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Lila Lula
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 13.12.2023
The Chosen: Bei mir findest du Ruhe
Jenkins, Jerry B.

The Chosen: Bei mir findest du Ruhe


ausgezeichnet

Selbst für die meisten Christen ist der historische Jesus nicht jemand, dem man einfach mal so auf der Straße in die Arme laufen könnte oder der mitten im Alltag das Gespräch mit ihnen sucht. Anders ging es den Menschen vor fast zweitausend Jahren, die Jesus ganz anders erlebten, als wir es heute tun - nicht durch Bücher und Schriften, sondern mitten im Leben. Dem versucht die Serie "The Chosen" nachzuspüren und nimmt dafür die Jünger Jesu und ihre Schicksale in den Mittelpunkt.

Im Zentrum der dritten Staffel der Serie, die in diesem Buch verschriftlicht wurde, steht die (fiktive) Frau von Simon Petrus, Eden. Während sich das missionarische Handeln Jesu fortsetzt (konkret greift das Buch etwa die Bergpredigt, die Aussendung der Jünger und die Speisung der Fünftausend auf), rücken so auch die zurück gebliebenen Familien der Jünger in den Mittelpunkt und was es für sie bedeutet, dass die jungen Männer ihre Ehefrauen und Eltern zurücklassen, um Jesus zu folgen. Dabei scheuen die Macher der Serie auch vor dunkleren Themen nicht zurück, die selbst heute erst seit wenigen Jahren offen angesprochen werden. So ist die Geschichte zwar antik, die Themen jedoch hochaktuell und für moderne Leser maßgeschneidert.

Genau an diesem Punkt stößt "The Chosen - Bei mir findest du Ruhe" allerdings auch immer wieder an seine Grenzen: Deutlicher als die beiden Vorgängerbände ist hier zu spüren, dass aus einer amerikanischen Perspektive erzählt wird, die bestimmte Regelungen oder (spirituelle) Praktiken als gegeben voraussetzt und nicht darüber nachdenkt, dass es in der Antike möglicherweise anders gewesen sein könnte. (Auffällig ist das besonders dort, wo einfache Fischerfamilien in der Freizeit Torarollen aus ihrem Familienbesitz lesen, was die Leser natürlich an ihre eigene Bibellektüre erinnern soll, in die Zeit allerdings nicht passt.) Auch an anderen Stellen driftet die Erzählung immer wieder zu scheinbaren Wahrheiten ab, die für den theologisch ungeschulten Leser auf den ersten Blick nicht klar als Fiktion zu erkennen sind. (Wie etwa die Benennung des "Bergs der Seligpreisungen" durch Matthäus, wohingegen der heute so benannte Ort erst deutlich später von Pilgern so betitelt wurde und nicht zwingend mit dem Berg der Bergpredigt identisch sein muss.)

Insgesamt sind diese schwierigen Aspekte allerdings deutlich in der Minderheit. Vielmehr erlebt man im dritten Band von "The Chosen" wie gewohnt Bibelgeschichten in einem völlig neuen Licht, deutlich lebendiger, quasi dreidimensionaler und auch packender, als man es gewohnt ist. Auf verschiedenen Wegen wird auch schon auf das angespielt, was noch kommen wird - von den acht geplanten Staffeln ist man inzwischen ja nun auch fast auf der Halbzeit - und so kriegt man auch immer wieder selbst Lust, zur Bibel zu greifen und nachzulesen, wie das Quellenmaterial von dort verarbeitet wurde. (Ein Stellenregister zu den einzelnen Teilen/Folgen im Anhang wäre dafür eine echte Bereicherung.) So wie die beiden Vorgängerbände kann ich diesen dritten Band von "The Chosen" also nur jedem ans Herz legen, der Lust darauf hat, die aus den Evangelien bekannten Geschichten einmal ganz neu zu erleben. Auch denjenigen, die die dritte Staffel von "The Chosen" bereits gesehen haben, sei das Buch wärmstens ans Herz gelegt, da hier viele Details viel besser zum Tragen kommen und Subtexte deutlicher werden. Andersherum lässt sich das Buch natürlich hervorragend zuerst lesen - versüßt durch das Wissen dadurch, dass die Verfilmung bereits in Serienlänge existiert.

Bewertung vom 01.09.2023
Ist das Gott oder bin das ich?
Sautter, Christiane

Ist das Gott oder bin das ich?


sehr gut

Wenn es eine Buchsparte gibt, deren Verkaufszahlen in den letzten Jahren überproportional gestiegen sind, dann ist das wahrscheinlich die der psychologischen Selbsthilfebücher. Dabei ist besonders das Interesse daran, wie man dem inneren Kind Heimat schenken kann o.ä. groß, doch meist geschieht all das vor einem klinischen Hintergrund. Christiane Sautters neues Buch bietet dagegen allen, für die, deren Persönlichkeit auch der Glaube eine wichtige Rolle spielt, eine christliche Alternative in diesem Gebiet.

