstanden, während außerhalb der Buchseiten ein katastrophales Leben tobt.
Schonungslos erzählt Sarah Lorenz die Geschichte von Elisa. Doch in jeder noch so verzweifelten Situation wirkt Elisa noch hoffnungsvoll, macht weiter und geht ihren Weg. Auf jedes Scheitern folgt ein Aufstehen und weitermachen, eine weitere Suche nach Liebe und einem Ort zum Ankommen. Immer an ihrer Seite, die Dichterin Mascha Kaléko. Jedes Kapitel beginnt mit einem Gedicht von ihr. So fasziniert ist Elisa und auch die Autorin von Mascha Kaléko und ihren Werken. Doch dies ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen Protagonistin Elisa und der Autorin Sarah Lorenz.
Dieses Buch hat mein Herz berührt und meine Gefühle ordentlich durchgerüttelt. Philosophisch, poetisch und roh schreibt Sarah Lorenz über Elisas Leben. Es handelt von Büchern, Freundschaft, Männern, Verlusten, Trauer, schaumigen Cappuccino, Liebe und ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Werke von Mascha Kaléko.
»Bücher. Sie waren mein Trost, meine Ablenkung, meine Beschäftigung, mein Zugang zu einem Leben, das mir versprochen wurde. Meine Möglichkeit, ein gebrochenes Versprechen einzulösen. […] Es gibt keinen einzelnen Tag in meinem Leben, an dem ich nicht lese. Keinen. Es gehört dazu wie Zähne putzen. Mal ordentlicher, mit Zahnseide und Zahnzwischenraumbürsten, und mal flott, nur kurz drüber« (S. 179).
Eindrücklich schildert Sara Lorenz in diesem Debüt ein Leben, welches womöglich so oder so ähnlich tatsächlich gelebt wurde, da die Protagonistin Elina viele Parallelen zum Lebenslauf der Autorin aufweist.
»Klapper nickte unsicher, und mit einer fast pathetischen Geste hielt sie ihm ihre Bärenpfote hin. Klapper schlug ein. Für einen Moment war es schön, ihre Haut zu spüren – doch alles an ihr fühlte sich heute so fremd an, dass er nur noch nach Hause wollte« (S. 130).
Nach den Sommerferien hat Klapper so gar kein Bock auf Schule. Innerhalb der Klassengemeinschaft gilt er als der blasse Nerd und Außenseiter. Sechs schöne Wochen in einem abgedunkelten Zimmer sind vorbei, Klapper muss sich notgedrungen von seinem Computer lösen und raus in die Sonne. Na ja, nach sechs Wochen wird es wohl auch mal Zeit zu lüften! Also Fenster auf und raus in die Welt. Ein entscheidendes Detail ist in Klappers Klasse anders – Vivi Marie! Die neue Mitschülerin stellt sich jedoch nicht mit ihrem anmutig klingenden Namen vor, sondern bevorzugt für sich die Bezeichnung »Bär«.
Mutig bahnt sich Bär den Weg in die letzte Reihe und setzt sich zielstrebig neben Klapper. Es kommt, wie es kommen muss – die beiden verbindet nach kurzer Zeit eine spannende Freundschaft. In ihrer Freizeit leben die beiden ihre Gaming Leidenschaft aus und verbringen viele schöne Stunden zusammen. Klapper fühlt sich wohl in Bärs Gegenwart und seit sie da ist, sind Klappers Probleme nur noch ein »leises Hintergrundrauschen« (S. 84).
In Klappers Elternhaus herrscht eine äußerst unangenehme Dynamik: Die Eltern pflegen einen dysfunktionalen Umgang miteinander. Das Verhalten von Klappers Vater Ralf löst in mir Fremdscham und Wut aus. Der Umgang der Eheleute miteinander ist nur schwer auszuhalten. Ralf möchte ich einfach nur schütteln und Mutter Conny in den Arm nehmen – ihr erstmal einen warmen Tee anbieten. Doch nicht nur bei Klapper Zuhause herrscht eine Schieflage, auch bei Bär ist die Situation nicht einfach.
Geschrieben ist Roman auf zwei Zeitebenen. 2011 ist Klapper ein 16-jähriger Jugendlicher. 2025 ist Klapper Erwachsen, aber hängt trotzdem noch sehr viel vor dem PC ab. Anstatt zu zocken verdient er als IT-SECURITY-Officer in einer Firma inzwischen Geld damit, sich mit Computern auszukennen. Auf seine berufliche Laufbahn ist Klapper, der eigentlich Thomas heißt, aber eher nicht so stolz. Auch in der Welt der Erwachsenen wird Klapper als nerdiger Computer-Mann abgestempelt, der bei Computer- oder Druckerproblemchen konsultiert wird. Privat lebt Thomas auf 27qm in einer anonymen und steril eingerichteten Wohnung.
Der Schreibstil von Kurt Prödel reißt mich mit. Vor allem die zwischenmenschlichen Aspekte im Buch haben mich total geflasht. Während Klapper und Bär auf der einen Seite reflektiert miteinander umgehen, stecken sie auf der anderen Seite in ihren pubertären Hormonkörpern fest! Gefühlschaos und Verwirrung ist vorprogrammiert. Beide sind geprägt von problematischen bzw. fragilen Elternhäusern. Während Klapper die patriarchalen Strukturen seines Vaters aushalten muss, gibt es bei Bär nebulöse Andeutungen, die für einen C2- und Medikamentenabusus sprechen. Bär wird zur parentifizierten Jugendlichen und muss Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen, wenn die Eltern unpässlich sind. Diese Situationen beschreibt Kurt Prödel so authentisch und eindrucksvoll, dass dieses Buch für mich zu einem Highlight wird!
