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Insgesamt 164 Bewertungen
Bewertung vom 17.06.2025
Nightmore - Das gruseligste Internat der Welt (Band 1) - Plötzlich Werwolf
Walder, Vanessa

Nightmore - Das gruseligste Internat der Welt (Band 1) - Plötzlich Werwolf


ausgezeichnet

Temporeich

Bei „Nightmore“ sind wir gleich mitten im Geschehen und hautnah dabei, wenn Fynn versucht aus dem verhassten Internat abzuhauen. Und dieses Internat hat es in sich: Denn als Fynn auf seine Strafpredigt vor dem Büro der Direktorin wartet, gesellt sich eine Dämonin zu ihm.

Vanessa Walder zeigt als Kinderbuchautorin eine große Bandbreite und ihre Bücher machen meinem Sohn und mir schon seit mehreren Jahren viel Spaß. Hier wird es nun gruselig – aber auch witzig. Und Walder gelingt ein seltenes Kunststück: Dieses Buch ist zwar für Erst- oder Wenigleser konzipiert, funktioniert aber so toll, dass selbst der 13jährige Teenager noch voll auf seine Kosten kam und viel gelacht hat. Das liegt zum einen am Tempo, denn wir halten uns nicht lange mit dem immergleichen Schul-/Internatsblabla auf, das in vielen Kinderbüchern ja mehr oder weniger identisch dargestellt wird, sondern es geht gleich zur Sache. Die Kernzielgruppe bekommt so schnell ein Erfolgserlebnis. Und ALLE landen gleich beim Wesentlichen: einer spannenden Geschichte. Dazu gehören – das sind die anderen großen Pluspunkt – die witzigen Charaktere und die Lust an vielen absurden Einfällen. Welche genialen Schulfächer und prominente Lehrkräfte es in der Nightmore Academy so gibt. Was ist bitte „Blutball“ und die Schulregeln erst... Walder spielt mit verschiedenen Elementen aus dem Fantasy- und dem Horrorgenre, so dass wir uns alle amüsieren und durchaus auch gruseln können. Absolut kindgerecht bleibt es trotzdem. Richtig begeistert uns Fynns Charakterbogen, weil hier ganz viel über Verantwortung und Selbstakzeptanz erzählt wird.

Für Viellesende gibt es nur einen Wermutstropfen: Das Buch ist viel zu schnell weggelesen. Aber tröstet euch, es wird bald einen weiteren Band geben.

Ganz wundervoll für Erst- und Weniglesende, aber hier gelingt das großes Kunststück, dass auch alle anderen hier noch auf ihre Kosten kommen. 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 10.06.2025
Tuberkulose
Green, John

Tuberkulose


ausgezeichnet

Eindringlich und emotional verpackt

John Greens Engagement gegen Tuberkulose ist mir schon auf SocialMedia mehrfach sehr positiv aufgefallen. Wie er am Ende seines Buch schreibt, bekam er durch seine Prominenz ein Megafon in die Hand gedrückt, das er nun für dieses wichtige Thema nutzt. Und das klappte für mich auch in Buchform sehr gut. Obwohl das Thema so düster ist, schafft Green es, dieses sehr eindringlich und emotional zu verpacken.

»Nichts ist so privilegiert wie die Annahme, die Geschichte wäre Vergangenheit«, zitiert er auf den ersten Seiten einen Freund. Und damit treffen beide den Kern. Während wir im sogenannten "Westen" vieles überwunden glauben, schlagen viele Probleme in anderen Regionen immer noch heftig zu. Wir sind so privilegiert, dass wir Millionen Menschen jährlich sterben lassen, einfach, weil sie arm sind, in den falschen Ländern leben und/oder als Teil einer marginalisierten Gruppe geboren wurden.