Während der erste Teil von "Ist das Gott oder bin das ich?" eher an ein Hoffnungs-Mut-mach-Buch erinnert als an eine tatsächliche Entscheidungshilfe, arbeitet sich die Autorin mit ihren Leserinnen und Lesern Stück für Stück tiefer vor und geht den eigenen Verhaltensmustern auf den Grund. Psychologische Theorien werden dabei mit Beispielen unterlegt und schließlich auch immer wieder in Fragen aufgegriffen, die bei der eigenen Reflexion über die Themen helfen sollen. Im zweiten und dritten Teil gewinnt das Buch entsprechend deutlich an Fahrt und Kraft. An einigen Stellen wären sicher ein paar Praxistipps nicht verkehrt gewesen oder Beispiele, wie hier ein gesundes Verhalten aussehen würde, aber insgesamt entsteht trotzdem ein guter erster Einblick in die Thematik.

Glaube und Gott spielen dabei zunächst eher unterschwellig eine Rolle. Die dabei verwendeten Beispiele überzeugen nicht immer, ebnen aber christlichen Leser, die bisher noch nicht mit ähnlichen Büchern vertraut sind, den Weg in die Thematik. Deutlich besser gefallen hat mir jedoch der v.a. im zweiten und dritten Teil des Buches verwendete Ansatz der Autorin, Verhaltensmuster in biblischen Geschichten aufzuzeigen, um bestimmte Phänomene zu erklären - wodurch man aber auch die biblischen Texte ganz anders und besser versteht. Davon hätte ich mir mehr gewünscht! Auch Einblicke, wie psychologische Verhaltensmuster unsere Beziehung zu Gott beeinflussen, wären sicher spannend gewesen.

Vor allem ab dem zweiten Teil liest sich das Buch sehr angenehm und unterhaltsam und ist insofern definitiv eine Empfehlung wert. Gerade Christen, die sich mit traditionellen Büchern dieser Art eher schwertun, sei "Ist das Gott oder bin das ich?" deshalb sehr ans Herz gelegt.

Bewertung vom 26.08.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


gut

Wenn man über Bücher redet, spielt häufig die Frage des "Ersten Satzes" eine große Rolle. In Paolo Giordanos "Tasmanien" ist jedoch der letzte Satz der entscheidende, denn erst durch ihn versteht man das vorher auf über 300 Seiten präsentierte Durcheinander.

Auch wenn das Buch die Bezeichnung "Roman" auf dem Cover trägt, weist dieser "Roman", dessen Hauptcharakter ebenfalls Paolo heißt, Physik studiert hat, in Rom wohnt und als Journalist arbeitet, doch starke Parallelen zur Biografie seines Verfassers auf, sodass sich unweigerlich die Frage stellt, wo die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verläuft. Eine intendierte autobiografische Orientierung würde erklären, warum nicht alles Sinn ergibt, manche Handlungslinien unvollendet bleiben etc. - doch zunächst zurück zum Anfang.

"Tasmanien", was mit dem Land gleichen Namens nichts zu tun hat (es wird im Buch insgesamt zweimal erwähnt, hat für die Handlung allerdings keinerlei Relevanz) folgt den Erlebnissen eines freien Schriftstellers in der Zeit zwischen 2016 und 2020. Mit der Arbeit an seinem neuen Buch über die Atombombe beschäftigt, verweben sich Leben des Protagonisten und zeitgeschichtliche Themen: Klimawandel (allerdings mehr als Politikum, als als inhaltliches Thema), terroristische Anschläge und Organisationen (zu denen die Hauptfigur eine fast ambivalente Haltung zu haben scheint) und die "Gender-Frage", welche v.a. im Kontext der Rolle von Frauen im akademischen Umfeld behandelt wird, wenn auch (erneut) sehr ambivalent. Paolo geht es dabei meist eher um persönliche Beziehung als um ein Richtig oder Falsch. So erklärt es sich auch, dass moralische und politische Fragen häufig unter dem Drama seiner Gefühlswelt verschwinden, wie etwa der schwierigen Beziehung zu seiner deutlich älteren Frau oder seinem Wunsch nach einem Kind, der eigentlich der Wunsch danach ist, Vater zu sein.

An sich wäre das gar nicht einmal ein so schlechtes Konzept für einen Roman, doch gelingt es Giordano nicht, dieses auch voll durchzuziehen. Politisch fehlen etwa sehr auffällig Themen wie die #metoo Debatte oder der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, die kaum erwähnt werden. Auch inhaltlich scheint Giordano Paolo nicht ganz zu folgen - die am Ende erwartete Katharsis, die Selbsterkenntnis des Protagonisten, bleibt in vielerlei Hinsicht aus. Andere Aspekte bleiben ebenfalls offen.