Wer Bock auf ein zwischenmenschlich spannendes Coming-of-Age hat, sollte unbedingt zu »Klapper« greifen.
Im Mittelpunkt des Buches steht der 26-jährige Jude Alex Cohen aus Boston - seines Zeichens Sohn. Sein Vater führt ein Schuhimperium im chinesischen Shohan und wird als „Kaiser der Schuhe“ betitelt. Als der Vater beschließt die Firma in die Hände seines Sohnes Alex zu übergeben, fängt dieser an sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Dabei trifft er auf Ivy, eine Wanderarbeiterin in der Schuhfabrik.
Auf knapp 400 Seiten erzählt Wise wie sich Alex aus der Rolle des Sohns befreit und sich auf eine Sinnsuche begibt. Dabei wird er von seinem Vater, dargestellt vom Autor als typische narzisstische Führungskraft und von Ivy, einer 36-jährigen Wanderarbeitern der Schuhfabrik beeinflusst.
Die Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet, gerade der Vater und das unbewusste Nacheifern des Sohnes ist eindrücklich beschrieben und wie sich Alex aus den starren Denkstrukturen des Vaters löst und doch immer wieder zwischen die Fronten der Führungsebene und den Arbeitern gerät. Der Autor spricht an dieser Stelle auch die Bekleidungsindustrie und die Arbeits- bzw. Lebenssituation in chinesischen Firmen an. Das Buch wird dadurch aber nicht schwer, sondern ist an den richtigen Stellen mit einem typisch amerikanischen Humor ausgeschmückt.
Für dieses Buch habe ich für meine Verhältnisse lange gebraucht. Es beinhaltet so viel und bremst mich in meinem sonst schnellen Lesefluss.
Der Schreibstil des Autors zwingt mich zu einem langsameren Leseverhalten, da ich auch nichts verpassen möchte. Insgesamt ist das Buch in der ersten Hälfte eher zäh, kommt dann aber in Fahrt und es lohnt sich dranzubleiben, da auch Nebensächlichkeiten und Nebenschauplätze fügen sich am Ende in das große Ganze ein.
Leider musste ich das Buch nach ungefähr einem Drittel abbrechen.
Zu schleppend lief die Geschichte, die (bisher) aus Sicht von Elena und Eve erzählt wurde.
Die beiden Frauen sind sich fremd und trotzdem bestreiten sie zusammen eine Reise. Außerdem werden sie begleitet von Elenas Kindern und einer Freundin der 13-jährigen Tochter.
Eve arbeitet schon eine Weile als Babysittern für Elena und trotzdem kennen sich die beiden nicht wirklich. Auch in Elenas Ehe fühlt sie sich wie ein Fremdkörper. Die Ehe zwischen ihr läuft nicht mehr so gut.
Die Reise in ein abgelegenes Ferienhaus an der französischen Atlantikküste soll eine Verschnaufpause vom Alltag bringen, Elena bilanziert ihr bisheriges Leben.
Die Erzählung darüber konnte mich leider nicht abholen. Nur zäh komme ich im Buch voran. Der Erzählstil von Nina Bussmann kann mich leider nicht abholen. Ich kämpfe mich an den Seiten ab und gebe nach ungefähr 1/3 auf. Breche das Buch ab.
Eva Biringer verbindet in ihrem Buch »Unversehrt« eigene Erfahrungen und generationsübergreifende Berichte (zum Beispiel Einbezug der eigenen Großmutter) mit wissenschaftlichen Erkenntnissen!
Durch diese Mischung finde ich direkt einen lockeren Zugang zum Thema, gleichzeitig schafft es die Autorin mit wichtigen Fakten das Thema auch wissenschaftlich zu unterfüttern. Die Themen die Biringer aufgreift sind vielfältig und die Autorin schafft es einen guten Rahmen zu schaffen, damit ein Überblick gelingt, ohne zu tief in einem Gebiet zu versumpfen.
Ich kann zwar nicht uneingeschränkt allen Punkten zustimmen (beispielsweise schreibe ich in meine Tätowierungen einen ästhetischen Hintergrund zu und nicht wie die Autorin allgemein unterstellt den Wunsch nach Schmerzen), trotzdem konnte ich viel aus dem Buch mitnehmen.
Nachdem ich bereits »Cleopatra und Frankenstein« verschlungen hatte, konnte mich auch der zweite Roman von Coco Mellors »Blue Sisters« total abholen. Die Geschichte rund um die vier Schwester Nicky, Avery und Bonnie hat mich total in ihren Bann gezogen.
Ein Jahr nach dem Unfalltod von Nicky treffen sich die drei Schwestern in New York, um den Verkauf des Elternhauses zu verhindern. Die drei ungleichen Schwestern stehen mehr oder weniger fest im Leben. Jede von ihnen hat ihr Päckchen zu tragen. Nach und nach lassen die drei ihre emotionalen Hüllen fallen und öffnen sich einander, um die Dämonen ihrer Vergangenheit verarbeiten zu können. Mich konnte die Geschichte absolut fesseln und ich bin wieder einmal dem packenden Schreibstil von Coco Mellors verfallen. An dieser Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Übersetzerin Lisa Kögeböhn hier sehr gute Arbeit geleistet hat.
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