Greens Engagement begann, als er in Sierra Leone ein TB-Krankenhaus besucht und Henry trifft. Der 16jährige ist von der Tuberkulose so gezeichnet, dass Green erst glaubt, der Teenager wäre noch ein Kind von 9 oder 10 Jahren. Henry begleitet uns das ganze Buch über, anhand seiner Geschichte schildert Green viele Aspekte, die ich über Tuberkulose noch nicht wusste, wie z.B. dass die Patient*innen während der Behandlung so viel Hunger haben, aber sich ausreichende Nahrungsaufnahme gar nicht leisten können.

Neben Henrys Geschichte verfolgt Green die Geschichte der Tuberkulose, sowohl medizinisch als auch sozial und kulturhistorisch. Er zeigt eindringlich auf, dass es auch immer soziale Aspekte eine Rolle spielen, wie wir eine Krankheit bekämpfen (oder nicht). Bei der Tuberkulose spielen auch viele rassistische Vorurteile eine Rolle. Im 19. Jahrhundert, als im großen Maße auch noch Weiße betroffen waren, wurden die Patient*innen als sensible, kreative Seelen beschrieben, später, als sich die Lebensverhältnisse für Weiße verbesserten und klar war, dass Bakterien die Krankheit verursachen, wurde der Lebenswandel der rassifizierten Menschen verantwortlich gemacht. Besonders fasziniert haben mich die absurden Zusammenhänge, z.B. dass New Mexicos Anerkennung als US-Bundesstaat ebenfalls mit der Tuberkulose verknüpft ist.

Ein dritter Aspekt, der sich durchs Buch zieht, sind Greens eigene Erfahrungen, neben Tb-Fällen in seiner Familie sind das die Erlebnisse mit seiner Angsterkrankungen und wo uns Menschen im Westen privilegiert werden. Dabei bleibt der große Respekt, den Green vor dem Betroffenen und den Tb-Aktivist*innen hat, immer im Vordergrund.

Green emotionalisiert bei Henrys Geschichte und auch bei seinen persönlichen Erlebnissen sehr. Ich kann mir vorstellen, dass das einige vielleicht kitschig finden, aber das Buch wird so sehr nahbar und nachvollziehbar. Und weil die westlichen Leser*innen sich vieles sonst vielleicht nicht nachvollziehbar fänden, ist das wichtig. Und es trifft letztlich auch Greens Stil, den seine Leser*innen von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ oder „Margos Spuren“ kennen. Und ihr solltet auch keine breite medizinhistorische Darstellung erwarten, das Buch hat rund 200 Seiten, aber gelernt habe ich trotzdem einiges.

Das Positive daran: Wir sind der Tuberkulose (noch) nicht hilflos ausgeliefert. Wir können als Weltgemeinschaft etwas gegen diesen stillen Killer unternehmen.

Ich hoffe, „Tuberkulose“ findet viele interessierte Lesende, die das Thema Tuberkulose weiter in die Öffentlichkeit bringen. 4,5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 10.06.2025
Lyneham
Westerboer, Nils

Lyneham


ausgezeichnet

Grandioses Worldbuilding, atmosphärisch dicht erzählt

Diese Welt ist definitiv eigen. Nils Westerboer hat mit „Lyneham“ eine faszinierende Welt erschaffen, die mich richtig ins Buch hineingezogen hat. Die Konstruktion der Geschichte, die auf zwei Zeitebenen mit zwei unterschiedlichen Erzählenden geschildert wird, enthüllt erst nach und nach, wie die Zusammenhänge sind, aber von Anfang an spüre ich dieses Unbehagen, dass hier längst nicht alles gut ist, selbst, als Henry und seine Familie auf diesem fremden, lebensfeindlichen Planeten in einem vermeintlich sichern Biom ankommen.

Mehr als die Hälfte der Geschichte erfahren wir aus Henrys Ich-Perspektive. Der 12-jährige hat von seinem Vater längst nicht alle Hintergründe über Perm erfahren und auch nicht, warum seine Mutter Mildred erst nach ihnen die Erde verlassen hatte. Zwischen jugendlichem Trotz und Neugierde erfahren wir schließlich immer mehr. Manchmal kam mir Henry aber fast schon zu naiv für einen Pre-Teen vor. Fein beobachtet erfahren wir von der Beziehungen zu den beiden Geschwistern, älterer Bruder und kleinere Schwester, und wie die Menschen in den Biomen auf Perm nun eine Utopie aufbauen, die aber immer wieder zu haken scheint.