So entsteht insgesamt der Eindruck, eine Art "roman-isiertes" Tagebuch zu lesen, mit zu starken autobiografischen Einflüssen, als dass man sie ignorieren könnte, auffälligen Lücken und dem bleibenden Gefühl, dass das Schreiben des "Romans" als Ersatz für einen Besuch beim Psychologen diente. Besonders deutlich wird das hinsichtlich der Identitätskrisen des Protagonisten, bei denen man sich als Leser fünf Schritte voraus fühlt und am liebsten mit der Hauptfigur ins Gespräch treten möchte, um ihr zu zeigen, wo sie sich vor sich selbst versteckt. (Selber erkennt sie das bis zum Ende des Buches nicht.) Für eine Autobiografie wäre das sicher vertretbar, als Roman liest sich das jedoch schmerzhaft und unvollendet.

Mit einer Empfehlung tue ich mich deshalb schwer. Wer aufgrund der politischen Teaser-Themen im Klappentext, insbesondere des Klimawandels, auf dieses Buch aufmerksam geworden ist, dem würde ich sogar explizit von der Lektüre abraten. Für Fans von Paolo Giordano mag es dagegen genau das richtige sein, genau wie für Personen, die gern Romane über zwiegespaltene Persönlichkeiten lesen, deren Ende weder glücklich noch tragisch, sondern einfach offen ist - so wie das Leben. Sprachlich ist das Buch auf jeden Fall nicht schlecht. Ich wünschte nur, Giordano hätte sein Schreibtalent dafür genutzt, einen auch inhaltlich überzeugenden Roman zu präsentieren.

Bewertung vom 26.08.2023
Mit den Augen der Apostel
Richards, E. Randolph;O'Brien, Brandon J.

Mit den Augen der Apostel


ausgezeichnet

Wer in christlichen Kreisen unterwegs ist, kennt vermutlich das Problem: Irgendwann erwacht das eigene Interesse für die Bibel und einfach nur lesen ist nicht mehr genug. Man will mehr wissen, mehr verstehen und gerät entweder an Nacherzählungen (wie The Chosen), allegorische Auslegungen oder an Leute, die darauf beharren, dass jedes Wort wörtlich zu verstehen ist und auch ihre Entstehungszeit keine Rolle dafür spielt. Ist das nicht genug, bleibt eigentlich nur noch ein Theologiestudium – oder man landet einen Glücksgriff, wie dieses Buch, der einem einen tieferen Einblick in den historischen Kontext mancher Bibelstellen gewährt. Gerade in evangelikalen Kreisen wird die historisch-kritische Methode zwar immer noch mit etwas Skepsis betrachtet, doch dass eine solche Auslegung und ein tiefer Glaube sich nicht ausschließen müssen, zeigt dieses Buch.

Worum geht es in „Mit den Augen der Apostel“? Kurz gesagt darum, dass wir, wenn wir die Bibel lesen, nicht alles Wort für Wort auf die Gegenwart übertragen können – bzw. nicht so Wort für Wort, wie wir es vielleicht zunächst denken würden. Als Beispiel dafür sei auf den (auch in der Leseprobe enthaltenen) Abschnitt über den Brief an die Gemeinde an Laodizea aus der Johannesoffenbarung verwiesen: Dort wird der Gemeinde vorgeworfen, sie sei „weder heiß noch kalt“. Häufig wird diese Bibelstelle so auslegt, dass man also lieber gar keinen Glauben haben sollte, als einen lauwarmen. Schaut man sich jedoch den Ort Laodizea an, stellt man fest, dass er mitten zwischen zwei anderen Orten liegt, die jeweils eine heiße bzw. eine kalte Quelle haben. Alles, was in Laodizea ankommt, ist also nur noch lauwarmes Wasser. Die eben genannte Schlussfolgerung für den Glauben greift hier also viel zu kurz.

Randolph Richards, langjähriger Professor für biblische Studien in Indonesien und Florida und Brandon O‘Brien, der im Bereich Kirchengeschichte promoviert ist, führen ihre Leser behutsam an ein gestärktes Bewusstsein für die Ideen hinter den Bibeltexten heran. Dabei bedienen sie sich des Modells eines Eisbergs, der sich zum Teil über Wasser befindet (Einflussfaktoren, die uns vielleicht noch bewusst sind), zum Teil unter Wasser, aber noch sichtbar (Aspekte, die v.a. im Vergleich der Bibellektüre unterschiedlicher Kulturen deutlich werden) und zum Teil so weit unter Wasser ist, dass wir ihn gar nicht mehr auf dem Schirm haben. Dabei lassen sie auch immer wieder eigene Erfahrungen und Anekdoten aus dem Kontakt mit anderen Kulturen einfließen. Das ist nicht nur kurzweilig und unterhaltsam, sondern hilft auch ungemein dabei, sich auf die verschiedenen Überlegungen einzulassen. Während man zu Beginn selbst noch denkt: „Stimmt, da hätte ich auch darauf kommen können!“, werden die Themen umso komplexer, je tiefer man kommt. Dabei wird dem Leser nicht selten der Spiegel vorgehalten, sodass man beginnt, seine eigenen Ansichten reflektierter zu betrachten. Am Ende ist sicherlich nicht alles davon bequem, aber Augen öffnend und bereichernd.

