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Frankfurt

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Insgesamt 790 Bewertungen
Bewertung vom 14.08.2025
Kornmüller, Jacqueline

6 aus 49


sehr gut

Ich habe noch nie Lotto gespielt. Nicht einmal aus Versehen. Aber mein Vater? Der füllt seit über 40 Jahren jede Woche brav seinen Schein aus – mit einer Ernsthaftigkeit, als hinge das Weltklima vom richtigen Kreuzchen auf der 27 ab. Gewonnen hat er, aber nur kleinste Beträge. Jackpot – nie! Aber geträumt? Jede Woche. Und genau diese Mischung aus Hoffnung, Routine und stillem Trotz erinnert mich sehr an Lina, die Heldin von Jaqueline Kornmüllers wunderbar schräg-schönem Roman 6 aus 49.
Denn Lina, die Großmutter der Autorin, spielt nicht nur Lotto, sie spielt sich durchs Leben – und das mit einer Mischung aus Mut, Witz und unfassbarer Widerstandsfähigkeit. Als Kupfergeschirrwäscherin gestartet, landet sie – durch Schicksal, Zufall und eine ordentliche Portion Biss – irgendwann auf der Veranda ihres eigenen Hotels in Garmisch, den Lottoschein in der Hand, das Glück im Blick.
Kornmüller erzählt diese Geschichte mit genau der richtigen Dosis Herz, Humor und Schärfe. Kein Geschichtsroman mit Stock im Rücken, sondern eine flirrende Zeitreise durch Bayern, Winter-Olympiade, Nazizeit, Hotellobby und Frauensolidarität. Lina und ihre Freundin Maria stemmen das Leben, das Hotel, die Kindererziehung und wahrscheinlich auch noch ein paar Tortenbleche – und das ganz ohne Männer.
Die Sprache ist grandios in diesem Roman! Kornmüller schreibt nicht gefällig, sondern genau. Zwischen poetischen Wortschleifen und trockenen Alltagskommentaren liegt oft nur ein Satz. Man liest, lacht, schluckt – und liest nochmal. Nicht weil man muss, sondern weil man will.
Und dann dieses Cover!K< at Menschik illustriert mit so viel Liebe, dass ich das Buch am liebsten auf den Wohnzimmertisch liegen lassen möchte – wie ein Kunstobjekt. Lottozahlen, Hotel, Freundinnenpower – alles drauf, alles dran. Das wäre mal ein colles Poster!
Fazit: 6 aus 49 ist ein Glücksgriff. Auch ohne Lottoschein. Es zeigt: Das wahre Glück liegt nicht im Kreuzchenfeld, sondern im Leben selbst – mit all seinen Umwegen, Zufällen und Kupferkesseln. Ein Buch für starke Frauen, ewige Träumer und Menschen mit Herz für Geschichten, die bleiben.
Und wer weiß – vielleicht fange ich jetzt doch mal mit dem Lotto an.