Von Mutter Mildred gibt es Tagebuchaufzeichnungen. Die Wissenschaftlerin ist ein kluger, eigenständiger Kopf, was bei ihren Mitstreitenden der „Primarmission“ nicht wirklich gut ankommt. Westerboer verschränkt die unterschiedlichen Erzählenebenen richtig gut, besonders am Anfang, wie sich die unterschiedlichen Informationen über die Welt und die Personen ergänzen.

Die Beschreibungen von Perms Welt sind faszinierend, manchmal aber so abgedreht und mit so vielen Namen behaftet, dass ich einige Tiere und Phänomene bis zum Schluss nicht wirklich als Vorstellung im Kopf hatte. Aber das kann auch an mir liegen. Trotzdem habe ich es genossen, dass Westerboer hier ganz neue Elemente beschreibt. Das hatte manchmal schon fast meditative Tendenzen.

„Lyneham“ stellt viele philosophische und politische Fragen, die gerade in Zeiten, in denen Tech-Bros immer mehr Einfluss auf unsere Welt nehmen (Stichwort transhumanistische Mythologie) sehr relevant sind. Wie können wir gemeinsam zu Entscheidungen kommen? Wie beeinflusst die Technik uns? Dürfen wir gegen das Leben entscheiden, um Leben zu retten?

Vieles mochte ich wirklich sehr und wäre eigentlich bei 5 Sternen gelandet. Manchmal ging mir die Erzählungweise aber schon fast zu langsam. Mildreds Ablehnung der klassischen Mutterrolle scheint mir die im Gegenzug überzubetonen. Das Ende lief dann irgendwie zu rund, zu gebaut, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass das wirklich so klappen würde. Eine moralisch richtige Entscheidung war dann mir nicht stimmig, weil sie vorher mit bestimmten Klischees spielte, um hier die Richtigkeit der Entscheidung zu verstärken. Und dann verstehe ich eine andere Entscheidung der Protagonist*innen emotional nicht.

Grandioses Worldbuilding. Atmosphärisch dicht erzählt. Aber einiges war dann doch nicht ganz stimmig. 4 von 5 Sternen und eine Empfehlung für alle, die mal eine ganz andere SciFi-Welt erleben wollen.

Bewertung vom 09.06.2025
Game of Noctis - Spiel um dein Leben
Fagan, Deva

Game of Noctis - Spiel um dein Leben


ausgezeichnet

Die ganze Welt ein großes Spiel!

In dieser Welt ist alles ein großes Spiel oder sogar 8.684, denn so viele gibt es offiziell auf der Insel Dantessa, aber das allergrößte ist Noctis. Und auch das gefährlichste, den schließlich nimmt dort die Todesfee selbst teil. Da ich eine begeisterte Brett- und Kartenspielerin bin, hat mich dieses Setting sofort neugierig gemacht und das Buch hat meine Erwartungen voll erfüllt. Im Mittelpunkt steht Pia, die an Noctis teilnehmen möchte, um ihren Großvater von der Insel der Knechte freikaufen zu können.

Mit „Game of Noctis“ bekommt ihren einen spannenden Roman, der sich gut ab ca. 10 Jahren lesen lest. Das Worldbuilding gelingt Deva Fagan grandios, die verschiedenen Spiele werden plastisch erklärt, sowohl welche, die uns wage bekannt vorkommen, als auch die, die ganz anders sind als die in unserer Welt. Schon schnell flicht sich das dystpische Element in die Geschichte ein. Auf Dantessa gibt es Spieler*innen, die um unterschiedliche Einsätze spielen, und Knechte*Mägde, die unfrei alle Arbeiten erledigen müssen. Aber auch die Spieler*innen sind reich – und damit mächtig bevorzugt bei den Spielen – oder arm und müssen ständig um Essen, Unterkunft und ihre Freiheit bangen. Denn rutschen sie in der Rangliste auf den nullten Platz, dann werden sie zu Knecht und Magd.