Was bei der Lektüre an einigen Stellen an einigen Stellen negativ auffällt, ist lediglich das Verbergen der sehr amerikanisch geprägten Ansicht der Autoren unter dem Deckmantel des „westlichen“, was auch europäische Sichten einschließen soll. Das mag an manchen Stellen zwar stimmen, an vielen Stellen handelt es sich jedoch um die Sicht von amerikanischen Südstaatlern (beide Autoren stammen aus dem Bible Belt) auf die Dinge, die nur nicht so benannt werden möchte. Als Theologin mit den Schwerpunkten biblische Studien und frühes Christentum sind mir auch einige historische Unstimmigkeiten aufgefallen, insgesamt hat mich das Buch jedoch durch seine Vielseitigkeit und Reflektiertheit stark beeindruckt.

Wer also mehr darüber erfahren möchte, wie die ursprünglichen Adressaten vor zweitausend Jahren die Bibel verstanden haben könnte, dem sei dieses Buch unbedingt ans Herz gelegt! Anders als mancher Kommentar oder manches Studienbuch ist „Mit den Augen der Apostel“ keineswegs trocken und langweilig. Es holt seine Leser direkt dort ab, wo sie sind, führt sie behutsam an neue Gedanken heran und achtet auch dort, wo alte Sichten vielleicht nicht mehr greifen können, darauf, den persönlichen Glauben trotzdem zu erhalten und zu stärken. Insofern kann ich dieses Buch auch eher konservativ geprägten Lesern guten Gewissens sehr empfehlen.

Bewertung vom 30.03.2023
Ein Geist in der Kehle
Ní Ghríofa, Doireann

Ein Geist in der Kehle


ausgezeichnet

"Dies ist ein weiblicher Text." Mit diesem Satz beginnt und endet "Ein Geist in der Kehlte" und je weiter man in die von Doireann Ní Ghríofa erzählte(n) Geschichte(n) vordringt, umso mehr versteht man, was sie damit meint. In ihrem Buch nimmt sie sich nicht nur ungelesener Texte, sondern auch ungehörter Stimmen, unerzählter Schicksale und unerwähnter Ereignisse an, die sich wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte und das Leben von Frauen ziehen und doch selten einen Weg in die Literatur finden. Statt mit der übertriebenen Dramatik eines Romans, der etwas beweisen will, nähert sich Ní Ghríofa ihren Themen im Stil eines Essays an, der immer wieder durch Erzählungen aus dem Leben von Doireann Ní Ghríofa ergänzt wird.

Auch wenn das Buch zunächst sehr persönlich wirken mag, gibt die Tatsache,
dass es sich bei eben jenen autobiografischen Erzählungen (zumindest zum Teil) um Autofiktion handelt, dem Ganzen den Hauch eines Romans. Man hat das Gefühl, in einem Tagebuch zu lesen, in dem sich die Welt zumindest ein kleines bisschen um die Protagonistin dreht, die sich aber gleichzeitig das Rampenlicht mit ihrer persönlichen Heldin, Eibhlín Dubh Ní Chonaill, teilt. Zwar würde ich mich selbst als Irland-Fan beschreiben, hatte allerdings bisher wenig Kontakt mit der irischen Sprache und dem Caoineadh Airt Uí Laoghaire, dem Klagelied um Eibhlíns Mann Art, dessen Übersetzung und Hintergrundrecherche sich Ní Ghríofa in diesem Buch widmet. Umso spannender war es für mich, in eine ganz reale, fremde Welt einzutauchen - und darin doch immer wieder Vertrautes wiederzuentdecken. Da sich die Erzählung im stream of conscious fortbewegt, wirkt das Buch manchmal etwas durcheinander, womit sich aber gut umgehen lässt, wenn man sich einfach darauf einlässt, einfach zuzuhören.

Ní Ghríofa beweist dabei immer wieder, dass sie ein besonderes Gefühl für die Sprache hat und schafft es, dem Leser das Gefühl zu geben, mit ihr an den verschiedenen Stationen von Eibhlíns Leben zu stehen und mit ihr durch die Zeit zu reisen. (Dass, um ihren Stil zu würdigen, für die deutsche Übersetzung zwei Übersetzer - einer für die Gedichte und einer für den Prosatext - gewählt wurden, gefällt mir dabei sehr gut.) Doch egal, worum es auch geht: Ní Ghríofa nimmt kein Blatt vor den Mund, was z.T. fast schon brutal wirken kann. Die ersten Male überrascht das deshalb auch, passt aber letztendlich zu ihrer durch und durch ehrlichen Herangehensweise an ihre Erzählung. Ní Ghríofa möchte nichts verschweigen, vor allem nicht, wenn es um die weibliche Existenz geht.