Bewertung vom 07.08.2025
June, Joana

Bestie


ausgezeichnet

Manche Bücher sind wie eine neue Mitbewohnerin: Du denkst, du kennst den Deal – und dann zieht jemand ein, der alles in dir umsortiert. Bestie von Joana June war für mich genau so ein Buch. Ich habe es nicht gelesen – ich bin eingezogen.
Was für ein Debüt. So klug gebaut, so emotional fordernd, so sprachlich sicher – Bestie hat mich mit mitgenommen. Es ist ein Roman über zwei Frauen, die sich begegnen und verändern, aber kein Stück des üblichen Selbstfindungskitschs. Delia, die sich als „Lilly“ neu erfindet, und Anouk, die strahlende Influencerin mit Rissen im Lack, könnten nicht unterschiedlicher sein – und ähneln sich doch in ihrem innersten Wunsch: gesehen zu werden. Echt gesehen. Nicht durch den Filter. Einfach nur das normale Leben im echten Raum.
Was dieses Buch so verdammt stark macht, ist seine Ambivalenz. Hier gibt es keine klaren Heldinnen, keine einfachen Antworten. Jeder Schritt, den die Figuren machen, schmerzt ein bisschen. Nicht, weil er falsch ist – sondern weil man weiß, wie viel Unsicherheit, Mut und Selbstverrat dahintersteckt. Ich habe Delia und Anouk nicht immer gemocht, aber ich habe ihnen jede Entscheidung geglaubt.
Und dann dieser Stil! Joana June schreibt mit einer Direktheit, die manchmal weh tut und im nächsten Moment so poetisch wird, dass man kurz innehält. Gerüche, Räume, Sätze – alles ist spürbar. Jede Szene sitzt. Jede Nuance hat ein Echo. Selbst die kleinen Zwischenspiele zwischen den Akten – erst rätselhaft, dann fast magisch – tragen dazu bei, dass man tiefer geht als gedacht.
Besonders beeindruckt hat mich, wie feinfühlig das Buch mit Themen wie weiblicher Selbstdarstellung, Macht, Einsamkeit und der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit umgeht – ohne Moralkeule, ohne Pathos. Es geht hier um mehr als nur zwei Lebensentwürfe. Es geht um das, was wir bereit sind zu geben – und zu verlieren – um endlich wir selbst zu sein.
Ach, und der Titel: Bestie. Was für ein Coup. So unscheinbar auf den ersten Blick – so vielschichtig, wenn man erstmal drin ist. Freundschaft oder Verrat? Verletzung oder Verbündete? Ich werde ihn so schnell nicht vergessen.
Der Roman bleibt. Vielleicht, weil es sich weniger wie ein Roman und mehr wie ein Gespräch anfühlte. Zwischen den Zeilen. Zwischen zwei Frauen. Zwischen den Leserinnen.
Joana June hat mit Bestie nicht einfach ein gutes Debüt geschrieben – sie hat einen Nerv getroffen. Und ich kann kaum erwarten, was da noch kommt.
Fünf Sterne von Herzen.

Bewertung vom 07.08.2025
Dittmann, Anne

Jungs von heute, Männer von morgen


sehr gut

Eltern, die sich schon heute viele Gedanken über Gleichberechtigung, Erziehung und Rollenbilder machen, greifen mit ziemlicher Sicherheit eher zu einem Buch wie diesem. Schade eigentlich – denn „Jungs von heute, Männer von morgen“ richtet sich genau an die, die solche Lektüre am dringendsten bräuchten. Aber für alle, die offen sind, Neues zu lernen und eigene Prägungen zu hinterfragen, ist dieses Buch eine echte Bereicherung.
Anne Dittmann – Spiegel-Bestsellerautorin, Journalistin und alleinerziehende Mutter eines Sohnes – gelingt mit diesem Buch ein inspirierender Mix aus persönlichen Einblicken, fundierter Recherche und gesellschaftlicher Analyse. Und das in einem angenehm zugänglichen, fast schon plaudernden Ton. Kein erhobener Zeigefinger, sondern ein offenes Gespräch auf Augenhöhe.
Von Gefühlen, Freundschaften, Rollenvorbildern und... Pornos.
Das Themenspektrum ist beachtlich: von ersten Wutanfällen im Kita-Alter bis zur Frage, wie man als Eltern mit dem Thema Sexualität, Medien oder Männlichkeitsbildern in den sozialen Netzwerken umgeht. Besonders gelungen fand ich die Interviews mit Expert:innen wie Susanne Mierau, Nicola Schmidt oder Patricia Cammarata – sie geben zusätzliche Perspektiven und ganz konkrete Impulse.
Was mir besonders aufgefallen ist:
📘 Das Buch ist nicht nur inhaltlich stark, sondern auch richtig schön gestaltet – übersichtlich, mit klugen Kapitelüberschriften, gut gesetzten Zitaten und hilfreichen Zusammenfassungen. Es lädt zum Wieder-reinlesen ein, zum Nachdenken und Reflektieren – nicht nur für Eltern, sondern für alle, die mit Jungs leben, arbeiten oder sie begleiten.
💬 Natürlich bin ich nicht in allen Punkten mit der Autorin einer Meinung – an einigen Stellen hätte ich mir mehr Tiefe oder eine differenziertere Betrachtung gewünscht. Doch gerade diese Reibung war spannend und hat zum Weiterdenken angeregt.
Fazit:
Anne Dittmann hat ein warmherziges, kluges und engagiertes Buch geschrieben, das Denkmuster aufbricht und neue Perspektiven eröffnet – ein starkes Plädoyer für eine empathische, offene Jungen-Erziehung, die jenseits von Klischees funktioniert.
4 von 5 Sternen – und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.08.2025
Novic, Sara