Nach und nach bekommt Pias Überzeugung Risse, dass Dantessas Spieregeln von Fairness geprägt wären, und erkennt, wie ungerecht dies alles ist:

„Wir hatten die Regeln doch immer befolgt. Ich hatte so verflucht hart gekämpft und dachte wirklich, wir hätten eine Chance. Aber trotzdem hatte ich verloren.“

Und es ist schön, wie wir sie bei diesem Prozess begleiten können. Dazu hilft ihr Team der Seefüchse, denn diese vier weiteren Held*innen wachsen mir schnell ans Herz und haben alle ihre eigene, besonders Geschichte mit den Regeln von Noctis.

So düster die Welt scheint, Fagan gelingt es, dass es trotz der großen Gefahr – bei Noctis kannst du sogar dein Leben verlieren – die Balance zu halten, dass die Spannung echt groß ist, aber wir das auch als junge Lesende noch gut lesen können. Das liegt sicherlich auch an der großen Spielfreude, die uns zum entdecken und mitspielen im Geiste einlädt. Spielen soll Spaß machen, lautet eine ganz klare Botschaft des Buches, es geht NICHT ums Gewinnen. Und dann gibt es noch so tolle Begegnungen mit vielen Figuren, die richtig, richtig Spaß machen. Ja, die Begegnung(en) mit der Todesfee waren mein Highlight.

Die Sprache in der Übersetzung von Katja Hildebrandt gefiel mir auch ausnehmend gut, gerade die fast schon philosophischen Beschreibungen des Spielens.

Insgesamt bin ich rundum begeistert. (Erst recht, nachdem ich in letzter Zeit einige Bücher für die gleiche Altersgruppe gelesen habe, die sich sehr unrund fand.) Es gab so zwei, drei Kleinigkeiten vielleicht. So habe ich mich gefragt, warum Vittoria gerade Pia für die Runde aussucht, hatte sie da niemand anderen angefragt. Und eine Erkenntnis bekommt die Gruppe sehr leicht. Aber das fiel hier echt nicht weiter ins Gewicht.

Hier bin ich wirklich begeistert, das Buch machte mir so viel Spaß. Große Empfehlung, 4,5 von 5 Sternen – und ich lade sehr zum Mit-Spielen und Mit-Lesen ein.

Bewertung vom 23.05.2024
Ein kleines Geheimnis - Spiel mit mir und ich verrat es dir!
Ofner, Agi

Ein kleines Geheimnis - Spiel mit mir und ich verrat es dir!


ausgezeichnet

Was lässt sich nicht alles mit einem Buch anstellen, wenn es so tolle Ideen bereithält wie „Ein kleines Geheimnis“ von Agi Ofner! Das niedliche Eichhörnchen hält nämlich so einige Mini-Aufgaben für die kleinen Lesenden (ab ca. 24 Monaten) bereit und die stabilen Pappseiten werden das alles spielend aushalten.
Es ist ein richtiges Aktiv-Mach-Buch: Die Kleinen dürfen mit dem Eichhörnchen nicken, drauftippen, werfen, klatschen, zeigen, streicheln, füttern, pusten und ganz nah kommen. Das Buch bewegt also doppelt, erst den Körper, und dann auch ein wenig das Herz, denn das Geheimnis ist zuckersüß.
So entsteht Bücher-Liebe! Denn auch mit Büchern müssen wir uns beschäftigen, damit sie uns ihre Geheimnisse verraten.