Auch wenn die Prämisse des Buchs zunächst recht simpel ist, ist es Ní Ghríofa doch gelungen, einen "geist"reichen Text zu produzieren, der einen, wenn man sich darauf einlässt, völlig in den Bann schlägt. Als Historikerin konnte ich besonders den Wissensdurst nach Details aus dem Leben von Eibhlín Dubh Ní Chonaill verstehen und hatte so manchmal auch mehr den Eindruck, eine Art ausformuliertes Protokoll zu lesen, anstelle eines ... Essays? Fiktiven Tagebuchs? Halbromans? Einem klaren Genre widersetzt sich das Buch vehement.

So sehr mich das Buch begeistert hat, so vorsichtig bin ich mit einer Empfehlung, weil es sicherlich nicht für jeden ein Buch ist, das er oder sie mal eben nebenbei liest. Ní Ghríofa schreibt für Menschen mit Wissensdurst, mit Liebe zur Poesie, mit einem Verlangen nach Geschichte und einer Begeisterung für das Alltägliche, für die kleinen Dinge, hinter denen sich doch so viel mehr verbirgt - und genau diesen Menschen würde ich die Lektüre auch empfehlen.

Bewertung vom 13.01.2023
The Chosen: Komm und sieh selbst
Jenkins, Jerry B.

The Chosen: Komm und sieh selbst


ausgezeichnet

Meistens ist es ja so, dass man zuerst ein Buch liest und sich dann die Verfilmung ansieht und normalerweise halte ich mich strikt an dieses Muster. The Chosen bildet dabei - was auch den Veröffentlichungszeitpunkten der Staffeln und der begleitenden Romane liegt - eine Ausnahme, die mir wieder und wieder vor Augen führt, dass ein "Buch zum Film" tatsächlich eine echte Bereicherung sein kann. Diese Erfahrung, die ich bereits beim ersten Band, "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen" gemacht habe, hat auch jetzt wieder mein Lesen von "Komm und sieh selbst" begleitet.

In der Verschriftlichung der zweiten Staffel weiteren Neuzugängen der Gruppe um Jesus, zu der aus der Bibel bekannte Figuren wie die Jünger, aber auch verschiedene Frauen gehören. (Was ich als absolutes Plus empfunden habe!) Dabei werden manche Charaktere, die einem eigentlich aus den Evangelien vertraut sind, in völlig neue Geschichten gesteckt oder aus einem so neuen Licht präsentiert, dass man sie kaum wieder erkennt. Gleichzeitig wird nicht vergessen, dass es sich um Menschen handelt, mit Schwächen, Streitigkeiten, Eifersüchten... Durch diese Darstellung der Gruppe wirkt der Roman unglaublich lebendig und nahbar.

Während das Ziel der Macher von "The Chosen" ist, bei ihrem Publikum den Appetit für die Bibel zu wecken, haben mir hier wieder, wie schon im ersten Band, die Verweise auf die "Bezugs-Bibelstellen" gefehlt, wobei sie dieses Mal einfacher zu erkennen sind - auch, weil es nicht mehr so sehr um den grandiosen Auftakt des "Jesus-Epos" geht, sondern um das Erzählen der Geschichte, die vertrauten Spuren folgt. In seinen Geschichten ist der zweite Roman außerdem deutlich "theologischer" als der erste, wobei aus meiner Sicht ein geschickter Kompromiss zwischen den verschiedenen christlichen Denominationen gefunden wurde und gut im ökumenischen Kontext funktioniert.

Als Altertumswissenschaftlerin habe ich mich persönlich manchmal an der doch sehr modernen Sprache gestoßen und an einigen inhaltlichen Unstimmigkeiten (v.a. was Personenbezeichnungen und Ortsangaben angeht) gestoßen - im ersten Band war das entweder nicht so oder ist mir nicht aufgefallen - aber letztendlich dürfte jedem Leser bewusst sein, dass es nicht das Ziel der Serie ist, historisch korrekt zu sein, sondern einen neuen Blickwinkel auf die alten Geschichten zu geben, was auf jeden Fall gelingt.

Insgesamt bleibe ich auch nach dem Lesen des Buches bei meiner dringenden Empfehlung an alle Interessierte, sich zumindest auf eine Folge von "The Chosen" einzulassen (was schon allein optisch/künstlerisch immer ein echtes Erlebnis ist) - und dann unbedingt die Bücher zur Serie zu lesen, die mindestens genauso gut sind und durch die man den in den Folgen erzählten Inhalt noch viel besser versteht.