Klartext


sehr gut

Literarische Inklusion
Stell dir vor, Hogwarts, aber ohne Zauberstäbe – dafür mit ganz viel echter Magie: Sprache, die man mit den Händen spricht, Emotionen, die ohne Worte knallen, und Teenies, die ganz schön viel zu sagen haben. Willkommen an der River Valley School für Gehörlose, wo das Leben nicht leise, sondern einfach anders klingt.
👧 Charlie, neu an der Schule, rebellisch, unglücklich mit ihrem Cochlea-Implantat und bisher Außenseiterin in beiden Welten – weder hörend noch gehörlos so richtig angekommen. 🧑‍🎓Austin, Star der Schule, plötzlich aus der Bahn geworfen, als seine kleine Schwester „perfekt“ hören kann. Und 🧑‍🏫February Waters, Schulleiterin mit Herz, die versucht, ihre Ehe, die Schule und ihren inneren Frieden zusammenzuhalten, während alles um sie herum zerbröselt.
Was wie eine Coming-of-Age-Story beginnt, wird zu einem stillen Aufschrei: Was bedeutet es, gehört zu werden – in einer Welt, die dich ignoriert, weil du anders kommunizierst? Sara Nović, selbst gehörlos, bringt mit „Klartext“ eine Geschichte zu Papier, die nicht nur aufrüttelt, sondern richtig unter die Haut geht. Zwischen Drama, Identitätssuche und Solidarität webt sie leise, aber eindrücklich Themen wie Inklusion, kulturelle Zugehörigkeit und Selbstbestimmung ein.
✨ Besonders cool: Die kurzen Einschübe zu Gebärdensprache und Gehörlosengeschichte – kleine Wissensbonbons, die man beim Lesen aufschnappt und direkt weitererzählen will.
📚 Mein Fazit: „Klartext“ ist laut in seiner Wirkung, stark in seiner Aussage – und ein Buch, das jeder lesen sollte, dersich für echte Diversität interessiert. Dazu spannend, clever, emotional, manchmal witzig, manchmal hart – aber immer wichtig.

Bewertung vom 05.08.2025
Bonnet, Sophie

Provenzalisches Licht / Pierre Durand Bd.11


sehr gut

Frisch zurück aus dem Frankreich-Urlaub, der noch nach Lavendel, Rosé und Baguette duftet, suchte ich Trost – und fand ihn in einem Krimi! Provenzalisches Licht von Sophie Bonnet war mein allererster Fall aus der mittlerweile elfteiligen Reihe rund um Pierre Durand, aber bestimmt nicht der letzte. Denn selten hat sich ein Mordfall so charmant und südfranzösisch angefühlt wie dieser.
Im malerischen Sainte-Valérie soll Ende Juni eine Modenschau des exzentrischen Designers Cyril Fontanel stattfinden. Zwischen glitzernden Stoffen, nervösen Models und grantelnden Dorfbewohnern sorgt Pierre für Sicherheit – bis eine Morddrohung die schillernde Fassade zum Bröckeln bringt. Der Fall führt ihn nicht nur ins benachbarte Tarascon, sondern auch zu einer Toten mit dunkler Vergangenheit – und natürlich zu jeder Menge provenzalischem Esprit.
Ja, es gibt viele Namen und noch mehr Verdächtige, aber gerade das hat mir Spaß gemacht: mitzurätseln, mich überraschen zu lassen, und dabei tief in eine Welt einzutauchen, in der Mode, Mord und Mistral aufeinandertreffen. Besonders spannend: das Thema Nachhaltigkeit in der Modebranche und die Geschichte der kunstvoll bedruckten „Indiennes“-Stoffe – ein unerwarteter, lehrreicher Bonus mitten im Krimi.
Und klar: Auch das leibliche Wohl kommt nicht zu kurz. Charlottes Restaurant warten mit köstliche Rezepte, die sofort Lust machen, die Urlaubsküche nach Hause zu holen.
Fazit: Ein Südfrankreichkrimi wie ein Teller Ratatouille: bunt, aromatisch, mit feinen Zutaten und einem Hauch Gefahr. Für mich der perfekte Lesegenuss nach dem Urlaub – und der beste Grund, direkt den nächsten Band zu lesen, aber diesmal fange ich wohl vorne in der Reihe an! Vive la Provence – et vive Pierre Durand!