Bewertung vom 17.05.2024
Totentanz – 1923 und seine Folgen (ungekürzt) (MP3-Download)
Hoffritz, Jutta

Totentanz – 1923 und seine Folgen (ungekürzt) (MP3-Download)


ausgezeichnet

Spannendes Eintauchen in die Geschichte

In „Totentanz – 1923 und seine Folgen“ gelingt es Jutta Hoffritz mit ihrem Sachbuch auf ganz außergewöhnliche Weise, in die Geschichte einzutauchen – besonders eindrucksvoll in der ungekürzten Hörbuchfassung, die von Stephan Schad gesprochen wird.

Die großen politischen Gegebenheiten der Zeit beeinflussen das Leben der einzelnen Menschen, Hoffritz hat ihr Figureninventar aber so geschickt zusammengestellt, dass wir merken, wie sehr auch einzelne die Geschichte beeinflussen. Nehmen wir beispielsweise die berühmte Malerin Käthe Kollwitz. Obwohl sie seit Jahren SPD-Mitglied war, malte sie aus Mitleid mit den schlimmen Zuständen immer wieder Plakate für die Kommunist*innen, wie die Arbeiterhilfe des „kreativen Jungkommunisten“ Willi Münzenberg. Dieser wird ab September 1923 auch Revolutionsbestrebungen in Thüringen und Sachen unterstützen. Neben Kollwitz sind weitere Hauptcharakters des Buchs der Ruhrbaron Hugo Sinnes, die (Nackt-)Tänzerin Anita Berber, Schriftsteller Kurt Tucholsky, der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer und Reichsbankchef Rudolf Havenstein. Autorin Hoffritz bildet einen Reigen aus diesem Figureninventar, um das herum sie die zentralen Ereignisse dieses Jahres ebenso erzählt Weggefährt*innen und Kontrahent*innen, Putschist*innen und Demokrat*innen, Verlierer*innen und Gewinner*innen der Zeit. Das Buch behandelt nach und nach jeden Monat des Jahres 1923, zentral ist die Hyperinflation, und die historischen Personen werden so geschickt verflochten, dass Hoffritz mit ihnen ein geschlossenes Ganzes erschafft.

Gerade weil aktuell international der Rechtspopulismus erstarkt, die letzten zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts durch Krisen gekennzeichnet sind und die Armut auch in Deutschland zunimmt, lohnt es sich zusätzlich mit Jutta Hoffritz den Blick ins Jahr 1923 zu wagen.

Ich habe zuerst das Hörbuch gehört und später dann in die Buchausgabe hineingeguckt, die mit einigen schwarz-weiß Fotografien aufwartet und sich außerdem durch sehr knappe Absätze von nur wenigen Zeilen auszeichnet. Aber im Hörbuch ist sich für mich das Jahr 1923 besonders eindringlich lebendig geworden. Sprecher Stephan Schad gibt den jeweiligen historischen Figuren nicht übertrieben unterschiedliche Stimmen, aber er hat oft feine Nuancen in der Stimme, die die einzelnen Abschnitte doch den jeweiligen Personen zuordnet. Bei einigen kommt eine gewisse Ironie über deren Handeln zum Tragen. So waren die Personen ab ihrem ersten Erscheinen für mich total plastisch und lebendig. Wirklich toll.

Bewertung vom 14.05.2024
Revier der Raben / Das geheime Leben der Tiere - Wald Bd.4
Walder, Vanessa

Revier der Raben / Das geheime Leben der Tiere - Wald Bd.4


ausgezeichnet

Voller Poesie tauchen wir in das Leben dieser klugen und wundervollen Vögel ein. Und erfahren gleichzeitig ganz viel über ihr Leben.