Bewertung vom 25.07.2022
Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


gut

Manchmal wird mensch aus der Bahn geworfen und steht dann vor den Scherben seines bisherigen Lebens. Viel schlimmer ist aber, wenn da gar keine Scherben sind - wenn alles perfekt scheint und nicht zu erkennen ist, warum es auf einmal nicht mehr funktioniert. So geht es Elke. Nach ihrem Theologiestudium und drei Jahren in der Seelsorge verliert sie auf einmal ihre Verbindung zu Gott (bzw. zur kirchlichen Tradition) und muss gegen eine innere Sperre ankämpfen, die ihr jegliche Erinnerung an diese Dinge verhindert. Elke ist nicht allein, als sie aus der Bahn geworfen wird - aber irgendwie schon, denn so richtig nachvollziehen kann ihre Probleme niemand. Schritt für Schritt muss sie lernen, mit dieser neuen Realität zu leben und steigt langsam dahinter, warum ausgerechnet sie an "Gottdemenz" leiden könnte.

Tamar Noort hat sich für ihre Debüt definitiv ein interessantes Thema ausgesucht. Eines, das man nicht häufig auf dem Buchmarkt findet. Wer liest schon ein Buch über arbeitslose Theologen? In meinem Fall eben diese. Insofern war das Buch für mich auch aus einem anderen Aspekt interessant: Wie geht Elke mit den Fragen um, die auch viele andere beschäftigten? Welche Lösungen findet sie? Wie gehen andere mit ihr um?

Mit den Charakteren des Romans bin ich zugegebenermaßen nur schwer warm geworden. Elke wirkt häufig eher wie ein launisches Kleinkind. An manchen Stellen erinnert ihr Verhalten an das einer dementen Personen und man hat Mitleid mit ihr. Man wartet jeden Moment darauf, dass ein Erwachsener den Raum betritt und das Kind oder die alte Dame tröstet, aber stattdessen begegnet sie anderen Kindern, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um auf andere schauen zu können: ihr aalglatt geschriebener Freund, ihre um sich selbst kreiselnden Eltern... Man wünscht es sich anders, wünscht sich eine idealisierte Erzählung, aber gerade in diesen Charakteren, die alle irgendwie abschreckend sind, ist Noorts Roman schmerzlich realistisch. Auch die Dynamiken zwischen den Charakteren schließen sich diesem Trend an - Fehlkommunikationen, unausgesprochene Beziehungskrisen, die keiner so wirklich wahr nimmt... Wie eines dieser zwischenmenschlichen Probleme am Ende gelöst wurde, ganz gegen das Klischee vieler anderer Romane, fand ich allerdings richtig gut! Die sonst sehr statischen Figuren gewinnen hier dann doch etwas an Dimension.

Während manche Bücher durch ihre Geschichte überzeugen, ist es hier die Sprache, die einen mitnimmt. Noorts relativ abrupter Erzählstil passt zu Elkes innerer Welt und ihre Darstellung einiger dunklerer Szenen hat mich tatsächlich zum Weinen gebracht. Ihre Formulierungen sind voll von Anspielungen auf Liturgie, Kirchenlied und Bibeltexte und somit für Leute aus der "Glaubenswelt" sehr unterhaltsam zu Lesen. (Ob das gleiche allerdings auch für Leute außerhalb der Szene greift?)

Das von der sprachlichen Gewandtheit ausstrahlende Licht überstrahlt und überdeckt viel, aber nicht alles. Der Plot wirkte auf mich etwas stückhaft und es verging viel Zeit (sowohl gelesene als auch in der Geschichte) ohne wirkliche Entwicklung - was für den Leser z.T. frustrierend sein kann, letztendlich aber vermutlich Elkes Lebensrealität widerspiegeln soll. Elkes Kampf mit dem Glauben kommt recht unklar rüber (man kann seiner Entwicklung nicht ganz glauben), die Gottesdemenz wird bruchstückhaft, bevor Elke es überhaupt bemerkt und als Theologin fragt man sich, warum Elke diese Fragen erst jetzt kommen. (Normalerweise tauchen Fragen, die mit dem Glauben verbunden sind, während des Studiums auf und wer es darüber hinaus geschafft hat, weiß, ob er glaubt/glauben will oder nicht. Elke scheint hier - aus meiner Sicht ziemlich unrealistisch - vollkommen unverändert durchs Studium gegangen zu sein. Für das plötzliche Kopfstehen ihrer Welt fehlen auf der anderen Seite jegliche Trigger, kurz: Der Startpunkt der Geschichte wirkt vollkommen unlogisch.)

Während das Cover gut zum Titel passt, habe ich mich mit dem Passen des Tite

Bewertung vom 06.10.2021
The Chosen: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen
Jenkins, Jerry B.