Bewertung vom 03.08.2025
Rubik, Kat Eryn

Furye


ausgezeichnet

Ein Cabrio stürzt von der Klippe. Die Presse spricht von einem tragischen Unfall. Aber die Erzählerin weiß: Das war kein Unfall. Und so beginnt mit einem schwarzen Loch aus Erinnerung, Trauer und Wut ein literarischer Roadtrip zurück in die eigene Jugend – an den Ort, wo alles begann. Und wo alles endete.
Kat Eryn Rubik hat mit Furye einen Roman geschrieben, der wie ein Cocktail aus Sonnenbrand, Salz auf offener Wunde und bittersüßer Nostalgie schmeckt. Unfiltriert, poetisch, zornig und absolut fesselnd. Mir hat er gut gefallen in diesem Sommer.
Die namenlose Ich-Erzählerin ist das, was man gemeinhin als Erfolg bezeichnet: Musikmanagerin, Vogue-Coverfrau, tough und souverän. Innen drin? Leer. Abgestorben. “Ich hatte mein Leben vertan. Mich in mir selbst vertan.” (S. 287) — Dieser eine Satz, ein stilles Erdbeben, das sich durch den ganzen Roman zieht. Als ein Anruf sie zurück in ihre Heimatstadt ruft, ist das nicht einfach nur eine Reise, sondern eine Konfrontation mit ihrem früheren Ich. Dem Sommer der Furien. Alec. Meg. Tess. Drei Mädchen, ein Rudel, ein Schwur. Eine jugendliche Explosion – they owned the world.
Kat Eryn Rubik erzählt in zwei kunstvoll verschränkten Zeitebenen – Vergangenheit und Gegenwart, Furien und Frau – und spielt dabei virtuos mit Sprache und Atmosphäre. Die jugendliche Leichtigkeit flimmert heiß und gefährlich über den Seiten, während die Jetztzeit rau, reflektiert und voller schmerzhafter Klarheit ist.
Und ja, es tut weh. Denn Furye kratzt an allem, was glänzt: Leistungsdruck, toxische Weiblichkeitsbilder, psychische Gesundheit, gesellschaftliche Herkunft, Freundschaft und Verlust. Aber die Autorin kratzt nicht nur – sie reißt auf. Und gerade darin liegt die Kraft des Romans. Es ist keine feel-good-Lektüre. Es ist ein Roman, der dich anschreit, der dich wachküsst und dir gleichzeitig eine schallende Ohrfeige und eine zärtliche Umarmung verpasst.
Die weiblichen Figuren? Widersprüchlich, vielschichtig, radikal echt. Keine Heiligen, keine Heldinnen. Aber Furien eben – im besten Sinne: wild, loyal, wütend, unvergesslich.
Die literarische Wucht wird ergänzt durch visuelle Details (Tablettenblister und Sonnensegel als Reminiszenz ans Cover), liebevoll durchdachte Symbolik und sprachliche Sätze, bei denen man den Textmarker am liebsten heiraten möchte.
Fazit: Furye ist ein feministisches Feuerwerk mit emotionalem Tiefgang. Ein Roman, der dich durchschüttelt und nicht loslässt. Für alle, die keine Angst vor ehrlichen Geschichten haben. Für alle, die wissen wollen, wie es sich anfühlt, wenn man sich in sich selbst verliert – und vielleicht ein kleines Stück wiederfindet.