Geschichten gibt es, damit wir in den Kopf von anderen schlüpfen können. Denn das Menschsein ist als allererstes Empathie. Dieses hehre Ziel der Kunst gelingt mal besser, mal schlechter. „Revier der Raben“ hat es gemeistert: Ich war ein Rabe!
„Was Raben nun wirklich sagen, fühlen und denken, sehen und riechen, das werden wir vermutlich nie wissen, solange wir nicht als Raben wiedergeboren werden. Und dann werden wir wohl lieber fliegen, als Bücher schreiben.“
Diese Einschränkung gibt Autorin Vanessa Walder zwar selbst am Ende des Buches. Aber ihre Geschichte um das Rabenpaar Chree und Graak und ihre Jungen Krrik und Roah fühlt sich trotzdem so an, als würden wir mit ihnen fliegen, lieben und lachen.
„Also erzählt Chree den beiden Jungvögeln die Geschichte, wie er fliegen lernte. Das ist ein Brauch: Nestgeschichten. Alle Kolkraben teilen mit ihren Jungen Geschichten.“
Diese klugen Vögel sind so faszinierend. Wusstet ihr, dass die Kolkraben als der ganz wenigen Vogelarten sind, die sich mitten im Flug auf den Rücken drehen und von dort Raubvögel abwehren können? In den spannenden Plot um die Rabenfamilie webt Walder die faszinierenden Fakten um die Raben so dicht und stimmig ein, dass sie völlig in der Poesie aufgehen. Obwohl mein Sohn schon 12 ist, lesen wir uns immer noch gegenseitig vor. Und darum kann ich sagen: Dieses Buch ist auch zum Vorlesen wundervoll, weil die Sprache so schön von der Zunge geht wie ein Gedicht. Besonders wirkt dabei die Rabensprache, die immer wieder eingestreut unsere Menschenkehlen und -zungen ein wenig beim Artikulieren herausgefordert hat. Mein Sohn hat es geliebt zu dechiffrieren, was die Raben meinen, wenn sie Menschenlaute nachahmen. Die schwarz-weißen Aquarell-Illustrationen von Simona M Ceccarelli lassen uns zusätzlich ganz nah an die Kolkraben heran.
Die Geschichte der Rabenfamilie ist auch eine über das Leben selbst, über Zuneigung, Erwachsenwerden, Abschiednehmen und Neues-Finden.
„Wie so vieles im Leben der Kolkraben bedeutet das zwei Dinge, die miteinander verwoben sind, wie Baumwurzeln im Wald.“
Voller Poesie tauchen wir in das Leben dieser klugen und wundervollen Vögel ein – und erfahren gleichzeitig ganz viel über ihr Leben. Eine große Empfehlung von uns – wir nehmen nur Leute aus, die Anthropomorphisus anfangen können – und vergeben begeisterte 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 06.05.2024
Diebe der Nacht
Corzilius, Thilo

Diebe der Nacht


sehr gut

Diese Diebe sind mir ans Herz gewachsen

Es ist ein düsteres Buch mit einer gewissen Langsamkeit, das seine ganz eigene Faszination hat. Und kleine Vorwarnung, da der nächste Satz auch etwas von einem Spoiler hat:

Achtung Spoiler:
Es sterben sehr viele von den Figuren und so blieb immer viel Unsicherheit, wen es noch alles erwischen wird.

Im Zentrum steht die Truppe der Herbstgänger, eine wandernde Theatertruppe, die neben ihren spektakulären Stücken auf- auch spektakuläre Diebesstücke ausführt. Die Protagonist*innen sind damit per se moralisch grau, sie stehlen zwar von den Reichen, behalten aber den Gewinn selbst. Und diese Truppe mochte ich wirklich gerne, auch, wenn einige Charaktere nur angerissen werden. Nach und nach erfahren wir auch in Zwischenspielen ihre tragischen Vorgeschichten.

CN: Da gibt es dann auch einiges an Gew*lt, auch s*ggualisierter, Kinderh*ndel, u.ä.

Thilo Corzilius baut ein faszinierendes Magiekonstrukt für diese Welt. Vieles läuft eher wie verschiedene Handwerke ab, die Effekte sind trotzdem wundervoll und mächtig. Manchmal war mir die Mächtigkeit der verwendeten Mittel allerdings zu groß, erst recht, wenn die Hauptcharaktere dann an anderen Stellen wieder recht hilflos waren. Ich hatte das Buch schon einmal angefangen und dann kam das Leben dazwischen. Beim Zweiten Anlauf hat mich die komplexe Welt meist ganz schön gepackt.