The Chosen: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen


ausgezeichnet

Ich weiß nicht, wie viele Zigtausend oder Zigmillionen Jesus Filme und Romane es geht. Jeder erzählt auf die eine oder andere Weise dieselbe Geschichte, rückt seiten- oder abendfüllend die Passion Christi ins Licht - mal direkt an eines der Evangelien angelehnt, mal freier erzählt. The Chosen ist dagegen anders. Jesus steht hier eher so im Mittelpunkt wie die Sonne der Mittelpunkt unseres Universums ist - ohne sie funktioniert nichts und irgendwie ist sie immer da, aber hier auf der Erde geht es doch erstmal immer um uns Menschen und das was uns bewegt. So auch in The Chosen: Die Menschen stehen im Vordergrund, besonders ihre Begegnungen mit Jesus und wie diese ihr Leben verändern.

Als jemand, der von klein auf im christlichen Glauben erzogen wurde, ist oft an den Geschichten nicht mehr viel Reiz. Man hat sie tausendmal gehört und keine wirkliche Lust mehr darauf, weil was ist schon ein Netz voller Fische nach einer ertragslosen Nacht? Sicherlich ganz cool, aber wozu? Für ähnlich ermattete Leser oder solche, die bisher noch gar nicht mit den biblischen Geschichten in Berührung gekommen sind, bietet The Chosen einen erfrischenden neuen Ansatz, der mitreißt und berührt. Auf einmal versteht man, wie entscheidend so ein Fischfang gewesen sein kann. Die Geschichte bleibt dabei nah am Original, nimmt sich aber hier und da durchaus einige Freiheiten heraus und gibt den altvertrauten Berichten dadurch neues Leben und durchaus auch Witz. In den vielseitigen und liebevoll beschriebenen Charakteren, mit ihren ganz unterschiedlichen Problemen, finden sich die Leser wieder und können so auch ein wenig selbst erleben, wie es wäre, Jesus selbst zu begegnen. Schön ist auch, wie immer wieder alttestamentliche Berichte in die Erzählungen eingewoben werden.

Als jemand, der vor dem Lesen dieses Buches bereits die erste Staffel der Serie (auf Englisch) gesehen hatte, habe ich mich zu Beginn oft gefragt, wo genau der Mehrwert der Verschriftlichung liegt, doch ich wurde schon bald überzeugt, denn: Viele Details, die man (zumindest beim ersten Mal) beim Schauen der Serie übersieht kommen hier schön zum Ausdruck. Manche Hintergrundgeschichten, die man nicht auf Anhieb versteht, werden hier klar erläutert. Das Buch ist also durchaus eine bereichernde Erweiterung und funktioniert gleichzeitig auch hervorragend als alleinstehendes Werk. (Und die Geschichten sind auch beim zweiten Aufnehmen nicht weniger beeindruckend.)

Einzige Kritikpunkte für mich sind die etwas abgehackte Sprache, die ohne viele Schnörkel geradeaus erzählt und der Mangel eines Textstellenverzeichnisses am Ende. Die einzelnen Erzählungen machen Lust darauf, wieder in die biblischen Texte einzutauchen und das eine oder andere eher weniger bekannte Gleichnis noch einmal nachzulesen. Ein paar Hinweise, wo das am besten geht, würde das Buch perfekt machen. Zum Abzug eines Sterns reichen diese kleinen Mankos für mich allerdings nicht.

Allen, die Jesus oder die biblischen Texte neu entdecken wollen und/ oder Lust auf "anders" haben, denen sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. (Und es gibt sicher auch ein tolles Weihnachtsgeschenk ab!)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2021
Manchmal sucht sich das Leben harte Wege. SPIEGEL-BESTSELLER. Wahre Geschichten, die berühren und Zuversicht geben. Von der Suche nach neuem Lebensmut: Wie Sie eine Lebenskrise meistern und Schicksalsschläge überwinden
Afflerbach, Katharina

Manchmal sucht sich das Leben harte Wege. SPIEGEL-BESTSELLER. Wahre Geschichten, die berühren und Zuversicht geben. Von der Suche nach neuem Lebensmut: Wie Sie eine Lebenskrise meistern und Schicksalsschläge überwinden


sehr gut

"Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt, es ist Zeit, dass er geht." (Frei nach den Puhdys)

Immer wieder werden Menschen viel zu früh aus dem Leben gerissen. Liebe Freunde, Angehörige, Kinder. Das Abschiednehmen von ihnen ist schwer, doch auch ein Gehen später im Leben ist oft nicht leichter. Verluste hinterlassen tiefe Spuren im Leben der Hinterbliebenen, die ganz unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehen. Wie, das erfährt man in Katharina Afflerbachs neuem Buch "Manchmal sucht sich das Leben schwere Wege".