Bewertung vom 03.08.2025
Gestern, Hélène

Rückkehr nach St. Malo


gut

Mit Rückkehr nach Saint-Malo legt Hélène Gestern einen umfangreichen Roman vor, der sich ganz der Kraft der Erinnerung, der Versöhnung mit der eigenen Herkunft und der Schönheit der bretonischen Küste widmet. Es ist ein Buch, das Zeit fordert – und dafür umso mehr Tiefe zurückgibt.
Im Mittelpunkt steht Yann, Historiker, Scheidungskandidat und Sohn einer einstmals einflussreichen Reederfamilie. Nach dem Tod seines Vaters kehrt er in die Familienvilla nach Saint-Malo zurück – in jenes Haus, das einst Schauplatz unbeschwerter Kindheitssommer mit seinem verstorbenen Zwillingsbruder war. Zwischen Dünenwind, Wellenrauschen und Familienarchiv beginnt er, Schicht für Schicht die Geschichte seiner Vorfahren zu entschlüsseln – und damit auch seine eigene.
Hélène Gestern erzählt ruhig, detailliert, mit großem Respekt für historische Genauigkeit und psychologisches Gespür. Die Sprache ist poetisch, stellenweise fast hypnotisch, vor allem in den Naturbeschreibungen. Das Meer – mal tosend, mal still – wird zum Spiegel der Figuren. Die kleine Insel Cézembre vor Saint-Malo ist dabei nicht nur geografischer Fixpunkt, sondern auch Symbol für Vergangenes, Unausgesprochenes, Verdrängtes. Es kann sich auch etwas ziehen, wenn man kein großer Fan von Naturbeschreibungen ist.
Stark ist das Buch, wenn es sich in die Familiengeschichte vertieft, in Fragen von Schuld und Schweigen, in die Brüche, die zwei Weltkriege hinterlassen haben – nicht nur im Land, sondern in den Menschen. Auch die subtile Liebesgeschichte fügt sich unaufdringlich ein, ohne je die Oberhand zu gewinnen.
Weniger überzeugend waren für mich die sehr ausführlichen Passagen zu Schiffsbau, und archivalischen Details. Wer eine straffe Handlung sucht, wird sich streckenweise schwertun – Rückkehr nach Saint-Malo ist kein Roman zum schnellen Durchfliegen. Es lebt vom langsamen Lesen, vom Mitgehen, vom Sich-Einlassen. Eigentlich genau das richtige für eine Reiselektüre in Frankreich!
Die vielen Zeitebenen und Namen können anfangs herausfordernd sein, aber Geduld wird belohnt. Denn was bleibt, ist ein Roman, der nicht laut auftritt, aber lange nachhallt. Ein Roman, der sich dem großen Thema der Herkunft mit literarischer Eleganz nähert. Und der das Meer so beschreibt, dass man meint, Salz auf den Lippen zu schmecken.
Fazit: Ein poetischer, stellenweise etwas zu ausufernder Familienroman mit Tiefgang – für Liebhaber langsamer, fein gearbeiteter Literatur. Ideal für Leser:innen, die sich gern in vielschichtige Geschichten und weite Landschaften hineinfallen lassen.

Bewertung vom 03.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


sehr gut

Ich liebe Sushi und daher hab ich mich immer weiter in die japnaische Küche verliebt. Auch Onigiri haben einen Platz in meinem Herzen. Diese kleinen Reisbällchen, liebevoll von Hand geformt, schlicht und doch voller Bedeutung. Als ich Yuko Kuhns Roman Onigiri entdeckt habe, war ich sofort neugierig: Was verbirgt sich hinter diesem stillen Titel? Die Antwort: sehr viel.
Denn wie diese Reisbällchen steht auch der Roman für Fürsorge, Verbundenheit, unausgesprochene Liebe – für alles, was zwischen den Generationen weitergegeben wird, wenn Worte fehlen.
Als Aki vom Tod ihrer Großmutter erfährt, trifft sie eine mutige Entscheidung: Sie reist mit ihrer demenzkranken Mutter Keiko ein letztes Mal nach Japan, zurück in das Haus der Familie. Und obwohl sie weiß, wie riskant das für Keiko ist, spürt sie, dass dort etwas schlummert – eine Erinnerung, ein Funke.
Und tatsächlich: In der Heimat beginnt Keiko aufzublühen. Während sie in Deutschland zunehmend in der Vergessenheit verschwand, wird sie in Japan plötzlich wieder lebendig – spricht klar, lacht, erinnert sich. Für Aki ein schmerzhafter und zugleich wunderschöner Moment: Sie erkennt in ihrer Mutter zum ersten Mal die mutige, lebenshungrige Frau, die sie einmal war.
Yuko Kuhn erzählt diese Geschichte leise, aber kraftvoll. Sehr japanisch. Ohne große Gesten, aber mit eindrücklicher Tiefe. Der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart macht deutlich, wie sich das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter im Laufe der Jahre verschoben hat – von Nähe, Abgrenzung, Erschöpfung bis hin zu einem späten, fast zärtlichen Verständnis.
Was mir besonders gefallen hat: Onigiri verzichtet auf direkte Rede. Das ist ungewohnt, aber es macht den Text noch intimer – man ist ganz nah bei Aki, in ihren Gedanken, Zweifeln, Erinnerungen.
Der Roman ist mehr als eine Mutter-Tochter-Geschichte. Er handelt von Identität, Heimat, Demenz – aber auch vom Verzeihen und der Hoffnung, dass es nie zu spät ist, sich wirklich zu begegnen. Er hat mir die Zerbrechlichkeit des Erinnerns bewusst gemacht – und die Kraft kleiner Gesten.
Ein schmales, intensives Buch, das mir sehr nah gegangen ist. Für mich ganz klar:
5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 02.08.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


ausgezeichnet

Fesselnd, atmosphärisch und psychologisch packend
Schon Kristina Hauffs In blaukalter Tiefe hat mich mit seiner dichten Atmosphäre und dem psychologischen Spannungsaufbau begeistert – und Schattengrünes Tal steht diesem Roman in nichts nach. Wieder gelingt es der Autorin, einen Schauplatz so lebendig und gleichzeitig so beklemmend zu zeichnen, dass man sich förmlich in die Handlung hineingezogen fühlt.