Was ich allerdings nicht mochte …

Achtung: Spoiler:
Vom Plot her ist mir schon klar, warum genau die eine Figur sterben musste. Aber musste diese Figur genau schwul sein? Und dann sterben auch noch weitere queere Figuren. Da hätte ich mir schon mehr Achtsamkeit erwartet, allerdings sterben wirklich seeeehr viele Figuren.

Die düsternen Geschehnisse hatten eine ganz eigene Faszination. Ich vergebe 3,5 von 4 Sternen.

PS: Thilo Czorzilius hat mit „Diebe der Nacht“ sein Romandebüt geschrieben und ich will auf alle Fälle sein zweites Buch lesen, auch, wenn das – soweit ich weiß – beides Einzelbände sind. Aber die Art zu schreiben hat mich wirklich angesprochen.

Bewertung vom 30.04.2024
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind
Foer, Esther Safran

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind


ausgezeichnet

Sehr persönlicher Blick wie viele Leben, wie viele Erinnerung durch die Shoah zerstört wurden. Und wie einige wiedergefunden wurden.

Für die Überlebenden wirkte die Shoah fort, auch in die nächsten Generationen. Neben den traumatischen Erfahrungen wurden dadurch viele Verbindungen und Erinnerungen abgerissen und zerstört. Esther Safran Foer ist die Mutter von Jonathan Safran Foer, der aus der Enkelgeneration heraus seine erfolglose Suche in dem Roman „Alles ist erleuchtet“ fiktionalisiert hat. Esther Safran Foer schildert nun in diesem sehr persönlichen Bericht ihre reale Suche, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte, und nach der Romanveröffentlichung ihres Sohnes doch noch weitere Ergebnisse ergab.

Sie zeigt eindrucksvoll, dass die Suche nach den Verwandten, ihren Erinnerungen und Geschichten, eine Art Heilungsprozess in Gang setzt. Ihre Suche und ihre Reflexion sind sehr bewegend und sie zeigt mit einem so liebevollen und oft auch humorvollen Blick, auch welche Eigenheiten ihre Weggefährt*innen hatten. Diese menschliche Wärme macht das Buch auch zu einer viel leichteren Lektüre, als man vielleicht vermuten möchte.

Dennoch hat braucht das Buch themenbedingt eine Content Note.

CN: Genozid, Hunger, Folter, Suizid

Zugegebenermaßen, manchmal war ich mit den Großcousinen und angeheirateten Tanten oder Ziehgeschwistern überfordert, wer eigentlich wer war. (Darum 4,5 Sterne.) Foer gibt allen ein Gesicht und holt sie aus jenem Vergessen, in das die Nazi-Verbrechen diese Menschen alle stoßen wollte. Foers bewegendes Buch wird so auch ein aktives Eintreten gegen die Auslöschung.

Das Grauen hörte nicht einfach auf, nachdem die Lager befreit wurden. Foer wurde kurz nach Ende des Krieges in Polen geboren und hat die Zeit in den sogenannten DP-Lagern (DP für Displaced Persons) noch miterlebt, die teilweise verherenden Zustände dort und wie ihre Eltern sich abmühen mussten, um aus Deutschland ausreisen zu können. Diese Zeit wird vergleichsweise selten in Büchern abgebildet. „Die Teillacher“ von Michel Bergmann steht daher schon länger auf meiner Leseliste.

Viele von uns sind in dem Glauben aufgewachsen, dass „Nie wieder Auschwitz“ nie wieder in Frage gestellt werden würde. Aber in den letzten Jahren sind viele zuvor unsagbare antisemtische Aussagen wieder lauter geworden. Foers Buch zeigt, wie viel Verlust und Schmerz die Shoah auslöste und wie viel Mühe auch die Aufarbeitung und Heilung für die Überlebenden bedeutet. Darum bitte lesen! Wir müssen uns erinnern.