Die Schicksale, die Leser:innen hier begegnen, sind wirklich alles andere als leicht. Verwaiste Eltern und Geschwister, verlorene Freunde. Der Tod und der Abschied von lieben Menschen ist ein Thema, mit dem sich jeder früher oder später auseinandersetzen muss. Wie dieses "gehen lassen" erlebt wird und was sich dahinter für Geschichten verbergen, erfährt man hier auf ganz unterschiedliche Weise, doch eines haben die Berichte gemeinsam: Sie sind unglaublich persönlich und sehr verletzlich. Die Menschen, die sich für dieses Buch geöffnet haben, mussten nicht nur sehr stark sein, sondern waren auch noch so mutig, ihre Geschichten zu teilen. Das ist nicht selbstverständlich.

Katharina Afflerbach setzt sich mit diesen Schicksalen sehr behutsam auseinander. Lebhaft erzählt sie von den verschiedenen Menschen und den Begegnungen mit ihnen und statt wie ein Protokoll liest sich ihr Buch eher so, als ob man selbst mit ihnen dort gewesen wäre. Doch nicht nur Berichte hat sie zusammengetragen - am Ende kann man als Leser auch mit einigen Strategien zum Umgang mit Trauer und Trauernden aus dem Buch gehen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich ein ziemlicher Kopfmensch bin oder dass ich bisher (zum Glück) nur eine handvoll Trauererfahrungen machen musste - keine davon so herzzerreißend wie die im Buch beschriebenen - aber an einigen Stellen habe ich gemerkt, wie ich an meine "Empathie-Grenzen" gestoßen bin. Leiden und Schmerz sind etwas, das man nie vollständig nachvollziehen, sondern immer nur an eigenen Erfahrungen abgleichen kann und so konnte ich zwar an vielen Stellen das Leid der Menschen anerkennen, aber selbst kaum mit ihnen empfinden, weil mir vergleichbare Erfahrungen fehlen. Vermutlich sind das die beiden Arten, auf die sich dieses Buch erleben lässt: In einem "vorher", das einen traurig teilhaben lässt und einem "nachher", in dem man den Schmerzen ganz anders nachvollziehen kann.

Insgesamt sind die "schweren Wege" keine leichte Lektüre und man muss sich als Leser bewusst darauf einlassen, diese Wege mit den vorgestellten Menschen zu gehen. Das braucht Zeit und Geduld. Wer dieses Buch lesen möchte, sollte sich außerdem darauf einstellen, fast automatisch viel zu reflektieren und eigene Trauererfahrungen und Verluste neu zu betrachten. Wer jedoch dazu bereit ist, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.09.2021
Der perfekte Kreis
Myers, Benjamin

Der perfekte Kreis


sehr gut

Seit ich "Offene See" gelesen habe, schätze ich Benjamin Myers Erzählstil sehr und wurde auch in "Der perfekte Kreis" nicht enttäuscht. Mit viel Liebe zum Detail berichtet er von zwei einzigartigen, unterschiedlichen und doch ganz ähnlichen Figuren, die sich irgendwie gefunden haben und zusammen ein Stückchen Welt verändern - oder besser: ein Stückchen Acker. Mal hier, mal dort. Jede Woche des Sommers an einem anderen Platz. Doch auch wenn der Leser viel über die Motivation der beiden erfährt und Einblicke in ihre Vergangenheit und Gegenwart erhält, bleiben sie doch fern. Man versteht sie, aber man kennt sie nicht, möchte gern mehr erfahren. Zumindest mir hat im Verlauf des Buches eine Entwicklung innerhalb ihrer Charaktere gefehlt, sie sind am Ende immer noch dieselben wie am Anfang und auch wenn dahinter eine gewisse Philosophie stecken mag (die vielleicht beim dritten oder vierten Lesen besonders deutlich wird), wirkt das Buch auf den ersten Blick eher wie eine lang geratene Kurzgeschichte als wie ein Roman. Der Spannungsbogen basiert allein auf den sich entwickelnden Kornbildern, für die der Leser viel Fantasie braucht - weshalb man auch hier möglicherweise nicht übermäßig mitgerissen wird.
Optisch ist das Buch sehr edel und auch die Idee mit dem goldenen Schweif gefällt mir gut, allerdings scheint das Stahlgrau des Einbands nicht wirklich zum Inhalt des Buches zu passen - ein Grün oder Braun, ein Erd- oder naturverbundener Farbton hätte hier besser gepasst. Die Gestaltung lässt bereits darauf schließen, dass das Buch vor allem ein Thema hat: Schönheit. Und in der Auseinandersetzung mit dieser Frage, mit der Motivation der Figuren, hat mich die Geschichte überzeugt.
Insgesamt ist "Der perfekte Kreis" wohl eher etwas für Liebhaber von Myers. Für Leser, die sich gern für einen Moment in eine andere Zeit versetzen lassen möchten, Tagträumer, Ästheten ... nicht für Leute auf der Suche nach einem überragend spannenden oder emotionalen Roman. "Der perfekte Kreis" überzeugt durch seine Stille und Präzision und ist für mich deshalb trotzdem eine Empfehlung wert - für alle, die gewillt sind, sich darauf einzulassen.