Das alte Hotel „Zum alten Forsthaus“ im Schwarzwald ist der perfekte Ort für diese Geschichte: abgelegen, verwittert, mit einer düsteren Aura, die von Seite zu Seite mehr unter die Haut kriecht. Beschreibt die Autorin großartig. Im Zentrum steht Lisa, eine Frau, die zwischen Pflichtgefühl gegenüber ihrem herrischen Vater, der Verantwortung für das heruntergekommene Hotel und ihrer eigenen Ehe zerrieben wird. Der schleichende Einbruch von Daniela, dieser schutzbedürftig wirkenden, aber immer undurchsichtiger werdenden Fremden, sorgt dafür, dass aus dem leisen Familien- und Dorfalltag langsam ein psychologischer Sturm wird.

Besonders gelungen finde ich, wie Hauff Spannung ohne großes Blutvergießen erzeugt: Alles lebt von der unterschwelligen Bedrohung, dem Spiel aus Nähe und Misstrauen, und der Frage, was hinter Danielas Verhalten steckt. Der Perspektivwechsel verstärkt die Sogwirkung, und die düstere, herbstliche Atmosphäre des Schwarzwalds legt sich wie ein Schatten über die gesamte Geschichte. Ihre Naturbeschreibungen sind wieder sehr gelungen.

Wie schon bei `In blaukalter Tiefe` habe ich das Buch kaum aus der Hand legen können. Kristina Hauff versteht es meisterhaft, menschliche Abgründe, subtile Manipulationen und ein Gefühl stetig wachsender Beklemmung miteinander zu verweben. Für mich ein psychologischer Spannungsroman, der lange nachhallt – und definitiv ein weiteres Highlight in Hauffs Werk.

5 von 5 Sternen und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.08.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Wenn Europa Elefanten serviert bekommt …
Nach dem Überraschungserfolg von Trophäe, in dem Gaea Schoeters schon genüsslich das anachronistischen Jagden in Afrika zerlegte, serviert sie uns mit Das Geschenk die nächste literarische Breitseite. Wörtlich. 20.000 afrikanische Elefanten trampeln durch Berlin, nicht aus dem Zoo entflohen, sondern als freundliche „Dankesgabe“ aus Botswana, nachdem Deutschland den Import von Jagdtrophäen verboten hat. Ein Geschenk, das man nicht ablehnen kann – schließlich: it’s magic.
Schoeters’ Satire ist so überdreht, dass sie fast real wirkt. Während der Bundeskanzler versucht, zwischen Wahlumfragen und Elefantenfladen einen kühlen Kopf zu bewahren, zeigt die Autorin gnadenlos auf, wie schnell moralische Prinzipien in Rauch aufgehen, wenn plötzlich vier Meter hohe „Fremde“ vorm Reichstag stehen. Erst sind sie exotisch und schützenswert, dann ein Sicherheitsrisiko – und schließlich nur noch eine Frage von: Abschießen oder nicht?
Mit bissigem Humor und einer guten Portion Zynismus legt Schoeters den Finger in die Wunde westlicher Besserwisserei: Wer anderen Ländern vorschreibt, wie sie ihre Ressourcen managen, sollte vielleicht erst mal selbst lernen, mit 120 Kilo Elefantenfutter pro Tier und Tag klarzukommen – plus der entsprechenden „Nebenprodukte“.
Klar, nicht jede Szene sitzt perfekt, und gegen Ende leistet sich die Autorin einen kleinen Hänger. Aber insgesamt ist Das Geschenk eine kluge, herrlich freche Realsatire, die uns Europäern die Doppelmoral auf dem Silbertablett serviert – am besten mit einem großen Haufen Elefantendung garniert.
Fazit: Wer Schoeters’ Trophäe mochte, bekommt hier den Nachschlag – größer, dreister, und mit noch mehr Fladen.